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Die Jahre zwischen 1935 und 1951, der Zeitraum, den dieser Band der «Erzählungen» der Werkausgabe umfasst, bergen für Nabokov und seine Familie unter anderem die entscheidenden Ereignisse der wiederholten Flucht vor den Nationalsozialisten. Die Erzählungen, die in jener Zeit entstanden, sind in drei Sprachen geschrieben. Die Mehrheit noch in Russisch, eine in Französisch, von 1943 an dann alle in Englisch. Der Autor hat einen Großteil der russischen später selbst, oft zusammen mit seinem Sohn Dmitri, ins Englische übertragen, und nach diesen definitiven Textfassungen wurden sie in ihrer…mehr

Produktbeschreibung
Die Jahre zwischen 1935 und 1951, der Zeitraum, den dieser Band der «Erzählungen» der Werkausgabe umfasst, bergen für Nabokov und seine Familie unter anderem die entscheidenden Ereignisse der wiederholten Flucht vor den Nationalsozialisten.
Die Erzählungen, die in jener Zeit entstanden, sind in drei Sprachen geschrieben. Die Mehrheit noch in Russisch, eine in Französisch, von 1943 an dann alle in Englisch. Der Autor hat einen Großteil der russischen später selbst, oft zusammen mit seinem Sohn Dmitri, ins Englische übertragen, und nach diesen definitiven Textfassungen wurden sie in ihrer Mehrzahl zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt.
Der vorliegende zweite Band enthält, in chronologischer Reihenfolge wie der erste, die reifen Erzählungen Nabokovs, darunter die im Herbst 1939 in Paris geschriebene Novelle «Der Bezauberer», «eine Art Prä-Lolita», in der der Autor, sechzehn Jahre vor Erscheinen seines berühmtesten Romans, das Lolita-Thema findet und darstellt.
Autorenporträt
Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977. Dieter E. Zimmer, geb. 1934, war freier Autor und Übersetzer. Von 1959-1999 war er Redakteur bei DIE ZEIT, davon 1973-1977 Leiter des Feuilletons, danach als Wissenschaftsjournalist mit den Schwerpunkten Psychologie, Biologie, Medizin und Linguistik. Neben zahlreichen weiteren Auszeichnungen erhielt er den Preis für Wissenschaftspublizistik der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Bei Rowohlt war er u. a. als Herausgeber und Übersetzer für die Nabokov-Gesamtausgabe verantwortlich.  Dieter E. Zimmer starb 2020 in Berlin. Dieter E. Zimmer, geb. 1934, war freier Autor und Übersetzer. Von 1959-1999 war er Redakteur bei DIE ZEIT, davon 1973-1977 Leiter des Feuilletons, danach als Wissenschaftsjournalist mit den Schwerpunkten Psychologie, Biologie, Medizin und Linguistik. Neben zahlreichen weiteren Auszeichnungen erhielt er den Preis für Wissenschaftspublizistik der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Bei Rowohlt war er u. a. als Herausgeber und Übersetzer für die Nabokov-Gesamtausgabe verantwortlich.  Dieter E. Zimmer starb 2020 in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.10.2014

Mystischer Intelligenztest
Vladimir Nabokovs Beschwörungsprosa ist wie ein feuerfestes Gefäß für die poetische Verflüssigung der Welt:
Nun liegen seine gesammelten Erzählungen im Rahmen der großen Gesamtausgabe seiner Werke vor
VON BURKHARD MÜLLER
Ja, diese Geschichte trägt ihren Titel zu Recht: „Ein Märchen“. Denn wie anders als märchenhaft soll man das Angebot nennen, das der schüchterne Erwin eines Tages in einem Berliner Biergarten erhält?
  Eine etwas plumpe Dame mittleren Alters setzt sich zu ihm, sagt ihm seinen verborgensten Wunsch auf den Kopf zu und erklärt dem maßlos Verblüfften im selben Atemzug, das sei doch alles kein Problem. Jeden Tag bei der Fahrt ins Büro mit der Straßenbahn fertigt er, der sich niemals trauen würde, eine attraktive junge Frau anzusprechen, und das eine Mal, als er es doch tat, zu hören bekam: „Sie sollten sich schämen“, im Geist eine Liste derjenigen Passantinnen an, die er einem imaginären Harem zugesellt. Das, so erklärt ihm besagte Dame, solle er ruhig auch morgen machen, nur mit dem Unterschied, dass er alle Erwählten am Abend wirklich zu seiner freien Verfügung haben werde. Sie hat nämlich eine Schwäche für Leute mit Phantasie. Allerdings solle er bitte darauf achten, dass die Gesamtzahl eine ungerade sei, sonst würde nichts daraus.
  Natürlich hat die Sache einen Pferdefuß – beziehungsweise, und das ist die Pointe, sie hat keinen. Sie, die korpulente Dame (so erklärt sie Erwin, während sie ihre Torte verschlingt), sei niemand anders als der Teufel höchstselbst und dies der letzte Tag ihrer derzeitigen Inkarnation, da wolle sie sich einen kleinen unentgeltlichen Spaß machen, ganz ohne Seelenverschreibung und so. Zum Beweis ihrer Macht lässt sie gleich mal einen älteren Herrn von der Straßenbahn anfahren. „Erwin senkte die Augen und sagte leise: ‚Wenn das alles stimmt, wäre es ein großes Glück.‘“
Ganz ohne Zweifel ist dieser Erwin ein lächerlicher Widerling. Und doch beginnt der Leser jetzt für ihn zu bangen, als er loszieht unter dem unheimlichen Stern der ihm gegebenen Verheißung. Es wäre so abscheulich, wenn es klappt, und so schade, wenn nicht; und wie soll das am Ende überhaupt funktionieren? Gut gehen kann es auf keinen Fall. Aber was genau passieren wird, bleibt dunkel bis zum letzten Moment – und dann passiert etwas völlig anderes, als der Leser vermutet hätte. Mit anderen Worten, „Ein Märchen“ ist eine ungemein originell erfundene und teuflisch gut geschnittene, eine fast unerträglich spannende Geschichte.
Sie zählt zu den unbekannteren unter den Erzählungen von Vladimir Nabokov. Diese liegen nun vollständig vor, siebzig Stück auf rund 1400 Seiten, als 13. und 14. Band der großen, auf 24 Bände angelegten Nabokov-Gesamtausgabe im Rowohlt-Verlag. Hier gelangt etwas zum Abschluss, was vor mehr als einem halben Jahrhundert begann, als der Verlags-Ahnherr Heinrich Maria Ledig-Rowohlt persönlich sich mit einigen Getreuen wochenlang in Klausur zurückzog, um unter reichlicher Zufuhr von Rotwein die deutsche Version von „Lolita“ zu erstellen.
„Lolita“ bleibt Nabokovs weitaus berühmtestes Buch. Die Obsession, die den, der sie unter beschämenden Qualen erleidet, zum schlauen Schuft macht, findet sich in mancherlei Gestalt auch in seinen kürzeren Texten wieder. Der umfangreichste unter ihnen, „Der Bezauberer“, kann als direkte Vorstufe zu „Lolita“ gelten, und mit beklommenem Entzücken erlebt der Leser, wie sich dasselbe Sujet knapper und rabiater behandeln lässt.
Erst die Vielfalt der Geschichten macht klar, wie sehr alle Erfahrung des Schriftstellers Nabokov von erotischer Sehnsucht grundiert ist, in beide Richtungen des Zeitstrahls: in einem Wünschen, das nur um den Preis der Katastrophe sein Ziel erreicht, und einer Trauer, die hoffnungslos dem Verlorenen gilt. Es schärft den Sinn des Autors für jede Art von Glanz und Abglanz, für Sonnenuntergänge, Schattenwürfe, Spiegelungen. Reflexe im Wasser sind ihm so wirklich wie das reflektierte Ding. Nabokovs Stil, der die Qualitäten des Schmelzenden und des Kristallinen verbindet, vermag es, Emotion in ihrer amorphen Tiefe auszuloten, ohne dass ihm darüber die Form verloren ginge: ein feuerfestes Gefäß, in dem die Verflüssigung selbst härtester Substanzen gelingt.
  Man lese, wie ein russischer Exilant eine deutsche Landschaft schaut: „Es war ein klarer blauer See, mit einem ungewöhnlichen Ausdruck des Wassers. In der Mitte spiegelte sich eine große Wolke in ihrer ganzen Größe. Auf der anderen Seite, auf einem dicht mit Grün bedeckten Hügel (und je dunkler das Grün, desto poetischer ist es), ragte eine alte schwarze Burg, die von Daktylus anstieg zu Daktylus. Gewiss, es gab viele solcher Ansichten in Mitteleuropa, aber gerade diese, in der unbeschreiblichen und einzigartigen Harmonie ihrer drei wesentlichen Teile, in ihrem Lächeln, in einer ihr eigenen geheimnisvollen Unschuld, Geliebte! Gehorsame! – war etwas so Einzigartiges und so Vertrautes und so lang Verheißenes, und sie verstand ihren Betrachter so gut, dass Wassilij Iwanowitsch gar die Hand aufs Herz presste, als wolle er sehen, ob sein Herz noch da sei, damit er es hergeben könne.“
Überflüssig zu sagen, dass dieser Augenblick nicht verweilen kann. Gleich sitzen Wassilij Iwanowitsch, der eine Vergnügungsreise gewonnen hat, wieder seine deutschen Reisegefährten und Peiniger im Genick, die ihn zwingen, sich an kernigen Volksliedern von der Überwindung des Eigenbrötlertums zu beteiligen, und genau darauf achten, dass er auch wirklich singt und nicht bloß markiert. Diese Erzählung „Wolke, Burg, See“ lässt sich in der Jäheit, mit der die Schilderung eines paradiesischen Glücks und die Satire auf die nationalsozialistische Volksgemeinschaft zusammenprallen, kaum ertragen. Sie entstand 1937, als Nabokov, der vor den Bolschewisten nach Berlin geflohen war, nunmehr auch Deutschland den Rücken kehrte und weiterzog, erst nach Frankreich, dann nach Amerika und schließlich in ein Hotel am Genfer See, wo er 1977 starb.
Nabokovs Figuren lösen sich von ihrem Urheber immer nur zur Hälfte ab; auch von Wassilij Iwanowitsch heißt es gleich in der ersten Zeile, er sei „einer meiner Vertreter“. Im emphatischen Moment bricht aus der Fiktion unvermittelt die Anrede an die „Geliebte!“ hervor (die beunruhigender Weise zugleich als „Gehorsame!“ erscheint). Das Ausrufezeichen, das die Oberfläche des Texts durchbohrt, vollbringt den Akt der Beschwörung; dass die Geliebte verschollen sei, wird implizit vorausgesetzt. Aus diesem Gestus des Beschwörens, der selbst handgreiflich gegenwärtige Dinge behandelt, als entschwänden sie oder wären bereits entschwunden, erwächst die schmerzliche Seligkeit von Nabokovs Schreiben.
  So driftet das Plusquamperfekt des Heimwehs nach dem Russland seiner Jugend, von dem die frühen Texte sprechen, allmählich hinüber in den eigentümlichen Erzählmodus des Futur Exakt: All das, was wir sehen, wird schon bald Vergangenheit sein. Ihn fasziniert beispielsweise an dem prolligen Berlin, für das er einen „Stadtführer“ verfasst, besonders die Vorstellung, dass man nur im Geiste einen Schritt von hundert Jahren in die Zukunft machen müsse, und schon wären die nüchternsten Dinge, etwa die Routine des Straßenbahnschaffners, in ein geheimnisvoll kostbares Dazumal verwandelt, hinunter bis zum letzten Knopf seiner Uniform. (Und, möchte man fragen, hat er nicht Recht behalten?) Es braucht nicht mehr zu sein als das Interieur einer Kneipe, mit Billardtisch und zwei dicken Lastwagenfahrern, wo gerade ein kleines Kind von seiner Mutter mit Suppe gefüttert wird. Der Erzähler folgt dem Blick des Kindes. „,Ich begreife nicht, was du da siehst’, sagt mein Freund und wendet sich wieder mir zu.Ja, was auch! Wie kann ich ihm begreiflich machen, dass ich jemandes künftige Erinnerungen geschaut habe?“
Von Theorien jeglicher Couleur hält der Grundkonservative Nabokov weniger als nichts. Anders als die Bewohner jener westlichen Länder, in den ihn sein Exil verschlägt, weiß er, dass die großen Ideen des 20. Jahrhunderts nicht bloß Torheiten waren, sondern Verbrechen. Dagegen fesselt ihn der sinnliche Schein, jenes Etwas, das zugleich da ist und fort; und daraus entspringt eine spekulative Metaphysik privaten Charakters, die sich in der einzig möglichen Form der Andeutung äußert. Die fremdartigste und interessanteste von Nabokovs Erzählungen trägt den Titel „Ultima Thule“ und berichtet von dem windigen und höchst trivialen Geschäftsmann Falter, der eines Tages von einem übermächtigen inneren Erlebnis heimgesucht wird, das ihn in seiner Plötzlichkeit fast tötet; seine Schreie lösen in weitem Umkreis Entsetzen aus. Von nun an weiß er die tödliche Wahrheit der Welt (vorausgesetzt natürlich, er ist nicht doch ein besonders gewiegter Hochstapler). Der Ich-Erzähler sucht sie ihm abzulisten, und die beiden führen miteinander ein so verbissen-rasantes Degenduell von Vorstoß und Ausweichen, dass einem die Luft wegbleibt. Die Kernzone dieses Texts bildet so etwas wie einen mystischen Intelligenztest, bei dem der Autor einen scharfen und belustigten Seitenblick auf seinen Leser zu werfen scheint: Na?
Vielen wird bei so etwas mulmig zumute, und es eilt Nabokov der nicht unbegründete Ruf des ästhetischen und intellektuellen Hochmuts voraus. Aber das ist nicht der Hochmut, der vor dem Fall kommt, sondern jener, der den Aufstieg in dünnere Luft begleitet. Außer verbreitetem Misstrauen hat es dem Autor die Liebe eines kleinen, aber verschworenen Zirkels eingebracht, der Nabokovs Œuvre außer als Meisterwerk auch als persönliche Herausforderung auffasst. Zu ihm gehört Dieter E. Zimmer, der Herausgeber der Gesamtausgabe und maßgeblich auch an der Übersetzung beteiligt. Er und seine Übersetzer-Kollegen sind an dieser schweren Aufgabe fast über das Sprach- und Menschenmögliche hinausgewachsen – Nabokov in ihrer Version zu lesen, bereitet großen Genuss.
Wenn der Leser bei diesem höchst nötigen und verdienstvollen Editionsprojekt einen Wunsch frei gehabt hätte, so wäre es ein Kommentar gewesen. Denn nicht nur hat Vladimir Nabokov eine Vorliebe für ausgefallene Wörter wie „Apostomasis“ und „hyalisch“, es verstehen sich auch viele Realien inzwischen nicht mehr von selbst, und sei es bloß der Unterschied zwischen einer Galosche und einer Gamasche. Es verhält sich so, wie Nabokov vor achtzig oder neunzig Jahren voraussagte: All dies ist Vergangenheit geworden und als solche des Staunens wert.
Vladimir Nabokov: Erzählungen 1921-1934 und Erzählungen 1935-1951. Band 13 und 14 der Gesamtausgabe. Herausgegeben von Dieter E. Zimmer. Aus dem Englischen von Gisela Barker, Renate Gerhard, Jochen Neuberger, Blanche Schwappach, Rosemarie Tietzer, Thomas Urban, Marianne Wiebe und Dieter E. Zimmer. Rowohlt Verlag, Reinbek 2014. 800 und 624 Seiten, jeder der beiden Bände kostet 29,95 Euro.
Selbst das Gegenwärtige
behandelt Nabokov, als wäre es
schmerzlich entschwunden
Nabokovs Hochmut kommt
nicht vor dem Fall, sondern
vor dem Gipfelsturm
Die Bissmale in der Haut dieses vier Meter langen Weißen Haiweibchens stammen von seinem Begattungspartner. Hai-Damen haben deswegen eine dickere Haut als die Männchen.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Burkhard Müller jubelt: Nun liegen auch endlich Band 13 und 14 der auf 24 Bände angelegten Nabokov-Gesamtausgabe vor. Hingerissen taucht der Kritiker in die nun auf 1400 Seiten vollständig veröffentlichten Erzählungen aus den Jahren 1921 bis 1951: Müller entdeckt hier bisher eher unbekannte Erzählungen wie "Ein Märchen", dessen Protagonist der Teufel in Form einer plumpen alten Dame ist, erlebt wie sich im Verlauf der Geschichten das Heimweh nach Russland immer mehr in die Berliner Gegenwart und schließlich in das Futur Exakt wandelt, liest beklemmende, vorahnende, metaphysische Erzählungen, die ihn manchmal mit einem "mulmigen" Gefühl zurücklassen und bewundert Nabokovs intellektuell wie ästhetisch nahezu "hochmütige" Könnerschaft. Zugleich stellt der faszinierte Kritiker fest, wie Nabokovs Erzählungen immer wieder von einer erotischen Sehnsucht unterlegt sind, die seinen scharfen Wahrnehmungssinn glänzen lässt und dem Kritiker Einblicke in emotionale Tiefen gewährt. Nicht zuletzt lobt Schröder die über sich hinauswachsende Leistung der Übersetzter, und so verzeiht er auch das Fehlen eines Kommentars in diesem brillanten Editionsprojekt.

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