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Hilmar Hoffmann, einer der wenigen wirklichen und wirkungsreichen deutschen Kulturpolitiker, legt sein 50. Buch vor - es geht radikal zurück in seine Biographie und in die Hintergründe unserer Gesellschaft: Er riskiert die Erinnerungen an seine Zeit als Hitlerjunge. "Nichts ist riskanter als eine Rückblende in die eigene Vergangenheit." So beginnt der heute über 90jährige. Und er erzählt, wie Vereinnahmung und Indoktrination funktionieren, wie Kinder und Jugendliche schamlos in menschen- und weltverachtende Ideologie eingespannt wurden. Kinder, die bis dahin vielleicht noch an den lieben Gott…mehr

Produktbeschreibung
Hilmar Hoffmann, einer der wenigen wirklichen und wirkungsreichen deutschen Kulturpolitiker, legt sein 50. Buch vor - es geht radikal zurück in seine Biographie und in die Hintergründe unserer Gesellschaft: Er riskiert die Erinnerungen an seine Zeit als Hitlerjunge.
"Nichts ist riskanter als eine Rückblende in die eigene Vergangenheit."
So beginnt der heute über 90jährige. Und er erzählt, wie Vereinnahmung und Indoktrination funktionieren, wie Kinder und Jugendliche schamlos in menschen- und weltverachtende Ideologie eingespannt wurden.
Kinder, die bis dahin vielleicht noch an den lieben Gott im Himmel glaubten, huldigten seit Hitlers Machtergreifung in braunen Uniformen ihrem neuen Messias aus Braunau am Inn, ihrem "Führer" Adolf Hitler. Sein kanonisches Buch "Mein Kampf" sollte die neue politische und weihrauchfreie Bibel werden. ... Hitlers Proklamation 1933: "Ich beginne bei der Jugend. Wir älteren sind verbraucht. Wir sind bis ins Mark verfault. Wir sind feig und sentimental. Wir tragen die Last der niedrigsten Vergangenheit. In unserem Blut sind Leibeigenschaften und Unterwürfigkeit. Doch die großartigen Jungen! Gibt es etwas Besseres auf der Welt? Schaut auf diese jungen Männer und Knaben! Welch Material."
Wie dieses "Material" verheizt wurde, hat Hilmar Hoffmann bei der Landung der Alliierten Streitkräfte selbst erlebt, als seine Einheit aus 16- bis 18jährigen als letztes Aufgebot in der Normandie von Luftminen zerrissen wurde - Reeducation begann für ihn mit der Bergung ihrer Leichen. In der anschließenden Gefangenschaft klärt sich sein Blick - und neben der Zeitzeugenschaft von Hilmar Hoffmann ist dies die eigentliche Leistung seines Buches: Die Hoffnung aufrecht zu halten auf die Besinnung, die noch auf die verheerendsten Irrwege folgen kann - "das Vergängliche vergänglich zu machen", wie er Goethe zitiert.
Autorenporträt
Hoffmann, Hilmar
Hilmar Hoffmann, geboren 1925 in Bremen, hat sich als Kulturschaffender und, im besten Sinne, als »Kulturfunktionär« in verschiedenen Städten für Kulturprojekte eingesetzt. Heute lebt er in Frankfurt am Main, wo er 20 Jahre als Kulturdezernent und Kulturstadtrat tätig war und das Museumsufer in Frankfurt ist sein Lebenswerk. Hoffmann war u.a. Gründer der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, wo er ebenfalls als Kulturdezernent arbeitete, neun Jahre wirkte er als Präsidenten des Goethe-Instituts. Mit seiner Position »Kultur für alle« hat er entschieden politische Weichen gestellt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.02.2018

"Ich war begeisterter Jungvolkführer"

Frankfurts früherer Kulturdezernent Hilmar Hoffmann hat ein Buch über die Verführungskunst der Nazi-Propaganda geschrieben. Eines ihrer Opfer war er in jungen Jahren selbst.

Von Hans Riebsamen

Mit seiner einstigen Intimfeindin Leni Riefenstahl hat sich Hilmar Hoffmann versöhnt. Oder vielmehr: Die Regisseurin, die Hitler und die nationalsozialistische Bewegung in ihren berühmt-berüchtigten Filmen "Der Sieg des Glaubens", "Triumph des Willens" und "Tag der Freiheit! - unsere Wehrmacht" gefeiert hatte, schloss Frieden mit dem früheren Frankfurter Kulturdezernenten, der in seinen beiden Büchern über die NS-Filme auch mit dem Werk Riefenstahls scharf abgerechnet hatte.

Zur Versöhnung ist es, wie Hoffmann erzählt, folgendermaßen gekommen: Der mittlerweile verstorbene große deutsche Filmproduzent Luggi Waldleitner hatte seinen Freund Hoffmann zu einem Essen nach München eingeladen. Erst dort bemerkte Hoffmann, dass auch Riefenstahl an der Tafel sitzen sollte - und zwar ihm gegenüber. Daraufhin bat der pikierte Hoffmann den Gastgeber, ihn doch bitte an einen Nebentisch zu plazieren, was auch geschah. Während des Essens stand Riefenstahl auf, ging an Hoffmanns Tisch und fragte: "Sind Sie Hilmar Hoffmann?" Der bejahte dies mit einem Handkuss. Darauf sagte Riefenstahl zu ihm: "Sie sind mein Intimfeind."

Hoffmann bot der Dame eine Aussprache an. Und tatsächlich kam es bald darauf zu einem gemeinsamen Abendessen, das Hoffmann zufolge ganz friedlich verlief. Bei der Verabschiedung sagte Riefenstahl zu ihm: "Jetzt habe ich einen Feind weniger." Die Regisseurin, die sich nach dem "Dritten Reich" als Fotografin einen Namen gemacht hat, wusste vermutlich nicht, dass Hoffmann sie und ihre Filme einst bewundert hatte - als Pimpf.

Das war in der NS-Zeit der unterste Dienstgrad für Mitglieder des Jungvolks, jener Abteilung der Hitlerjugend für Jungen zwischen zehn und 14 Jahren. Hoffmann war ein besonders eifriger Pimpf, weshalb er mit zwölf Jahren schon Jungzugführer wurde und die "Befehlsgewalt" über 20 Pimpfe bekam. Im Gegensatz zu vielen aus seiner Generation hat er aber später nie verschwiegen, dass er als langjähriger Jungvolkführer ein gläubiger Anhänger Hitlers und seiner Bewegung gewesen war.

Nun hat Hoffmann im Alter von 92 Jahren ein Buch vorgelegt, in dem er sich an die braune Zeit erinnert und zu erklären versucht, mit welchen Mitteln sich das Regime damals der Herzen und Seelen der jungen Menschen bemächtigte. "Generation Hitlerjugend" heißt das 600 Seiten umfassende Werk mit dem Untertitel "Reflexionen über eine Verführung". Der persönliche Weg Hoffmanns vom Pimpf bis zum Kriegsgefangenen, der in Amerika und England Freiheit und Demokratie gelernt hat, bildet nur den kleineren Teil der Ausführungen. Der größere ist den Methoden gewidmet, mit denen die Nationalsozialisten Kinder und Jugendliche in ihre "menschen- und weltverachtende Ideologie" einspannten.

Der Film war eines der Werkzeuge, mit denen vor allem Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, der begabteste Menschenfänger des "Dritten Reichs", weite Teile der Bevölkerung und vor allem auch die Jungen vereinnahmte. Hoffmann hat damals fast alle jene Filme gesehen, über die er als Erwachsener in seinem Buch "Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit - Propaganda im NS-Film" Gericht gehalten hat: "Hitlerjunge Quex" etwa, "SA-Mann Brand" und "Hans Westmar". Und natürlich auch Riefenstahls Dokumentarfilme wie "Olympia" über die Spiele von 1936 in Berlin, der damals übrigens auch im Ausland größtenteils begeistert aufgenommen wurde.

Sein Faible für Riefenstahls Filme verdanke er seiner "hitlergläubigen" Mutter, die ihn schon als neun Jahre alten Steppke in die Oberhausener "Lichtburg" mitgenommen habe: "Ich war regelrecht begeistert von Riefenstahls ,Triumph des Willens'", erinnert sich Hoffmann. Er habe auch einmal so sein wollen wie der blonde Trommler oder der imposante Fahnenträger da oben auf der Leinwand. Ein Jahr später erlebte er diesen durchaus grandiosen Film noch einmal, nun als uniformierter Pimpf in der großen Gemeinschaft der Kameraden in der Jugendfilmstunde in einer Vorstadt Oberhausens.

Diese wöchentliche Sonntagsmatinee lief hier und auch anderswo in Deutschland nach dem gleichen Ritual ab: Zuerst wurde gemeinsam ein Fahnenlied gesungen, dann lauschten die Pimpfe und Hitlerjungen den "umschmeichelnden Reden" Goebbels', die reichsweit übers Radio für junge Menschen ausgestrahlt wurden, wobei, wie Hoffmann schreibt, "wir alles für bare Münze genommen haben". Danach wurde Riefenstahls Parteitagsfilm oder eine andere Produktion aus der Giftküche des Doktor Goebbels gezeigt. Besonders schön für Hoffmann war, dass er als Jungvolkführer, der er bis zu seinem Einzug als Fallschirmjäger in den Krieg war, in Oberhausen den zu zeigenden Film auswählen durfte.

"Hitlergläubige Mutter" - das ist ein Schlüssel für die NS-Sozialisation des jungen Hilmar. Sie gehörte schon vor der Machtübernahme der Partei an, während der Vater Sozialist war, der nach Hitlers Einzug in die Reichskanzlei untertauchen musste und auf Nimmerwiedersehen verschwand. Der größte Wunsch der Mutter war, dass ihre drei Söhne Offiziere würden. Und in der Tat brachten es Hilmar Hoffmanns ältere Brüder zu Rang und Ehren in der Wehrmacht. Doch waren sie eher preußisch-national als nationalsozialistisch gesinnt, weshalb sie ihren jüngeren Bruder warnten: "Wenn du zur Waffen-SS gehst, reden wir kein Wort mehr mit dir." Dabei war diese Hitler und dem Regime besonders ergebene Truppe eigentlich der natürliche Platz für einen großgewachsenen deutschen Jungen mit blauen Augen, der auch noch Jungvolk-Führer war.

Statt der Waffen-SS kamen für junge Männer wie Hoffmann auch die U-Boot-Marine oder die Fallschirmtruppe in Frage. Beide Einsatzarten galten als prädestiniert für "Himmelsfahrtkommandos". Hoffmann entschied sich für die Fallschirmjäger, er wollte lieber zu Tode stürzen als ersaufen. Bei der Musterung Anfang 1943 in Gardelegen in Sachsen vermaß ihn ein Unteroffizier mit der Messlatte und kam auf 1,91 Meter. "Junge", sagte er lakonisch zu Hoffmann, "kanntse gleich wieder nach Hause gehn, wir nehm' keine Riesen, nur welche bis höchstens 1,85." Geknickt antwortete Hoffmann: "Dann muss ich ja doch zur Waffen-SS!" Worauf der Unteroffizier spontan sagte: "Nee, da gehste mir nich hin", um flüsternd hinzuzufügen: "Geh mal'n bissken inne Knie, weiter, weiter. stopp: 1,85." So wurde Hilmar Hoffmann der größte Fallschirmjäger der Wehrmacht - mit Ausnahme von Max Schmeling, wie er mittlerweile gerne an diese Geschichte anfügt.

Hoffmann wurde nach der Invasion der Alliierten an der Küste der Normandie bei Saint-Lô eingesetzt und erlebte die Schlacht in der Bocage. Nach einer Nacht in einer alten Scheune ergab sich seine ganze Truppe. Die amerikanischen Soldaten, die selbst Fallschirmjäger waren, behandelten die Gefangenen nicht als "The German Bestie", sondern als ebenbürtig. "Jeder von uns bekam eine Dose Cornedbeef, eine Tüte Cornflakes, eine Flasche Coca-Cola, ein Päckchen Camel-Zigaretten und eine Packung Chewing Gums in die Hände gedrückt."

Von da an begann "die Läuterung vom Faschismus", wie Hoffmann seine Bekehrung zu den freiheitlichen und demokratischen Werten nennt. Zuerst in einem Lager in den Rocky Mountains, wo er als Holzfäller arbeitete, dann in Washington, wo er in einem Store Verkäufer war. Am meisten geprägt hat ihn das Umerziehungslager Wilton Park, wo Geistesgrößen wie der Philosoph Bertrand Russel deutsche Kriegsgefangene mit intellektuellen Fähigkeiten wie den späteren Frankfurter Oberbürgermeister Willi Brundert und der späteren Politologen Wolfgang Abendroth zu Demokraten umzuschulen versuchten. Auch bei Hoffmann hat es funktioniert.

Hilmar Hoffmann: "Generation Hitlerjugend", Dielmann-Verlag, 25 Euro.

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