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Produktdetails
Trackliste
LP 1
1A1: The mark (Interlude)00:01:36
2A2: Bad kingdom00:04:22
3A3: Versions00:05:10
4B1: Let in the light00:04:15
5B2: Milk00:10:04
LP 2
1C1: Therapy00:05:45
2C2: Gita00:04:22
3C3: Clouded (Interlude)00:01:33
4D1: Ilona00:05:03
5D2: Damage done00:05:26
6D3: This time00:05:45
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2013

Da siehst du, was du angerichtet hast
Mit dem Bass unter einem Dach: Das Elektronik-Trio Moderat verabreicht Ohrfeigen von klanglicher Wucht

Wenn es eine deutsche Stadt gibt, die beinahe jeder mit elektronischer Musik verbindet, dann ist es Berlin. Die blühende Clublandschaft und der Einfluss auf Entwicklungen im Bereich des Techno haben der Hauptstadt schon vor Jahren international einen guten Ruf eingebracht. Auch wenn dieser etwas an Glanz verloren hat, werden in Berlin noch immer neue Wege und Straßen aus ungehörten Beats und elektronischen Sounds gepflastert. Auf diesen Pfaden wandeln Moderat, die mit ihrem nun erschienenen zweiten Album "II" problemlos an die Qualität ihres Debütalbums anknüpfen.

Moderat ist die (auch buchstäbliche) Fusion aus den Berliner Elektro-Größen Modeselektor auf der einen und Apparat auf der anderen Seite. Es ist die Symbiose von treibend harten, beatlastigen Rhythmen und einer geschmeidig fragilen Klang- und Singkunst. Auch wenn sich das Duo von Modeselektor (Gernot Bronsert, Sebastian Szary) und der Einzelgänger Apparat (Sascha Ring) bereits 2002 zum ersten Mal gemeinsam im Studio einfanden, ließ das großartige erste Album des Gemeinschaftsprojekts bis 2009 auf sich warten. In den Jahren davor waren sowohl Modeselektor als auch Apparat unabhängig voneinander einem breiten Publikum bekannt und lieb geworden.

Gleichsam dialektisch zur Synthese verschränkt, leben Moderat von der Gegensätzlichkeit ihrer Teile. Modeselektor, zumeist im Klangsattel stampfender Beats und ozeantiefer Bässe sitzend, dabei ein Lasso aus Synthesizerloops schwingend, preschen auch mal im Galopp durch ihre Songs - in die Köpfe und Füße der Clubgänger. Ihr Klang ist definiert, hart, tief, stark. Das Duo besitzt mittlerweile zwei Plattenlabels und genießt seit dem 2005 veröffentlichten Debüt große Aufmerksamkeit, die auch zur Zusammenarbeit mit Thom Yorke führte.

Apparat hingegen schreitet langsam durch die akustische Flora und Fauna seiner oft hallgefüllten Lieder, macht gegebenenfalls Halt, um bei besonders schönen Klanggewächsen aus eisernen Melodien zu verweilen und die Harmonieverläufe des Sonnenuntergangs am Horizont zu genießen, während im Himmel darüber seine silberne Stimme gemächlich in Cirruswolken vorüberzieht. Man hört Schemenhaftes, Sanftes, weit Ausgreifendes, Zerbrechliches. Bereits seit einiger Zeit mit Liveband im Rücken, untermalte Apparat Sebastian Hartmanns Inszenierung von "Krieg und Frieden" bei den Ruhrfestspielen 2012. Und auch im bildgewaltigen Snowboardfilm "The Art of Flight" sind einige Szenen mit Sascha Rings Klängen überbaut. So unterschiedlich diese beiden Spielarten elektronischer Musik sind, so perfekt verschmelzen sie nun auf "II" miteinander, ohne dabei an Intensität oder Individualität zu verlieren, zum typischen Moderat-Erlebnis. Die Fusion der Apparat- und der Modeselektor-Klänge ist gleichsam ein Katalysator symbiotischer Effekte, welche die Eigenheiten der beiden musikalischen Gegenparte der Gruppe gerade in ihrer Synthese aufscheinen lassen. So erforschen Moderat neue Räume sämtlicher Schubladen der elektronischen Musik im Allgemeinen, der IDM, des House.

Gleich nach dem Intro wird der Hörer mit "Bad Kingdom" von klanglicher Wucht geohrfeigt. Samtener Bass in Infraschallnähe bläst schlagartig alle Leere aus dem Raum, fräst sich wabernd durch die Hirnrinde und höhlt den Brustkorb gänzlich aus. In den so geschaffenen Platz fügt sich im Refrain nach erstem Schock mild die beruhigende Stimme Sascha Rings: "This is not what you wanted. Not what you had in mind", um danach das Feld wieder den überwältigenden Sounds und Beats zu überlassen. Immer wieder hat man auf "II" nach dem Durchschreiten solch hochenergetischer Klangfelder zärtlicher Gewalt Gelegenheit, bei sanfteren instrumentalen Titeln wie zum Beispiel "Milk" wieder zu Kräften zu kommen. Nie jedoch entweicht der Drang, die treibenden Rhythmen in Bodendielen geradezu hineinzutanzen.

Mit Titeln wie "Therapy" gelingt dem Trio zudem immer wieder der Abstieg in emotionale Tiefen und melancholische Weiten, wo im Dunkel Bilder langsam vorbeigleitender illuminierter Großstädte auftauchen und in einsamen schwarzen Wäldern wieder vergehen. Es sind akustische Erlebnisse, die gleichzeitig verstören und beruhigen, anziehen und abstoßen, komplex und simpel, traurig und schön, Stadt und Natur, Licht und Dunkelheit. Gegen Ende streift "Damage Done" wieder durch weit sich öffnende Gefilde, in denen Sascha Rings Stimme in der Leere des Raums einsam zu den Worten "I see the damage I've done" kondensiert. Ein Album, das ebenso sehr Bild wie Klang ist.

Diese elektronische Musik ist jedenfalls mehr als eine bloße Tanzgrundlage. In dem stets ausgewogenen, unbestimmt definierten Sound vereinen sich stählerne Beats und zerbrechlicher Gesang, satte Bässe und filigrane elektronische Klänge zu zart-starken, aggressiv-beruhigenden, kristallin-öligen, homogenen Kompositionen. Moderat werden insofern ihrem Namen gerecht, als sie das maßvolle Gleichgewicht zwischen zwei Klangextremen verkörpern, dessen Energie sich aus dem Spannungsfeld zwischen den beiden musikalischen Polen speist. Vergleiche, die ihre Alben lediglich mit Berlin oder Großstädten assoziieren, greifen da zu kurz. Denn "II" ist gerade deswegen so berauschend, weil diese Musik zu groß ist für einschränkende Begriffe.

JONAS HESS

Moderat, II

Monkeytown Records 817231011206 (Rough Trade)

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