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Tad Williams und seine Fantasy-Trilogie „Shadowmarch”
Die Herrscher der Südmarksfeste und ihr Anhang sind in die Hügel gezogen, um ein seltenes Wild zu erlegen: einen Lindwurm, der aus dem geheimnisvollen Land der Elben auf menschliches Terrain vorgedrungen ist. Briony und Barrick Eddon, die Zwillingskinder des Königs, wagen sich in jugendlichem Übermut weit vor und fallen dem Untier fast zum Opfer. Viele Seiten später ist es dann Briony selbst, die gehetzt wird. Nach der blutigen Ermordung ihres älteren Bruders Kendrick, der den Thron in Abwesenheit seines Vaters verwaltet hat, sind ihr die Regierungsgeschäfte zugefallen. Vor den Klingen einer aufrührerischen Adelsfamilie muss sie in einem Kahn außer Landes fliehen, begleitet nur von Shaso, ihrem alten Waffenmeister, und einer treuen Fischerin.
In diesem ersten Teil der als Trilogie angelegten „Shadowmarch”-Saga von Tad Williams gerät eine geordnete Welt immer schneller, immer gründlicher aus den Fugen. Seit Jahrhunderten hat auf dem Kontinent Eion Frieden geherrscht. Jetzt aber hegt der machtgierige Sulepsis, der das riesige, im Süden gelegene Xand beherrscht, Eroberungspläne. Und im Norden, in unmittelbarer Nähe der Eddons, sammelt sich ein Elbenheer, das unversehens aus dem Schutz magischen Nebels hervorbricht und mit ungeheurer Kampfeswut alles brandschatzt, was sich auf seinem Weg befindet.
Was wären die Fantasy-Autoren nur ohne die Vorstellung des Armageddon! „Shadowmarch” macht da keine Ausnahme: Auch hier wird schauervoll-entzückt das drohende Ende der Welt beschworen. Zugleich aber durchbricht Tad Williams in angenehmer Weise den tradierten Manichäismus. Die vorläufig nur im Ansatz entwickelte Handlung in und um Xand präsentiert mit Sulepsis zwar eine Figur, die nach dem Ratgeber „Wie konzipiere ich einen gruseligen Schurken?” entworfen zu sein scheint. Mit den Elben ist es jedoch komplizierter.
Die Mischfarbe Grau
In einer „Kurzen Geschichte Eions”, die dem Roman vorangeschaltet ist, wird geschildert, wie die verschiedenen Wesen dort früher zusammen in Frieden lebten. Erst als die Menschen ihre unsterblichen, rätselhaften Nachbarn zu Unrecht für eine Pestepidemie verantwortlich machten, kam es zum erbitterten Zerwürfnis. Die „Zwielichtler” wurden verfolgt und erschlagen, bis sie sich schließlich in den unwirtlichen hohen Norden, hinter eine undurchdringliche „Schattengrenze” zurückzogen. Dass der Himmel über ihrem bizarren Reich in ewiges Grau gehüllt ist, hat symbolische Bedeutung: In diese Mischfarbe lässt Williams gekonnt die genreübliche Schwarzweißmalerei verfließen. Die Elben sind zwar grausame Kämpfer, und ihr Anblick kann menschliche Augen entsetzen. Das Unrecht aber, das sie verüben, antwortet auf Unrecht, das sie erlitten haben. In die hermetische Fantasy-Welt dringt so eine Ahnung von den Wirren der realen Geschichte; weniger von den Mächten des Lichts und der Finsternis wird hier erzählt als von einem Kampf einander fremder, feindlicher Kulturen.
Wie im „Herrn der Ringe” ist in „Shadowmarch” die Hauptfigur kein zweiter Conan, kein mit Muskeln bepackter Schlagetot, sondern im Gegenteil sehr schwach und verletzlich. Der Weg Brionys vom ahnungslosen Mädchen zur Herrscherin ist ein Akt der Emanzipation in einer Umwelt, die Frauen lieber am Stickrahmen sieht. Das ist vorhersehbar und erinnert an jene Jugendbücher, die es mit ihren Leserinnen pädagogisch sehr gut meinen. Aber auch dieser Aspekt besitzt eine interessante Wendung. Denn Briony erfährt ihre neue Rolle als Entfremdung, als Blick auf die Welt, der unauslöschlich von Misstrauen und Sorge geprägt ist. Williams versteht es von der Zwiespältigkeit der Macht zu erzählen, von der plötzlichen Kluft zwischen dem, der sie erlangt, und denen, die ihr unterworfen sind.
Mit der Fantasy-Lektüre ist es fast wie mit dem Verzehr von Froschschenkeln: Was den einen das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt, lässt die anderen sich mit Grausen abwenden. Wer dem Genre gänzlich abgeneigt ist, wird auch in „Shadowmarch” nur einen weiteren überflüssigen Mythen-, Märchen- und Mittelalterverschnitt erkennen wollen. Die Intelligenz und der Erfindungsreichtum von Tad Williams sind allerdings beachtlich und lassen auch einen Leser, der nicht zum eingeschworenen Fanzirkel gehört, die nächsten Bände mit Spannung erwarten. CHRISTOPH HAAS
TAD WILLIAMS: Shadowmarch. Band 1: Die Grenze. Aus dem Englischen von Cornelia Holfelder-von der Tann. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2005. 812 Seiten, 26,50 Euro.
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