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Über dieses Jahrhundertstück des irischen Nobelpreisträgers Samuel Beckett schrieb der Philosoph Günther Anders: »Der Clown ist von einer Traurigkeit, die, da sie das traurige Los der Menschen überhaupt abspiegelt, die Herzen all Menschen solidarisiert und durch diese ihre Solidarisierung erleichtert ... Die Farce scheint zum Refugium der Menschenliebe geworden zu sein: die Komplizenhaftigkeit der Traurigen zum letzten Trost. Und weiß auch die Tröstung nicht, warum sie tröstet und auf welchen Godot sie vertröstet - sie beweist, daß Wärme wichtiger ist als Sinn; und daß es nicht der…mehr

Produktbeschreibung
Über dieses Jahrhundertstück des irischen Nobelpreisträgers Samuel Beckett schrieb der Philosoph Günther Anders: »Der Clown ist von einer Traurigkeit, die, da sie das traurige Los der Menschen überhaupt abspiegelt, die Herzen all Menschen solidarisiert und durch diese ihre Solidarisierung erleichtert ... Die Farce scheint zum Refugium der Menschenliebe geworden zu sein: die Komplizenhaftigkeit der Traurigen zum letzten Trost. Und weiß auch die Tröstung nicht, warum sie tröstet und auf welchen Godot sie vertröstet - sie beweist, daß Wärme wichtiger ist als Sinn; und daß es nicht der Metaphysiker ist, der das letzte Wort behalten darf, sondern nur der Menschenfreund.«

Dreisprachige Ausgabe: Auf den Doppelseiten findet sich auf der linken Seite in der linken Spalte der französische, in der rechten Spalte der englische Originaltext und auf der rechten Seite - etwas größer gedruckt und über die gesamte Seitenbreite - die Übersetzung ins Deutsche.
Autorenporträt
Samuel Beckett wurde am 13. April 1906 in Dublin geboren und starb am 22. Dezember 1989 in Paris. Er zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts und erhielt 1969 den Literaturnobelpreis. Beckett ist dem breiten Publikum hauptsächlich durch seine Dramen, insbesondere Warten auf Godot, bekannt, verfasste aber auch Prosa und Lyrik.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.04.2006

Der Witz des ernsten Mannes
Wladimir: So ist die Zeit vergangen.
Estragon: Sie wäre sowieso vergangen.
Wladimir: Ja. Aber langsamer!Pause.
Der Witz, den die beiden Protagonisten in Becketts „Warten auf Godot” so beiläufig machen, ist ein Abgrund - ein Abgrund, geräumig genug, das ganze Stück in sich zu schließen. „So ist die Zeit vergangen” - das ist nichts weiter als die halb aus Gedankenlosigkeit, halb aus flüchtiger Wehmut geborene Allerweltsfloskel. Estragon aber erwidert nicht, wie es wohl im Smalltalk zu erwarten wäre, „Ja, ja”, sondern fasst den Seufzer unvermittelt als einen Aussagesatz: So und nicht anders ist sie vergangen - darf man daraus schließen, dass sie anders nicht vergangen wäre, also in ihrem Vergehen gestockt hätte? Das wäre doch Unsinn! Wladimir - die beiden verstehen sich wirklich gut! - ist sofort bereit, das Problem anzuerkennen. Er akzeptiert Estragons Einwand; aber nicht vorbehaltlos: „Langsamer” wäre sie vergangen, hätte sich nicht gerade die amüsante Episode mit Pozzo und Lucky zugetragen.
Es ist eine höchst aufschlussreiche Fehlleistung. Sie fördert zutage, dass im normalen Sprachgebrauch des Wortes „Zeit” offenbar zwei verschiedene Bedeutungsbereiche wohnen, weder ganz getrennt noch identisch. Die eine Zeit ist ein Gebilde, dessen massive Vorhandenheit völlig unlöslich mit der Beschaffenheit des Stoffs vermengt ist, aus dem es besteht, wie der Baumstamm mit seinem Holz; nur indem man von diesem spricht, kann man von dem Gebilde überhaupt sprechen. Sie erscheint immer schon mit Attributen und Bezügen behaftet, sonst erschiene sie gar nicht: Es ist eine schöne oder schlechte Zeit, sie vollzieht sich in Eile oder Ruhe, als Kurzweil oder Langeweile, aber immer irgendwie. Allgemeinste grammatische Form dieses Irgendwie ist das „So”, das deiktische Adverb ohne namentliche Bestimmung; indem Wladimir es benutzt, hat er für die Bedürfnisse der Unterhaltung eigentlich deutlich genug gemacht, dass er diesen Bedeutungsbereich von „Zeit” meint und also nicht den anderen: Zeit als das leere Behältnis, das jeglichen Inhalt in sich aufnimmt, als das, was man sich bezahlen lässt oder, wie man voll staunender Reue bemerkt, verplempert hat: homogene Zeit, der Rohstoff der Stechuhr. Unter gewöhnlichen Umständen leben beide Aspekte friedlich neben- und ineinander hin. Sie vertiefen einander so zum vollen Begriff wie die Parallaxe der zwei Augen das stereoskopische Bild hervorbringt. Aber Estragon urgiert, als das Wort sich zu dem einen Aspekt hinüberneigt, plötzlich den anderen; und Wladimir reagiert darauf mit der erheiternden Gewaltsamkeit des Witzes: Er mutet es der Zeit 2 zu, der leeren und homogenen, „langsamer”, also in einer bestimmten Weise, zu vergehen, wie es nur der Zeit 1 zukommt, der vielfältig vollen. Es ist ein untauglicher Versuch, Deckungsgleichheit der Aspekte zu erzielen, der gewissermaßen in ein Schielen des Begriffs mündet. Aber in diesem Schielen tritt erkennbar hervor, wie sehr angestrengte Synthese war, was sich als unschuldig Ganzes empfehlen will. Ja, ein Witz ist es. Gern wird übersehen oder geleugnet, als liefe dies auf eine Blasphemie am düsteren Sakrament des Existentials hinaus: Er hat Humor, sogar sehr viel Humor. Aber sein Humor versöhnt nicht.
BURKHARD MÜLLER
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