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Das ist der schönste Sommer meines Lebens, und wenn ich hundert Jahre alt werde - das wird der schönste Frühling und Sommer bleiben. Vom Frieden merkt man nicht viel, sagen alle, aber für mich ist Frieden, Frieden! (Ingeborg Bachmann) 1944 beginnt die achtzehnjährige Ingeborg Bachmann mit ihrem Tagebuch: Darin beschreibt sie das Leben unter und die Befreiung von der NS-Herrschaft - wie auch die enge Nachkriegs-Freundschaft mit Jack Hamesh, einem britischen Besatzungssoldaten. 1946 wandert Hamesh nach Palästina aus - seine Briefe sind ein Höhepunkt dieses einzigartigen Hördokumentes.

Produktbeschreibung
Das ist der schönste Sommer meines Lebens, und wenn ich hundert Jahre alt werde - das wird der schönste Frühling und Sommer bleiben. Vom Frieden merkt man nicht viel, sagen alle, aber für mich ist Frieden, Frieden! (Ingeborg Bachmann) 1944 beginnt die achtzehnjährige Ingeborg Bachmann mit ihrem Tagebuch: Darin beschreibt sie das Leben unter und die Befreiung von der NS-Herrschaft - wie auch die enge Nachkriegs-Freundschaft mit Jack Hamesh, einem britischen Besatzungssoldaten. 1946 wandert Hamesh nach Palästina aus - seine Briefe sind ein Höhepunkt dieses einzigartigen Hördokumentes.
Autorenporträt
Bachmann, Ingeborg
Ingeborg Bachmann (1926-1973) war eine der bedeutendsten deutschsprachigen Autorinnen des 20. Jahrhunderts.

Deutschmann, Heikko
Heikko Deutschmann stammt aus Innsbruck und wurde 1962 geboren. Neben seiner erfolgreichen Schauspielkarriere mit Rollen u. a. im "Tatort" und "Ein Fall für Zwei" gehört die Arbeit als Hörbuchsprecher inzwischen fest zu seinem Schaffen. Mit charismatischer Stimme erweckt er Texte aller Genres mühelos zum Leben.

Thalbach, Anna
Anna Thalbach, geboren 1973, ist eine bekannte Bühnen- und Filmschauspielerin und lebt in Berlin. 2008 erhielt sie als Beste Interpretin den Deutschen Hörbuchpreis.
Trackliste
CD
1Teil 1 (1944)00:09:28
2Teil 2 (1945)00:11:51
3Brief Nr. 1: Hermagor, Ostern 194600:01:33
4Brief Nr. 2: Hermagor, 16.06.194600:04:45
5Brief Nr. 3: Entlassungslager Villach, 27.06.194600:01:55
6Telegramm Nr. 4: Neapel, 03.07.194600:00:13
7Brief Nr. 5: 06.06.1946 (in Wahrheit wohl 06.07.1946)00:05:11
8Brief Nr. 6: Tel-Aviv, 24.07.194600:06:30
9Briefblatt Nr. 7: Tel-Aviv, 24.07.1946 (?)00:00:30
10Brief Nr. 8: Tel-Aviv, 01.11.194600:15:16
11Brief Nr. 9: Tel-Aviv, 13.11.194600:04:53
12Telegramm Nr. 10: Tel-Aviv, 23.06.194700:00:13
13Brief Nr. 11: Tel-Aviv, 16.07.194700:15:55
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2010

Der schönste Sommer meines Lebens

Das Kriegsende hat die Achtzehnjährige nicht als Katastrophe erlebt, sondern als Befreiung: Ingeborg Bachmanns "Kriegstagebuch" und Jack Hameshs Briefe an sie sind eine Entdeckung.

Vor zwei Jahren erschien unter dem Titel "Herzzeit" der Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Zu diesem Dokument der Freundschaft zwischen der jungen österreichischen Lyrikerin, die Gedankliches mit dem poetischen Bild so wirkungsvoll ins Gleichgewicht brachte, und dem Dichter des jüdischen Czernowitz, der in seiner "Todesfuge" wie niemand nach ihm das Inferno der Vernichtungslager beschwor, gibt es ein Vorspiel. Das zeigt nun das gerade erschienene "Kriegstagebuch" Ingeborg Bachmanns.

Im Frühsommer 1945 wird die Achtzehnjährige ins Büro der in Kärnten stationierten 8. Britischen Armee (ins Büro der Field Security Section) in Hermagor gerufen, wo sie Jack Hamesh nach ihrer Vergangenheit in der nationalsozialistischen Jugendorganisation des BdM befragt. Ihr Tagebuch beschreibt ihn so: Er "ist klein und eher hässlich, Augengläser, spricht fließend deutsch mit einem Wiener Akzent". Wer ist dieser Jack Hamesh? Er entkam, wie er ihr später erzählt, im Jahre 1938 mit einem Transport jüdischer Kinder gerade noch rechtzeitig nach England; seine Eltern dagegen entgingen nicht der Deportation in die Todeslager.

Aus der Wiederbegegnung Ingeborg Bachmanns mit ihm entwickelt sich jetzt eine Freundschaft, die sie "ganz verdreht und glücklich" macht. Verwandte und Nachbarn beginnen über sie zu reden: "Sie geht mit dem Juden." Aber sie hält unbeirrt an dieser Freundschaft fest. "Das ist der schönste Sommer meines Lebens." Freilich nicht nur Jack Hameshs wegen: "für mich ist Frieden, Frieden! . . . Ich werde studieren, arbeiten, schreiben!" Hier schon entwirft sie ihr eigenes Lebenskonzept, an dem weiter gehende Erwartungen Hameshs scheitern müssen.

Mit Erich Fried, der wie er im letzten Augenblick aus Wien nach England entkommen konnte, teilte Hamesh sein Bekenntnis zur politischen Linken. So macht er seine Freundin mit Karl Marx' "Kapital" bekannt. Wo aber Erich Fried selbst aus der kleinsten politischen Nachricht wenigstens noch ein poetisches Fünkchen schlug, blieb Hamesh ganz rezeptiv. Dennoch treffen sich die junge, gerade erst sich entpuppende, von Rilke und Baudelaire faszinierte Dichterin und der Wiener Jude in beglückender Weise, unterhalten sich über Bücher von Thomas Mann und Stefan Zweig, Schnitzler und Hofmannsthal, über die im "Dritten Reich" verfemte europäische Literatur. Ingeborg Bachmann erlebt das Kriegsende nicht als Katastrophe, sondern als Befreiung.

Herausgegeben hat das zweiteilige, wohl nur auszugsweise erhaltene Kriegstagebuch zusammen mit "Briefen von Jack Hamesh an Ingeborg Bachmann" Hans Höller, der auch an der Edition ihres Briefwechsels mit Paul Celan beteiligt war. Schon der erste, bis ans Kriegsende führende Teil des Tagebuchs gibt eine Anschauung von der Distanz, in der die Dichterin, die gerade die Matura bestanden hatte, zu den "Fanatikerinnen" ihrer Umgebung, zu den Durchhalteparolen, zu der ganzen "Schafherde" der nationalsozialistisch Indoktrinierten stand. Der Widerwille verstärkt sich noch im zweiten Teil des Tagebuchs, als nach Kriegsende die Denunziation auf der Tagesordnung steht: "Es zeigt jetzt überhaupt einer den anderen an und besonders die Nazis untereinander, weil jeder denkt, er kann sich damit aus der Affäre ziehen." Auch vor diesem Hintergrund erklärt sich das Befreiungsgefühl und die Freundschaft zu einem jüdischen Besatzungssoldaten.

So wird das Tagebuch zum literarischen Spiegel eines hoffnungsvollen Aufbruchs. Die Briefe von Jack Hamesh an Ingeborg Bachmann - ihre Briefe sind offenbar nicht erhalten - nehmen einen weitaus größeren Teil des Buches ein. Sie sind das bewegende Zeugnis für ein eher tragisches Missverständnis. Hamesh meint in der geborenen Klagenfurterin eine Art wahlverwandten Einsamkeitsgefühls entdeckt zu haben. Durch solche Gemeinsamkeit, durch die Freundschaft überhaupt fühlt er sich wieder in seiner österreichischen Heimat akzeptiert, ja aufgenommen, auch wenn ihn gelegentlich das Trauma des Verbannten, das Trauma der Ausweglosigkeit wieder überfällt: "Meine Zukunft kommt mir manchmal vor wie ein grauenhaftes Labirynt." (Aus gutem Grund hat der Herausgeber Unzulänglichkeiten in der Schriftsprache dessen, der aus dem deutschen Sprachraum vertrieben wurde, stehenlassen.) Je weiter sich die Lebensläufe der Briefpartner voneinander entfernen, umso eindringlicher werden seine Liebesbeschwörungen. Am 6. Juli 1946 schreibt er aus Neapel: "Die Tage mit dir liebe Inge waren Tage wie ich sie noch selten im Leben erlebt hatte." Aber die Gemütsverfassung kann schnell umschlagen. Am 24. Juli konstatiert er "eine völlige Entwurzelung, eine Haltlosigkeit wie ich sie nie zuvor miterlebt hatte".

Dieser Brief kommt aus Tel Aviv, Jack Hamesh ist in Palästina eingetroffen. Er hat Israel als neue Heimat gewählt, ohne seine Liebe zur Klagenfurterin aufzugeben. Aber diese Liebe sucht doch zunehmend Zuflucht in Erinnerungen. In Tel Aviv nimmt er Gelegenheitsarbeiten an, aber, so heißt es im Brief vom 16. Juli 1947: "Ich lese, lerne, besuche Konzerte, gehe ins Kino, lache und tanze des öfteren." Jack Hamesh ist zum Bürger Israels geworden. Und von erstaunlicher Konsequenz ist diese Einbürgerung. Der Marxist von einst hat sich zum Zionisten gewandelt. Der Zionismus gebe die einzige Antwort auf "die Wurzellosigkeit und Heimatlosigkeit der Juden". In dieser optimistischen Gewissheit scheint die tragische Spur in Hameshs Leben zu enden. Doch ist dieser Brief zugleich das (vorläufig?) letzte Lebenszeichen von Jack Hamesh, das wir besitzen.

Für Ingeborg Bachmann bleibt diese fast zweijährige Freundschaft ein Intermezzo; andere Freundschaften, mit bedeutenderen Partnern, werden folgen. Aber ihre frühe, tapfere Solidarisierung mit dem vom Hitlerregime verjagten Juden ist ein ungewöhnliches Beispiel menschlichen Rechtsbewusstseins am Anfang eines dichterischen Wirkens von großer Nachhaltigkeit. Klagenfurt wusste, was es zu seinem eigenen Ruhm dieser Dichterin verdankte. So wurde der Ingeborg-Bachmann-Preis und -Wettbewerb ins Leben gerufen. Der Mitbegründer und Moderator dieses Wettbewerbs, Marcel Reich-Ranicki, stand am 25. Juni 1986 an ihrem Klagenfurter Grab und hielt im Kreis der Schriftsteller, Verleger, Lektoren und Juroren zu ihrem sechzigsten Geburtstag die Gedenkrede - der dem Warschauer Getto Entkommene der Freundin jüdischer Verfolgter. Hier schloss sich ein Kreis.

Unbedingt informieren lassen sollte sich der Leser durch das vorbildliche Nachwort des Herausgebers, zumal es wichtige Hinweise auf die Verflechtung des Tagebuchs ins Gesamtwerk Ingeborg Bachmanns gibt, sowohl auf die Jugenderzählung "Das Honditschkreuz" (1943) als auch auf spätere Werke wie - beispielsweise - das Fragment "Der Fall Franza" (1964) oder den Roman "Malina" (1971). Alles in allem: Ediert ist hier eine wirkliche Entdeckung.

WALTER HINCK

Ingeborg Bachmann: "Kriegstagebuch" Mit Briefen von Jack Hamesh an Ingeborg Bachmann. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Hans Höller. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 108 S., geb., 15,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.04.2010

Im Garten lesen, bis die Bomben kommen
Ein jüdisch-britischer Besatzungssoldat verliebt sich in eine achtzehnjährige Kärntnerin: Zur Erstpublikation von Ingeborg Bachmanns „Kriegstagebuch” aus den Jahren 1944/45
Ob man um die träumerischen Tagebucheinträge eines achtzehnjährigen Backfischs wirklich so viel Aufhebens machen soll? Um nichts weniger als sechs handbeschriebene DIN-A-4-Blätter? Auch wenn das junge Fräulein Ingeborg Bachmann heißt, ist man zunächst doch etwas verwundert. Und die elf Briefe des sechsundzwanzigjährigen britischen Besatzungsoldaten Jack Hamesh, die ihnen zur Seite gestellt sind und drucktechnisch den weitaus größeren Teil ausmachen, verweigern sich von vornherein einem literarischen Anspruch. Dennoch – es geht hier zweifellos um einen auratischen Moment.
Der verdienstvolle Herausgeber Hans Höller befeuert ihn in seinem Nachwort mit wohl sämtlichen auffindbaren Querbezügen zu Bachmanns Werk und fügt ihn nahtlos ein in den philologisch längst aufwendig bestückten Bachmann-Kosmos. Da fällt es immer schwerer, die kurzen Notate ausschließlich als das zu lesen, was sie zunächst sind: Selbstvergewisserungen einer jungen Frau, die von den Zeitumständen überfordert ist.
„Mein geliebtes Tagebuch”, so hebt es an – eine der Normwendungen aus dem Schatz der Poesiealben. Auf diesen Ton stößt man öfter. Wenn solch eine sehnsuchtsvolle Sprache auf die politischen Umstände stößt, entsteht zusehends Verwirrung. Aber es bilden sich charakteristische Bachmann-Sätze heraus. Obwohl Nachbarn durch Bombenabwürfe getötet worden sind, geht sie zum Beispiel nicht mehr in den Bunker, wegen der „schlechten Luft” und der „stumpfen, stummen Massen”. Sie stellt sich einen Sessel in den Garten und liest dort: „Ich habe mir fest vorgenommen, weiterzulesen, wenn die Bomben kommen.” Hans Höller hat diese Stelle schon vor Jahren in seiner Bachmann-Monographie zitiert und als „eine Art Existenzialismus avant la lettre” bezeichnet – und zweifellos kann man hier ein Vorgefühl ausmachen, das zu Bachmanns künftigen philosophischen Interessen führt. Doch in politischen Kategorien denkt sie kaum.
Die Mischbevölkerung im Dreiländereck zu Slowenien und Italien führte in Kärnten zu einem ideologisch hochgerüsteten Deutschtümlertum, Bachmanns Vater trat bereits 1932 in die damals illegale NSDAP ein. Vor diesem Hintergrund wirkt Ingeborg Bachmanns aufseufzender Satz gegen Ende des Krieges besonders beredt: „Nein, mit den Erwachsenen kann man nicht mehr reden.” Die 18-jährige Tagebuchschreiberin zieht einer Puppe wieder „das rosa Rüschenkleid” an und legt sie neben sich ins Bett. Man kann hier natürlich schnell von „Regression” sprechen oder im Duktus aktueller Gender-Studies süffisant dazu nicken. Der Wahrheit und der Naivität der kindlichen Haltung, die das Tagebuch hier einnimmt, ist aber gar nicht so leicht auf die Spur zu kommen. Hier deuten sich Überlebensstrategien an, die später immer raffinierter werden.
Nach der Kapitulation muss sie sich bei einer britischen Stelle melden. Einer der beiden Soldaten dort „ist klein und eher hässlich, Augengläser, spricht fließend deutsch mit einem Wiener Akzent”. Er fragt sie nach dem Nazi-Mädchenbund, und sie schreibt nachher: „Es ist ganz unverständlich, warum man auch rot wird und zittert, wenn man die Wahrheit sagt.” Aus diesem frühen Satz kann man, wenn man will, eine ganze Bachmann-Poetik erstellen. Hier befindet sie sich jedoch noch in einem vorbewussten Rohzustand, die Autorin wird ihre frühen Erfahrungen erst viel später literarisch verarbeiten. Als derselbe Soldat sie kurz darauf auf der Straße anspricht, „zittert” sie „furchtbar”, aber dann kommt eine überraschende Wendung. Sie sprechen über Bücher, Schnitzler etwa oder Hofmannsthal, von den Nazis verfemte Autoren, die sie heimlich gelesen hat. Jack Hamesh, der Soldat, ist verblüfft, dass die Maturantin solche Bücher kennt.
Bald kommt er jeden Tag. „Gedichte hat er nicht besonders gern”, stellt sie fest, aber sie ist auch neugierig auf seine Themen, auf „Weltanschauung und Geschichte”. Hamesh erzählt ihr, dass er Jude ist und 1938, als Achtzehnjähriger, illegal mit einem Kindertransport von Wien nach England gebracht wurde. Was das genau heißt, scheint Ingeborg Bachmann nicht richtig wahrzunehmen. Doch Hameshs Judentum verschmilzt mit der Möglichkeit, mit ihm über Literatur zu sprechen, das ist das Entscheidende. Bald redet „die ganze Verwandtschaft” über sie: „Sie geht mit dem Juden.” Stolz sagt sie „zu Mutti”: „Ich werde mit ihm zehnmal auf und ab durch Vellach und durch Hermagor gehen, und wenn alles Kopf steht, jetzt erst recht.”
Natürlich hat Herausgeber Höller recht, wenn er hier einen antifaschistischen Impuls betont. Doch die wirkliche Erweckung durch Jack Hamesh betrifft die Möglichkeit, über Bücher zu sprechen. Als eine Freundin sich in einen Engländer verliebt und ihn heiraten möchte, schreibt Bachmann: „Natürlich will ich fort, aber damit ich studieren kann, und ich will überhaupt nicht heiraten.” Die begeisterten Ausrufe im Tagebuch betreffen nicht Jack Hamesh als Person: „Das ist der schönste Sommer meines Lebens, und wenn ich hundert Jahre alt werde – das wird der schönste Frühling und Sommer bleiben. Vom Frieden merkt man nicht viel, sagen alle, aber für mich ist Frieden, Frieden! Ich werde studieren, arbeiten, schreiben! Ich lebe ja, ich lebe.”
Man kann erahnen, wie sich Ingeborg Bachmann entwickeln wird. Wenn dieses Tagebuch über etwas Aufschluss gibt, dann über ihren Bildungshunger und ihren literarischen Ehrgeiz – er ist der stärkste Antrieb. Und wenn man die ungefähr gleichzeitig entstandenen „Briefe an Felician” liest, an eine erträumte, ideale Kunstfigur als Liebhaber, ist ein unwillkürliches Streben nach härteren Konturen nachvollziehbar. Mit Jack Hamesh lässt sich das jedoch nicht vereinbaren. Erst durch diesen Kontrast wird das Buch aufregend. Hier stoßen unvermittelt Kinder der Täter und der Opfer aufeinander, und es wird deutlich, wie sie die Geschichte völlig unterschiedlich weiter in sich tragen.
Hamesh, der hier in einem diffusen Schwarz-Weiß-Licht an diese unvermutete Stelle der Literaturgeschichte rückt, ist ein Gestrandeter, ohne Familie. Er beschließt am Ende des Krieges, nach Palästina auszuwandern, doch die Wiederbegegnung mit seiner prekären österreichischen „Heimat” versetzt ihm einen Schock. Seine Entwurzelung wie seine Einsamkeit werden ihm quälend bewusst. Er hat seit acht Jahren kaum mehr Deutsch gesprochen, das merkt man seinen Briefen an: „Durch Dich erst sah ich dass es doch wert ist an Menschen zu glauben. Nicht an alle, an wenige einzelne an Dich.” Und als er über Neapel seine Reise nach Palästina antritt, schreibt er: „Grüsse auch Deine liebe Mutter und Deinen Vater, sage Ihnen dass ich mich in Ihrem Heim und Ihrer Mitte immer wohl und glücklich gefühlt habe”, und im selben Brief grüßt er auch ausdrücklich „Fam. Pirker” und „Fam. Erber” – wie Ingeborg Bachmanns Vater waren all diese Kärntner Familienoberhäupter frühe Mitglieder der NSDAP. Nach diesen Familien – und vermutlich nach einer ganz konkret phantasierten eigenen! – sehnt er sich.
Als Hamesh im Sommer 1946 in Tel Aviv ankommt, führt dies zu einer großen Lebenskrise. Auf dem Weg zur Gründung des Staates Israel ging es um jüdische Stärke und Kraft, die „Opfermentalität” der von den Nazis Verfolgten stieß auf Verachtung. Das Bild Ingeborg Bachmanns, wie Jack Hamesh sie zum letzten Mal sah, wird immer bedrängender: Er wünscht sich jetzt noch viel intensiver einen Satz von ihr, der von einem Wiedersehen gesprochen hätte – „noch in der letzten Sekunde auf der Hauptstraße als ich Dir weinend entgegen lief als unser Wagen an Dir vorbeifuhr selbst Damals hast Du nichts davon gesagt”.
Bachmanns Briefe – es können nur sehr wenige gewesen sein – sind bisher unauffindbar. Von Hameshs weiterem Leben wissen wir nichts. In seinem letzten Brief vom 16. Juli 1947 aus Tel Aviv schreibt er ausführlich vom zionistischen „Lebenskampf”. Seine Sätze, die von einem tragischen Schicksal künden, können Bachmann gar nicht erreichen: „Lass neue Brücken erstehen den mein Weg führt zu Dir liebe Inge und schreibe mir bitte nicht mehr dass das Freisein glücklich macht.”
„Freisein”: Für Ingeborg Bachmann war das die große Losung. In ihren letzten Kärntner Tagen schreibt sie: „Ich kann doch nicht ewig hierbleiben und warten, warten. Für mich gibt’s hier nichts zu tun, nichts zu lernen.” Kurze Zeit später lernt sie in Wien Paul Celan kennen – einen Juden und einen Lyriker. Dieser Mann trifft nun den Nerv. HELMUT BÖTTIGER
INGEBORG BACHMANN: Kriegstagebuch. Mit Briefen von Jack Hamesh an Ingeborg Bachmann. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Hans Höller. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 107 Seiten, 15,80 Euro.
Die junge Tagebuchschreiberin legt die Puppe im rosa Rüschenkleid neben sich ins Bett
Ingeborg Bachmann, in einer nicht datierten Aufnahme Foto: Piper Verlag/ddp
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Wieder eine kleine Sensation, die Literaturgeschichte schreiben wird," kommentiert Ina Hartwig diese Edition eines Kriegstagebuchs der jungen Ingeborg Bachmann, das auch elf Briefe eines britischen Soldaten enthält, der als Kind einer jüdischen Familie in Wien geboren und mit einem Kindertransport nach England entkommen war. Denn dieses Buch lässt aus Sicht der Kritikerin ein Zeitbild entstehen, dessen Tentakel sie bis in das künftige Werk dieser Dichterin reichen sieht. Auch der vorzügliche Kommentar hat, so Hartwig, dazu beigetragen. Sie liest ergreifend Klares, spürt Ingeborg Bachmanns "psychische und moralische Versöhnungskraft" und ahnt auch das seelische Muster schon, das ihrer Ansicht nach später bestimmend für die Beziehung von Bachmann zu Paul Celan werden wird.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Wieder eine kleine Sensation, die Literaturgeschichte schreiben wird.«
Ina Hartwig, DIE ZEIT 15.04.2010
»Was diesen sensationellen Fund so faszinierend macht, ist nich nur die Tatsache, dass man hier die spätere Literatur-Ikone quasi als Jugendliche kennenlernt, einen Blick in ihr mentales Mädchenzimmer werfen kann. Was vielmehr so verblüffend wie anrührend wirkt, ist die Brechung des Historisch-Politischem im Prisma privater, ja intimer Erfahrung. So als geschähe hier absichtslos und unbewusst, was der Dichterin später in der Lyrik gelang: die Erhellung der Wirklichkeit im Licht der Subjektivität.«