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Surab, glücklicher Vater und weniger glücklicher Hausmann - er hat seine Arbeit verloren -, bekommt einen neuen Nachbarn. Gelangweilt beginnt er, den auffälligen jungen Mann mit dem roten Alfa Romeo zu beobachten - und gerät schnell in den Bann des fremden Lebens. Bald weiß Surab immer mehr über den anderen, auch über die Besuche seines Liebhabers, eines hohen Beamten. Doch dann beobachtet er einen furchtbaren Streit mit furchtbaren Folgen - und sieht seine Chance, wieder für seine Familie sorgen zu können. In all dem bemerkt er nicht, dass seine Frau Tina sich in eine Amour fou gestürzt hat;…mehr

Produktbeschreibung
Surab, glücklicher Vater und weniger glücklicher Hausmann - er hat seine Arbeit verloren -, bekommt einen neuen Nachbarn. Gelangweilt beginnt er, den auffälligen jungen Mann mit dem roten Alfa Romeo zu beobachten - und gerät schnell in den Bann des fremden Lebens. Bald weiß Surab immer mehr über den anderen, auch über die Besuche seines Liebhabers, eines hohen Beamten. Doch dann beobachtet er einen furchtbaren Streit mit furchtbaren Folgen - und sieht seine Chance, wieder für seine Familie sorgen zu können. In all dem bemerkt er nicht, dass seine Frau Tina sich in eine Amour fou gestürzt hat; und nun flieht Tina aus ihrer Ehe, in das von Hitze und Aufruhr aufgepeitschte Tiflis - es ist der Sommer 2012, in dem der Milliardär Iwanischwili an die Macht kommt.
Fünf Menschen suchen ihr Glück und setzen alles aufs Spiel, was sie haben - auch wegen der unversöhnlichen Ansprüche einer Gesellschaft, in der Vergangenheit und Zukunft sich feindlich gegenüberstehen. Zwischen Patricia Highsmith und Hitchcocks "Fenster zum Hof": Ein herausragender Roman, der das vielschichtige Bild eines Landes zwischen Tabu und Tradition zeichnet, spannungsreich und literarisch raffiniert.
Autorenporträt
Gabunia, DavitDavit Gabunia, geboren 1982, ist als Autor und Kritiker eine herausragende Stimme der Literatur Georgiens. Er übersetzte u.a. Shakespeare, Strindberg und "Harry Potter", schrieb eine TV-Serie und gilt als wichtigster jüngerer Dramatiker, bereits mehrfach wurde er mit den bedeutendsten Theaterpreisen des Landes ausgezeichnet. Gabunias lang erwarteter erster Roman machte in Georgien Furore, Presse und Publikum waren begeistert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2018

Zimmer mit Aussicht auf einen Umsturz

Davit Gabunias Roman "Farben der Nacht" erzählt davon, wie der Machtwechsel 2012 in Tiflis die persönliche und politische Welt der Georgier auf den Kopf gestellt hat.

Als Surab, einunddreißig Jahre alt und schon länger arbeitslos, endlich die Zusage für einen Job hat, einen guten sogar, einen im georgischen Sicherheitsministerium, will er die frohe Nachricht mit seiner Frau Tina teilen. Die aber ist plötzlich verschwunden, und Surab, der sich den Weg durch die Menschenmenge bahnt, die in Tiflis gegen die Regierung demonstriert, findet Tina weder in ihrem Büro in der Innenstadt noch bei Verwandten oder Freunden. Auch die Polizei hilft ihm nicht weiter: "Jetzt, wo das ganze Land in die Luft zu fliegen droht", sagt man ihm, habe niemand Zeit für Surabs "kleine Sorgen".

Davit Gabunias Roman "Farben der Nacht", der im vergangenen Jahr im georgischen Original erschienen ist und jetzt auf Deutsch vorliegt, spielt in der Zeit zwischen dem 18. August und dem 22. September 2012, die Georgien zwar nicht explodieren ließ, aber schließlich in eine Parlamentswahl mündete, die einen fundamentalen Machtwechsel hervorbrachte. Schauplatz des Romans aber ist nicht die große Bühne der Politik, sondern fast ausschließlich eine Wohnung, von deren Balkon aus Surab in den Hof einer trostlosen Anlage blickt und die Zeit totschlägt. Dann zieht im Haus gegenüber ein neuer Mieter ein, der nicht nur wegen seines knallroten Alfa Romeos, den er im Hof parkt, auf Surab wie ein Paradiesvogel wirkt. Von nun an beobachtet Surab den Nachbarn, dessen dünne Gardine das Geschehen in der Wohnung nur unzureichend verbirgt. Er registriert, wie jener Schotiko regelmäßig den Besuch eines älteren Liebhabers empfängt, wenn alle Welt schläft - bis auf Surab, der eigens wach bleibt. "Was interessiert mich das alles, warum starre ich hinüber?", fragt er sich anfangs noch mit einigem Recht, nur um wenig später einen Feldstecher für die bessere Sicht der Details zu vermissen. Und einige Zeit später seufzt er: "Was könnte ich alles zu hören bekommen, wenn ich ein Abhörgerät in ihrer Wohnung hätte." Schließlich nimmt er sich heimlich die Kamera seiner Frau, zoomt sich an das Geschehen heran und schießt hunderte Fotos.

Natürlich liegt der Vergleich zu Hitchcocks "Das Fenster zum Hof" nahe, und der Autor Davit Gabunia, einer der bekanntesten Dramatiker und Literaturkritiker Georgiens, spielt durchaus mit der Erinnerung an den Filmklassiker von 1954. Nur dass sein Surab, anders als Hitchcocks nach einem Beinbruch auf den Rollstuhl angewiesener Fotograf, eigentlich in der Wohnung und mit den beiden Kindern genug zu tun hätte, schließlich war das die Abmachung, die seine Frau und er miteinander getroffen hatten, als sein Betrieb geschlossen worden war: "Tina meinte, kein Problem, dann schaust du erst mal nach den Kindern, und ich geh arbeiten." Natürlich wird das dann doch zum Problem, offensichtlich für Surab und etwas weniger offensichtlich für Tina. Surab wird bequem, nimmt, wie er einräumt, "ein bisschen" zu, verbringt mehr Zeit auf dem Sofa und vor dem Fernseher, als gut für ihn ist, und wenn sein alter Kumpel Ika vorbeikommt, auch er gerade ohne Job, trinkt und kifft er mit ihm.

Paarkonstellationen wie die von Surab und Tina sind nicht selten in der georgischen Gegenwartsliteratur, und auch die Probleme, die sich daraus ergeben. Gabunia aber wählt für seinen Roman von vornherein eine Struktur, die das Geschehen von mehreren Seiten beleuchtet und zugleich in einen größeren Zusammenhang einbettet: "Farben der Nacht" besteht aus elf Kapiteln unterschiedlicher Länge, die jeweils die Perspektive eines Protagonisten einnehmen - neben Surab und Tina sind das etwa deren greise Nachbarin Lili, Tinas Kollege Nuri oder Geheimdienstler Merab. Ganz am Schluß meldet sich sogar noch Schotiko zu Wort, Merabs Geliebter: Er beendet seinen auf Surab gemünzten inneren Monolog mit dem Satz: "Soll er nur stehen und schauen" und schließt so den Kreis zum ersten Satz des Romans: "Er steht und schaut."

Das Schlaglicht, das der überaus formbewusste Autor damit auf diese beiden Verben setzt, findet seine inhaltliche Entsprechung im gesamten Roman: Ums Schauen, ums Beobachten und Registrieren des Geschehens geht es fortwährend und zugleich um die Frage, wie darauf zu reagieren sei, durch Stehenbleiben oder Eingreifen - eine Frage, die sich jedem der Protagonisten umso dringlicher stellt, je mehr die Welt im persönlichen Umfeld wie im Gemeinwesen ins Wanken gerät. Da ist etwa gleich zu Beginn des Romans eine Szene, die einen Toten, vielleicht auch noch Sterbenden zeigt und einen anderen, der ihn beobachtet, ohne Hilfe zu holen oder wenigstens den Blutstrom zu stoppen. Und da ist das politische Gären im Land, das viele auf die Straße treibt und den verunsicherten Surab in seinem Fernsehsessel beschäftigt, zumal, als heimlich aufgenommene Videos von Folterungen ausgestrahlt werden: "Wusste nicht, was ich tun sollte in so einer Situation, ob ich auch auf die Straße gehen sollte oder weiter dasitzen und warten, bis alles vorbei war."

Obwohl Surab die Bilder als "wirklich schwere Kost" empfindet, kann er sich nicht dazu durchringen, persönlich gegen diese Praktiken zu protestieren, nachdem er sich daran gewöhnt hat: "Beim dritten oder vierten Mal lässt es dich kalt, oder du hast dir eine dicke Haut zugelegt, jedenfalls hat es nicht mehr dieselbe Wirkung wie beim ersten Mal." Was sie abbilden, ist schlimm und ein Zeichen, dass der Prozess vom autoritären System zur Demokratie noch längst nicht abgeschlossen ist. Dass diese Aufnahmen aber im Fernsehen laufen und landesweit gesehen werden ("auf allen Kanälen diese Bilder", registriert Surab), dass sie diskutiert werden, dass sie die Machthaber zwingen, sich zu rechtfertigen oder einfach zu leugnen, von der Folter gewusst zu haben, ist wiederum ein ermutigendes Zeichen, ebenso wie die Demonstrationen, die nun unter großer Beteiligung in Tiflis stattfinden.

Für Surab bleibt es beim Schauen, für andere nicht, und besonders Tinas Erschütterung treibt sie schließlich zu einer folgenreichen Entscheidung. Aber auch der selbstbewusste Schotiko, der sich und seine Homosexualität nicht mehr verstecken will, da nun "andere Zeiten" herrschten, belässt es nicht beim Beobachten der Zustände in der georgischen Gesellschaft. Und so zeigt sich der Roman trotz seiner überschaubaren Zahl an Protagonisten schließlich als vielschichtiges Abbild einer Gemeinschaft, die Veränderung herbeisehnt und sich zugleich vor ihr fürchtet, mit allen Spannungen, mit aller Aggressivität und aller Hoffnung, die damit üblicherweise einhergeht. Und mit Blick auf diejenigen, die sich in all diesem Wandel abgehängt fühlen.

Als Surab und Ika einmal beieinandersitzen, sturzbetrunken von einem trägen Tag und einer Menge Schnaps, als sie wieder einmal bejammern, dass aus ihnen, die sie doch "so liebe Kinder waren", blamablerweise so gar nichts geworden ist, fragt Surab den Freund, ob seine schwangere Frau und er denn schon wüssten, ob das erwartete Kind Junge oder Mädchen sein werde? "Ein Junge", antwortet Ika, "und das macht mich erst recht fertig." Warum denn das, möchte Surab wissen, und Ika sagt: "Ich weiß nicht." Der Roman, so scheint es, könnte ihm das erklären.

TILMAN SPRECKELSEN

Davit Gabunia:

"Farben der Nacht".

Roman.

Aus dem Georgischen

von Rachel Gratzfeld.

Rowohlt Berlin Verlag,

Berlin 2018.

192 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Davit Gabunia bricht mit seinem Roman die Schablonen der georgischen Literatur auf. Dies zeigt nicht nur den Mut des Autors, sondern auch die Bedeutung seines Werks ... Eine weibliche Stimme wie die Tinas ist einmalig in der georgischen Literatur. Indigo
Wie Gabunia das Verliebtsein beschreibt, die Verzweiflung und die Zukunftslosigkeit dieser Liebe, das ist großartig. General-Anzeiger