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Die Sitzungsprotokolle des Bundestagsausschusses für Verteidigung und seiner Vorläufer stellen, vergleichbar der Protokolle des Auswärtigen Ausschusses, eine bedeutende Quellengruppe für die Erforschung der bundesdeutschen Politik- und Parlamentsgeschichte dar. Das Militärgeschichtliche Forschungsamt hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Protokolle zu edieren und damit eine Grundlage zu schaffen für Forschungen in den Bereichen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Aufbau und Selbstverständnis der Bundeswehr. Der nun vorliegende zweite Band der Editionsreihe beschäftigt sich mit der…mehr

Produktbeschreibung
Die Sitzungsprotokolle des Bundestagsausschusses für Verteidigung und seiner Vorläufer stellen, vergleichbar der Protokolle des Auswärtigen Ausschusses, eine bedeutende Quellengruppe für die Erforschung der bundesdeutschen Politik- und Parlamentsgeschichte dar. Das Militärgeschichtliche Forschungsamt hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Protokolle zu edieren und damit eine Grundlage zu schaffen für Forschungen in den Bereichen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Aufbau und Selbstverständnis der Bundeswehr. Der nun vorliegende zweite Band der Editionsreihe beschäftigt sich mit der Ausgestaltung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und der geplanten Aufstellung ihres deutschen Kontingents. Die Edition bietet dem Nutzer zahlreiche Orientierungs- und Erschließungshilfen, die es ihm sowohl ermöglichen einen schnellen Überblick über Beratungsgegenstände zu gewinnen, als auch gezielt nach Schlagworten und Personen zu suchen.
Autorenporträt
Dr. Bruno Thoß, geboren 1945 in Dresden, Leitender wissenschaftlicher Direktor a.D., 2005 bis 2008 kommissarischer Leiter der Abteilung Forschung im Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher und Aufsätze zur deutschen und internationalen Sicherheitspolitik in der Zeit des Kalten Krieges.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2010

Der Zwölfender im Versorgungswald
Protokolle des Bundestagsausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit (Januar 1953 bis Juli 1954)

Das Militärgeschichtliche Forschungsamt gibt hin und wieder Editionen heraus, jetzt sind es die Protokolle der 23. bis 41. Sitzung des Bundestagsausschusses zur Mitberatung des EVG-Vertrages, der sich Anfang 1953 umbenannte in Ausschuss für Fragen der europäischen Sicherheit. Die 19 Niederschriften bilden die Fortsetzung jener Quellen über die Monate Juli bis Dezember 1952, die 2006 als erster Band der neuen Reihe "Der Bundestagsausschuss für Verteidigung und seine Vorläufer" erschienen. Im 2. Band sind zudem Protokolle aus der zweiten Legislaturperiode abgedruckt. Nach der Bundestagswahl vom Herbst 1953 fand die konstituierende Sitzung des Ausschusses am 12. November 1953 statt, die 16. und letzte Zusammenkunft am 13. Juli 1954.

Wenige Wochen danach befasste sich die Nationalversammlung mit dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG). Über den Antrag, die Debatte einfach "fristlos" zu vertagen, wurde in Paris am 30. August entschieden: 319 Jastimmen, 264 Neinstimmen, 12 Enthaltungen und 31 Abwesende - darunter die 23 Regierungsmitglieder. Die Abstimmung endete mit einem Tumult. Die extreme Rechte und die extreme Linke stimmten die Marseillaise an, unterbrochen durch "Moskau! Moskau!"-Rufe aus der Mitte. Gegner der Europa-Armee, von der Kommunistischen Partei bis zu General Charles de Gaulles Rassemblement du Peuple Français, setzten sich damals durch. Für de Gaulle wäre die EVG einer "Auslöschung Frankreichs als Nation" gleichgekommen.

Adenauer bezeichnete den 30. August 1954 als "schwarzen Tag für Europa" und "größten Triumph" der Sowjetunion seit 1945. Dabei hatte die Bundesregierung zwei Jahre zuvor - im Mai 1952 - beachtliche Erfolge erzielt durch die Paraphierung des EVG-Vertrags sowie des Generalvertrags über die Gestaltung der Beziehungen zu den drei Westalliierten. Mit dem EVG-Projekt war das Ideal einer supranationalen Verteidigungsorganisation beschworen worden; auf diese Organisation hätten Sieger und Besiegte des Weltkriegs ihre hoheitlichen Rechte zum Unterhalt von Streitkräften weitgehend übertragen müssen. Nachdem in Bonn EVG- und Generalvertrag im März 1953 ratifiziert worden waren, kamen am Rhein Zweifel darüber auf, ob es den an der Seine gepflegten Großmachtvorstellungen überhaupt entspreche, die eigene Armee auch nur teilweise der Disposition anderer zu überlassen. Außerdem erwies die Sowjetunion, die auf der Viermächtekonferenz Anfang 1954 ihre Bedenken gegen das EVG-Projekt mit Nachdruck vorgebracht hatte, Frankreich einen großen Dienst. Nach dem Fall der Festung Dien Bien Phu, die in Paris zum Sturz der Regierung Laniel/Bidault geführt hatte, wollte der neue Ministerpräsident Mendès-France die unhaltbar gewordene koloniale Position Frankreichs abbauen. Dabei unterstützte ihn die Sowjetunion, indem sie Ho Tschi Minh trotz militärischer Erfolge dazu veranlasste, die Teilung Vietnams hinzunehmen. Damit wurde Frankreich eine glimpfliche Lösung des Indochina-Krieges ermöglicht. Als Gegenleistung gab die französische Regierung die Entscheidung in der Nationalversammlung über die EVG frei, setzte keine eigene Priorität. Dies ist der Hintergrund für die Edition, die sich einer Phase widmet, als die Verteidigungspolitik Pause machte und auf die Ratifikation der EVG wartete.

In der sehr informativen Einleitung über die internationalen Rahmenbedingungen und den groben Verlauf der Beratungen stellt Herausgeber Bruno Thoß heraus, dass sich der Ausschuss vor allem auf die praktische Ausgestaltung künftiger Streitkräfte konzentrierte. Ansprechpartner war auf der Regierungsseite das Amt Blank - jener Vorläufer des Bundesministeriums der Vereidigung, benannt nach Theodor Blank (CDU), dem "Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen". Behandelt wurden Entwürfe aus Fachreferaten der Dienststelle über Strukturen des deutschen Verteidigungsbeitrags in den geplanten europäischen Formen, Personalauswahl, Wehrform, Wehrgerichtsbarkeit, Personalvertretung, Militärseelsorge, Erziehungsfragen, Verhältnis zwischen einer künftigen Europa-Armee und ihren nationalen Kontingenten, Beschaffungswesen: "Parallel zu Organisationsfragen hatte das Amt Blank schon im Januar 1954 ein voll differenziertes Arbeits- und Gesetzgebungsprogramm im Ausschuss vorgestellt", schreibt Thoß.

Was macht den Ausschuss über die engere Vorgeschichte des bundesdeutschen Verteidigungsbeitrages und die gescheiterte EVG hinaus interessant? Hier sind zu nennen die vielen eloquenten Beiträge mancher - in der Bundesrepublik später noch prominent(er) werdender - Mitglieder. Diese werden im Anhang zu den Protokollen, der über eine Zeittafel sowie Sach- und Personenregister verfügt, in Kurzbiographien vorgestellt, darunter: Fritz Erler (SPD), Hellmuth Heye (CDU), Erich Mende (FDP), Franz Josef Strauß (CSU) und Herbert Wehner (SPD), und als stellvertretende Mitglieder Eugen Gerstenmaier (CDU) und Helmut Schmidt (SPD). Bei einzelnen Angaben geht es wenig systematisch zu. So wird der spätere Wehrbeauftragte Heye als Vizeadmiral a. D. bezeichnet; demgegenüber verzichtet man bei dem FDP-Abgeordneten Hasso von Manteuffel auf dessen letzten Dienstgrad: General der Panzertruppen. Über Strauß heißt es: "Kriegsteilnehmer im Zweiten Weltkrieg (Oberleutnant)", während Helmut Schmidt - später Verteidigungsminister und fünfter Kanzler - ganz ohne Dienstgrad auskommen muss, immerhin als "Kriegsteilnehmer im Zweiten Weltkrieg" gilt. Demgegenüber taucht Heinz Starke (FDP) als "Angehöriger der Wehrmacht" auf - waren das die anderen etwa nicht? Bei Carlo Schmid (SPD) fehlt, dass er 1948/49 Mitglied des Parlamentarischen Rats war. Gerstenmaier soll "1938 Mitglied des Kreisauer Kreises" gewesen sein, obwohl sich diese Widerstandsgruppierung erst 1940 formierte. Und wer einmal gelernt hat, dass Friedrich Paulus Oberbefehlshaber der 6. Armee in Stalingrad war, der reibt sich die Augen: "Befehlshaber der 6. Armee im Zweiten Weltkrieg"?

Mehr Genuss bietet die Lektüre der Dokumente - wenn etwa Strauß (CSU) sich am 21. Mai 1953 aufregt über das zu Wehrmachtszeiten "so starr gehandhabte Monopol der Vorgesetztenmeinung". Er ist dagegen, die geistige und fachliche Entwicklungsmöglichkeit der Soldaten einzuschränken: "Jeder kenne den Begriff des trottelhaften Vorgesetzten, des Mannes, der gerade aus seiner Dummheit heraus schikanös geworden sei; den gebe es in der Beamtenschaft so gut wie in der Armee." Diskutiert wird auch über die "Einstellung des kämpfenden Soldaten zum menschlichen Leben" und über die Tradition, die man Mitte Juli 1953 auf Tapferkeit, Treue, Gehorsam und Disziplin eingrenzen will. In diesem Zusammenhang warnt Oberst a. D. Johann Adolf Graf von Kielmansegg (Dienststelle Blank) davor, die vier Begriffe als "etwas Unantastbares" anzusetzen. Wenn man sie als obere Grenze ansähe, dann hätte "am 20. Juli [1944] das nicht geschehen dürfen, was geschehen ist".

Major a. D. Wolf Graf von Baudissin (Amt Blank) resümiert: "Die Tradition müssen wir ablehnen, wenn sie etwas Mechanisches, etwas Normales, etwas Sentimentales ist und damit ein Korsett, das die weitere Entwicklung, ja die Aufgabenerfüllung der Streitkräfte überhaupt hemmt und abschnürt." Außerdem empfiehlt er einen völkerrechtlichen Leitfaden für das Verhalten des Soldaten gegenüber Geiseln, Partisanen, Gefangenen, Zivilbevölkerung: "Wir wissen, dass diese Fragen nicht nur jetzt immer wieder gestellt werden, sondern dass auch früher für den Einzelnen sehr großes Unglück dadurch entstanden ist, dass er nicht wusste, wie hier eigentlich die klare rechtliche Situation war."

Aufschlussreich sind Wortmeldungen zum "Versorgungsanwärter" (der nach der aktiven Militärdienstzeit bei Polizei, Reichsbahn oder Behörden untergekommen war). Der "Zwölfender" habe laut Schmid (SPD) "als typischer deutscher Unterbeamter" der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit in Deutschland geschadet. Heye (CDU) gibt zu bedenken: "Wir sollten deshalb versuchen, den Unteroffizier so lange ,jung zu erhalten' und dann versuchen, ihm eine andere Existenz zu geben. Auch ich bin der Auffassung, dass man weniger den Versorgungsschein als eine Ausbildung geben sollte. Ich stelle immer wieder fest, dass die meisten dieser Menschen, soweit sie nicht das Idol des Beamten vor sich haben - was nach meiner Überzeugung für 60 % aller Deutschen gilt! - oder soweit man diese Vorstellung wieder aus ihnen herausbringen kann, von einer handwerklichen Ausbildung mehr haben als von anderen Dingen." Der Ausschussvorsitzende Richard Jaeger (CSU) zitiert Tucholsky: "Schicksal des Deutschen ist, vor einem Schalter zu stehen, Sehnsucht des Deutschen, hinter einem Schalter zu sitzen." Dazu die Anmerkung auf Seite 793: "Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter zu stehen. Das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen" - natürlich mit Fundstelle.

Andere Fußnoten sind weniger geglückt - nur ein kleines Beispiel auf Seite 728: "Gerhard Schröder (CDU), 1953-1969 Bundesminister des Innern". Schröder war von 1961 bis 1966 Bundesminister des Auswärtigen und von 1966 bis 1969 Bundesminister der Verteidigung. Insgesamt dürfte in Potsdam mehr Sorgfalt bei dieser Editionsreihe geboten sein. Und dem Droste-Verlag in Düsseldorf sei empfohlen, dem 2. Band schnellstens ein Fehlerverzeichnis beizufügen.

RAINER BLASIUS

Der Ausschuss für Fragen der europäischen Sicherheit - Januar 1953 bis Juli 1954. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben und bearbeitet von Bruno Thoß unter Mitarbeit von Cynthia Flohr, Dorothee Hochstetter, Martin Meier, Daniela Morgenstern, Janine Rischke, Denis Strohmeier und Carmen Winkel. Reihe: Der Bundestagsausschuss für Verteidigung und seine Vorläufer, Band 2. Droste Verlag, Düsseldorf 2010. VIII und 1294 S., 59,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

An diesem vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam herausgegebenen Folgeband der Protokolle des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit hat Rainer Blasius bloß ein paar Kleinigkeiten auszusetzen. Die Einleitung von Bruno Thoß erscheint ihm höchst informativ im Hinblick auf die internationalen Rahmenbedingungen und den Verlauf der Beratungen zur Ratifikation der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG). Der Wert der Edition leuchtet ihm beim Lesen der eloquenteren Beiträge (von Franz Josef Strauß zum Beispiel) unmittelbar ein. Hilfreich findet er ferner die den Protokollen angefügte Zeittafel, das Sach- und Personenregister sowie die Kurzbiografien der Ausschussmitglieder. Allerdings scheinen ihm Personenangaben und Fußnoten mitunter "wenig systematisch" oder gar fehlerhaft zu sein.

© Perlentaucher Medien GmbH