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Eine einzigartige Röntgenaufnahme des politischen Betriebs in Deutschland
Politiker sind Stars. Sie werden erkannt, umringt, bevorzugt behandelt und auch lange nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt nicht vergessen. Und doch ist unser Wissen um das Leben, die Kultur an der politischen Spitze mehr von Mythen und Ahnungen durchzogen denn aus Anschauung informiert. Der renommierte Journalist und Publizist Nils Minkmar begleitet fast ein Jahr lang einen Protagonisten der hohen Politik, Peer Steinbrück, durch den Wahlkampf und hat exklusiven Zugang zu wichtigen Terminen und Besprechungen. So gelingt…mehr

Produktbeschreibung
Eine einzigartige Röntgenaufnahme des politischen Betriebs in Deutschland

Politiker sind Stars. Sie werden erkannt, umringt, bevorzugt behandelt und auch lange nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt nicht vergessen. Und doch ist unser Wissen um das Leben, die Kultur an der politischen Spitze mehr von Mythen und Ahnungen durchzogen denn aus Anschauung informiert.
Der renommierte Journalist und Publizist Nils Minkmar begleitet fast ein Jahr lang einen Protagonisten der hohen Politik, Peer Steinbrück, durch den Wahlkampf und hat exklusiven Zugang zu wichtigen Terminen und Besprechungen. So gelingt ihm eine unvergleichliche Innenansicht des politischen Systems in Deutschland. Darüber hinaus schildert Nils Minkmar eindrucksvoll die Dynamik der Medien, den Betrieb der sozialen Netzwerke, die Reaktionen des Publikums und den größeren historischen Kontext des Wahlkampfs im wirtschaftlich stärksten Land Europas.

"Nils Minkmar ist ein hervorragender Stilist. Und als scharfsinniger Beobachterentschlüsselt er mit seinem Buch für uns ein rätselhaftes Deutschland."
Ulrich Wickert über 'Mit dem Kopf durch die Welt'
Autorenporträt
Minkmar, Nils
Nils Minkmar,1966 in Saarbrücken geboren, besitzt einen deutschen und einen französischen Pass. Während des Studiums an der Universität des Saarlandes amtierte er zwei Semester als AStA-Präsident. 1996 promovierte er in Neuer Geschichte und wurde Redakteur der ZDF-Sendung 'Willemsens Woche' in Hamburg. Nach der Einstellung der Sendung folgte eine Phase als freier Journalist und Redakteur der 'Zeit'; seit Juli 2001 Redakteur im Feuilleton der 'Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung', seit 2012 Feuilletonchef der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung'. Nils Minkmar wurde 2012 als Kulturjournalist des Jahres ausgezeichnet. Seit Mai 2015 schreibt er für den 'Spiegel'.Literaturpreise:Kulturjournalist des Jahres 2012
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.12.2013

Erschöpft und traumverloren
Ein Buch wie aus einer fremden Zeit. Nils Minkmar hat im Wahlkampf 2013 den SPD-Kandidaten
Peer Steinbrück begleitet, sein Buch „Der Zirkus“ verspricht Einblicke ins „Innerste der Politik“
VON FRITZ GÖTTLER
Einmal fängt der Kandidat zu blättern an, beim allerersten Vorgespräch, in dem das Projekt skizziert wird, ein Buch aus nächster Nähe über den Wahlkampf von Peer Steinbrück im Jahr 2013. Willy-Brandt-Haus, fünfter Stock, die Vorstandsetage, „demonstrative Karg- und Biederkeit“. Der Autor Nils Minkmar, Feuilletonchef der FAZ, hat Bücher mitgebracht über andere Kampagnen, höchstliterarisch, „Frühmorgens, abends oder nachts“ von Yasmina Reza, über Sarkozy, und das „Tagebuch einer Schnecke“ von Günter Grass, sein Einsatz im Wahlkampf für Willy Brandt, 1972. In diesem Buch blättert Peer Steinbrück, und findet auch gleich, was er sucht, Seite 32, „Später mal, Franz . . .“, das Gedicht an den Sohn. Es geht darin um einen Moment der Müdig- und Mutlosigkeit, alles geht schief, man verliert den Glauben, wie wird es weitergehen. „Wenn du . . . für immer aufgegeben hast“, liest Steinbrück, „dann – Fränzeken – nach einer Pause, die lang genug ist, um peinlich genannt zu werden, dann stehe auf und beginne dich zu bewegen, dich vorwärts zu bewegen.“ Steinbrück rezitiert das ganze Gedicht, als hätte er eine Vorahnung, wie sehr es seinen eigenen Werdegang die kommenden Monate beschwört, eine Kampagne, in der es nicht um Ziele geht, sondern darum, in Bewegung zu bleiben. „Das ist ein Erlebnis.“
  Die Latte ist hoch gelegt, und es gibt eine Seelenverwandtschaft zwischen Steinbrück und seinem Autor. Die Wochen der Wahlkampftour haben es den beiden dann ziemlich schwer gemacht. Nils Minkmar leidet mit, wenn sein Kandidat zerrupft und demontiert wird, der vielen peinlichen, lächerlichen Pannen wegen, die ihm anhaften: die Putzfrauenaffäre, die Frage, was einem Bundeskanzler als angemessenes Salär zusteht, schließlich der Stinkefinger auf dem Titelblatt des SZMagazins.
  Heute, nach dem drögen Interregnum der Koalitionsverhandlungen, nach den selbstzufriedenen Nominierungsauftritten am Wochenende, kommt einem das Buch vor wie aus einer fremden Welt, einer verlorenen Zeit. Zwei Männer, ein Politiker und ein Reporter, versuchen ins Innere der Politik vorzudringen, aber die funktioniert schon lange nicht mehr nach den Vorstellungen, die sie sich davon machen. Das Leben scheint aus ihr gewichen zu sein, bei denen, die diese Politik machen, und der Bezug zum Leben der andern, für die sie sie machen. Das Buch beschwört Stimmungen in der deutschen Provinz, die Irrealität der Stagnation der Merkel-Herrschaft. Der Wahlkampf 2013 scheint im Rückblick – und teilweise auch schon während er ablief – eine Schimäre zu sein. Ein verzwicktes Vorspiel, das mit dem folgenden Hauptstück nichts zu tun hat – und in dem der Hauptakteur des Vorspiels überhaupt keine Rolle mehr spielt. Die Akteure heute sind gegen Pannen weitgehend gefeit.
  Natürlich hat Peer Steinbrück mitgespielt im Zirkus, den seine Partei veranstaltete. Er hat alle Bundesländer abgeklappert, ist zu den Bürgern in die Wohnungen und in Seniorenheime gegangen, hat auf Groß- und Kleinveranstaltungen gesketcht und gekalauert – und der Reporter bestätigt ihm durchaus Talent und Professionalität in seiner Show. Die Geschichte lebt von der Gegenbewegung, die ihr Protagonist versucht, ein Politiker, der sich unwohl fühlt, im Nummernbetrieb der Politik, ein Artist, der die zugedachte Rolle nur ungern spielt, den Zampano, und fürchtet, dass er am Ende wie ein Dödel dastehen wird, ein Clown. Steinbrück ist ein Verweigerer in diesem Buch, der das Spiel albern findet und schlecht organisiert. Ratlosigkeit plagt ihn. „Er wirkte erschöpft und traumverloren“, heißt es einmal. „Auf wen hörte er? Wie sollte es weitergehen?“ Der Melvillesche Bartleby der deutschen Politik. I would prefer not to . . .
  Es ist eine andere Gesellschaft, die Nils Minkmar und sein Held Steinbrück vermissen, und eine andere SPD, eine mit Grassschem Drive. „Doch dieser Spaß am kulturellen Fortschritt, an dem, was einmal modern sein wird, an der Avantgarde, ist einer aggressiven Biederkeit gewichen. Die Partei macht sich zwanghaft schlichter, als sie ist . . . Eine Form von kauzigem Eigensinn wird zelebriert, weil Eleganz und Urbanität suspekt sind.“ Selbst auf den, der diese Entwicklung kritisiert, greift der Eigensinn über, arg gespreizt und kurzschlüssig wird Nils Minkmar oft in seinen historischen Analysen, und immer mehr gibt er jede Distanz, jede Ironie zu seinem Objekt, dem Politiker und Menschen Steinbrück, auf.
  So führt auch die Ankündigung des Buches – „Ein Jahr im Innersten der Politik“ – in die Irre, ist so reißerisch wie naiv. Politik ist kein Arkanum mehr, viele ihrer Mechanismen und Tricks, ihre Routine sind uns vertraut. Aber das Spektakel funktioniert auch bei transparenten Kulissen, wenn man es durchschaut. Und Politik ist nicht mehr konzentrisch strukturiert, sondern rhizomhaft, eine lange Kette von Aktionen und Reaktionen. Einmal trifft der Reporter einen Chefberater der SPD, seine Analysen sind knallhart, aber man findet ihn nicht bei Google, und er will seinen Namen nicht im Buch haben. Das ist, als träfe man in einem wirbeligen Fellini-Spektakel plötzlich auf ein paar Sekunden Antonioni-Coolness. Von solchen Leuten hätte man gern mehr gehabt in diesem Buch.
      
Nils Minkmar: Der Zirkus. Ein Jahr im Innersten der Politik. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2013. 220 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 17,99 Euro.
Natürlich hat Peer Steinbrück
mitgespielt im Zirkus der Politik
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Brillantes, bitteres Feuilleton über dilettierende Strategen, Wellness-orientierte Wähler, gehirnverbrannte Journalisten. Sehr, sehr unheimlich. Alexander Gorkow Süddeutsche Zeitung 20131130