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Vierundsechzigjährig und längst berühmt, begibt sich Maugham (1874-1965) auf die Suche nach dem eigenen Standort. Er versucht, über die Themen seiner Romane und Erzählungen der eigenen Biographie und Gedankenwelt auf die Spur zu kommen.

Produktbeschreibung
Vierundsechzigjährig und längst berühmt, begibt sich Maugham (1874-1965) auf die Suche nach dem eigenen Standort. Er versucht, über die Themen seiner Romane und Erzählungen der eigenen Biographie und Gedankenwelt auf die Spur zu kommen.
Autorenporträt
W. Somerset Maugham, geboren 1874, war früh von der Literatur angezogen. Er studierte zunächst Medizin, übte den Arztberuf aber nicht aus. Als Bühnenautor hatte er bald großen Erfolg, seinen literarischen Ruhm erlangte er jedoch als Romancier und Geschichtenerzähler. Zeitweise war er als britischer Geheimagent tätig. Er bereiste zahlreiche Länder, vor allem im Fernen Osten, dem Schauplatz vieler seiner Erzählungen, und starb 1965 in Cap Ferrat an der französischen Riviera.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.1997

Die Bilanz
Somerset Maugham zieht einen Strich · Von Martin Mosebach

Bei den großen Pianisten erstellen die Kenner gern regelrechte Genealogien; man spricht dann etwa von einem "Enkelschüler" des Franz Liszt. Auch in der Literatur lassen sich gelegentlich solche Erbfolgen nachzeichnen. So ist das Lehrer-Schüler-Verhältnis von Flaubert und Guy de Maupassant ausführlich belegt. Die Arbeit am Stil, die für Flaubert bei seinen eigenen Werken zu einem an Selbstzerstörung grenzenden Wahn geworden war, gelang mühelos bei der Korrektur der Versuche des Jüngeren - die drohende Wolke, die als Forderung nach stilistischer Reinheit das Schaffen Flauberts so häufig verdüsterte, verzog sich im Umgang mit den fremden Texten und gab den Blick auf ein paar wasserklare Regeln frei. So wie die Flaubertschen Qualen einen Überdruck erzeugt haben wie in einer Champagnerflasche, löste das akribische Studium der Erzählungen Maupassants bei Georges Simenon und Somerset Maugham schöpferische Explosionen aus - die ,Enkelschüler" wurden, was dem Meister zwei Generationen zuvor versagt geblieben war, zu schier unermüdbaren Vielschreibern von blühender Kraft und Frische bis ins Alter hinein. Beide Schriftsteller waren sich bewußt, als "Schüler" das Schreiben, was hier vor allem das Erzählen von Geschichten bedeutete, nach den Regeln einer Handwerkskunst erlernt zu haben; zu den Formexperimenten und den philosophischen Anstrengungen ihrer schreibenden Zeitgenossen hielten sie strikt Distanz, und sie wurden dafür mit Erfolgen von kaum vorstellbarem Ausmaß belohnt - Maugham hat mehr Leser gefunden als Dickens -, die nur durch eine gewisse Geringschätzung ihres künstlerischen Gewichts getrübt worden sind. Simenons Rang ist inzwischen unumstritten, Maugham hingegen zeltet noch auf bequem breitem Terrain, aber doch deutlich unterhalb des Parnaß-Gipfels.

Mit vierundsechzig Jahren schrieb Somerset Maugham, reich und berühmt und in der Laune, einmal innezuhalten und zurückzublicken, einen seiner wenigen Essays, eine Betrachtung seiner Lebensarbeit und der Grundsätze, die ihn dabei geleitet hatten. Er nannte den Text "The Summing-up" - "Die Zusammenfassung" oder vielleicht auch: "Die Bilanz". Der Titel ist genau richtig gewählt, denn wie bei Bilanzen eben das Ergebnis zusammengerechnet unterm Strich erscheint, so teilt uns Maugham hier so wenig Konkretes und Anschauliches wie möglich mit, um zu dem zu gelangen, was ihm in seinem Leben wichtig und bedenkenswert erschienen ist. Der deutsche Titel "Die halbe Wahrheit - Keine Autobiographie" zielt an dem Vorhaben Maughams weit vorbei.

"Ich habe kein Bedürfnis, mein Innerstes zu offenbaren . . . Es gibt Dinge, die ich für mich behalten möchte. Niemand wird die ganze Wahrheit über sich erzählen . . ." Mit diesen Worten kündigt Maugham keineswegs an, seinen Lesern die "halbe Wahrheit" über sich darzulegen, sondern er begründet auf diese Weise, daß Autobiographien grundsätzlich zum Scheitern verurteilt seien und daß er, um eben nicht bei "halben Wahrheiten" stehenzubleiben, deshalb auch keine schreiben wird. Immer wieder schildert er das Phänomen, daß der Mensch keinen wirklichen Blick für die Eigentümlichkeiten seiner Natur besitze: "Es gibt Menschen, die ihre guten Handlungen kaum wahrnehmen, von den schlechten aber gepeinigt werden. Das ist der Typus, der am ehesten über sich schreibt." Er hingegen habe sein Leben in seinen Romanfiguren ausgebreitet. Ganz nebenbei hat Maugham mit dieser Bemerkung eine neuartige Begründung zur Berechtigung des Romans als Kunstform geliefert. Nur im Roman kann ein authentisches Selbstbildnis des Autors gelingen, weil er nur im Roman den verzerrenden Blick von sich abgewandt hat, um sich desto vollständiger, weil absichtslos und unbewußt, in den eigenen Kreaturen zu spiegeln. Die ganze Wahrheit über den Autor blüht im toten Winkel seiner Wahrnehmung. Was ihm im eifrigen Geschäft des Erzählens unterläuft, enthält die Goldkörnchen der Wirklichkeit, zu deren Gewinnung aber die Deiche einer schlammigen Flut erst geöffnet werden müssen.

Für jeden, der sich für die Entstehung von Literatur und für Fragen des Stils interessiert, sind die Ausführungen Maughams zum Schreiben und insbesondere zum Verfassen von Theaterstücken und Romanen lehrreich und anregend. Der den angelsächsischen Literaturbetrieb mit seiner bereits im vorigen Jahrhundert fortgeschrittenen kommerziellen Verwertung neidisch oder verächtlich betrachtende deutsche Schriftsteller kann hier studieren, was es heißt, von der ersten Zeile an für einen Markt zu produzieren, der bestimmte Literaturformen begünstigt und einen gleichsam kollektiven Stil hervorbringt. Maughams Blick auf das Publikum, vor allem auch auf das Theaterpublikum, ist scharf und muß es sein, denn er sieht das einzige Lebensrecht eines dramatischen Autors in seiner Fähigkeit begründet, das Publikum zu unterhalten. Die auch in der aktuellen Theaterkritik oft genug getroffene Feststellung, "die Komödie sei an gewissen Stellen zur Posse verkommen", hält Maugham für den vollendeten Ausdruck dramatischer Inkompetenz: die Posse sei das Wesen der Komödie; eine Komödie, die im Publikum nicht das possenhafte Lachen um des Lachens willen erzeuge, habe ihr Ziel verfehlt.

Jede Anforderung an das Publikum, die Bildung, Kenntnisse und Hingabe betrifft, hält Maugham, der selbst unermüdlicher Leser war und bei der Lektüre des Goetheschen Faust ein einzigartiges Glück empfunden zu haben gesteht, für arrogant und strafwürdig - was einer kleinen Verkäuferin nicht zu gefallen imstande sei, besitze keinerlei künstlerischen Wert. Der strenge Ton verrät hier nicht nur den traditionell sozial empfindenden Tory mit seiner herrenhaften Fürsorge für die "kleinen Leute", sondern auch eine vielleicht doch tiefer sitzende Gereiztheit gegenüber einer Kritik, die dem Erfolgsverwöhnten die Lorbeeren des klassischen Schriftstellers bisher verweigerte.

Wenn man diesen leise verdrossenen Tonfall in den immer unterhaltenden Ausführungen entdeckt hat, wird man ihn nicht mehr wirklich los, er bleibt im Ohr. Kaum ein Buch habe er je ein zweites Mal in die Hand genommen, bekennt dieser leidenschaftliche Leser und tadelt Leute, die mehrmals dasselbe Buch lesen, für diese "harmlose, aber unintelligente Beschäftigung". Es ist Maugham offensichtlich niemals geglückt, von der Lektüre eines Werkes überwältigt zu werden, es nicht mehr loslassen zu können, es zu lieben. Könnte man ihm, dem glänzenden Aphoristiker - "The Summing-up" ist reich an brillanten Aussprüchen -, nicht entgegenhalten, ein Buch, das nicht verdient, zum zweiten Mal gelesen zu werden, sei auch die erste Lektüre nicht wert?

In Maughams Doktrin des mühelosen Vergnügens mischt sich Trotz: Alle Genüsse, alle, auch die kostspieligsten Freuden will er sich gestattet haben, ins Leben will er sich hineingestürzt haben - hier wird ein überraschend vitalistischer Zungenschlag hörbar. Die Liebe habe er ausgekostet - und dennoch sei ihm niemals das Geschenk zuteil geworden, wiedergeliebt zu werden. Bemerkte der große Psychologe, der diese Klage keineswegs jammernd, sondern kühl und abweisend formuliert, hier nicht, welche Folgerung er dem Leser nahelegt? Für den deutschen Leser, der mit der Erbanfälligkeit für den Expressionismus behaftet ist, gleichen die Maughamschen Grundsätze jedenfalls heilsamen, gewiß aber anregenden Güssen aus der Kaltwasserheilanstalt.

"Kunst ist dazu da, sich die Zeit zu vertreiben" - aber wie unheimlich ist der Mensch, von einem metaphysischen Standpunkt aus betrachtet, der dabei ist, sich die Zeit zu vertreiben! Dieser Standpunkt war Maugham nicht fremd. Im langen Ausklang seiner "Bilanz" - schwingt in diesem Wort nicht auch schon eine böse Ahnung von "Bilanzselbstmord" mit? - legt er Zeugnis ab von seiner quälenden Suche nach religiöser und philosophischer Orientierung. Er schildert, wie er, der Abkömmling eines streng anglikanischen Milieus, den Glauben verlor - Gott hatte sein Flehen, ihn vom Stottern zu befreien, nicht erhört. Er weiht uns in die Überlegung ein, daß es nicht gentlemanlike sei, etwas zu loben, und daß deshalb - der doch gar nicht vorhandene - Gott nicht so wenig Gentleman sein könne, um am Lob seiner Gläubigen Freude zu finden. Er schildert seine systematischen philosophischen Studien - in Heidelberg bei Kuno Fischer. Er legt dar, daß die indische Religion mit ihrer Lehre von der Wiedergeburt das Problem des Leides in der Welt plausibler bewältigt als das Christentum, ohne indessen Hindu sein zu wollen. Und er trägt schließlich seine in lebenslangem Forschen gewonnene Privatreligion vor: Es gibt keinen Gott, alles ist sinnlos, aber es gibt das Gute, das dem determinierten Menschen die Freiheit schenkt.

Mit Glaubensüberzeugungen ist es wie mit Todesanzeigen: die individuell formulierten verbreiten beim Publikum oft leise Verlegenheit. Hätte es Maugham nicht besser gestanden, wenn er vom glühenden Anglikaner seiner Jugendjahre einfach zu einem weniger glühenden Anglikaner geworden wäre? Sein Instinkt leitete ihn richtig, als er der essayistischen Form für sich selbst mißtraute - einer seiner Romanfiguren hätte man solche Religionsbekenntnisse womöglich mit Vergnügen abgenommen.

W. S. Maugham: "Die halbe Wahrheit". Keine Autobiographie. Aus dem Englischen übersetzt von Matthias Fienbork. Diogenes Verlag, Zürich 1997. 311 S., geb., 44,- DM.

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