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Das New Yorker Emma-Lazarus-Altersheim beherbergt eine Schar exzentrischer jüdischer Emigranten, die eines Tages beschließt, eine Hamlet-Aufführung zu inszenieren. Kleinliche Zänkereien führen immer wieder zu Verzögerungen, und die unausbleiblichen Todesfälle verlangen des öfteren neue Rollenbesetzungen. So gerät der wortgewandte Protagonist dieses Romans, Otto Korner, schließlich an die begehrte Rolle des Prinzen. Im Verlauf der Proben wird er von Erinnerungen heimgesucht: an das Europa während der Nazizeit, die Verhaftung seiner Familie, an den Tod von Angehörigen im KZ und an seine…mehr

Produktbeschreibung
Das New Yorker Emma-Lazarus-Altersheim beherbergt eine Schar exzentrischer jüdischer Emigranten, die eines Tages beschließt, eine Hamlet-Aufführung zu inszenieren. Kleinliche Zänkereien führen immer wieder zu Verzögerungen, und die unausbleiblichen Todesfälle verlangen des öfteren neue Rollenbesetzungen. So gerät der wortgewandte Protagonist dieses Romans, Otto Korner, schließlich an die begehrte Rolle des Prinzen. Im Verlauf der Proben wird er von Erinnerungen heimgesucht: an das Europa während der Nazizeit, die Verhaftung seiner Familie, an den Tod von Angehörigen im KZ und an seine Jugendliebe Magda. "... ein elegantes, bewegendes und wunderbar komponiertes Buch, ein außergewöhnliches und beneidenswert gutes Erstlingswerk", schrieb die "Times".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.1996

Hamlet im Altersheim
Alan Islers Roman einer Minderheit Von Wilhelm Kühlmann

Im Kleingedruckten ging vor kurzem durch die Presse, daß eine amerikanische Jesuitenuniversität die Kurse über Shakespeare und andere verstaubte Kulturprodukte abgesagt hat, um endlich die Errungenschaften der nichtweißen Minderheiten ins akademische Licht zu rücken. Auch Islers Roman beschäftigt sich mit den kulturellen Bedürfnissen einer Minderheit: nicht der amerikanischen Juden im allgemeinen, sondern derer, die den europäischen Holocaust überstanden und sich nun in einem New Yorker Altersheim zusammengefunden haben. Aus den mehr oder minder Pflegebedürftigen schält sich eine Gruppe heraus, die es sich in den Kopf gesetzt hat, Shakespeares Hamlet aufzuführen. Zerfall und Neubildung dieses komischen Theaterensembles, Intrigen vor und hinter den Kulissen, Eifersüchteleien und Prestigekämpfe prägen den einen Strang der Erzählung.

Er ist durchsetzt von den Erinnerungen des Erzählers Otto Korner, der sich einst Körner nannte und jene Art von Biographie mit sich ausmacht, wie sie saturierten Friedenszeiten mittlerweile exotisch erscheint. Im Munde Korners entwickelt Isler eine tragische Parabel, deren schwarzer Humor den Leser passagenweise vom Leiden des einzelnen an und in der Geschichte durchaus zu befreien weiß. Denn die Skurrilitäten des Seniorenheims werden ernst genommen. Der Leser verfolgt die Schwindeleien der alten Leute, die sich noch einmal in Pose setzen wollen. Wie man am Cerberus der Pforte ungesehen vorbeikommt, ist durchaus ein Thema, und auch jene Vielfalt der körperlichen Gebrechen wird nicht verschwiegen, die sich mit den Jahren einstellt und mancherlei Taktiken der Bewältigung erfordert.

Allerdings enthüllen manche burlesken Anekdoten und Episoden erst nach und nach ihren kompositorischen Sinn. Denn nicht nur im Hamlet-Projekt wird noch einmal europäische Kultur inszeniert. Korner gerät in Rage, weil ihm ein Brief Rilkes entwendet wird, der den jungen Dichter Korner einstmals zu ermuntern suchte. Überhaupt werden im Altersheim nach wie vor die Schlachten der Vergangenheit geschlagen, wie beispielsweise von jenem verfetteten Frauenhelden, der das Wort "Genosse" verschwörerisch genießt und die glorreichen alten und die kommenden Zeiten des Umsturzes erträumt.

So spinnen sich thematische und motivliche Fäden von einer zur anderen Erzählebene, und aus zwei Geschichten wird tatsächlich ein in seiner Bedeutungsdimension geschlossener Roman. Denn nicht nur der Marxist im Altersheim weist in seinem Gehabe zurück auf den Lebenslauf Korners, der einst in Zürich, im Cabaret Voltaire, in der Begegnung mit den Dadaisten (dort also, wo einst Lenin verkehrte) seinen zwiespältigen Höhepunkt erreichte. Korner war aufgebrochen als junger Dichter, Sorgenkind aus gutem Hause, spät zum Broterwerb bekehrt, "früh gereift und zart und traurig". Das erinnert an einen, der auch aufbrach, sich selbst zu finden.

Kein Wunder also, daß sich wohl auch über Goethes Wilhelm Meister und dessen Hamlet-Erlebnisse eine Verbindung zu den gelungenen und mißlungenen Liebesgenüssen aufbaut, die Korner damals in Zürich suchte, fand und nicht fand. Alan Isler gelingen so faszinierende literarische Spiegelungen, über die sich der Schatten des Shakespeareschen Totengräbers erhebt. Denn mit einer Dame, die das Altersheim als Doppelgängerin der längst entschwundenen Geliebten betritt, wird ein Prozeß der Besinnung in Gang gesetzt, der Korner mit dem versäumten Leben und auch der Schuld der eigenen Vergangenheit konfrontiert.

"In Bereitschaft sein ist alles" heißt das im Roman mehrfach bemühte Zitat. Es deutet "Bereitschaft" angesichts eines Todes an, der den privaten Lebensabschied ebenso einschließt wie das Ende einer Form von "Sozialisation", in der das Ich sich im Widerschein literarischer Gegenwelten fand und definierte. Nicht nur die Überlebenden des Holocaust blicken voraus auf das Grab, das imaginativ auf der Bühne geschaufelt wird. Der Shakespearesche Totengräber steht auch für jene Kultur des amerikanischen Judentums, die auf Europa fixiert war und die nun - gewiß nicht nur in den Vereinigten Staaten - entrümpelt wird. Isler klagt nicht, er zeigt an, was die Stunde geschlagen hat. Seine Stärke ist der trockene, gelegentlich sarkastische Humor, und seine Kunst versteht sich darauf, scheinbar entlegene Handlungsmomente zu Konfigurationen historischer Erkenntnis zu verknüpfen und zu verdichten.

Korners Geschichte faßt dabei zuletzt die Gewissensbisse eines Menschen in Worte, der dem Genozid entkommen ist. Der in New York gestrandete, dort immerhin dank glücklicher Heirat zu Wohlstand gekommene Erzähler verkörpert ein ganzes, verkörpert dieses Jahrhundert wie wohl nur wenige Figuren der angelsächsischen Prosa unserer Zeit. Isler legt einen Geschichts- und Gesellschaftsroman vor, indem er dessen Aufgaben in die Erzählungen eines Menschen überführt, der - zwischen Rilke und Dada - einst ein deutscher Künstler sein wollte und der nun - wie Goethes Wilhelm Meister - in Shakespeares Hamlet seine eigene Existenz im Bühnenspiel auseinanderlegt.

Dies alles ist aufregend genug, gescheit, fesselnd, bewundernswert. In London geboren, als akademischer Lehrer lange Zeit in New York lebend, präsentiert sich der auf Renaissanceliteratur spezialisierte Isler als intimer Kenner der deutschen Kultur und Literatur. In seinem Protagonisten macht er sich erfolgreich auf die Suche nach den verschollenen Schichtungen der deutschen und europäischen Kultur, wobei sich schlagartig Tiefendimensionen bis hin zur Melancholie des Uhlandschen Liedes vom "guten Kameraden" eröffnen. In der Hamlet-Figur verkörpert sich am Ende die Frage nach der Leere und nach dem potentiellen Sinn, nach der Schuld und nach den so fraglichen Entscheidungen eines schwierigen Lebens. So entdecken wir in diesem Text eine Meisterschaft der erzählerischen Polyphonie, die selbst den in ihren Bann zieht, der es vorerst vielleicht nur auf die heiteren Seiten der Geschichte und dieser Geschichte abgesehen hat.

Alan Isler: "Der Prinz der West End Avenue". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Karin Kersten. Berlin Verlag, Berlin 1996. 316 S., geb., 39,80 DM.

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