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In dieser Studie wird der Versuch einer Reaktualisierung des klassischen Begriffs der Verdinglichung unternommen, dessen Bedeutungsgehalt bei näherer Betrachtung erheblich verschwimmt. Axel Honneth schlägt in Rückgriff auf Lukács, Heidegger und Deweys einen anerkennungstheoretischen Begriff der Verdinglichung vor, der sich auch gesellschaftstheoretisch fruchtbar machen lässt. In ihren luziden Kommentaren diskutieren Judith Butler, Raymond Geuss und Jonathan Lear diesen Vorschlag.

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Produktbeschreibung
In dieser Studie wird der Versuch einer Reaktualisierung des klassischen Begriffs der Verdinglichung unternommen, dessen Bedeutungsgehalt bei näherer Betrachtung erheblich verschwimmt. Axel Honneth schlägt in Rückgriff auf Lukács, Heidegger und Deweys einen anerkennungstheoretischen Begriff der Verdinglichung vor, der sich auch gesellschaftstheoretisch fruchtbar machen lässt. In ihren luziden Kommentaren diskutieren Judith Butler, Raymond Geuss und Jonathan Lear diesen Vorschlag.

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Autorenporträt
Axel Honneth, geboren 1949, ist Jack C. Weinstein Professor of the Humanities an der Columbia University in New York. 2015 wurde er mit dem Ernst-Bloch-Preis, 2016 für Die Idee des Sozialismus mit dem Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch ausgezeichnet. 2021 hielt er in Berlin seine vielbeachteten Benjamin-Lectures zum Thema des Buches Der arbeitende Souverän.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.11.2005

Wer vergaß hier die Anerkennung?
Axel Honneth läßt sich die Verdinglichung nicht nehmen

Manche sagen, daß die Gesellschaftskritik verstummt sei. Die Gegenentwürfe zur bürgerlich-kapitalistischen Welt seien zerschlissen, alles rebellische Aufbegehren habe sich als wirkungslos erwiesen, man habe sich arrangiert. Nach Kapitalismusdiagnose und Utopie bestehe kein Verlangen mehr. Das ist sicherlich falsch.

In der Selbstverständigung der Gesellschaft sind viele kritische Stimmen vernehmlich, und sie predigen keinesfalls tauben Ohren. Die ökonomische Globalisierung, die nationalstaatliche Verantwortlichkeit verwischt, der Vorstoß des Physikalismus, kulturelle Deutungshoheit zu erlangen, die Auslieferung der Reproduktionsbiologie und Genetik an die Gesetze des Marktes, all das bereitet Unbehagen und beschwört Kritik herauf. Ein Gefühl breitet sich aus, daß die Welt aus den Fugen gerät und richtiges Leben nicht mehr möglich scheint.

Die gegenwärtige Gesellschaftskritik ist nicht sprachlos, jedoch begriffslos. Sie findet viele Worte, jedoch ist sie analytisch hilflos und kategorial diffus. Die marxistischen Theorien haben ihren theoretischen Kredit eingebüßt und ihre moralische Legitimität verloren. Niemand spricht heute mehr von Verdinglichung und Entfremdung. Axel Honneth ist jedoch der Überzeugung, daß diese "Pathologiebegriffe" der marxistischen Traditionen gerettet werden können und ein Verzicht auf sie die theoretischen Mittel, das Leiden der Menschen an der kapitalistischen Gesellschaft und ihre Sehnsucht nach einer richtigen, authentischen sozialen Praxis zu begreifen, unnötig einschränkt.

Natürlich ist er sich darüber im klaren, daß der Sozialphilosophie und der Gesellschaftskritik nur dann der Begriff der Verdinglichung zurückgegeben werden kann, wenn alle semantischen Bezüge zur marxistischen Kapitalismusanalyse gekappt werden. Wie eine solche ideologische Entgiftung vonstatten gehen und der marxistische Verdinglichungsbegriff in einen anerkennungstheoretischen Verdinglichungsbegriff verwandelt werden kann, versucht Honneth in seinen hier überarbeitet vorliegenden Tanner Lectures zu zeigen.

Die klassische Verdinglichungsanalyse findet sich in Lukács' Aufsatzsammlung "Geschichte und Klassenbewußtsein" von 1925. Lukács schildert, wie der Mensch im Kapitalismus zum kapitalistischen Menschen wird, der die Fähigkeit verliert, zwischen Jemand und Etwas, zwischen Person und Ding, zu unterscheiden und sich, seine Mitmenschen und die umgebende Welt ausschließlich nach dem Muster dinglicher Objekte wahrnimmt. Das normative Gegenstück dieses deformierten praktischen Weltbezugs erblickt Lukács in einem Hegel und Fichte angenäherten identitätsphilosophischen Praxiskonzept, das Subjekt und Objekt in eins fallen läßt und das Authentizitätserlebnis an den Sonderfall produzierender Tätigkeit bindet. Diese Marxismusrekonstruktion führt zurück in den objektiven Idealismus und gibt damit dem Verdinglichungskonzept eine fragwürdige Rückendeckung. Es bedarf einer von metaphysischen Absonderlichkeiten unbelasteten Vorstellung gelingender Lebenspraxis, um bei der Erfassung sozialer Pathologiephänomene den Verdinglichungsbegriff sinnvoll verwenden zu können. Honneth wendet sich darum von Lukács ab und Heidegger und Dewey zu.

Die Verdinglichungswirkungen, die die lebenweltlichen Grundverhältnisse verstellen, sind für den Autor von "Sein und Zeit" Folgen der Vorherrschaft des ontologischen Deutungsmusters der Vorhandenheit und der damit gesetzten Subjekt-Objekt-Spaltung. Ein falscher Objektivismus herrscht, der die Perspektive des teilnahmslosen Betrachters verabsolutiert und die Menschen zukommende und für ihr Zusammenleben bekömmliche Haltung teilnehmender Sorge überlagert, aber auch die affektiv gestimmte, vertrauensvoll bejahende Einstellung den bedeutungsvollen Dingen des täglichen Umgangs gegenüber zerstört.

Mit Heidegger ein Stück gehen

Dieses affektive Moment der existentiellen Öffnung ist Honneth wichtig. Erst vor dem Hintergrund einer ontologisch fundamentalen Seinszuwendung, die aller kommunikationsrationalen Zivilisierung des sozialen Umgangs vorausgeht, wird die Zerstörungsspur der Verdinglichung sichtbar. Dann liegt Verdinglichung vor, wenn die basale, alle menschlichen Selbst- und Weltverhältnisse kategorial dominierende "befürwortende, anerkennende Haltung" dem sei es dinglich, sei es menschlich Anderen gegenüber durch objektivierende, distanzierende, affektiv erkaltete Einstellungen verdeckt und verdrängt wird.

Heidegger kann nur den Weg weisen. Sich ihm ausschließlich anzuvertrauen birgt zu viele theoretische Risiken. Für den Fortgang der Darstellung nimmt sich Honneth daher Dewey als Führer. So scheint sichergestellt, daß er am Ende in der demokratischen Gegenwartsgesellschaft ankommt. Dewey kritisiert ebenfalls das "Zuschauermodell" der Erkenntnis; auch für ihn ist wissenschaftliche Objektivität sekundär und eine lebensweltliche Abstraktion. Unser Weltverhältnis ist primär praktisch; aller rationalen Erkenntnis geht ein komplexes, emotionale, kognitive und volitive Momente verbindendes Weltempfinden voraus. Zu seiner Bezeichnung möchte Honneth den Begriff der Anerkennung verwenden, eine doppelt unglückliche Entscheidung.

Zum einen ist der Anerkennungsbegriff zu einer Erbaulichkeitsformel entartet: Zu oft hat die gegenwärtige Moralphilosophie mit ihm den diffusen moralischen Mehrwert einer über menschenrechtliche Normalität und Gerechtigkeitsroutine hinausreichenden Einstellung benannt. Zum anderen verhindert die strukturelle Nähe des Anerkennungsbegriffs zum Erkenntnisbegriff, daß der Anerkennungsbegriff zur Bezeichnung dieser von Heidegger, Dewey und Honneth behaupteten ursprünglich-totalen, affektiv-bejahenden Weltzuwendung geeignet sein kann. Das Anerkennen ist wie das Erkennen eine Als-Relation; ihr ist als Anerkennen-als die Differenz semantisch eingeschrieben, die Honneth aus dieser Schicht "existentieller Besorgnis" ausschließen möchte.

Wenn der kategoriale Charakter dieser ontologischen Anteilnahme verdeckt wird, wenn die Menschen im Erkennen und Handeln das Bewußtsein davon verlieren, "in welchem Maße sich beides ihrer vorgängigen Anteilnahme und Anerkennung verdankt", liegt ein Verdinglichungsgeschehen vor. Verdinglichung ist, wie Honneth heideggerianisierend formuliert, "Anerkennungsvergessenheit", ist Verlust des Empfindens ehemaliger Anteilnahme, ist soziale Unaufmerksamkeit, führt zu kommunikativer Verödung und sozialer Inkompetenz.

Wie verzerren die Verdinglichungsauswirkungen unser Naturverhältnis? Honneth will seinen Gewährsleuten in nichts nachstehen und unterlegt seinem Verdinglichungsbegriff eine Sozial- und Objektwelt umfassende ursprüngliche Besorgnis. Was aber ist unter der Anerkennung der Objekte zu verstehen? Plädiert Honneth für Seinsliebe und Naturfrömmigkeit? So weit möchte er nicht gehen. Er hält an der Prävalenz des Sozialen fest und stellt nur die Dinge unter den Anerkennungsschutz, die bedeutungsvoller Bestandteil der Lebenswelt anderer Personen ist.

Keine Plattform ins Watt setzen

Das Antiverdinglichungsprogramm verlangt von uns, die Dinge aus der Perspektive der Personen zu betrachten, für die sie bedeutsam sind. Das hat praktische Konsequenzen; die Naturbeherrschung weicht einem Bedeutsamkeitskonservativismus: Der Erdölingenieur wird nicht mehr seine Plattform ins Watt setzen können, wenn er die Weltsicht der Vogelschützer und Halligbauern teilt, und der Investor wird davon absehen, sein Geld in die Erschließung neuer Abfahrten und Skilifts zu stecken, wenn er die Alpen durch die Augen der Bergvereine und Sennhüttenbewohner betrachtet.

Verdinglichung ist nicht nur etwas, das Personen von außen erleiden müssen. Es gibt auch Phänomene der Selbstverdinglichung, denn auch Selbstverhältnisse können mißlingen, können eine kognitivistische Verkürzung erleiden, mögen zur Selbstfeindschaft entarten. Honneths Beschreibung dieser Phänomene existentieller Selbstverfehlung ist erhellend, geht aber nicht über das hinaus, was die Lebenskunstliteratur seit Aristoteles über den richtigen und den falschen Umgang mit sich selbst ausführt.

Damit der Verdinglichungsbegriff gesellschaftsdiagnostische Relevanz erhalten kann, muß er mehr sein als eine mit heideggerianischer Tiefenschicht versehende Formel für mißlungene Lebensgestaltung. Verdinglichung undifferenziert auf die Auswirkungen des Warentauschs zurückzuführen, mißlingendes Leben einem internalisierten Kapitalismus anzulasten verbietet sich. Wie sieht eine postmarxistische Theorie sozialer Verdinglichungsverursachung aus?

Es verwundert nicht, daß Honneth nur knappe Andeutungen macht, denn soziologische Großtheorien, in denen das Verdinglichungskonzept eine Heimat finden könnte, stehen nicht mehr bereit. So tauchen Verdinglichungsphänomene in der gegenwärtigen Gesellschaft vermehrt auf, wenn die "minimalen Anerkennungsgarantien des Rechts" unterlaufen werden und Menschenbetrachtung und Menschenbehandlung einer ökonomistisch oder physikalistisch reduzierten Sichtweise folgen. In all diesen Fällen wird eine in primärer Anerkennungserfahrung begründete Praxis ausgehöhlt. Eine zweite Verdinglichungsursache erblickt er in der Herrschaft partikularistischer Ideologien, die den Anerkennungsuniversalismus zerstören und bestimmte Gruppen antihumanisieren. Auch die Unerläßlichkeit, sich in einer kompetitiven Gesellschaft durch Selbstpräsentation zu behaupten, zieht Verdinglichungswirkungen nach sich, macht den Bewerber zu einer Ware, die er auf dem Arbeitsmarkt zu verkaufen trachtet.

Nicht zufällig erinnert dieses letzte Beispiel an Rousseaus Klage über den Selbstverlust des natürlichen Menschen in der Gesellschaft. Der Verdinglichungsdiskurs bleibt auch bei Honneth ein sozialromantischer Diskurs, der Authentizitätsträumen nachhängt und gesellschaftliche Entwicklungen als Geschichte des Abfalls und des Vergessens interpretiert. Bei Honneth kommt in Gestalt der ontologischen Vorgängigkeit von Anerkennung und Welteinverständnis noch diese für die romantische Gesellschaftskritik kennzeichnende Ursprungsdimension zum Ausdruck, welche die Folie für die Vergeßlichkeitsbefunde und Defizienzdiagnosen bildet.

Man mag einwenden, daß diese Interpretation dem kleinen Büchlein zuviel Gewicht zuspricht, doch nimmt sie nur den philosophischen Anspruch ernst, den Pathologiebegriff der Verdinglichung dadurch retten zu können, daß er zur Bezeichnung von Phänomenen verwendet wird, in denen eine ursprüngliche Weltzugewandtheit und zwischenmenschliche Anerkennung vergessen, verdrängt und verraten wird. Aber auch wenn man diese anerkennungstheoretische Reformulierung der Verdinglichung nicht überzeugend findet und die Heidegger-Bezüge für methodisch zu unklar hält, eines führt Honneths Untersuchung deutlich vor Augen: Ein Normativismus, der sich nur um Gerechtigkeitsfragen kümmert, ist gesellschaftskritisch unzureichend. Unterhalb der abstrakten Prinzipienebene der Gerechtigkeit gibt es viele Möglichkeiten normativen Scheiterns, deren Beschreibung die Einübung in eine ethisch gehaltvolle Selbstverständigungssprache verlangt. Humane Selbstbehauptung beginnt mit der universalistischen Moral, endet aber mit ihr noch lange nicht.

WOLFGANG KERSTING

Axel Honneth: "Verdinglichung". Eine anerkennungstheoretische Studie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 110 S., br., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.01.2006

Anerkennungsvergessenheit
Für Sozialromantiker: Axel Honneth über Verdinglichung
Zu den verständigsten Lesern des Philosophen Georg Lukács gehörte der Philosoph und Literatursoziologe Lucien Goldmann. Die klugen Bücher, die Goldmann in den vierziger bis sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts geschrieben hat, hätten auch von seinem ungarischen Landsmann stammen können, hätte Lukács nicht mit Erscheinen von „Geschichte und Klassenbewusstsein” sein transzendentales Obdach im Historischen Materialismus gesucht. Das war 1923. Die Loyalität Goldmanns blieb dennoch ungebrochen. Noch die letzte, auf Tonbandmitschnitten basierende Veröffentlichung Goldmanns feiert Lukács als geistige Schlüsselfigur der Epoche.
In seinem Spätwerk „Lukács und Heidegger” (1973/1975) versuchte Goldmann nicht nur eine Gegenüberstellung, sondern wollte auch den Nachweis der Ebenbürtigkeit und, mehr noch, der Gedankenverwandtschaft führen. Als Beispiel nennt Goldmann den Begriff der „Verdinglichung”. Heidegger habe das Konzept, das im Schlussstück von „Sein und Zeit” (1926) auftaucht, direkt aus „Geschichte und Klassenbewusstsein” genommen und wie Lukács zur Kritik zeitgenössischer Bewusstseinshaltungen verwendet. Was allerdings Heidegger gänzlich gefehlt habe, sei eine materialistische Geschichtsphilosophie, sei ein positives Bekenntnis zur Wissenschaft und vor allem eine kritische Theorie der Gesellschaft.
Dies ist die Stelle, an der jetzt Axel Honneth den Faden aufnimmt und das Problem der Verdinglichung aktualisiert. Seine soeben veröffentlichten Tanner-Lectures, die Honneth im Frühjahr 2005 in Berkeley gehalten hat, wollen die Tragfähigkeit jener „Pathologiebegriffe” überprüfen, auf deren analytisches Potential die Gesellschaftskritik seit den Tagen Rousseaus und Marx’ vertraut: Verdinglichung, Verelendung, Entfremdung. Die mit der Fragestellung evozierte Konstellation ist nicht ohne Pikanterie: Honneths Traktat erweitert das aktuelle Frankfurter Projekt einer interaktionstheoretisch begründeten Ontologie des Sozialen und wendet sich damit zugleich auf die unmittelbare Vorgeschichte des Frankfurter Instituts zurück, zu dessen Stichwortgebern Lukács seinerzeit noch gehörte.
Ein Platzhalter
Honneths Vorlesungen über Verdinglichung inszenieren diesen Rückgriff als Abschied auf Raten. Erst auf den letzten Seiten reift der Entschluss, „sich von dem soziologischen Erklärungsrahmen der Lukácsschen Verdinglichungsanalyse im ganzen zu verabschieden”. Das hätte man, der Lukács-Kritik beispielsweise Siegfried Kracauers eingedenk, auch früher haben können. Honneth möchte den „planen Materialismus” (Kracauer) von Lukács jedoch nicht nur verabschieden, er möchte ihn beerben und im Mittelpunkt dieses Interesses steht eben jenes Konzept der Verdinglichung, dem Lukács einst in der Tat klare Züge verliehen hat: In der kapitalistischen Welt, so argumentiert das zentrale Kapitel über die Verdinglichung und das Bewusstsein des Proletariats, reduziere das universalisierte Tauschprinzip ein jedes, einschließlich der Menschen und ihrer Arbeit, auf sachliche, anonyme, impersonale Beziehungen. Rettung, so Lukács, verspreche einzig die Totalität der Geschichte, als deren zeitgenössischer Agent sich das Proletariat begreifen müsse.
Wer von Verdinglichung redet, so die Parole des Jahres 1923, darf vom Tauschprinzip nicht schweigen. Honneth versucht es dennoch, indem er Arbeit kategorial durch Interaktion ersetzt und für die Übertragung des Verdinglichungskonzepts „auch auf nicht-ökonomische Sphären” wirbt. Dieser Schritt ist nicht unproblematisch. Mit seiner Entgrenzung verliert der Verdinglichungsbegriff seine Kontur, und es ist bezeichnend, wie viel Mühe Honneth hat, für das als „Einstellungssyndrom” bestimmte Konzept ein paar halbwegs überzeugende Beispiele zu finden: Verhaltensweisen bei Bewerbungsgesprächen, bei „bestimmten Dienstleistungen” und in der Praxis organisierter Partnervermittlung. Die Spärlichkeit des Materials zeigt, wie vage der Titelbegriff in Wirklichkeit bleibt. Das Buch bietet keine Pathografie der Verdinglichung, sondern begnügt sich damit, für die zentrale Größe der Anerkennung ein Gegenkonzept auszuweisen. Verdinglichung, auf diese Formel laufen Honneths Betrachtungen allesamt zu, ist „Anerkennungsvergessenheit”.
Nichts liegt der neuen Frankfurter Sozialontologie ferner als das Ringen um die negative Dialektik, mit der einmal Adorno der sozialen und kulturellen Verfasstheit der Moderne gedanklich zu Leibe rücken wollte. Mit dem Aufrücken der „Anerkennung” zum mot clé ist die Kritische Theorie positiv geworden. Vielleicht ist dieses neue Vertrauen in die Emanzipation „einer rudimentär stets gegebenen, ‚richtigen‘ Praxis” auch der Grund für die Befremdlichkeit, dass sich ein Soziologe unserer Tage auf eine Naphta-Gestalt wie Georg Lukács besinnt. An der Stelle, wo Lukács einst die Totalität der Geschichte anrief, verklärt nun Honneth die verschüttete Intaktheit des Sozialen. In der sporadischen Einvernahme durch den Autor bestätigen sämtliche Zeugen - neben Lukács und Heidegger vor allem Dewey, Cavell und sogar Adorno - mit erstaunlicher Bereitwilligkeit die Erwartung, dass allem Sozialen „ein Moment der positiven Befürwortung, der existentiellen Zugewandtheit” innewohne, das erst nachträglich in der Düsternis verdinglichter Verhältnisse Schaden nehme. Honneths eigener Hinweis auf Georg Simmel, der - wie schon Goldmann wusste - Lukács zu seinem Verdinglichungskonzept verholfen hat, kommt viel zu spät, um die auf diese Weise längst schon freigesetzte Ursprungssehnsucht einzudämmen. Verdinglichung, diese These wiederholt Honneth in immer neuen Varianten, sei die „Ersetzung einer ursprünglichen, richtigen durch eine sekundäre, falsche Einstellung”.
Selten ist dem Authentizitätsverlangen moderner Sozialromantik derart unverhohlen Ausdruck gegeben worden - nicht einmal bei dem Gründer dieses Diskurses, bei Jean-Jacques Rousseau. Die unversehrte Natur, zu der zurückgewollt zu haben man ihm bis heute nachsagt, darf jedoch, wie Rousseau selbst im zweiten Diskurs betonte, nicht ontologisch, sondern muß als Hypothese verstanden werden. Keinesfalls sei die Natur als wahrer Ursprung zu nehmen. Das, wird man sagen dürfen, war eine Klarstellung zur rechten Zeit. Vielleicht verhält es sich mit der „Anerkennung” ähnlich, und sie ist, wie Rousseaus berühmte „Natur” oder Lukács’ dubiose „Totalität”, bloß ein Platzhalter. Wir sind gespannt zu erfahren, wofür.
RALF KONERSMANN
AXEL HONNETH: Verdinglichung. Eine anerkennungstheoretische Studie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 110 Seiten, 14,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Es war an der Zeit, so der Rezensent Michael Schefczyk, den Begriff der Verdinglichung, der einmal zum Basisvokabular "kritischer Geister" gehörte, vor dem Vergessen zu retten. Und Axel Honneth, laut Rezensent der nach Jürgen Habermas wichtigste lebende Vertreter der Frankfurter Schule, tut dies in seinem Buch auf "konzentrierte" Art und Weise. Zunächst widerlege Honneth Lukaczs These, nach der der Kapitalismus dafür verantwortlich gemacht werden müsse, dass die Verdinglichung zu einer Art "zweiten Natur" des Menschen geworden sei, als nicht brauchbar, greife allerdings Lukaczs Begriff der wiederzuentdeckenden "wahren Praxis" auf, um aus ihm eine "Theorie der Anerkennung" zu entwickeln. Aus dem allseits beobachtbaren Verlust des Bewusstseins gehe ein Verlust der Anerkennnung hervor, der zur Verdinglichung führe. Leider vermeide Honneth weitgehend "Phänomenbeschreibungen" sowie Bemerkungen zu den "politischen Implikationen der Verdinglichungskritik". Doch kann, so das Fazit des angeregten Rezensenten, dieses Buch als eine "sehr gute Vorbereitungsschrift" zu einer Theorie der Verdinglichung gewertet werden.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Dieser inhaltlich dichte Band zum Phänomen der Verdinglichung gibt ... einen sehr lesenswerten Einblick in die Potentiale, aber auch möglichen Probleme einer
konkreteren Anwendung von Axel Honneths Theorie der Anerkennung.« Lukas Iwer socialnet.de 20150911