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Warum finden Revolutionen statt? Jahrzehnte der Forschung haben uns kaum weitergebracht, wenn es darum geht, wo, wann und in welchen Milieus sie vorkommen. In diesem bahnbrechenden Buch erläutert Eric Selbin, dass wir über die ökonomischen, politischen und sozialen Strukturen hinausblicken sollten - auf die Gedanken und Gefühle der Menschen. Wir sollten Geschichten von früheren Ungerechtigkeiten und Kämpfen, die den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um eine bessere Zukunft ähneln, verstehen lernen, weil Menschen diese immer wieder untereinander austauschen und verarbeiten. Ausgehend von der…mehr

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Produktbeschreibung
Warum finden Revolutionen statt? Jahrzehnte der Forschung haben uns kaum weitergebracht, wenn es darum geht, wo, wann und in welchen Milieus sie vorkommen. In diesem bahnbrechenden Buch erläutert Eric Selbin, dass wir über die ökonomischen, politischen und sozialen Strukturen hinausblicken sollten - auf die Gedanken und Gefühle der Menschen. Wir sollten Geschichten von früheren Ungerechtigkeiten und Kämpfen, die den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um eine bessere Zukunft ähneln, verstehen lernen, weil Menschen diese immer wieder untereinander austauschen und verarbeiten. Ausgehend von der Französischen Revolution und den deutschen Bauernkriegen über Russland, China, Kuba, Vietnam und Nicaragua zeigt Selbin anschaulich, dass es Mythos, Erinnerung und Nachahmung sind, die solche Geschichten entstehen und bestehen lassen. Das Buch identifiziert vier Typen von Revolutionsgeschichten, die mehr bewirken als nur zu beschreiben: Sie sind der Katalysator für die Veränderung der Welt.

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Autorenporträt
Eric Selbin ist Professor und Vorsitzender des Lehrstuhls für Politikwissenschaften an der Southwestern Universität in Georgetown, Texas (USA). Sein Forschungsschwerpunkt liegt insbesondere im Bereich der modernen lateinamerikanischen Revolutionen. 2007 wurde Selbin zum Mitglied der \"Southwestern\'s all-time \'Fav Five\'-Faculty" ernannt. Er erhielt mehrere internationale Auszeichnungen für seine innovative und bedeutsame Hochschullehre.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.02.2011

Wenn die das können, können wir Ägypter es auch
Der US-Politologe Eric Selbin erklärt, wie die Erinnerung an Revolutionen aktuelle Revolutionen befeuert
Wieder einmal hat es die Politikwissenschaften eiskalt erwischt. Erst kamen der Fall der Berliner Mauer und der Zusammenbruch des Ostblocks für sie vollkommen überraschend. Nun stehen sie staunend vor den Umbrüchen in Tunesien und Ägypten. Zwar verfügt der Westen über Legionen von Nahostexperten. Aber vorhergesagt wurden die Ereignisse in Tunis und Kairo von ihnen nicht. Jahrzehnte der Forschung scheinen die Politikwissenschaften kaum weitergebracht zu haben, wenn es darum geht zu erklären, wo, wann und in welchen Milieus Revolutionen stattfinden.
Eric Selbin hat zumindest den Grund für diese analytische Schwäche seiner Zunft herausgefunden: Anstatt allein die ökonomischen, politischen und sozialen Strukturen von Ländern zu betrachten, bezieht der in Georgetown, Texas, an der Southwestern University lehrende Politologe explizit auch die Gedanken und Gefühle der Menschen mit in seine Studien ein. Damit dürfte er sich weitaus näher an den heutigen Realitäten der jungen, von den Social Media geprägten Gesellschaften des Nahen Ostens bewegen als viele seiner Kollegen.
Auch Selbins zweite These wird von den Geschehnissen der letzten Wochen eindrucksvoll bestätigt: Geschichten von früheren Ungerechtigkeiten und Kämpfen, die den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um eine bessere Zukunft ähneln, sind zu beleuchten, da Menschen diese immer wieder untereinander aus-tauschen und verarbeiten. Anhand der Französischen Revolution und der deutschen Bauernkriege, anhand von Russland, China, Kuba, Vietnam und Nicaragua führt Selbin vor Augen, dass es Mythos, Erinnerung und Nachahmung sind, die solche Geschichten entstehen und bestehen lassen. So war es sicherlich kein Zufall, dass auf die erfolgreiche Revolution in Tunesien die Proteste des ägyptischen Volkes folgten.
Entsprechend identifiziert Selbin vier Typen von Revolutionsgeschichten, die mehr bewirken als nur zu beschreiben, sondern vielmehr zum Katalysator für die Veränderung der Welt werden. Die erste Geschichte ist die von den zivilisierenden und demokratisierenden Revolutionen; die zweite die von der Sozialrevolution. Hinzu kommen die Revolutionsgeschichte von Freiheit und Befreiung sowie die Geschichten von verlorenen und vergessenen Revolutionen. Dabei dürfte die Geschichte von der Sozialrevolution die bekannteste sein.
Frankreich 1789 nimmt die Position der „echten“ oder Urrevolution ein, des grundlegenden Moments, dem sowohl die moderne Welt als auch alle zukünftigen Konzepte und Auffassungen von Revolution entspringen – zumindest für die nächsten zwei Jahrhunderte. Ihre zentralen Themen sind Zivilisierung, Fortschritt, Demokratisierung und der Adel. Sein „Edelmut“ zeigt sich hier einerseits in der Aufgabe seiner Vormachtstellung als auch, damit einhergehend, in einem gewissen „Noblesse oblige“ von Seiten der Eliten, die das Wahlrecht erweitern.
Nach Selbins Untersuchungen untermauert diese zivilisierende und demokratisierende Revolutionserzählung den Triumph der Aufklärung und kommt häufig zum Einsatz, wenn Staaten und Eliten die Legitimität und Autorität für sich nutzen möchten, die an dieser Geschichte haftet. Es handelt sich um eine zu-tiefst „liberale“ Revolutionsgeschichte und somit um eine Erzählung, die vor Radikalisierung und gewaltsamer Revolution warnt, während sie gleichzeitig für Mäßigung und Reformen plädiert. Wie sehr diese von Selbin trefflich beschriebene Geschichte bis heute Europas Blick auf Revolutionen prägt, zeigt sich nicht zuletzt in den zögerlichen Reaktionen der Europäischen Union auf die Ereignisse in Ägypten und den schließlich erfolgten Appellen an Mubaraks Regime, den politischen Wandel selber herbeizuführen.
Dem stellt Eric Selbin die Geschichte von der Sozialrevolution als „die Revolutionsgeschichte schlechthin“ gegenüber, da sie den Begriff geprägt habe und seit mehr als zweihundert Jahren den Standard definiere, an dem alle anderen gemessen wurden und dem beinahe alle nicht entsprechen konnten. Es ist eine Geschichte, die den Menschen überall auf der Welt vertraut erscheint. Zwar lauten die Details jedes Mal etwas anders, doch finden sich in ihr immer das Versprechen auf einen Ausweg aus den jetzigen Umständen. Zugleich ist die Erzählung der Sozialrevolution auch die paradigmatische Geschichte für Generationen von Revolutionsforschern: Sie bleibt konstant, während verschiedene Theorien kommen und gehen. Und bis in die westlichen Leitartikel über die gegenwärtige Revolution in Ägypten zentriert sich diese mächtige und mitreißende Geschichte um den Aufruf zu Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.
Zur zivilisierenden und demokratisierenden Geschichte zählt Selbin die Revolutionen in England 1688, in Amerika 1776 und in Frankreich 1789. Die Geschichte von der Sozialrevolution ist nach seiner Zählung umfassender: ebenfalls Frankreich 1789, Mexiko 1910, Russland 1917, China 1949, Kuba 1959, Nicaragua und Iran 1979. Ihnen ähnelt die Revolutionsgeschichte von Freiheit und Befreiung als dritter Typus, doch ist sie zugleich mit „prosaischeren Dingen“ verknüpft wie alltäglichen Problemen und Dynamiken, die mit Freiheit und Befreiung in Verbindung stehen. Als historische Beispiele nennt Selbin die Sklavenrevolte unter Spartakus gegen die Römer 73–71 v. Chr. und den Sklavenaufstand in Haiti 1791, antikolonialistische Kämpfe wie die Mahdi-Rebellion im ägyptischen Sudan in den 1880er Jahren, die Unabhängigkeitskriege Kubas 1895: 1898 und Irlands 1919–1921 sowie die nationalen Befreiungskriege des 20. Jahrhunderts in Vietnam, Indonesien, auf den Philippinen, in Malaysia, Kenia, Algerien, Angola, auf den Kapverden, in Guinea-Bissau, Mosambik, Südafrika und Namibia.
Wie in den heutigen Fällen Tunesien und Ägypten war bereits in früheren Revolutionsgeschichten von Freiheit und Befreiung das Ausmaß entscheidend, in dem sich die Ereignisse auf verschiedenen Ebenen gegenseitig verstärkten und beeinflussten. So erinnert Selbin nicht nur an die Bandung-Konferenz von 1955 und die Bewegung der Blockfreien Staaten, sondern auch daran, wie die Menschen an den unterschiedlichsten Orten der Welt immer häufiger ihre Hoffnungen mit denen anderer Menschen gleichsetzten, sich mit ihnen identifizierten und sich versicherten: „Wenn die das dort machen können, so können wie es auch hier machen.“
Verloren Revolutionäre jedoch ihren Kampf, gerieten sie bisweilen in Vergessenheit – Selbins vierter Geschichtentypus. Denn wer erinnert sich heute noch an die Green Corn Rebellion sozialistischer Aufständischer im ländlichen Oklahoma Amerikas 1917? Oder an die proletarische Revolution in Mexiko-Stadt 1912-1916? Aber auch sie dürften von den Betroffenen zu Geschichten von Widerstand, Rebellion und Revolution transformiert worden sein, deren Analyse nach Selbins Theorie dabei helfen kann, zu erklären, „warum Revolutionen hier und nicht dort geschehen, jetzt und nicht dann, bei diesen Menschen und nicht anderen“. Denn die richtige Geschichte am richtigen Ort zur richtigen Zeit ermögliche und befördere revolutionäre Aktivitäten, so der Autor, und vergrößere die Wahrscheinlichkeit, dass revolutionäre Imaginationen zu revolutionären Gefühlen reifen, die wiederum die Grundlage revolutionärer Situationen bilden und damit die Möglichkeit revolutionärer Resultate.
Eric Selbins großem Wurf über die Mechanismen von Revolutionen zufolge kamen auch die aktuellen Geschehnisse in Tunesien und Ägypten nicht überraschend. Sie kündigten sich bereits lange zuvor an: in den Blogs und Social Media der revolutionären Gesellschaften. Selbins Kollegen dürften in den dort erzählten Geschichten zentrale politikwissenschaftliche Quellen finden. THOMAS SPECKMANN
ERIC SELBIN: Gerücht und Revolution. Von der Macht des Weitererzählens. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2010. 288 Seiten, 39,90 Euro.
Der Westen will die nicht-radikale,
„zivilisierende“ Revolution –
daher die Milde gegen Mubarak
Die richtige Geschichte
am richtigen Ort
mobilisiert den Aufstand
Immer wieder Hoffnung auf Veränderung: Ägyptische Demonstranten bejubelten nach dem Sturz des Königs Faruk I. in den fünfziger Jahren den Oberst Gamal Abdel Nasser, der dann Präsident des Landes wurde. Foto: Bettmann/Corbis
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dass sich die Politikwissenschaften demnächst besser in den Blogs umsehen und sich unbedingt Social-Media-Kompetenz aneignen sollten, um Geschehnisse wie die in Tunesien und Ägypten besser voraussagen zu können, scheint Thomas Speckmann nach der Lektüre von Eric Selbins Thesen zu Mythos und Nachahmung von Revolutionsgeschichten durchaus nachvollziehbar. Schließlich ist Revolutionsgeschichte nicht nur politisch und ökonomisch bedingt, sondern auch  durch die Gefühle und Gedanken der Menschen. Speckmann folgt Selbin und den von ihm herausgearbeiteten vier Typen von Revolutionsgeschichten (demokratisierende Revolution, Sozialrevolution, befreiende und vergessene Revolution) und staunt, wie ihm der Autor die Rezeption (und Transformation) dieser Geschichten durch die Betroffenen vor Augen führt. Ein großer Wurf, findet er. Tunesien, Kairo - alles gar nicht so überraschend.

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