Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 10,00 €
  • Gebundenes Buch

Der poetische Blick auf die sechziger JahreMit 17 wird es Zeit, auf eigenen Füßen zu stehen, findet Eli. Gelegenheit dazu bietet das Studium der Kinematographie in Potsdam. Was es damit auf sich hat, muss sie freilich noch herausfinden. Man schreibt das Jahr 1958, und Eli, die gelernte Gärtnerin, wird unter all den Intellektuellen »die proletarische Perle in der goldenen Krawattennadel«. Nach und nach begreift sie, dass es außer um Filme auch um Haltungen geht in einer Welt, die sich immer schärfer in zwei Lager teilt. Selbst als genau vor der Hochschule die Mauer hochgezogen wird, löst Eli…mehr

Produktbeschreibung
Der poetische Blick auf die sechziger JahreMit 17 wird es Zeit, auf eigenen Füßen zu stehen, findet Eli. Gelegenheit dazu bietet das Studium der Kinematographie in Potsdam. Was es damit auf sich hat, muss sie freilich noch herausfinden. Man schreibt das Jahr 1958, und Eli, die gelernte Gärtnerin, wird unter all den Intellektuellen »die proletarische Perle in der goldenen Krawattennadel«. Nach und nach begreift sie, dass es außer um Filme auch um Haltungen geht in einer Welt, die sich immer schärfer in zwei Lager teilt. Selbst als genau vor der Hochschule die Mauer hochgezogen wird, löst Eli ihre Konflikte nicht nach ideologischen Vorgaben, sondern nach moralischem Gefühl und gesundem Menschenverstand - naiv, dickköpfig, listig.»Dass man Schweres mit leichter Hand aufschreiben kann, hat Helga Schütz mit all ihren Büchern bewiesen.« Sächsische Zeitung
Autorenporträt
Schütz, HelgaHelga Schütz wurde 1937 in Falkenhain/Schlesien geboren. 1944 Umsiedlung nach Dresden. Nach einer Gärtnerlehre Arbeit als Landschaftsgärtnerin. ABF. Nach dem Studium an der Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg wurde sie freie Autorin und schrieb Drehbücher und Szenarien zu Spiel- und Dokumentarfilmen, später auch Romane und Erzählungen. Em. Professorin an der Hochschule für Film und Fernsehen. Sie lebt in Potsdam. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen.Zuletzt erschienen: Grenze zum gestrigen Tag (Roman, 2000); Dahlien im Sand. Mein märkischer Garten (2002); Knietief im Paradies (Roman, 2005); Sepia (Roman, 2012); Die Kirschendiebin (Erzählung, 2017); Von Gartenzimmern und Zaubergärten (2020).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.08.2013

Der falsche Arm Laokoons
Babelsberg, Mauerzeit: Helga Schütz und ihr stiller Roman „Sepia“
Sepia ist eine Farbe, die zeigt, „wie alt wir schon sind, eigentlich schon tot, jedenfalls vergangen. Sepia verklärt“. So heißt es an einer Stelle in dem Roman von Helga Schütz, der zwar „Sepia“ als Titel trägt, aber keineswegs die Vergangenheit verklären möchte. Vielmehr denkt die Studentin Raphaela Reich, genannt Eli, über die Farbe Sepia nach, als sie in den frühen sechziger Jahren im Kinosaal der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg Filme von Bunuel, Fellini oder Truffaut anschaut. Der Vorführraum ist ihr Rückzugsort, an dem sie ungestört träumen und der bleischweren Müdigkeit nachgeben kann, mit der sie seit einem Arbeitseinsatz im Chemiewerk Leuna geschlagen ist.
  Die Filme aus dem Westen sind hier eine Offenbarung: Sie laufen illegal, unter Bruch der Urheberrechtsbestimmungen; die Filmrollen müssen danach immer ganz schnell zurück nach Ost-Berlin und wieder in den Westen. Die flüchtigen Bilder verweisen auf eine andere Welt, zu der die Zugänge versperrt sind. Darin liegt das sepiafarbene Verklärungspotential. Es gehört dieser Vergangenheit an.
  Mit „Sepia“ knüpft Helga Schütz an ihren autobiographisch grundierten Roman „Knietief im Paradies“ an. Die äußeren Daten stimmen mit ihren eigenen Lebensstationen überein: Geboren in einem kleinen Dorf in Schlesien kam Helga Schütz als Siebenjährige nach Dresden, wo sie im Februar 1945 die Nacht der Zerstörung im Bombenhagel überlebte. Aufgewachsen beim Großvater, absolvierte sie in der Nachkriegszeit zunächst eine Gärtnerlehre und studierte anschließend Kinematographie in Babelsberg. Mit dem Umzug nach Potsdam setzt „Sepia“ ein. Vor einer allzu ungebrochenen biographischen Lesart sollte man sich jedoch schon deshalb hüten, weil die Romanfigur Eli ein paar Jahre jünger und vielleicht auch entsprechend naiver ist, als es die Autorin damals war. Der Mauerbau ist die erste tiefe Zäsur. Er prägt diese Studienzeit, Hochschule und Wohnheim am Griebnitzsee sind in unmittelbarer Nachbarschaft der Grenzanlagen angesiedelt. Das Ufer verschwindet hinter Stacheldraht und Panzersperren.
  Eine Freundin ist da gerade in Rom und bleibt dort. Der Geliebte Ludwig setzt sich nach West-Berlin ab, und der Dozent Schubert, der ersatzweise und als Trost dessen Platz einnimmt, heiratet nach Österreich. Die Staatsgrenze ist eine Trennungslinie, an der sich die Sehnsucht vergeblich abarbeitet. Dennoch nimmt Eli Stacheldraht und Mauer ohne Groll und Widerspruch hin: sie erscheinen so sehr so als unausweichliche Normalität, dass sie nicht in Frage gestellt werden können, auch wenn das Gefühl der Einsamkeit, der Isolation und des Zurückbleibens immer stärker wird.
  Es ist die große Kunst von Helga Schütz, das Politische beiläufig und nebenbei mitzuerzählen, es aber im Hintergrund zu belassen. „Sepia“ ist weniger ein DDR-Roman, als die Geschichte einer jungen Frau, die in der Gesellschaft immer wieder aneckt, so wie sie in jeder konkreten Gesellschaftsformation an ihre Grenzen stoßen würde. Sie nimmt das weniger als Einengung wahr, denn als Konsequenz ihrer eigenen Vorlieben und Schwächen, die mit dem kollidieren, was von ihr gefordert wird. Dabei wird sie als Arbeiterkind und als einzige Frau ihres Jahrgangs sogar protegiert und geschützt.
  Doch mit der Diplomarbeit über Laokoon wird sie lange nicht fertig; die Phantasie kommt den wissenschaftlichen Erfordernissen in die Quere. Der Laokoon-Mythos und der Geschichte der Statue aus vorchristlicher Zeit, die lange mit einem falschen, viel zu heroischen Arm rekonstruiert worden war, nimmt breiten Raum im Roman ein, vielleicht deshalb, weil Eli ein Hoffnungsmotiv daraus machen möchte.
  Eine andere, eindrucksvolle Episode handelt von einer Reise nach Polen mit illegalem Grenzübertritt durch die Neiße: Eli bringt die Asche des Großvaters seinem letzten Willen gemäß in die schlesische Heimat. Da kollidiert die unmittelbare Anteilnahme und menschliche Selbstverständlichkeit mit den politischen Gegebenheiten. Ähnlich geschieht es auch in der Liebe zu Ludwig, wenn den beiden nichts mehr bleibt, als sich zu einer bestimmten Stunde zu verabreden und über den Griebnitzsee hinweg zuzuwinken.
  Helga Schütz hat in der DDR zunächst vor allem Drehbücher für die DEFA geschrieben. Das ist ihrem Stil durchaus anzumerken. Die Sätze sind einfach, oft sehr knapp, fassen aber die Atmosphäre sehr genau. Das Nebensächliche, Individuelle, Beiläufige interessiert sie mehr als die offiziellen Fixpunkte der Geschichte. Schließlich lebt auch Eli stärker aus dem Gefühl und aus dem Augenblick heraus. Das Geschehen ist in einzelne Szenen und Einstellungen aufgelöst, die sich stark einprägen. Elis Ernteeinsatz in der LPG, die Überquerung der Neiße, die Liebesnächte mit Ludwig oder dessen plötzliche Wiederkehr in Dunkel des Flurs für Minuten, bevor er zurück muss nach West-Berlin: all das sind Bilder wie aus einem alten Film. Dabei entsteht Geschichte als erzähltes Leben und als Wirklichkeit, die aus dem Erlebten schöpft – und nicht auf nachträgliche Wertungen setzt. Dass das nichts mit Verklärung und Sepia-Farbtönen zu tun haben muss, beweist dieser eindrucksvolle, leise-zurückhaltende Roman.
JÖRG MAGENAU
  
  
  
  
  
  
Helga Schütz: Sepia.
Roman. Aufbau
Verlag, Berlin 2012.
394 Seiten, 22,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als leise und zurückhaltend lobt Jörg Magenau die Erzählkunst der Autorin Helga Schütz, die in diesem an ihren Roman "Knietief im Paradies" anschließenden Buch wiederum Autobiografisches aus ihrem Leben in der DDR verarbeitet, wie Magenau mitteilt. Magenau liest das Buch nicht als rein biografische DDR-Geschichte, sondern als kunstvolle Erzählung über das Leben einer jungen Frau, die mit der Gesellschaft, in der sie lebt, nicht im Reinen ist. Wenn die Autorin Politisches eher im Hintergrund miterzählt, findet Magenau das in Ordnung, ja sogar gekonnt. Stilistisch gefällt ihm die knappe, doch atmosphärisch treffende, ihre Arbeit für die Defa erkennen lassende Schreibe der Autorin.

© Perlentaucher Medien GmbH
» [ein] eindrucksvoller, leise-zurückhaltender Roman « Jörg Magenau Süddeutsche Zeitung 20130812