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1967 erschienen die Worte des Vorsitzenden Mao Tse-tung zum ersten Mal auf Deutsch. Im Sog der politischen Ereignisse und der Studentenbewegung wurde das »Rote Buch« mit den zusammengestellten Sinnsprüchen und Parolen des chinesischen Revolutionärs schnell zum Kultobjekt, das als Signalzeichen für eine rebellische Haltung auf Demonstrationen, in Filmen und auf Magazinfotos auftauchte. Doch wurde das Buch auch gelesen oder nur geschwenkt ? Diese Anthologie schildert die Entwicklung der »Mao-Bibel« zum ultimativen revolutionären Accessoire : Dabei wirft sie einen prüfenden Blick auf damalige…mehr

Produktbeschreibung
1967 erschienen die Worte des Vorsitzenden Mao Tse-tung zum ersten Mal auf Deutsch. Im Sog der politischen Ereignisse und der Studentenbewegung wurde das »Rote Buch« mit den zusammengestellten Sinnsprüchen und Parolen des chinesischen Revolutionärs schnell zum Kultobjekt, das als Signalzeichen für eine rebellische Haltung auf Demonstrationen, in Filmen und auf Magazinfotos auftauchte. Doch wurde das Buch auch gelesen oder nur geschwenkt ? Diese Anthologie schildert die Entwicklung der »Mao-Bibel« zum ultimativen revolutionären Accessoire : Dabei wirft sie einen prüfenden Blick auf damalige Lesepraktiken, analysiert den bekannten roten Kunststoffeinband, befragt den Filmemacher Harun Farocki zu seinen Lektüreerlebnissen und beleuchtet die Inszenierungsweisen des roten Bändchens in der Protest- und Popkultur. So wird anhand des ikonischen Artefakts deutlich, wie fließend die Grenzen zwischen Politik und kultureller Repräsentation seit jeher waren.
Autorenporträt
Anke Jaspers, 1984 geboren, ist wissenschaftliche Assistentin an der Professur für Literatur- und Kulturwissenschaft an der ETH Zürich. Sie studierte Germanistik, Geschichte und Politik in Göttingen und Lausanne und promoviert am Institut für deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Claudia Michalski, 1981 geboren, hat am Deutschen Seminar der Eberhard Karls Universität Tübingen promoviert. Sie studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in Tübingen und Dublin. Morten Paul, 1987 geboren, studierte Germanistik, Philosophie und Kulturwissenschaft in Konstanz, Athen und London. Er war Mitglied des Suhrkamp-Forschungskolleg und promoviert mit einem Projekt zu Theorie. Eine Buchreihe im philosophischen Nachkrieg. Seit 2017 arbeitet er als Verlagsassistent im August Verlag Berlin. Rembert Hüser ist Professor für Medienwissenschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt und seit 2009 Adjunct Professor im Department of Cultural Studies and Comparative Literature an der University of Minnesota.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.07.2018

Worte zu Waffen
In China eine Frage auf Leben und Tod, im Westen ein schickes Accessoire: Ein Band erhellt die Geschichte der Mao-Bibel
Die Weisungen des Großen Steuermanns Mao, zusammengefasst in einem kleinen Buch mit unzerreißbarem roten Plastik-Umschlag, galten wie ein Evangelium, nicht nur im China der Kulturrevolution, sondern auch bei vielen westlichen Adepten, die nach einem dritten Weg suchten. Der westliche Kapitalismus war ohnehin der Feind, aber auch der Sozialismus sowjetischer Prägung hatte seinen Kredit weitgehend verloren, da kam die Offenbarung aus China gerade recht. „Studiert die Worte des Vorsitzenden Mao Tse-Tung“, schrieb sein alter Weggefährte Lin Biao in der Einleitung. „In unseren Händen müssen sie Waffen werden.“
Doch wie macht man das, Worte in Waffen verwandeln? Der Regisseur Harun Farocki, damals noch Student in Berlin, probierte es 1967 in einem Film folgendermaßen: Er ließ die Seiten des Büchleins vor laufender Kamera herausreißen und zu Papierfliegern falten, denen an der Spitze Stecknadeln implantiert wurden. Dann flogen sie los und landeten in den Suppentellern eines Paares, dem man Papiertüten mit den Porträts des iranischen Schahs und seiner Gattin über den Kopf gestülpt hatte – der Besuch des Schahs in Berlin lag noch nicht lange zurück.
War das eine kämpferische Tat? Einfältiges Missverständnis? Satire? Dadaistisches Event? Darüber konnten sich die Betrachter dieses Films, der nur 1 Minute 28 Sekunden dauerte, aber offenbar für Wirbel sorgte, nicht einigen.
Die Herausgeber des Bandes „Ein kleines rotes Buch“, der auf eine Veranstaltung im Marbacher Literaturarchiv zurückgeht, merken an: „Er (=Farocki) stellt auch die Frage nach den Gebrauchs- und Lektürepraktiken der Mao-Bibel, indem er sie in Bilder übersetzt. ,Lesen‘ ist ganz offenkundig nur eine dieser Praktiken.“
Und auch hier weiß man nicht recht, ob im wissenschaftlichen Ton noch anderes mitschwingt. Sollte es sich um Ironie handeln, wäre sie jedenfalls so trocken, dass es staubt. Fehl am Platz ist sie schwerlich. Denn dieses handliche signalfarbene Druckwerk war mindestens ebenso zum Schwenken wie zum Denken gemacht; wer es hochhielt, gab in Ost und West sogleich seine Gesinnung zu erkennen, geöffnet werden musste es hierzu nicht.
Und wer es öffnete, der fand keinen zusammenhängenden Text, sondern einzelne Sätze, die aus dem Kontext von Maos Reden und Büchern herausgelöst waren und sich wie Sprichwörter in fast jede Richtung drehen und wenden ließen. „Den Volksmassen wohnt eine unbegrenzte Schöpferkraft inne“, stand da, oder: „Alles, was der Feind bekämpft, müssen wir unterstützen; alles, was der Feind unterstützt, müssen wir bekämpfen“, oder: „Das Fundament der Armee sind die Soldaten“, oder: „Will man die Revolution, dann muss man eine revolutionäre Partei haben.“ Wer wollte dem widersprechen?
Im Westen scheint die Berufung auf die Worte des Vorsitzenden zunächst eher etwas wie ein provokanter Scherz gewesen zu sein. Man machte es sich zunutze, dass das rote Buch auf viele, wenn sie es bloß sahen, wie ein rotes Tuch wirkte, Juristen in Gerichtssälen beispielsweise. In China hingegen war es eine Frage von Leben und Tod, ob man, wenn man von den Roten Garden auf der Straße angehalten wurde, das Büchlein vorweisen konnte: Wehe, wenn nicht! Allein im Jahr 1967 wurde es 350 000 000-mal gedruckt; Schulbücher erschienen nicht in jenem Jahr. Unter allen Büchern der Erde hat es nur noch die Bibel auf eine ähnlich hohe Auflage gebracht – die allerdings brauchte dazu ein halbes Jahrtausend.
Der von Anke Jaspers, Claudia Michalski und Morten Paul edierte Band beleuchtet dieses erstaunliche, wenn auch relativ kurzlebige Phänomen von verschiedenen, auch unerwarteten Seiten. Es wird die doppelte Geschichte dieses Büchleins erzählt, das in China, wo es zum sichtbarsten Abzeichen einer gewaltigen Umwälzung wurde, eine so gänzlich andere Rolle spielte als im dekadenten Westen, der es letztlich doch nur als ein Accessoire des linken Chics behandelte.
Harun Farocki kommt zu Wort, der seine damalige Aktion aus dem Abstand von fast fünfzig Jahren eher gelassen kommentiert.
Ein Beitrag widmet sich der Mao-Lektüre von Reinhart Koselleck (ihn erinnerte der eingeforderte Kadavergehorsam an die dienstbereiten Dschinns aus Tausendundeiner Nacht); eine Anekdote am Rand berichtet, wie der deutsche Verfassungsschutz, indem er den Chinesen die Adressen deutscher Radikaler mitteilte, sodass sie mit maoistischer Literatur beliefert werden konnten, die deutsche Linke zu spalten versuchte, nicht ohne Erfolg übrigens. Philipp Goll hat das heutige Internet auf Verkaufsangebote für das kleine rote Buch durchsucht; sein Text trägt, nach einer der gefundenen Offerten, den Titel: „Ohne Lesespuren. Sehr gutes Exemplar!“ Da hat der Alteigentümer wohl mehr über sein linkes Vorleben verraten, als ihm bewusst war.
BURKHARD MÜLLER
Anke Jaspers, Claudia Michalski, Morten Paul (Hrsg.): Ein kleines rotes Buch. Über die Mao-Bibel und die Bücher-Revolution der Sechzigerjahre. Matthes & Seitz, Berlin 2018, 233 Seiten, 28 Euro.
Das handliche Druckwerk
war ebenso zum Schwenken
wie zum Denken gemacht
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