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Im Winter 1867 erkrankt der kleine Kostja Ziolkowski an Scharlach, muss isoliert werden, überlebt im Krankenhaus, ist aber fortan fast taub. Der Sohn einer verarmten Adelsfamilie aus Rjasan entwickelt ein großes Interesse an Geschwindigkeit und Technik, an den Sternen und dem Weltraum, bastelt sich selbst ein Hörgerät und erweist sich als überaus begabt. Seine Familie schickt ihn zum Studium nach Moskau, die Entbehrungen sind groß. Doch nichts scheint Konstantin, der sich als visionäres Genie entpuppt, aufhalten zu können. Auf einer realen Figur basierend, Konstantin Ziolkowski, dem Vater der…mehr

Produktbeschreibung
Im Winter 1867 erkrankt der kleine Kostja Ziolkowski an Scharlach, muss isoliert werden, überlebt im Krankenhaus, ist aber fortan fast taub. Der Sohn einer verarmten Adelsfamilie aus Rjasan entwickelt ein großes Interesse an Geschwindigkeit und Technik, an den Sternen und dem Weltraum, bastelt sich selbst ein Hörgerät und erweist sich als überaus begabt. Seine Familie schickt ihn zum Studium nach Moskau, die Entbehrungen sind groß. Doch nichts scheint Konstantin, der sich als visionäres Genie entpuppt, aufhalten zu können. Auf einer realen Figur basierend, Konstantin Ziolkowski, dem Vater der russischen Raumfahrt, erzählt Tom Bullough die bewegende Geschichte eines Jungen und jungen Mannes, der seiner Liebe und Neigung folgt, allen Widrigkeiten trotzt und mit seinen Einsichten in visionärer Weise seiner Zeit voraus ist. Ein poetischer, atmosphärisch dicht geschriebener Roman über große Träume und große Ideen.
Autorenporträt
Thomas Melle, 1975 in Bonn geboren, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und Philosophie in Tübingen, Austin (Texas) und Berlin. Er gehört zu den wichtigsten jungen deutschen Theaterautoren. 2007 erschien Thomas Melles Prosadebüt, wofür er 2008 den Förderpreis zum Bremer Literaturpreis erhielt. Thomas Melle lebt in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.04.2012

Schnee, Troikas, Ostereier
Ein recht konventioneller russischer Kindheitsroman von Tom Bullough
Eigentlich ist es viel zu gefährlich, was der kleine Kostja da macht: Bei bitterster Winterkälte bringt er seinem Vater, der im Wald Holz fällt, eine Portion Suppe. Fünf Kilometer weit muss er gehen und wird, als er ankommt, vom Empfänger erschrocken und zärtlich getadelt.
„Kostja eilte die Böschung hinab zur gefrorenen Oka, dünn und zierlich in seinem schweren Schafsledermantel wie ein Spatz im winterlichen Federkleid. Am Fluss schnitten die Spuren der Förster nördlich durch den glatten Schnee und formten dabei eine bedächtige Linie zu den Kieferstämmen, die am Ufer unterhalb des Waldes wie gestreut lagen. Kostja rannte und schlitterte auf dem freiliegenden Eis. Aus dem Dunkel der Birken tauchte er wieder im Sonnenlicht des Dezembers auf, einen Arm ausgestreckt, um das Gleichgewicht zu halten, die Suppendose glänzend zwischen Hemd und Mantel, und unter dem eisblauen Himmel war weit und breit keine andere Bewegung zu sehen als sein eigener langer, schwankender Schatten.“
So beginnt Tom Bullough die Geschichte eines Jungen, der später ein bedeutender Physiker wird und die Fundamente für die russische Raumfahrt legt. Dass die Ursprünge aller großen Dinge klein sind und die Schilderung einer armseligen Jugend nachmals bedeutender Männer auf den Leser einer Biografie oder eines historischen Romans befriedigende Wirkung übt, macht sich der 1975 geborene Bullough gewiss nicht als Erster zunutze. Doch hat es gerade dieser Lebenslauf an sich, dass sich die entscheidenden Konsequenzen erst weit postum einstellen, also im Rahmen des Buchs zwar indirekt prophezeit, aber nicht gestaltet werden können. Auf welche Weise die Berechnungen, die Konstantin Ziolkowski durchführt, der Raumfahrt einst nutzen werden, das erklärt Bullough so fahrlässig und schlecht, dass es sich mit seinem Buch nicht wirklich verbindet. Ein Anhang, worin zwei Kosmonauten des Jahres 1965 eine Bruchlandung in der Taiga erleiden, legt eher den Finger auf die wunde Stelle, als dass sich der Bogen schlösse. Auch dass Kostja nach einer Scharlach-Erkrankung nahezu ertaubt und schon von früh an mit einem großen Hörrohr auftreten muss, kommt vor allem als Kuriosum zur Geltung.
Das ist natürlich die Crux aller Bücher über Mathematiker und verwandte Wissenschaftler: Lebendig vermag an ihnen nur das Unspezifische zu werden, schwere Kindheit, erste Liebe, ungeratene Sprösslinge, alles das also, was sie mit ihren weniger berühmten Zeitgenossen gemeinsam haben – während der Autor es zumeist noch nicht einmal versucht, die spezifische Leistung von Fermat oder Gauss darzustellen, da er voraussetzt, dass der Leser hier ohnehin nichts kapiert und an der Überforderung unmutig würde. Dieses Grunddilemma erscheint nun bei Bullough auf die Spitze getrieben und die Wahl seines Sujets als besonders willkürlich. Eigentlich liefert es ihm nur den Vorwand zu einer träumerischen Etüde über das Russland des 19. Jahrhunderts, mit viel Schnee, Troikas und Ostereiern, formal sehr konventionell, doch mit stilistischem Ehrgeiz.
Das klingt dann in der Übersetzung von Thomas Melle so: „Wo der Weg eng war, lehnten abgeknickte Bäume zwischen der dunklen Wand des Waldes aneinander, sodass nur jeweils eine Person unter ihnen passieren konnte und die wartende Menge unter dem Anflug von noch mehr Mücken und Moskitos litt, als sie selbst zählte.“ Was bitte soll das heißen? Wie können Bäume „zwischen“ der Wand lehnen? Und wieso zählt die wartende Menge Moskitos? Solche Stellen sind nicht etwa selten. Man neigt jedoch dazu, dem Übersetzer hier nur die Hälfte der Schuld zuzuweisen, glaubt man doch zu spüren, dass er lediglich eine überflüssige Preziosität des Originals durch ängstliche Buchstäblichkeit völlig ins Dunkle hat kippen lassen.
BURKHARD MÜLLER
TOM BULLOUGH: Die Mechanik des Himmels. Aus dem Englischen von Thomas Melle. C. H. Beck Verlag, München 2012. 229 Seiten, 18,95 Euro.
Konstantin Ziolkowskis Leben
ist Vorwand für eine Etüde über
das Russland im 19. Jahrhundert
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Thomas Leuchtenmüller hat der neue Roman des jungen Briten Tom Bullough über den Vater der russischen Raumfahrt, Konstantin Ziolkowski, durchaus Schwächen. Eher konventionell wirkt auf ihn der Ansatz, sich der heißen Phase des Pioniers zuzuwenden, dem Zeitraum, in dem aus Ziolkowski der visionäre Konstrukteur wird, und etwa die Armut in Ziolkowskis Kinderstube ziemlich plakativ zu zeichnen und manch plumpe literarische Anleihe einzubauen. Dem Effekt entgeht der Rezensent gleichwohl nicht. Gleichsam in die Gehirnwindungen des Genies gebeamt, folgt Leuchtenmüller den Gedanken des kühnen Visionärs. Dass der Autor auf wissenschaftsskeptische Belehrungen und bloße Faktenhuberei verzichtet und sich stattdessen auf seine soliden Recherchen verlässt, gefällt ihm zudem recht gut.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2012

Im Club der Visionäre

In der Schwerelosigkeit kannst du sitzen, wo du willst: Tom Bullough erzählt in seinem Roman "Die Mechanik des Himmels" vom Vater der russischen Raumfahrt. Dieser Konstantin Ziolkowski verliert nie die Bodenhaftung - und nie die Skepsis.

Zwei Autostunden südwestlich von Moskau liegt die gut dreihundertdreißigtausend Einwohner zählende, durch sozialistisches Einheitsgrau verunstaltete Stadt Kaluga. Im vierzehnten Jahrhundert als robuste Grenzfestung des Moskauer Reiches am Wolgazufluss Oka gegründet, entwickelte sich der oft bitterkalte Ort bis zum neunzehnten Jahrhundert zu einer bedeutenden Handelsstadt. Obwohl Volkswagen 2007 hier für dreihundertsiebzig Millionen Euro ein Werk errichtete, würde Kaluga aber selten in den Fokus westlicher Medien geraten, enthielte die Liste der Töchter und Söhne der Stadt nicht einen Namen, der für einst avantgardistische, heute realisierte Ideen steht: Die Rede ist von Konstantin Ziolkowski, der 1867 in Ischewskoje geboren wurde und 1935 in Kaluga starb, "Vater der russischen Raumfahrt".

Vom zaristischen Russland weitgehend ignoriert, zollte erst die Sowjetunion dem Vordenker die angemessene Anerkennung. Den postumen Ritterschlag bedeuteten jene Worte, die Juri Gagarin, der erste Mensch im All, bald nach seinem Flug 1961 ins Buch der Ehrengäste des Raumfahrtmuseums in Kaluga schrieb: "Ich bin glücklich, dass es mir als Erstem gelungen ist, Konstantin Ziolkowskis Traum zu verwirklichen." Wie aber stellt ein Romancier überzeugend diesen Traum dar?

Der 1975 in Wales geborene Schriftsteller Tom Bullough wählt dazu einen konventionellen, gleichwohl effektvollen Ansatz. In seinem Roman "Die Mechanik des Himmels" (im englischen Original "Konstantin") konzentriert er sich auf die Jahre 1867 bis 1881. Dies ist die Zeit, als aus dem technisch begabten Konstantin, genannt Kostja, ein visionärer Konstrukteur wird, den in Moskau eine schöne Millionärstochter in ihr Herz schließt, bis Kostjas Vater seinen Sohn aus Angst vor Repressalien zurück in die Heimat beordert.

Tom Bullough trägt dick auf, wenn er die Armut der zehnköpfigen Familie und Kostjas eigene Studierstube schildert: Schmutz, Flöhe, Läuse, verrotteter Putz, Erbrochenes, Glassplitter im Rindfleisch und gefrorener Urin ergeben ein Bild des bitteren Elends, das den putzmunteren Jungen freilich wenig deprimiert. Leider haben zudem klassische Figuren des Bildungsromans - der gute Freund, die junge Verführerin, der fördernde Lehrer - erwartbare Auftritte. Und plump ist manche literarische Anleihe, darunter bei Anton Tschechows "Drei Schwestern" mit ihrer Moskau-Sehnsucht oder aus Goethes "Erlkönig" der Ritt von Vater und zu rettendem Sohn durch die Nacht.

Der Roman "Die Mechanik des Himmels" ist dennoch sehr lesenswert, weil der Autor das keimende und fortschreitende Interesse des schon früh schwerhörigen Kostja an Physik, Astronomie und Geometrie nahtlos in den Alltag des Protagonisten integriert. Ob es um Rotation, Antrieb oder Auftrieb geht, ob Konstantin Ziolkowski seiner Frau, einem Bibliothekar oder seinen Schülern von Sonne, Mond und Sternen erzählt: stets haben wir das Gefühl, bei einer Reise durch die sich weitenden Gehirnwindungen eines kühnen, unverkrampften Entdeckers dabei zu sein, der nie die Bodenhaftung verliert - und nie die Skepsis.

"Je größer der Fortschritt des Menschen, desto mehr ersetzt er das Natürliche durch das Künstliche", so zitiert das von Thomas Melle gekonnt ins Deutsche übertragene Buch Konstantin Ziolkowski, bevor die Handlung einsetzt. Tom Bullough berücksichtigt dieses gern variierte Credo des Pioniers in den ein-, aber nicht aufdringlichen philosophischen Ausführungen, die den ganzen Roman durchpulsen. Nie sind dabei Belehrungen wie in Bertolt Brechts "Leben des Galilei" zu spüren, nie wird es schlicht grotesk wie in Friedrich Dürrenmatts "Physikern", und nie müssen wir staubtrockene Fakten schlucken wie in Heinar Kipphardts Theaterstück "In der Sache J. Robert Oppenheimer".

Nach seinen vornehmlich im ländlichen Wales der jüngeren Vergangenheit angesiedelten Romanen "A" aus dem Jahr 2002 und "The Claude Glass" von 2007 hat Tom Bullough sich mit "Die Mechanik des Himmels" erstmals in zeitlich und räumlich entfernte Gefilde gewagt. Sehr gute Recherchen dosiert nutzend, gelingt ihm die nuancierte Zeichnung eines außergewöhnlich sehnsuchtsvollen Lebens. Konstantin Ziolkowskis Enthusiasmus bleibt bis zum Ende des Romans grenzenloser als die Milchstraße: "Im Zustand der Schwerelosigkeit kannst du sitzen, wo immer du willst! Das All selbst ist ein hervorragender Stuhl und ein prächtiges Bett", legt ihm Tom Bullough in den Mund. Hoch oben haben Jules Verne, George Méliès, H. G. Wells, Konstantin Ziolkowski und Ray Bradbury sicher einen einschlägigen Club der Visionäre gegründet.

THOMAS LEUCHTENMÜLLER

Tom Bullough: "Die Mechanik des Himmels". Roman.

Aus dem Englischen von Thomas Melle. Verlag C. H. Beck, München 2012. 232 S., geb., 18,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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