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Die erste kritische Biographie einer ungewöhnlichen Frau und großen Publizistin.
"Wir werden ihresgleichen nicht mehr sehen." Rudolf Augstein
"Sie war ein Meisterwerk als Persönlichkeit." Katharina Focke

Produktbeschreibung
Die erste kritische Biographie einer ungewöhnlichen Frau und großen Publizistin.

"Wir werden ihresgleichen nicht mehr sehen."
Rudolf Augstein

"Sie war ein Meisterwerk als Persönlichkeit."
Katharina Focke
Autorenporträt
Klaus Harpprecht, geboren 1927, hat als Journalist unter anderem für RIAS, SFB und ZDF gearbeitet. Von 1966 bis 1969 war er Leiter des S. Fischer Verlags und von 1972 bis 1974 Chef der Schreibstube und Berater von Willy Brandt. Klaus Harpprecht lebt als freier Schriftsteller in Frankreich. 2009 wurde er mit dem "Lessing-Preis" ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.2008

Preußens große Soloreiterin
Von der Gutsherrin zur Herausgeberin: Klaus Harpprecht würdigt den Lebensweg von Marion Gräfin Dönhoff

In der wohl berechtigten Annahme, dass der 100. Geburtstag der Gräfin Dönhoff am 2. Dezember nächsten Jahres uns eine Vielzahl huldigender Publikationen über die einstige Doyenne des deutschen Journalismus bescheren werde, legt Klaus Harpprecht seinen Beitrag zum Jubiläum bereits jetzt vor. Seine Biographie stellt zweifellos den bisher gewichtigsten Versuch dar, Persönlichkeit und Lebensleistung der langjährigen "Zeit"-Herausgeberin umfassend zu würdigen. Für seine Recherchen konnte er sich auf reiches, bisher teilweise unzugängliches Archivmaterial, vor allem private Briefwechsel, stützen. Hat diese erweiterte Quellenkenntnis dem Autor auch zu einer neuen Sicht auf seine "Heldin" verholfen, deren Erscheinungsbild bisher weithin von ihren Eigendarstellungen bestimmt war?

Unter diesen autobiographischen Zeugnissen steht die Schilderung ihrer Flucht aus Ostpreußen Ende Januar 1945 nicht nur hinsichtlich ihrer Entstehungszeit an erster Stelle. Eine Kurzfassung des Textes erschien 1946 als zweiter Beitrag aus der Feder der frischgebackenen Redakteurin in der "Zeit". Mit Recht stellt Harpprecht fest, dass Dönhoffs Erlebnisbericht "zum Fundament ihres Ruhmes als Autorin werden sollte". Dass der Biograph gerade zur Vorgeschichte des schicksalhaften Aufbruchs nach Westen ein bisher unbekanntes Dokument beibringt, lässt aufhorchen. Die Rede ist von einem Brief der Gräfin an einen alten Bekannten, den Königsberger Universitätsprofessor Walter F. Otto, vom November 1944. Schon zu jenem Zeitpunkt erachtete die damalige Gutsherrin auf Quittainen die Eroberung Ostpreußens durch die Sowjets als unabwendbar und die Möglichkeit eines geregelten kollektiven Abzugs als illusorisch. Da sie "es für hoffnungslos halte, wenn die ganze Provinz erst einmal unterwegs ist, überhaupt noch vorwärts, geschweige denn über eine der Brücken, zu kommen" - so Marion Dönhoff an Otto am 1. November 1944 -, beabsichtige sie, sich "mit dem Reitpferd zu verselbständigen und allmählich gen Westen zu reiten".

Harpprecht lobt die Ostpreußin dafür, "längst vorausgesehen" zu haben, "dass der Treck keine Chance hatte, das andere Weichselufer zu erreichen", und Wochen zuvor geplant zu haben, sich im gegebenen Moment "von den Quittainern", also ihren Gutsleuten, zu trennen, um den Soloritt nach Westen anzutreten. Er stößt sich nicht daran, dass sie in ihrer veröffentlichten Darstellung ("Nach Osten fuhr keiner mehr") die Dinge doch merklich anders präsentiert. Hier sind es die Quittainer, die "alle miteinander . . . beschlossen" hatten, die Gräfin solle versuchen, mit dem Pferd nach Westen durchzukommen, während sie, die Gutsleute, zurückbleiben und "nun eben in Zukunft für die Russen die Kühe melken . . . würden". Angesichts des scharf autoritären Führungsstils, den verlässliche Zeugen der Gutsherrin Dönhoff bescheinigen, erschien die Geschichte von dem ihr durch "Volksentscheid" verordneten Alleinritt schon bisher wenig glaubwürdig. Im Lichte ihres Briefes an Otto, wo sie nahezu drei Monate im Voraus die Absicht, auf eigene Faust zu entkommen, ankündigt, erweist sich die spätere Version als Versuch zur Rechtfertigung eines doch recht problematischen Verhaltens. Letzterem Zweck dient auch Marion Dönhoffs rückblickende Behauptung, weder sie noch ihre Arbeiter hätten im Moment ihres Aufbruchs ahnen können, welches grausame Schicksal die Zurückgebliebenen erwarten würde. Dabei erinnert die Gräfin selbst in ihrem veröffentlichten Fluchtbericht daran, dass das Regime den Meldungen über sowjetische Greueltaten an der Zivilbevölkerung im ostpreußischen Nemmersdorf (Oktober 1944) weiteste Publizität verschafft hatte. Auch unter dem Eindruck dieser - für einmal auf Tatsachen beruhenden - Propagandakampagne hätten es die Quittainer Gutsleute in Wirklichkeit wohl vorgezogen, wie ihre unmittelbaren Nachbarn auf dem Dohnaschen Gut Schlobitten, die Flucht im Treck zu wagen. Weit über dreihundert Schlobittern gelang das von Marion Dönhoff von vornherein für aussichtslos Gehaltene: Unter Führung des Gutsherrn kam ihr Treck im März 1945 in Niedersachsen an.

Ein gewisses kritisches Sensorium für Dönhoffsche Faktenkosmetik wäre Harpprechts Darstellung hier gut bekommen und hätte sich gerade bei der Behandlung einer so bedeutsamen Schlüsselepisode in der Vita seiner Heldin aufgedrängt. Später übt sich die Gräfin nicht mehr in der Vertuschung eigener Fehlurteile, sondern verblüfft im Gegenteil durch die Bereitschaft, solche einzugestehen. Die arrivierte, in ihrer Rolle als Meinungsführerin anerkannte Großjournalistin kann es sich 1981 leisten, in Erinnerung zu rufen, dass sie 33 Jahre zuvor den ein radikales Liberalisierungsprogramm ankündigenden und damit das bundesdeutsche Wirtschaftswunder einläutenden Ludwig Erhard vernichtend abqualifiziert hatte: "Wenn Deutschland nicht schon eh ruiniert wäre, dieser Mann mit seinem absurden Plan, alle Bewirtschaftung aufzuheben, würde es gewiss fertigbringen. Gott schütze uns davor, dass er einmal Wirtschaftsminister wird. Das wäre nach Hitler und der Zerstückelung Deutschlands die dritte Katastrophe." Diese anfänglich rabiate Erhard-Kritik, von der sie sich später distanziert hat, ist so aussagekräftig, dass man die Weglassung bei Harpprecht bedauert.

Schonend glaubt der Biograph zudem mit der radikalen Skepsis in Sachen Wiedervereinigung verfahren zu müssen, welche die "Zeit"-Herausgeberin noch bis kurz vor dem Zusammenbruch der DDR bekundete. Im April 1988 hatte sie - an die Adresse der "Ewiggestrigen" in der Bundesrepublik - festgestellt, "die Proklamierung der Wiedervereinigung als Ziel der Bonner Außenpolitik" sei genau das, "was den Weg dorthin" blockiere und "jede Entwicklung unmöglich" mache. 1993 wird sie den Text wieder abdrucken lassen, weil sie offenkundig nicht befürchtet, dass die Erinnerung an ihre Fehldiagnose ihr Prestige als Instanz der bundesdeutschen öffentlichen Meinung zu beeinträchtigen vermöchte. Harpprecht übergeht die Desavouierung der Gräfin und ihrer "Zeit"-Kollegen durch die Ereignisse vom Herbst 1989 stillschweigend und begnügt sich mit dem Hinweis, sie habe Erich Honecker eine doch wohl nicht ganz gerechtfertigte Respektabilität zuerkannt. Dabei habe sie sich in guter und nicht ausschließlich "linker" Gesellschaft befunden.

An denkwürdige Äußerungen zur Frage der Wiedervereinigung wird man bei Harpprecht in jenen Kapiteln erinnert, wo er die "Zeit" der späten vierziger und der fünfziger Jahre als "rechts-nationale" Publikation charakterisiert. Mit leisem Befremden notiert er hier, dass Marion Dönhoff ihrem Chef und journalistischen "Lehrherrn" Richard Tüngel in redaktionsinternen Machtkämpfen zunächst die Stange hält, obschon dieser im Umgang mit einstigen Gefolgsleuten des NS-Regimes wenig Berührungsängste an den Tag legt. Über der Frage des Gastrechtes für Carl Schmitt, den Star-Staatsrechtler des "Dritten Reiches", in den Spalten der "Zeit" kommt es 1954 jedoch zum Bruch und zum Auszug der Gräfin aus der Hamburger Redaktion. Aber schon ein knappes Jahr später, nachdem sich die Situation in ihrem Sinne geklärt hat, kehrt sie aus ihrem Londoner "Exil" an ihre frühere Arbeitsstätte als Chefin des Ressorts Politik der "Zeit" zurück. Adenauers Moskaureise vom September 1955 macht sie im journalistischen Begleittross mit und zeigt sich vom Ergebnis des Besuches bitter enttäuscht. Sie hatte sich davon einen substantiellen Fortschritt auf dem Weg zur Wiedervereinigung erhofft und wirft dem Bundeskanzler vor, dieses Ziel leichthin preisgegeben zu haben. Unerörtert bleibt bei Harpprecht der Entwicklungsprozess, den sie von der Wiedervereinigungsmilitanz jener Tage bis hin zur entgegengesetzten Position gut drei Jahrzehnte später durchlaufen hat.

Einer vergleichbaren Wandlung unterliegt ihre Haltung in der Frage der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. 1949 verurteilt sie Polens Annexion der Gebiete östlich dieser Linie mit Entrüstung als völkerrechtswidrig. Der Biograph zeigt Verständnis für die Gefühlsbindungen, die es der Ostpreußin besonders schwermachen, sich mit den neuen territorialen Gegebenheiten abzufinden. Eine der Bundesregierung abgezwungene Verzichterklärung auf die Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Grenze lehnt sie 1959 noch kategorisch ab. Schweren Herzens bejaht sie Ende 1970 den Vertragsabschluss mit Polen, der die de facto bestehende Grenzziehung anerkennt und für unverletzlich erklärt. Sie wird sich in der Folge engagiert für die Sache der deutsch-polnischen Verständigung einsetzen. Harpprecht glaubt ihr bescheinigen zu können, "einen wesentlichen Beitrag für die Öffnung einer neuen Ära in den Beziehungen zwischen West- und Osteuropa geleistet" zu haben.

Der Dönhoff-Biograph möchte sich als "sympathisierend-kritischer Chronist ihres Lebens und ihres Werkes" verstanden wissen. Der sensible Stilist, gute Kenner und zeitweilige "insider" bundesrepublikanischer Zeitgeschichte weiß zu differenzieren: wenn er der "Zeit"-Herausgeberin in späteren Jahren den Rang der "wohl prominentesten Frau in der Bundesrepublik" zuerkennt, heißt das nicht, dass er sie auch als Meisterin des journalistischen Handwerks einschätzt. So selten wie stilistische Brillanz vermag er in ihren Beiträgen mitreißende gedankliche Originalität auszumachen. Er ruft sodann in Erinnerung, wie wenig anfangs darauf hindeutete, dass Marion Dönhoff einst als Verfechterin "linksliberaler" Positionen Kultstatus erlangen würde. Im Alter habe sie sich zwar einzureden versucht, schon als Studentin heftige "rote" Neigungen verspürt zu haben. Aber sie selbst bezeugt, mit welch leichter Mühe es ihrem Basler Doktorvater Edgar Salin gelang, ihr die Absicht, über Marxismus zu dissertieren, auszureden. Stattdessen wies er sie an, die Entwicklungsgeschichte des ostpreußischen Großgrundbesitzes am Beispiel der Dönhoffschen Güter zu erforschen.

Ein stark preußisch getöntes Geschichtsbewusstsein wird sie lebenslang begleiten. Allerdings ist für sie mit der Reichsgründung von 1871 der Geist des "wahren" Preußen untergegangen; sein letztes Aufbäumen glaubt sie am 20. Juli 1944 wahrnehmen zu können, unter dessen Akteuren sie "alle großen Namen der preußischen Geschichte" vertreten sieht. Die Erinnerung an den Widerstand und den - von ihr deutlich überzeichneten - Anteil des Adels daran wachzuhalten ist ihr ein zentrales Anliegen und wird zu einem über die Jahrzehnte leitmotivisch wiederkehrenden Thema ihrer journalistischen Tätigkeit. Harpprecht schreibt ihr das Verdienst zu, der "Tat des 20. Juli" zur Verankerung im Gründungsmythos der Bundesrepublik verholfen zu haben.

Worauf beruhte die Faszination, welche die Persönlichkeit Marion Dönhoffs auf zahlreiche ihrer Zeitgenossen ausübte und weiterhin ausübt? Diese Frage kann auch Harpprecht nicht schlüssig beantworten. Beigetragen hat zu dieser Wirkung zweifellos die von ihr verkörperte und als Stil kultivierte Mischung von betont "gräflich"-aristokratischem Habitus mit "progressiv"-kapitalismuskritischen politischen Anschauungen. Harpprechts Darstellung trägt nicht in optimaler Weise dazu bei, ihr biographisches Erscheinungsbild in klaren Konturen erstehen zu lassen. Vielleicht stärker als die mitunter spürbar werdende geringe kritische Distanz zu seinem Gegenstand fällt die Neigung ins Gewicht, sich gelegentlich zu Abschweifungen über das biographische Umfeld seiner Heldin hinaus in entferntere zeitgeschichtliche Gefilde verleiten zu lassen. Eine Zeittafel wäre in künftigen Auflagen - auf die das sehr lesbar geschriebene Buch gewiss rechnen kann - als Orientierungshilfe wertvoll.

PAUL STAUFFER

Klaus Harpprecht: Die Gräfin. Marion Dönhoff. Eine Biographie. Rowohlt Verlag, Reinbek/Hamburg 2008. 550 S., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.10.2008

Arbeit am Mythos
Klaus Harpprechts Biographie von Marion Gräfin Dönhoff
Es gibt Menschen, die Klaus Harpprecht tief bewundert. So jemand war der Gefängnispfarrer Harald Poelchau, der im Zweiten Weltkrieg nicht nur inhaftierten Widerständlern Beistand leistete, sondern auch in selbstloser Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Risiko vielen Juden, die in Berlin untergetaucht waren, beim Überleben geholfen hat. Die bewegende Biographie, die Harpprecht über den Pastor Poelchau verfasste, gab den Anlass, ihn zu bitten, die Biographie Marion Dönhoffs zu schreiben. Der immensen schriftlichen Hinterlassenschaft, in die Harpprecht Einsicht erhielt, hat er sich mit Genauigkeit gewidmet.
Der „Gräfin”, wie die angesehenste Journalistin der Bundesrepublik gern genannt wurde, bringt er die Verehrung entgegen, die ein Herr der Dame schuldet. Bei aller Diskretion macht er aber deutlich, dass seine Bewunderung Grenzen hat. Dies hängt auch damit zusammen, dass Marion Dönhoff nicht so sehr ihre Zeiten prägte, sondern vielmehr von ihnen geprägt wurde. Man könne nicht behaupten, schreibt Harpprecht eingangs, „dass ihr Urteil stets untrüglich sicher gewesen sei”.
1909 geboren, wuchs sie auf dem ostpreußischen Familiengut Friedrichstein in einem prächtigen Schloss als jüngstes von acht Kindern heran. Die Brüder himmelte sie an, und sie wollte ihnen „bei Appellen an Mut niemals nachstehen”. Ihre Erziehung im Geist des aristokratischen Elitedenkens machte sich auch Jahrzehnte später noch bemerkbar, wenn sie etwa nostalgisch des Lebens „in einer großen einsamen Landschaft mit ein paar Pferden und mit einfachen Leuten” gedachte. Die dünkelhafte Herablassung, die – der Autorin unbewusst – aus diesen Worten spricht, irritiert ihren Biographen: „Der späte Leser dieses sympathischen Geständnisses” fragt sich, „woher sie wusste, dass die ,einfachen’ Leute so ,einfach’ waren (und sind).”
Die Liebe zu ihren Brüdern ließ sie zeit ihres Lebens vollständig darüber hinwegsehen, dass zwei von ihnen sich dem Nationalsozialismus anheimgegeben hatten. Und die Liebe zur Heimat war es, die Marion Dönhoff daran hinderte, die Ostpolitik der sechziger Jahre ganz mitzutragen. Ein Verzicht auf die Gebiete östlich von Oder und Neiße erschien ihr damals nicht hinnehmbar. Gleichwohl lobt Harpprecht ihr Bemühen um freundschaftliche Kontakte zu Polen. Die Wandlung ihrer Ansichten mache „einen guten Teil ihrer Größe aus”.
Ein abwägendes Urteil
Während der Autor Marion Dönhoff auf ihrem Lebensweg begleitet, ist er stets um ein abwägendes Urteil bemüht. Ihre ausgedehnten Reisen, die sie in ihrer Jugend unter anderem nach Amerika, nach Afrika und Ende 1940 (im zweiten Kriegsjahr) in Begleitung ihrer Schwester sowie von 27 Gepäckstücken bis nach Persien führten, beschreibt er ebenso farbig und eingehend wie ihre Bekanntschaften während des Studiums der Betriebswirtschaft in Königsberg, Frankfurt und Basel. Diese Schilderungen wie auch jene, die Marion Dönhoffs Jahren als Redakteurin und Chefredakteurin bei der Zeit gelten, hat Harpprecht um die Darstellung der jeweils herrschenden politischen und geistigen Umstände ergänzt. Wenn er sich keiner Rücksichtnahme verpflichtet weiß, scheinen funkelnde ironische Formulierungen in seinem ansprechend geschriebenen Buch auf.
Dass Marion Dönhoff sich „in der Neige ihrer Jahre” manch eines Details nicht richtig erinnert habe, hält Harpprecht für bedeutungslos. So habe sie ihre frühen Sympathien für den Sozialismus in der Rückschau übertrieben und fälschlich gewähnt, „sehr rasch” nach der nationalsozialistischen Machtübernahme nach Basel ausgewichen zu sein. Irrtümlich habe sie später auch erzählt, einen deutschen Verlag für Hermann Rauschnings Gespräche mit Hitler, in denen von Hitlers Plänen zur Unterwerfung Europas die Rede ist, gesucht zu haben. Das hält Harpprecht für ausgeschlossen: „Naiv” wäre es gewesen, kommentiert er zurückhaltend, „den Versuch einer Publikation innerhalb der großdeutschen Grenzen zu wagen.” Es gefällt dem Biographen, dass die Gräfin eine vehemente Gegnerin Carl Schmitts war und 1954 für einige Monate die Zeit verließ, weil der damalige Chefredakteur den ehemaligen Apologeten des „Führerstaats” in der Zeit publizieren ließ. Dass die Gräfin Schmitt mit einem Wort des NS-Jargons als „Ungeziefer” bezeichnete, hat Harpprecht innerlich zwar etwas frösteln machen, doch fügt er entschuldigend an: „Die Reizbarkeit war verständlich.”
Harpprechts Bemühen um verständnisvolle Zustimmung, so liebenswürdig man es finden mag, geht in einem Punkt zu weit. Der späten Selbststilisierung der Gräfin zur Widerstandskämpferin mag er nicht widersprechen. Da er aber zugleich zu vermuten scheint, dass sie ihre Biographie geschönt hat, verliert er sich in einer sehr ausführlichen Erörterung ihrer angeblichen Tätigkeiten, die nicht mehr abwägend ist, sondern bloß widersprüchlich. Zwar vermerkt er, „dass auf Marion Dönhoffs Gedächtnis … in den fortgeschrittenen Jahren nicht immer Verlass war”; ihrem Buch über die Männer des 20. Juli, in denen sie sich 1994 selbst als eine Widerstandskämpferin schilderte, schenkt er hingegen Glauben. Einmal schreibt Harpprecht: „In die Gesprächszirkel der ,Kreisauer’ wurde sie freilich niemals einbezogen”; dann wieder vermerkt er, sie habe wohl im Lauf des Jahres 1943 begonnen, „diskrete Botschaften zwischen den Freunden zu vermitteln”. Mal schreibt er, „des vorbehaltlosen Vertrauens der Verschwörer” habe sie sich „gewiss” sein können, nur um andernorts zu konstatieren, „dass sie von den Details des Attentats und des versuchten Staatsstreichs” noch ein Jahr später – und zwar nach dem Ende des NS-Reichs, als man frei reden konnte – „nur verschwommene Vorstellungen hatte”.
Tatsache ist, dass Gräfin Dönhoff vielen ermordeten Verschwörern freundschaftlich verbunden war. Doch niemand, weder Eugen Gerstenmaier, der das Kriegsende um mehr als vierzig Jahre überlebte, noch jene Witwen, die bekanntermaßen in die Pläne eingeweiht waren, haben die angeblichen Aktivitäten der Gräfin je erwähnt. 1994 behauptete sie, Heinrich Graf Lehndorff und Graf Heinrich Dohna-Tolksdorf, die beide 1944 hingerichtet wurden, für den Staatsstreich gewonnen zu haben; über Graf Dohna schrieb sie, er sei an den Vorbereitungen „viel weniger beteiligt” gewesen als sie selbst und habe auch „weniger” gewusst. Gegen ihre Darstellung verwahrte der Neffe des Grafen sich in einem Brief an Marion Dönhoff, aus dem Harpprecht zitiert: Schon seit 1932 sei „Onkel Heini” ein scharfer Gegner der Nazis gewesen. Zu den Treffen, welche die überlebenden Verschwörer nach dem Krieg gelegentlich abhielten, wurde Marion Dönhoff nie eingeladen. Warum nicht? Das lässt sich plausibel erklären: Es gab keinen Anlass. FRANZISKA AUGSTEIN
Klaus Harpprecht, Die Gräfin. Marion Dönhoff – Eine Biographie, Rowohlt.
Die Wandlung ihrer Ansichten als ein guter Teil ihrer Größe: Marion Dönhoff . Foto: dpa
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Etwas kritischer hätte sich Rezensentin Franziska Augstein diese Biografie schon gewünscht. Harpprecht bringt Marion Gräfin Döhnhoff "die Verehrung entgegen, die ein Herr der Dame schuldet", spottet sie leise zu Beginn ihrer Kritik. Eine Hagiografie ist es trotzdem nicht geworden, sondern ein "ansprechend" geschriebenes, gelegentlich sogar ironisch funkelndes und abwägendes Buch, lesen wir. Dass die Gräfin mit ihrem politischen Urteil öfter mal falsch lag, halte der Autor etwa durchaus fest. In einem wesentlichen Punkt allerdings zeigt sich Augstein irritiert: wenn Harpprecht Dönhoffs "später Selbststilisierung" zur Widerstandskämpferin nicht widerspricht. Hier findet Augstein die höfliche Darstellung Harpprechts schlicht widersprüchlich.

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