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Das bunt zusammengesetzte Volk will endlich von einem König geeint und angeführt werden. Widerwillig erfüllt Gott ihm den Wunsch und lässt den jungen Saul zum Herrscher ausrufen, der anfangs umjubelte Erfolge feiert: Er gewinnt Kriege und gründet einen fest gefügten Staat, dessen Macht er stetig ausbaut. Doch immer mehr wird Saul von Selbstzweifeln geplagt, immer fataler bestimmen Misstrauen, Schwermut und Jähzorn sein Handeln. Er, der der Ursprung der neuen Ordnung ist - dem Wechsel von der Theokratie zur Monarchie -, wird zunehmend zu ihrer größten Gefahr. Gott muss erkennen, dass er die…mehr

Produktbeschreibung
Das bunt zusammengesetzte Volk will endlich von einem König geeint und angeführt werden. Widerwillig erfüllt Gott ihm den Wunsch und lässt den jungen Saul zum Herrscher ausrufen, der anfangs umjubelte Erfolge feiert: Er gewinnt Kriege und gründet einen fest gefügten Staat, dessen Macht er stetig ausbaut. Doch immer mehr wird Saul von Selbstzweifeln geplagt, immer fataler bestimmen Misstrauen, Schwermut und Jähzorn sein Handeln. Er, der der Ursprung der neuen Ordnung ist - dem Wechsel von der Theokratie zur Monarchie -, wird zunehmend zu ihrer größten Gefahr. Gott muss erkennen, dass er die falsche Wahl getroffen hat, und nicht nur ihn reut seine Entscheidung, die zur Folge hatte, dass die alte Einheit zwischen ihm und den Menschen endgültig entzweit wurde.
Botho Strauß verdichtet die biblische Erzählung aus dem 1. Buch Samuel zum eindringlichen Porträt eines Menschen, der zerrissen wird von der ihm schicksalhaft zugeteilten Aufgabe, den in ihn gesetzten Erwartungen und den Grenzen seiner Fähigkeiten. In einer beeindruckend klaren und gleichzeitig hoch poetischen Sprache zeigt "Saul" die Geburt der Tragödie aus dem Geist des Alten Testaments.
Autorenporträt
Botho Strauß, geboren 1944 in Naumburg/Saale, zählt zu den bedeutendsten Dramatikern und Essayisten unserer Zeit. Sein Werk wurde mit vielen Preisen gewürdigt, darunter auch mit dem Büchner-Preis. Er lebt in der Uckermark und in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.2019

Die Phantome des Zeichners

Was wäre wohl geschehen, wenn er den Nobelpreis bekommen hätte? Botho Strauß wird am Montag fünfundsiebzig. Und bringt zwei neue Bücher heraus

Von Andreas Kilb

In den letzten Wochen ertappte man sich manchmal bei dem Gedanken, was wohl passiert wäre, wenn anstelle von Peter Handke der andere große deutschsprachige Schriftsteller seiner Generation in diesem Jahr den Nobelpreis bekommen hätte: Botho Strauß. Hätten die Kritiker, die Kulturfunktionäre, die anderen Schriftsteller auch ihm den Prozess gemacht, politisch wie moralisch? Hätte man auch ihm vorgeworfen, was er vor fünf, vor zehn, vor fünfundzwanzig Jahren geschrieben hat?

Ja, doch, genau das wäre wohl passiert. Und es hätte keinen Mangel an Belegen gegeben, die gegen den in Alfred Nobels Testament geforderten Menschheitsnutzen und die "idealische Richtung" von Strauß' Büchern und Schriften gesprochen hätten. Denken wir nur an den inzwischen legendären, vor sechsundzwanzig Jahren im "Spiegel" erschienenen "Anschwellenden Bocksgesang" und seine Tiraden gegen "die Verhöhnung des Eros, die Verhöhnung des Soldaten, die Verhöhnung von Kirche, Tradition und Autorität", gegen die Intellektuellen, die "freundlich zum Fremden" und "grimmig gegen das Unsere" seien, gegen den "Demokratismus" der Demokratie. Oder die zwischen Klage und Philippika schwankende "Glosse" zum Flüchtlingsstrom - "die Flutung des Landes mit Fremden" - des Jahres 2015, in der Strauß die "politisierte Schmerzlosigkeit" anprangert, "mit der man die Selbstaufgabe befürwortet, zum Programm erhebt".

Und dann die Prosabände, die Erzählungen, von "Paare Passanten" bis "Wohnen, Dämmern, Lügen", von "Die Fehler des Kopisten" bis "Oniritti", mit ihren immer wiederkehrenden Nackenschlägen gegen die Mobilen und Beschleunigten, die Gegenwartsnarren, die Seinsvergessenen unserer Tage, gegen den Kritizismus, der alles Heilige und Große zum Talkshow-Thema macht, gegen Genderbeauftragte, Konsenswächter, Smartphone-Plapperer, die ganze miese Massenkonsumgesellschaft auf der Mattscheibe und auf den Straßen. Die Menschheit als Flachwasserschwarm: "Es verbuttet das Kind, das Tier, der Greis und das Liebespaar. Es verbutten die Onliner mit Übergewicht. Noch mehr mehlige Gesichter und Mehlspeisgelichter, flache Köpfe, Gründlinge kriechend."

Aber was hätten die Ankläger, ebenjene Kritikaster, denen Strauß alle Naselang seine Verachtung bezeugt, damit eigentlich bewiesen? Ziemlich wenig. Denn von politischer Parteinahme, gar von persönlicher Bekanntschaft mit Mordgesellen und Kriegstreibern wie bei Handke kann bei Strauß keine Rede sein. Nie hat er einem Höcke die Hand gereicht, nie sich von braunen Verlegern für deren Zwecke einspannen lassen. Strauß verteilt seinen Menschenhass gleichmäßig nach allen Seiten, und die Rechten mit ihrem Kantinenpatriotismus - "als gäbe es noch Deutsche und Deutsches außerhalb der oberflächlichsten sozialen Bestimmungen" - bekommen dabei ihr gerüttelt Maß ab. Über den gerade wieder auflebenden Antisemitismus hat er schon Anfang der achtziger Jahre das Nötige gesagt: "Wenn man die plötzliche Hassbelebung bemerkt, die bei den sehr jungen nicht seltener ist als bei den älteren, erprobten Rassisten, könnte man den Eindruck gewinnen, als habe das deutsche Gemütsleben seit langer Zeit im Wesentlichen aus einer Lücke bestanden; nichts vom bunten Allerlei, das hineintraf, konnte diese erfüllen, nichts regte sich; erst wenn der Fremdenhass hineintrifft, spürt man sofort: Passt!" Man liest "Paare, Passanten" und reibt sich die Augen: Damals schon? Damals schon!

Im politischen Spektrum der Gegenwart hat Botho Strauß also keinen Platz; im literarischen (jedenfalls wenn man die Long- und Shortlists der einschlägigen Buchpreise anschaut) genauso wenig. Vor vierzig Jahren hat Marcel Reich-Ranicki ihm vorhergesagt, er werde einmal den Roman seiner Generation schreiben, und dieser Satz ist bis heute an ihm hängengeblieben. Aber Strauß hat diesen Roman nicht geschrieben, nicht im "Jungen Mann" von 1984, der eine Sammlung von Romananfängen war, und auch in keinem anderen Buch seither. Aber die Erwartungen von einst wirken immer noch nach - wie stark, das zeigt das überschwängliche Lob, mit dem die Kritiker das Erinnerungsbuch "Herkunft" bedachten, Strauß' ersten längeren Prosatext seit drei Jahrzehnten. Es war, als wäre die Verheißung des Großschriftstellers noch einmal aufgeblitzt: kein Epochenroman, aber immerhin ein Abglanz davon.

Doch es hilft nichts: Die Form, mit der sich Botho Strauß in die Geschichte der deutschen Literatur eingeschrieben hat, die Form, die er beherrscht wie kein anderer vor ihm, ist nicht der Roman. Und es ist (trotz glanzvoller Beispiele in "Niemand anderes" oder in "Die Nacht mit Alice") auch nicht die Erzählung. Es ist der Schnappschuss, das Fragment.

Etwa dieses hier, aus seinem neuen Prosaband "zu oft umsonst gelächelt": "Fünfzehn Jahre lang verkehrte C. im Hause seines Kollegen P. und fand sich dort einmal die Woche zu einem jour fixe ein, zusammen mit anderen Mediävisten und Philologen, fünfzehn Jahre lang. Doch eines Tages erhob sich die Frau des Gastgebers mit einem vorher nie gezeigten Hüftschwung vom Tisch, worüber es zwischen ihr und C. zu einem gleichzeitigen Lächeln kam, und auf der Stelle verliebten sie sich ineinander. Nach fünfzehn Jahren des beiläufigsten Umgangs waren sie von einem Tag auf den anderen Jungverliebte und vergaßen beinahe alles, was sie voneinander gewohnt waren und was so lange die stabile Grundlage ihrer Gleichgültigkeit ausgemacht hatte. Wie es anders nicht kommen konnte, nahm C. P.s Frau zu sich, und der ganze Kreis fiel auseinander."

Oder noch kürzer: "Weißkamp, ein Liebestrottel. Er gibt einen Handkuss auf die Pfote einer korpulenten jungen Mitarbeiterin, die sogleich ihre geküsste Hand gegen ihn erhebt, indem sie zwei schlaffe Säckchen Tee in die Luft hält und sie zweideutig baumeln lässt vor seinen Augen."

Es ist nicht klar (und auch nicht wichtig), ob diese Miniaturen, von denen es in "Zu oft umsonst gelächelt" ungefähr fünfzig gibt, selbst beobachtete, von anderen erzählte oder erfundene Geschichten sind. Wichtig ist, dass sie im Augenblick des Erzählens bei Strauß zu beobachteten werden. Der Hüftschwung, das wechselseitige Lächeln, das kippende Machtverhältnis zwischen Chef und Mitarbeiterin - das alles ist so scharf gezeichnet, dass man es vor sich sieht wie eine Straßenszene von Cartier-Bresson.

Fortsetzung auf Seite 38

In der Geschichte von C. und der Frau seines Gastgebers füllt sich dieser Moment noch mit der Dauer der zuvor vergangenen und in ihm umgewendeten Zeit. Das Bild bekommt eine Tiefe, die es nur in der Literatur geben kann.

"Was bleibt mir von der Welt als nur die Episode?" So fragt in dem neuen Buch "der alte Romancier", dessen Auftritte eine Art Leitfaden durch das Labyrinth der Prosa bilden, seinen jüngeren Kollegen. Der Alte ist eine der vielen halb autobiographischen Spielfiguren, hinter denen sich Strauß gern in seinen Büchern versteckt. Hier ist das Spiel durchsichtig: Aus dem Romancier "mit dem dünnen rotblonden Haar" spricht Botho Strauß. "Der Menschen Kleinigkeiten musste ich erfinden." - "Erfolg brauche ich nicht mehr." - "Die späte Fantasie eines Zeichners . . . spielt zunächst im Rahmen dessen, was man seit jeher von ihm kennt - und entführt dann unverhofft aus diesem Rahmen hinaus. Auf jedem Blatt kommt nun ein tieferes zum Durchschein."

Dieses tiefere Blatt, das "Wasserzeichen" der Texte, wie es an anderer Stelle heißt, ist ein Memento mori, ein Symbol der Vergänglichkeit. Nicht wenige der neuen Erzählminiaturen handeln von Krankheit und Tod. Da ist der Mann, der das Sterben seiner Frau nicht wahrhaben will: "Sie liebt ihn aber um so mehr, je zärtlicher und unbeugsamer er ihre Lage verkennt." Und jener andere, der die Liebe, die er vor seiner Frau verbirgt, einem Tagebuch anvertraut, das er ihr vererben will, aber dann stirbt sie vor ihm, und er zerbricht an seinem Versäumnis: "Er krümmt sich betäubt in eine Kuhle am Strand, bis das Meer ihn hinwegspült."

In früheren Büchern, zuletzt in "Der Fortführer", wechselten sich solche glühenden Skizzen immer wieder mit Passagen ab, in denen Strauß seine Verachtung für Medien und Menschen in ätzende Prosa goss. Diesmal fehlen sie, von Ausnahmen wie der beinahe routinierten Spitze gegen die "Verglimpflichungstechnik" des Beziehungsgeredes abgesehen, fast ganz. Dem Straußschen Wimmelbild, könnte man sagen, ist die Grundierung abhandengekommen. Aber dieses Fehlen ist kein Verlust, sondern eine Befreiung. Es entlässt die Geschichten aus der Pflicht, irgendetwas beweisen zu müssen. Sie sind nur noch, was sie sind, Spuren des Daseins. Der Hotelbalkon in Granada, auf dem der Vater mit seinem kleinen Sohn das Feuerwerk über der Alhambra betrachtet, während seine fiebernde Frau im Bett nur an ihren Geliebten, einen "Radiomann", denkt, ist so real wie die Trennungsszene in der Parkbucht in Berlin, an deren Ende die Betrogene ihren gesamten Schmuck vom Körper zieht und ihn dem Betrüger wortlos auf den Beifahrersitz legt: "Schlägt die Tür zu und geht im Regen davon."

Man wird süchtig nach diesen Momentaufnahmen, gerade weil sie nie das vollständige Bild zeigen - an die leeren Stellen, die ausfransenden Ränder lagert sich die eigene Erfahrung an, so dass man beim Lesen auch immer sich selbst mitliest, aus dem Erinnerungsvorrat ergänzend, was der Autor ausgelassen hat. Man möchte dem "alten Romancier" deshalb widersprechen, wenn er am Anfang des Buchs die "Zeugschwäche der Worte" beklagt: "Dass sie nichts mehr hervorrufen, keine Farbe, keine Stimmung . . .; dass sie keinen Lichthof, keine Resonanz mehr haben." Das alles, Stimmung, Farbe und Licht, besitzt dieser Band wie sonst nur wenige unter den Neuerscheinungen der letzten Jahre.

Am Montag wird Strauß fünfundsiebzig Jahre alt. Vor einem Jahr ist er vom Hanser-Verlag zu Rowohlt gewechselt, darum erscheint sein zweites neues Werk "Saul" jetzt dort. Es ist ein Libretto über den biblischen König Saul, den Vorgänger Davids, geschrieben für den Komponisten Wolfgang Rihm, und was für die Prosastücke in "zu oft umsonst gelächelt" nicht gilt, das gilt hier: Man liest diese feinfühlig rhythmisierten Monologe und Wechselreden ohne Bewegung, ohne Resonanz. Sie sind kein "leeres, vergebliches Schattengetuschel", aber doch schattenhaft genug. Vielleicht fehlt ihnen auch nur die Musik.

Peter Handke übrigens weiß genau, wem außer sich selbst er den Nobelpreis gegönnt hätte. Von der "Zeit" befragt, antwortet er: "Mit Botho Strauß zum Beispiel wäre ich einverstanden gewesen." Einverstanden.

Botho Strauß: "zu oft umsonst gelächelt", Hanser, 220 Seiten, 22 Euro; "Saul", Rowohlt, 92 Seiten, 20 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.12.2019

Der geschlossene Vorhang
Verächtlich gegenüber der Gegenwart, anhänglich den Vorfahren und den eigenen Erzählformen verbunden: Botho Strauß in zwei neuen Büchern, dem
unaufgeführten Drama „Saul“ und dem Erzählband „Zu oft umsonst gelächelt“
VON LOTHAR MÜLLER
Zum festen Personal der modernen Literatur gehört die Figur des Unzeitgemäßen. Sie hatte ihre ersten großen Auftritte im 19. Jahrhundert, als mit den Druckerpressen und Papiermaschinen die Zeitungen an Bedeutung gewannen, als Organe der öffentlichen Meinung und der „Jetztzeit“, der zugespitzten Gegenwart, des fortwährenden Staccato der Aktualität. Die „Unzeitgemäßen Betrachtungen“, die Nietzsche ab 1873 publizierte, waren gegen die öffentliche Meinung gesetzt, gegen die Aktualität der Druckerpresse. Der Bildungsphilister, den sie attackierten, war ein Zeitungsleser. Noch eine Generation zuvor war das Unzeitgemäße das Anachronistische gewesen, die in die Gegenwart hineinreichende Schwundstufe einer Vergangenheit, die ihr Überlebtsein nicht begriffen hatte. Mit Nietzsches Umwertung des Begriffs betrat der Unzeitgemäße als stolzer, einsamer Widersacher des Zeitgemäßen die öffentliche Bühne, und er hat sie bis heute nicht verlassen.
Im Gegenteil, mit dem Aufblühen der Blogs und dem digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit, ist ein neuer Typus von Zeitgemäßheit entstanden, der nach seinem Widersacher verlangt. Die Einsicht in die Paradoxie, dass der Unzeitgemäße in der Moderne eine ewig aktuelle Figur ist, findet sich in den nachgelassenen Fragmenten Nietzsches: „Wenn ich einstmals das Wort ,unzeitgemäß‘ auf meine Bücher geschrieben habe, wie viel Jugend, Unerfahrenheit, Winkel drückt sich in diesem Wort aus! Heute begreife ich, dass mit dieser Klage Begeisterung und Unzufriedenheit ich eben damit zu den modernsten der Modernen gehörte.“ Kurz, der Unzeitgemäße ist nicht weniger modern als sein Widerpart, der Avantgardist, die Vorhut des Fortschritts. Er ist dessen strikt anti-utopisches Gegenüber, aber die Maske des Nachzüglers, der von der Vergangenheit nicht lassen mag, trägt er nur zum Schein. Er rivalisiert mit den Fortschrittsfreunden nicht um die Zukunft, sondern um die Gegenwart. Manchmal sieht es so aus, als begnüge er sich damit, sie verächtlich zu machen. In Wahrheit aber will er sie prägen.
Kaum ein anderer Autor der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur hat sein Werk energischer in die Hohlform des Unzeitgemäßen hineingeschrieben als Botho Strauß, seit er in „Paare, Passanten“ (1981) die „Minima Moralia“ Theodor W. Adornos als eine Heimat, „die doch keine Bleibe war“, vorerst beiseitelegte und fortan nicht müde wurde, auf der Bühne wie in der Prosa die aufgeklärten, liberalen, religiös unmusikalischen „Gegenwartsnarren“ so zu betrachten wie einst Nietzsche die Philister.
Sein letztes Drama „Das blinde Geschehen“ war eine Revue über das Verschwinden der Welt im Display. In seinem letzten Prosaband erkannte der Titelheld, „Der Fortführer“, unschwer als Variante des Unzeitgemäßen zu erkennen, im scheinbar Neuesten, den „untergründigen Überlieferungsstrom“ und empfahl den Gegenwartsschriftstellern, sich auf ihre Überlieferungspflichten zu besinnen: „Etwa das herrschende Kurz- oder Magerdeutsch wieder in ein gedehntes, gut genährtes Deutsch zu übersetzen. Oder mit den Luftgeistern der Sprache überzeitlich in Kontakt zu treten, Vernetzung durch die Zeiten herzustellen, ein Verfahren, das die Alten hypoleptisch nannten, wenn jemand an die Worte seines Vorredners anknüpfte. Man könnte auch von einer Ästhetik der Anhänglichkeit sprechen.“
Vor Kurzem hat Botho Strauß, der Anfang Dezember 75 Jahre alt geworden ist, zwei Bücher veröffentlicht, das Drama „Saul“ bei Rowohlt, und den Prosaband „Zu oft umsonst gelächelt“ bei Hanser. Beide geben Gelegenheit nachzufragen, was es mit der „Ästhetik der Anhänglichkeit“ auf sich hat. Schon vor Jahren ist das Drama „Saul“ entstanden. Ein im Anhang abgedruckter Brief des Autors an den Komponisten Wolfgang Rihm lässt erkennen, dass es als Opernlibretto gedacht war. Rihm hatte von der Berliner Staatsoper den Auftrag erhalten, es zur Neueröffnung 2017 zu vertonen, aber das Projekt scheiterte an der Erkrankung des Komponisten. Sein Stoff ist, knapp gesagt, der alttestamentarische König Saul, wie Rembrandt ihn gemalt hat: als Trostbedürftigen, von Gott Verlassenen, der vor dem bösen Geist, der in ihn gefahren ist, Linderung im Harfenspiel Davids findet, des jungen Siegers über den Philister Goliath.
Strauß hält sich eng an die Vorlage im Buch Samuel. Mit der Auflösung der biblischen Erzählerstimme in den Dialog fallen viele Details fort. Es bleibt der hier und da angereicherte Grundriss, beginnend mit dem Begehren des Volkes Israel nach einem König, mit der Übergangsfigur Samuel, die diesem Begehren Rechnung trägt, widerwillig, weil es die unumschränkte Herrschaft Gottes infrage stellt. Die Einsetzung Sauls durch Salbung und Los, den fortwährenden Kampf der Israeliten gegen die Philister, in dem sich Sauls Sohn Jonathan hervortut, die Sauls Argwohn herausfordernde Freundschaft zwischen Jonathan und David, den Besuch Sauls bei der Hexe von Endor, die hier noch so heißt, aber eine undämonische Wahrsagerin ist, all das bis hin zum Tod Jonathans in der Schlacht und Sauls Suizid durch den Sturz ins eigene Schwert fokussiert Strauß auf das Drama des unglücklichen, seiner Berufung nicht gewachsenen Königs.
„Gottes falsche Wahl“ habe er sein Stück nennen wollen, teilt der Autor mit. Sein Saul ist der unglückliche König, dem die Herrschaft misslingt, der Saul Rembrandts. In David, dem Harfenspieler, steckt der künftige König. Einen Klagegesang auf Saul singt er hier nicht, mit seinem überwältigenden Triumph endet das Stück. Dem Autor ist David suspekt. Ein Kompliment ist es nicht, wenn er ihn (im Anhang) als „Strahlemann“ tituliert und betont, ihn habe „die Kontrastbindung zwischen König Saul, dem Urdepressiven, und David, dem Urbegünstigten und -begabten“ angezogen. Die Urbegünstigten sind in der Strauß-Welt die Zeitgemäßen, Saul aber rückt ein in den Reigen der Figuren der Überlastung, des verfehlten Lebens: „Die Wüste steigt mir in den Schädel. Hinter der Stirn nichts als Staub und Geröll.“
Worin liegt hier die „Ästhetik der Anhänglichkeit“? Der Rückgang auf den mit seinem – überaus grausamen – Gott und sich selbst zerfallenen Urmelancholiker Saul ist nur die eine Seite. Die andere ist die Anhänglichkeit an die Sprache der Bibel. Sie erschöpft sich nicht in der Paraphrase, kann aber ihr Ziel, die Annäherung an die Diktion des Alten Testaments nicht erreichen. Sie kann nur so viel wie möglich von der aufgelösten biblischen Erzählerstimme in den Dialog hineinnehmen, ohne den Eindruck des gewollt Archaischen hervorzurufen. Das gelingt Strauß so gut, dass es schade wäre, dieser „Saul“ bliebe ein Lesedrama. „Ich biete das Stück, wie es ist, nicht öffentlich an. Was auch ein jämmerlicher Witz wäre, weil kein Theater so was heute machen würde“, schreibt er im Brief an Wolfgang Rihm. Das ist die Diktion des Unzeitgemäßen in ihrer selbstgewissen, also eher schwachen Variante.
Hoffen wir auf ein Theater, das diese Selbstgewissheit dementiert und das Stück aufführt, am besten als Kammerspiel auf einer Probebühne, und wenden uns dem Prosaband „Zu oft umsonst gelächelt“ zu. Er aktualisiert das vor Jahrzehnten, in „Paare, Passanten“ gefundene Modell, die Kaskade unverbunden aufeinander folgender Prosaskizzen, in denen die Figuren Schrecksekunden erleben, sich durch unwillkürliche Gesten oder eine unzeitige Bemerkung blamieren, sich blitzartig ineinander verlieben und rasch wieder entlieben. Das „umsonst“ im Titel meint eher „vergeblich“ als „kostenlos“, aber ohne Unglücksbilanzen geht es nicht ab.
Der Band ist weniger den Passanten als den Paaren und den Einzelnen gewidmet, die aus dem Paarsein herausfallen oder gar nicht erst hineinfinden, den unschlüssigen Affären, den verpassten Gelegenheiten. Da gibt es das Paar, das am Ende einer Tagung nicht abreist, beisammen bleibt, aber dann doch die Frist versäumt, in der es ein Liebespaar hätte werden können. Oder das Paar, das Jahrzehnte nach einer unversöhnlichen Auseinandersetzung noch einmal zusammenfindet, zusammengeführt womöglich von der Trennung, wie ein bemerkenswerter Satz der Frau erkennen lässt: „Ich habe alles aufbewahrt. Wenn etwas in der Zeitung stand, etwas Neues zu unserem Thema, das uns damals entzweite.“
Es gibt eine locker hingetupfte Rahmenerzählung in diesem Band. Darin wird ein alter Romancier von seinem Gast, einem jungen Kollegen, zu Bett gebracht. Und wer will, mag all die Prosaskizzen, die nun folgen, als späte Geschichten zu später Zeit lesen, als eine Art „Goldberg-Variationen“ zu Botho-Strauß-Motiven, einschließlich der Invektiven gegen das Herunterkommen der Sprache, die Herabwürdigung des Eros in Zeiten der Formlosigkeit. Dann wäre hier die Ästhetik der Anhänglichkeit hier eine Treue zur eigenen Erzählform und zu den Gewährsleuten, auf die sie gern zurückkommt. Wolfram von Eschenbachs „Parzival“ und „Titurel“ tauchen auf, Sappho und Artemisia, Penelope und Odysseus, Judith und Holofernes, Filme von Antonioni und Kubrick. Aber alle diese Wiedergänger aus epischen Beständen sind nicht ganz bei sich. Der alte Romancier ist wie das Reflexionsspiel mit Erzählmustern eine Attrappe.
Der Ungeschickte, die junge Wissbegierige, die scheltende, auftrumpfende, urfluchende Schöne, all die Figuren, die als substantivierte Adjektive auftreten, sehnen sich nicht nach dem Roman, sondern nach der Bühne. „Wenn eine Frau schön ist, dann bleibt sie auch als Sprecherin eines Wirtschaftsverbandes eine jenseitige Erscheinung. Schönheit gehört zum Spektrum nicht erschließbarer Strahlungen, die Zeit, Amt, Gut und Böse überlagern. Sie rühren von Offenbarungsvorgängen, die weiter zurückliegen als die Rotverschiebung zu Beginn des Universums.“ Das ist, als essayistische Prosa, auf einen großen Hallraum hin, mit zu viel Pedal geschrieben. Als Figurenrede, etwa einem gebildeten Architekten im Gespräch mit einem Immobilienmakler im heutigen Berlin in den Mund gelegt, wäre es hinreißend. Vor vierzig Jahren erfand sich Botho Strauß als Unzeitgemäßer im Gegenüber der Prosa von „Paare, Passanten“ und des Zeitstücks „Kalldewey, Farce“. Noch ist der Vorhang für die Figuren geschlossen, die sich im neuen Prosaband nach einem Bühnenauftritts sehnen. Es wäre schön, er würde sich öffnen.
Botho Strauß: Saul. Rowohlt Verlag, Hamburg 2019. 96 Seiten, 20 Euro.
Botho Strauß: Zu oft umsonst gelächelt. Carl Hanser Verlag, München 2019. 220 Seiten, 22 Euro.
„Die Wüste steigt mir in den
Schädel. Hinter der Stirn
nichts als Staub und Geröll.“
Figuren, die als substantivierte
Adjektive auftreten,
sehnen sich nach der Bühne
Botho Strauß, geboren 1944 in Naumburg an der Saale, lebt in der Uckermark.
Foto: Ruth Walz / Rowohlt
Der melancholische König wird durch das Harfenspiel getröstet: Rembrandts „Saul und David“ (um 1655) hängt im Mauritshuis in den Haag.
Foto: AP
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Botho Strauß ist ein Glück für alle wagemutigen Leser, die nicht bestätigt sehen möchten, was sie ohnehin denken. Ulrich Greiner Die Zeit