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Großbritannien muss sich nach dem Austritt aus der EU neu erfinden. Wird aus New Britannia einfach nur Little England oder ein Empire 2.0? Birgt der Brexit Chancen?Nach dem Austritt aus der Europäischen Union wird Großbritannien sich neu positionieren müssen. Das Land könnte auf England (plus Wales) schrumpfen, sollten Schotten und Nordiren lieber in der EU bleiben wollen. Großbritannien wird sich auf der geistigen Landkarte des 21. Jahrhunderts neu verorten müssen. England muss sich intellektuell den Fragen stellen, die dieses Jahrhundert dem einstigen Imperium aufgibt. Die Globalisierung…mehr

Produktbeschreibung
Großbritannien muss sich nach dem Austritt aus der EU neu erfinden. Wird aus New Britannia einfach nur Little England oder ein Empire 2.0? Birgt der Brexit Chancen?Nach dem Austritt aus der Europäischen Union wird Großbritannien sich neu positionieren müssen. Das Land könnte auf England (plus Wales) schrumpfen, sollten Schotten und Nordiren lieber in der EU bleiben wollen. Großbritannien wird sich auf der geistigen Landkarte des 21. Jahrhunderts neu verorten müssen. England muss sich intellektuell den Fragen stellen, die dieses Jahrhundert dem einstigen Imperium aufgibt. Die Globalisierung kann als Chance verstanden werden und die koloniale Vergangenheit als Gegenstand dringend nötiger Aufarbeitung. Britannien könnte aber auch als wirtschaftliche Großmacht und politische Mittelmacht in der Vergangenheit verharren und von einem Empire 2.0 bloß träumen. Damit würde es die Chancen versäumen, die dieser kathartische Moment bringen kann.
Autorenporträt
Tessa Szyszkowitz, 1967 in Stuttgart geboren, schreibt seit 1991 für das österreichische Nachrichtenmagazin »profil«. Die Historikerin war von 1994-1998 Korrespondentin in Jerusalem, von 1998-2002 in Brüssel und von 2002-2010 in Moskau. Mitautorin von »Europe confronts terrorism« (2005), »Trauma und Terror« (2008), »Ihr Hunde, lasst's den Vater da!« in: »Stalins letzte Opfer« (2009). Im Picus Verlag erschienen »Die neuen Russen - die Generation nach Putin«, »Der Friedenskämpfer. Arafats geheimer Gesandter Issam Sartawi« und 2018 »Echte Engländer. Britannien und der Brexit«.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.12.2018

Über
die Aussteiger
Der Brexit regt an zu pointierten Streitschriften,
aber auch zur nüchternen Analyse. Ein Überblick
VON ALEXANDER MENDEN
Der britische Rückzug aus der Europäischen Union ist, je nach Einschätzung, ein mutiger Schritt in die nationale Unabhängigkeit von einem nicht demokratisch legitimierten „Superstaat“ oder der drastischste Akt politischer Selbstbeschädigung in der britischen Nachkriegsgeschichte. In jedem Fall ist sein Ausgang trotz der von der EU bereits abgesegneten Ausstiegsmodalitäten nicht weniger ungewiss als am 24. Juni 2016, dem Tag nach dem britischen EU-Referendum. Ob der von Theresa May akzeptierte Deal am 11. Dezember vom britischen Unterhaus ebenfalls ratifiziert wird, ist sehr fraglich, was danach kommt, ist vollkommen offen. Dennoch war es unvermeidlich, dass Brexit, einer der bizarrsten und potenziell folgenreichsten politischen Vorgänge unserer Zeit, auch im deutschen Sprachraum rasch eine Reihe erklärender (und verklärender) Bücher nach sich ziehen würde.
Tessa Szyszkowitz, Historikerin und Autorin für österreichische Publikationen wie Profil und Falter, ist sichtlich bemüht, eine Balance zwischen Alltagsbeobachtung, Verständlichkeit und Analyse zu bieten. „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“ lautet der Titel ihres Buches, in dem sie vor allem einen Überblick über Voraussetzungen des Brexit-Referendums und die innenpolitischen Faktoren der derzeitigen verfahrenen Situation zu geben versucht. In leicht verdaulichen Kurzabschnitten werden sämtliche britischen Zentralthemen der vergangenen anderthalb Jahrzehnte betrachtet: Kolonialismus und das Verhältnis zu den USA, die abgehängten Regionen und die Londoner Ausnahmestellung, polnische Handwerker und russische Oligarchen, der Rechtsruck der Tories und der Linksruck von Labour, Ukip, die Queen und, natürlich, die EU. Das meiste ist wohlinformiert und ausgewogen, eine gute Einführung, wenn Kenner der Materie auch wenig Neues erfahren werden.
Einige Einschätzungen, zu denen Szyszkowitz gelangt, sind allerdings nicht ganz nachzuvollziehen. Die Einschätzung, ein komplexes Gebilde wie das Vereinigte Königreich habe „heute einen altmodischen, konservativen Touch“, ist unpräzise und spielt denkfaulen Klischees in die Hände. Zudem nennt die Autorin den derzeitigen Innenminister Sajid Javid als Beispiel für den Aufstieg eines nicht weißen Immigrantenkindes in die Regierung. Wenn sie betont, Javid habe die von Theresa May ausgerufene „feindliche Umgebung“ umgehend abgeschafft, erweckt sie den Eindruck, Javid sei ein gemäßigter Realpolitiker. In Wirklichkeit steht er weitgehend in Mays innenpolitischer Tradition, vor allem, was ihre extrem restriktive Haltung zur Freizügigkeit von Personen innerhalb der EU angeht – sein sogenanntes „settlement scheme“ für Europäer, die bereits im Vereinigten Königreich leben, ist mit vielen administrativen Hürden und reduzierten Rechten verbunden.
Die Darstellung des sogenannten Windrush-Skandals, in dessen Verlauf Menschen aus der Karibik, die ihr ganzes Leben in Großbritannien verbracht hatten, plötzlich ausgewiesen wurden, ist hingegen präzise und beleuchtet exemplarisch die chaotische Einwanderungspolitik der Insel. Nicht zuletzt aus dieser erklärt sich auch die Ungläubigkeit ehemaliger Kolonien angesichts der Überzeugung vieler Brexit-Fans, die Commonwealth-Struktur werde als Blaupause für ein künftiges globales Handelsnetzwerk mit England in seinem Zentrum dienen. „Nach der Erfahrung von Empire 1.0 kann ich wirklich nicht verstehen, warum irgendjemand gedacht hat, dass Empire 2.0 eine gute Marketingstrategie sein könnte“, zitiert Tessa Szyszkowitz den indischen Autor und Politiker Shashi Tharoor. Das Ergebnis, zu dem die Autorin selbst kommt, ist so folgerichtig wie korrekt: „Alles, was den Briten heilig ist, wird durch den EU-Austritt infrage gestellt. Demokratie, Parlament, Toleranz, selbst die sprichwörtliche Gelassenheit. Die alten Sicherheiten gelten nicht mehr. Das EU-Votum zeigte 2016, dass die Briten keine klaren Vorstellungen mehr haben, wer sie eigentlich sind.“
Steht einem der Sinn nach einer den Prognosen der Mehrheit der Beobachter sich entschlossen entgegenstemmenden Bewertung, so greife man zu Jochen Buchsteiners Essay „Die Flucht der Briten aus der europäischen Utopie“. Hier erhält man zugleich einen recht guten Einblick in die Haltung der borniertesten unter den Ultra-Brexiteers wie Jacob Rees-Mogg, David Davis oder Dominic Raab, die der Londoner Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sich stellenweise zu eigen macht.
Ausführungen wie jene, der Brexit sei „weniger ein Abbruch der Beziehungen zu Europa als ein Aufbruch“, die Briten wollten künftig den Kontinent als „Freund an der Seite“ haben, wenn sie sich „(wieder) verstärkt den Regionen in Asien und Afrika“ zuwenden, decken sich eins zu eins mit der Einschätzung des Handelsministers Liam Fox. Der hatte allerdings auch vorhergesagt, ein Abkommen mit der EU werde „das leichteste in der Geschichte der Menschheit“ werden. Ausgerechnet den zurückgetretenen Brexit-Minister Davis, den ein konservativer Parteifreund einmal sehr treffend als „dumm wie Hackfleisch“ bezeichnete, sieht der Autor als Repräsentanten von „Cool Britannia“ (ein untrennbar mit Tony Blair, der bête noire der Tories, verknüpfter Begriff), der bei den Brexit-Verhandlungen auf einen „steifen, manchmal etwas schwermütigen Kontinent“ getroffen sei. Dass Davis stets völlig unvorbereitet in die Gespräche ging, sieht Buchsteiner nicht etwa als Ausweis von Inkompetenz, sondern von „Flexibilität“.
Dabei decken sich viele seiner Beobachtungen mit denen von Tessa Szyszkowitz: So konstatiert er, die „dunkleren Kapitel der nationalen Erzählung“ seien unterrepräsentiert: „Sklavenhandel und Kolonialverbrechen führen sowohl in den Museen als auch in Schul-Curricula ein stiefmütterliches Dasein.“ Die Schlussfolgerung fällt jedoch anders aus: „Der Verlust des Empires und die lange wirtschaftliche Schwäche, die dem Zweiten Weltkrieg folgte, haben die Briten verdrossen, aber nicht wirklich verunsichert“, meint Jochen Buchsteiner.
Den vermeintlich ungetrübten britischen Patriotismus (tatsächlich ist dieser Begriff in einem sich aus mehreren Nationen zusammensetzenden Gebilde natürlich ein Widerspruch in sich) scheint er angesichts der „europäischen Integrationsgymnastik“ als wohltuend zu empfinden. An solcherart nationalem Gemeinschaftsgefühl könnten die Deutschen sich seiner Meinung nach ein Beispiel nehmen. Der Brexit erscheint bei Buchsteiner so letztlich nicht nur als heilsames Korrektiv für den völlig aus dem Ruder laufenden EU-Kurs, sondern sogar als möglicher Katalysator eines wiedererwachenden deutschen Nationalstolzes.
Als Gegengewicht zu den beiden einander in ihren Schlussfolgerungen zwar diametral entgegengesetzten, aber gleichermaßen meinungsstarken Bänden dient (auch, was die Länge angeht) „Brexit aus Versehen – Europäische Union zwischen Desintegration und neuer EU“ von Paul Welfens. Der Wuppertaler Volkswirtschaftler legt eine ebenso konsequent sachliche wie für Leser, die sich einen allgemeinen Überblick verschaffen wollen, womöglich etwas zu detailreiche Analyse aus wirtschaftlicher Sicht vor. Dennoch ist es wichtig, dass auch ein ausgewiesener Experte in nachgerade exquisit leidenschaftslosem Duktus darauf hinweist, wie hohl die Behauptung Theresa Mays und vieler „Euroskeptiker“ ist, man verlasse „zwar die EU, aber nicht Europa“. Die geografische Nähe habe „die Intensität des Außenhandels“ sowie „Direktinvestitionen multinationaler Unternehmen begünstigt“, so Welfens. Der größte Teil der Investitionen im Vereinigten Königreich komme aus EU-27-Ländern: „Der britische EU-Austritt heißt, dass ein Teil des Handelsnetzwerks mit den EU-27-Ländern entwertet und auch zerstört wird.“
Eingedenk der Brexit-Entwicklung in all ihren irrsinnigen Volten, die kommende Woche auf einen neuen Höhepunkt zusteuert, wirkt der Stil dieses mehr als 500 dicht bedruckte Seiten umfassenden Werkes bisweilen fast amüsant. „Da der No-Deal-Fall für UK hohe Wohlfahrtsverluste bedeutet, gibt es einen gewissen Anreiz für die May-Regierung, diesen Fall zu vermeiden“, konstatiert Welfens. „Allerdings sind möglicherweise auch die internen Konflikte der May-Regierung relativ groß.“ Trockener kann man die möglichen Katastrophenszenarien von Flugverboten für britische Airlines, Medizin- und Nahrungsknappheit sowie unendliche Lastwagenschlangen an den Fährhäfen von Dover und Calais im Falle eines No Deal einerseits und den offenen Bürgerkrieg innerhalb der Konservativen Partei andererseits kaum umreißen.
Jedes Buch über den Brexit kann derzeit nur eine Momentaufnahme, eine notwendigerweise begrenzte und voreingenommene Innenansicht einer heiß laufenden Phase der Geschichte sein. Die Autoren der vorliegenden Bände werden in Zukunft aber immerhin darauf verweisen können, so ziemlich am Anfang einer gewaltigen Flut von Büchern über diese Phase gestanden zu haben.
Man erhält einen guten Einblick
in die Haltung der borniertesten
unter den Ultra-Brexiteers
Trockener kann man
die Katastrophenszenarien
nicht schildern
Tessa Szyszkowitz:
Echte Engländer.
Britannien und der Brexit. Picus-Verlag, Wien 2018. 264 Seiten, 22 Euro.
Jochen Buchsteiner:
Die Flucht der Briten aus der europäischen Utopie. Rowohlt, Reinbek 2018. 144 Seiten, 16 Euro.
E-Book: 12,99 Euro.
Paul Welfens:
Brexit aus Versehen – Europäische Union
zwischen Desintegration und neuer EU. Springer-Verlag, Berlin 2018.
568 Seiten, 19,99 Euro.
E-Book: 14,99 Euro.
Schwere Last: Premierministerin Theresa May nach einer Pressekonferenz in Brüssel am 25. November.
Foto: EMMANUEL DUNAND/AFP
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Alexander Menden findet in dem Buch der Historikerin Tessa Szyszkowitz einen ausgewogenen Blick auf den Brexit. Mittels Alltagsbeobachtung und Analyse gelingt der Autorin laut Menden ein verständlicher Überblick über die Brexit-Voraussetzungen und die innenpolitischen Faktoren der Situation auf der Insel. Die kurzen Kapitel über Kolonialismus, rechte Tories oder russische Oligarchen schätzt der Rezensent für ihren gut dosierten Informationsgehalt, wenngleich nicht viel Neues drinsteht, wie er zugibt. Wenn die Autorin dem Königreich allerdings einen altmodischen Touch andichten möchte, protestiert Menden: Dergleichen findet er unpräzise und wohlfeil.

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