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Lenz, Georg Büchner's visionary exploration of an 18th-century playwright's descent into madness, has been called the inception of European modernist prose. Elias Canetti considered this short novella one of the decisive reading experiences of his life, and writers as various as Paul Celan, Christa Wolff, Peter Schneider, and Gert Hofmann have paid homage to it in their works. Published posthumously in 1839, Lenz provides a taut case study of three weeks in the life of schizophrenic, perhaps the first third-person text ever to be written from the "inside" of insanity. An early experiment in…mehr

Produktbeschreibung
Lenz, Georg Büchner's visionary exploration of an 18th-century playwright's descent into madness, has been called the inception of European modernist prose. Elias Canetti considered this short novella one of the decisive reading experiences of his life, and writers as various as Paul Celan, Christa Wolff, Peter Schneider, and Gert Hofmann have paid homage to it in their works. Published posthumously in 1839, Lenz provides a taut case study of three weeks in the life of schizophrenic, perhaps the first third-person text ever to be written from the "inside" of insanity. An early experiment in docufiction, Büchner's textual montage draws on the diary of J.F. Oberlin, the Alsatian pastor who briefly took care of Lenz in 1778, while also refracting Goethe's memoir of his troubled friendship with the playwright — English versions of both of these historical source texts here accompany Lenz for the first time in this bilingual presentation. Based on the best recent edition of the text, this fresh translation will allow readers to discover why Heiner Müller pronounced Lenz the inaugural example of "21st-century prose."
Autorenporträt
At his death at the age of 24 in 1837, Georg Büchner also left behind Leonce and Lena, Woyzeck, and Danton’s Death—bold, psychologically, and politically acute plays that were also well ahead of their time. His dramatic works exercised a profound influence on Brecht and Ionesco, as well as on the composer Alban Berg and the filmmaker Werner Herzog.   Richard Sieburth’s translations include Gérard de Nerval’s Selected Writings, Friedrich Hölderlin’s Hymns and Fragments, Walter Benjamin’s Moscow Diary, Henri Michaux’s Emergences/ Resurgences and Stroke by Stroke , Gérard de Nerval’s The Salt Smugglers, Michel Leiris’ Nights as Day, Days as Night, and Gershom Scholem’s The Fullness of Time: Poems. His edition of Nerval’s Selected Writings won the 2000 PEN/Book-of-the-Month-Club Translation Prize. His recent translation of Maurice Scève’s Délie was a finalist for the PEN Translation Prize and the Weidenfeld Prize.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2013

Ich verlange in allem Leben, Möglichkeit des Daseins

Und dann ist's gut: Vor zweihundert Jahren kam Georg Büchner auf die Welt. Seine Erzählung "Lenz" hat die Literatur revolutioniert

Es ist nicht da, was er sucht. Es hilft nichts, er kann weiterrasen, auf die Berge hinauf, dort oben ausruhen, in die Welt schauen bis zu den Alpen hinüber und ins Rheintal, er kann arbeiten, beten, predigen, mit der Kutsche fahren, einfach nur sitzen, eine Katze hypnotisieren, sich langweilen, weiterwandern, sich aus dem Fenster stürzen oder in den Brunnen hinein. Es hilft alles nichts. Lenz ist verloren. Die Welt ist nicht zu bezwingen, nicht zu ändern. Man kann sie nur lieben, die Landschaft, das Moos, die Felsen, die Bäume und die Menschen, man kann nur Mitleid haben mit den Menschen und mit sich selbst, freundlich sein und es aushalten, das Leben und das Grauen.

Vor etwa 180 Jahren schrieb Georg Büchner die Erzählung "Lenz", sie ist nur zwanzig Seiten lang, er ist nicht ganz fertig geworden, lose Satzenden, Arbeitsanweisungen stehen immer noch im Text herum. Er konnte sich darum jetzt nicht auch noch kümmern, er musste studieren, ein Lustspiel fertig machen, um ein Preisausschreiben zu gewinnen, den Barben die Nerven aus dem Schädel ziehen, die weitere Flucht vorbereiten, die Eltern in Darmstadt beruhigen, die Braut in Straßburg hinhalten, Victor Hugo übersetzen, sich endlich mal richtig langweilen und wandern vor allem, immer wieder wandern. Der "Lenz" ist doch fertig, so wie er ist, fertig genug, es ist alles gesagt darin, das muss doch reichen, das Leben geht weiter, wer weiß wie lange noch.

Vor zweihundert Jahren ist Georg Büchner auf die Welt gekommen, vor 176 Jahren hat er sie wieder verlassen. Als seine Mutter in den Wehen lag, kämpften die Truppen seiner Vaterstadt Darmstadt in der später so genannten Völkerschlacht an der Seite Napoleons, als Georg endlich auf der Welt war, war Napoleon besiegt, und die Darmstädter Truppen hatten die Seiten gewechselt und jagten die eben noch Verbündeten zurück über alle Grenzen bis nach Paris. Als Untertan eines bis zur Lächerlichkeit opportunistischen Herrscherhauses wurde Georg Büchner ein ironisches Verhältnis zur Macht und zur Geschichte und zum Leben als eine Art Zwangsbeigabe sozusagen in die Wiege gelegt. Als er zwanzig Jahre alt war, schrieb er an seine Eltern: "Man nennt mich einen Spötter. Es ist wahr, ich lache oft, aber ich lache nicht darüber, wie Jemand ein Mensch, sondern nur darüber, daß er ein Mensch ist, wofür er ohnehin nichts kann, und lache dabei über mich selbst, der ich sein Schicksal teile. Die Leute nennen das Spott, sie vertragen es nicht, daß man sich als Narr produziert und sie duzt; sie sind Verächter, Spötter und Hochmütige, weil sie die Narrheit nur außer sich suchen."

Georg Büchner hat die Narrheit immer in sich selbst gesucht. Man kann sagen: Er war umgeben von ihr, von Beginn an. In Goddelau bei Darmstadt, wo er die ersten Jahre seines Lebens verbrachte, hallten bei starkem Wind die Schreie der fixierten Wahnsinnigen aus der nahe gelegenen Irrenanstalt hinüber in sein Elternhaus, hinüber zu ihm. Als er die Geschichte des Dichters Lenz aufschreibt, der in den Vogesen den Verstand verliert, ist er 21 Jahre alt, wird zu Hause per Steckbrief gesucht und lebt in Straßburg im Exil. Zwei Jahre vorher hatte er in einem Brief an seine Eltern geschrieben: "Meine Meinung ist die: Wenn in unserer Zeit etwas helfen soll, so ist es Gewalt." Dann schrieb er einen Revolutionsaufruf, der zu einer Verhaftungswelle unter seinen politischen Freunden führte, schrieb "Dantons Tod", das größte Revolutionsdrama deutscher Sprache, verlor über dem Schreiben dieses Stückes alle Hoffnung auf die Veränderbarkeit der Welt und schrieb an seine Braut: "Ich studierte die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich."

Ein Jahr später schrieb er den "Lenz". Dieses kleine Buch, in dem sich keiner wirklich auskennt, das man immer wieder lesen kann, und es ist jedes Mal ein anderes Buch geworden, das Buch, das im Wettbewerbsverhältnis Primärtextmenge im Vergleich zu Sekundärtextmenge vermutlich Weltrekordhalter ist, das Buch, in dem sich offenbar Belege für die unterschiedlichsten Weltanschauungen des Autors finden. Lenz eben. Büchners "Lenz".

Ein Mann auf der Suche nach einem Halt in der Welt, den er verloren hat und von dem er ahnt, dass er ihn nicht wiederfinden wird, aber er muss ja laufen, leben, suchen: "Es drängte in ihm, er suchte nach etwas, wie nach verlornen Träumen, aber er fand nichts. Es war ihm alles so klein, so nahe, so naß, er hätte die Welt hinter den Ofen setzen mögen." Er ist zu klein, er ist zu groß, er ist wie Gott oder wie ein Staubkorn, er ist einsam, in ihm ist nichts oder die ganze Welt. Er atmet tief ein, und schon sind die Berge in ihm und das All, er ist rettungslos verloren, als er endlich seinen Retter trifft, Oberlin, den Pfarrer. Der lacht erst mal, als er hört, der Rasende hier ist ein Dichter: "Ha, ha, ha, ist er nicht gedruckt?" Lenz muss es zugeben, bittet aber darum, ihn "nicht darnach zu beurteilen". Denn das alles liegt hinter ihm. Das alles hat ihn in diesen Geisteszustand geführt, in dem er jetzt hier, im Steintal in den Vogesen, steht und zittert. Es folgt die Rettung, scheinbar, das praktische Leben, beten, das Mitleid der Menschen mit ihm, mit allen und vor allem die Natur. Das totale Glück, in der Natur zu sein, im Wald, immer wieder auf Gipfeln mit großem Blick ringsumher. Es gibt kein zweites Buch der Weltliteratur, in der die Natur so überwältigend beschrieben wird wie hier im "Lenz". Man kann das ja alles nachwandern heute noch und immer schon, und viele haben das auch gemacht, aber das Naturgefühl ist hier im Buch so intensiv und sehnsuchtsvoll und bedrohlich und tief real, es lässt sich nicht wirklich nachwandern. Das ist nur hier im Buch, auf diesen Seiten. Büchner war abhängig von der Natur und von Bergen wie andere von Drogen. Sein Fatalismusbrief, den er im verhassten Gießen schreibt, beginnt so: "Hier ist kein Berg, wo die Aussicht frei sei. Hügel hinter Hügel und breite Täler, eine hohe Mittelmäßigkeit in Allem", um dann die ganze Hoffnungslosigkeit der Welt zu beschreiben, die Aussichtslosigkeit. Aussicht, Berge, Wälder, freier Blick ins überall war ihm eine Lebensnotwendigkeit. Georg Büchner hat die Natur geliebt mit jeder Faser. Und zwar als Natur und nicht als Bild für irgendwas. Wie er schon als Junge eines Abends, ans Darmstädter Jägertor gelehnt, mit roten Wangen einem Freund erklärte, "den ganzen Tag am Herzen der Geliebten" verbracht zu haben und dem Staunenden dann erklärend hinzufügte, er meine natürlich keine Frau, sondern die Fasanerie, den Einsiedel, die Wälder, das Moos.

Büchners sonst so großartiger Biograph Hermann Kurzke deutet dies Zitat leider um und phantasiert seinerseits von einem "Mädchen" und "ihre Schenkel schmusten miteinander bei jedem Schritt". Biographen-Schmuh. Und auch in den "Lenz" geheimnist Kurzke als geheimes Zentrum eine heimliche Geliebte hinein. Wofür sich in der Erzählung ungefähr gar kein Hinweis findet, außer den Minimal-Hinweisen auf Friederike Brion, die abgelegte Geliebte Goethes, die Lenz verehrte. Die aber in Büchners "Lenz" fast keine Rolle spielt.

Sondern die Frage, wie das Leben auszuhalten ist, wie man wieder Zutrauen finden kann zu sich selbst und zu der Welt, wenn man es einmal verloren hat. An was man glauben kann, nachdem man den alten Glauben verloren hat. Den alten Glauben an Gott oder an die Revolution oder an die Literatur. Und wie man also einfach lebt, in der Natur, mithilfe der Natur, vereint mit ihr und sie ausdrückt, sie nachbildet und sich damit einen Halt verschafft, als Schöpfer der Welt in der Welt.

Das ist das ästhetische Programm Georg Büchners, das er seinem Lenz mitgibt. Und neben tausend anderen Wunderdingen, die die Erzählung "Lenz" ausmachen, ist dies vielleicht das Irrste: dass hier ein Dichter erstens seine Ästhetik in wenigen Zeilen offenlegt, sie daraufhin, zweitens, erzählerisch demonstriert, um sie am Ende, drittens, als gescheitert darzustellen und zurückzunehmen. Das alles auf zwanzig Seiten. Seine Ästhetik: "Der liebe Gott hat die Welt wohl gemacht wie sie sein soll, und wir können wohl nicht was Besseres klecksen, unser einziges Bestreben soll sein, ihm ein wenig nachzuschaffen. Ich verlange in allem Leben, Möglichkeit des Daseins, und dann ist's gut; wir haben dann nicht zu fragen, ob es schön, ob es häßlich ist, das Gefühl, daß Was geschaffen sei, Leben habe, stehe über diesen Beiden, und sei das einzige Kriterium in Kunstsachen." Büchners Kunstformel, er hatte sie fast wörtlich so in einem Brief an seine Eltern aufgeschrieben. Kampfformel gegen Schiller und alle Erziehungsdichter. (Und, nebenbei: Rechtfertigung gegenüber den erschrockenen Eltern, für so viel Gewalt und Geschlechtlichkeit im "Danton".) Die Ausarbeitung dieser Formel hat er mit dem "Lenz" in Vollendung vollbracht. Mit der hyperrealen Lebendigkeit der Natur, des Pfarrers Oberlin und des wahnsinnigen Lenz. Büchner war eben das Gegenteil eines Behauptungskünstlers. Er lässt seinen Danton fordern: "Wir müßten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren", und zerrt daraufhin als Forscher aus den Hirnfasern des Menschen heraus, was herauszuzerren ist.

Und dann im "Lenz", der Zusammenbruch. Von Lenz, von seiner Welt und dem Einverstandensein des Künstlers mit der von Gott geschaffenen Welt. Ein Kind stirbt, in Fouday, Lenz hatte es noch lebend gesehen, jetzt ist es tot und liegt im Hemd auf Stroh auf einem Holztisch. Der verzweifelte Lenz will Gott korrigieren: "Stehe auf und wandle!" Doch es wandelt nicht, das Kind bleibt tot, die Welt ist, wie sie ist, jemand hat es so gewollt, und das Welt-Einverständnis, das Schreibgesetz von Lenz: "Wir können wohl nicht was Besseres klecksen" - hier kann es nicht, hier darf es so nicht sein. Lenz rebelliert gegen Gott, gegen eine Welt, in der das möglich ist. Es ist womöglich doch falsch, nur die Welt abzuschreiben als Künstler, man muss sie umschreiben, muss sie anders schreiben, aus Mitleid, aus Liebe, aus Verzweiflung. Und wenn das nicht möglich ist, ist alles umsonst. Die Landschaft, die eben noch weit war und unendlich, beängstigt ihn jetzt, "sie war so eng, dass er an Alles zu stoßen fürchtete". Er ist ja nur Künstler und nicht Gott, es ist so wenig, was man schaffen kann. Und ändern kann man nichts. Sein Traum: "Aber ich, wär' ich allmächtig, sehen Sie, wenn ich so wäre, und ich könnte das Leiden nicht ertragen, ich würde retten, retten, ich will ja nichts als Ruhe, Ruhe, nur ein wenig Ruhe und schlafen können."

Georg Büchner fliegt in seinem "Lenz" so schnell und hell wie nirgends sonst. Sein ganzes Leben ist darin: Empörung, Revolution, neue Welt, Einverstandensein, die schöne Welt, die Berge, Gott, kein Gott, Resignation, Wandern, Weiterleben, irgendwie. "So lebte er hin", so hört es auf. Im Fatalismusbrief hatte er geschrieben: "Ich bin ein Automat; die Seele ist mir genommen." Und verwandelte sich in diesen Lenz, in den Wahnsinnigen in den Vogesen.

Was am Ende bleibt ist Tapferkeit, ist Weiterleben, ist die Kunst des Mitleidens vor allen anderen Künsten. Kunst als Liebe und das Wissen darum, dass auf der Welt eines nur noch wichtiger ist, als ein guter Dichter zu sein: ein guter Mensch zu sein. Keinen Menschen zu verachten, im Gegenteil: all jene mit ganzem Herzen zu hassen, die meinen, dass sie andere verachten dürften. Das ist die "Lenz"-Botschaft: "Man muß die Menschheit lieben, um in das eigentümliche Wesen jedes einzudringen, es darf keiner zu gering, keiner zu häßlich sein, erst dann kann man sie verstehen."

VOLKER WEIDERMANN

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