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Samuele ist 12. Nach der Schule trifft er seine Freunde oder streift mit einer selbstgebauten Steinschleuder durch die Gegend. Er will Fischer werden, so wie sein Vater. Samuele lebt auf der Mittelmeerinsel Lampedusa, auf der das Leben schon immer von dem geprägt war, was das Meer bringt. Seit Jahren sind das nun vor allem Menschen - Tausende Flüchtlinge, die in der verzweifelten Hoffnung auf ein besseres Leben eine lebensgefährliche Reise wagen.
Bonusmaterial
Interview mit dem Regisseur Gianfranco Rosi Interview mit dem Arzt Pieto Bartolo Trailer Trailershow Wendecover

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Produktbeschreibung
Samuele ist 12. Nach der Schule trifft er seine Freunde oder streift mit einer selbstgebauten Steinschleuder durch die Gegend. Er will Fischer werden, so wie sein Vater. Samuele lebt auf der Mittelmeerinsel Lampedusa, auf der das Leben schon immer von dem geprägt war, was das Meer bringt. Seit Jahren sind das nun vor allem Menschen - Tausende Flüchtlinge, die in der verzweifelten Hoffnung auf ein besseres Leben eine lebensgefährliche Reise wagen.

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2016

Lampedusa als Lebens- und Überlebensform

Goldener Bär für das bleierne, blutige Meer: Gianfranco Rosis Flüchtlings-Dokumentarfilm "Seefeuer", diesjähriger Gewinner der Berlinale, ist endlich zu sehen.

Ein halbes Jahr nachdem "Fuocoammare" bei der Berlinale den Goldenen Bären gewonnen hat, kommt der italienische Dokumentarfilm jetzt als "Seefeuer" in die deutschen Kinos, und man möchte sich wünschen, die Zeit hätte seiner Aktualität geschadet. Doch das hat sie nicht. Es ist alles nur schlimmer geworden.

Gianfranco Rosi filmte im vergangenen Jahr auf Lampedusa, der zwanzig Quadratkilometer großen Schwelle zwischen Afrika und Europa. 4500 Menschen wohnen dort, doch im vergangenen Jahrzehnt sind 400 000 weitere auf die Insel gekommen: Flüchtlinge, die von den libyschen Stränden aus von Schleppern nach Italien geschleust werden sollten, aber nur die wenigsten landeten an den Steilküsten Lampedusas, die meisten wurden von Patrouillenschiffen im Mittelmeer in winzigen Schlauchbooten oder von seeuntüchtigen Seelenverkäufern entdeckt und gerettet. Wie viele gestorben sind beim Versuch, Lampedusa zu erreichen, kann man nicht wissen. Aber wenn man die Szenen sieht, die Rosi bei der Bergung eines völlig überfüllten Flüchtlingsschiffs aufgenommen hat, wird man die Zahl nicht niedrig ansetzen. Allein 55 Menschen wurden an jenem Tag tot geborgen, und für einen kurzen Moment führt uns Rosis Kamera unter Deck in einen völlig vermüllten Raum, wo eine Leiche neben der anderen liegt, "Passagiere dritter Klasse", die für 800 Dollar eine Überfahrt bekommen haben, die nicht einmal genug Atemluft garantierte. Das sind Bilder, wie man sie in dieser Drastik in keiner Nachrichtensendung sieht. Nach Godards klassischer Formulierung vierundzwanzig Mal Wahrheit in jeder Sekunde.

An "Fuocoammare" (der Titel eines im Film gespielten alten Liedes über das im Zweiten Weltkrieg bombardierte Lampedusa) führte im Februar 2016 für die Berlinale-Jury kein Weg vorbei, und das lag nicht nur am brennenden Thema. Der 1964 geborene, als Dokumentarist spätberufene Gianfranco Rosi ist ein Regisseur, der Formbewusstsein besitzt wie nur wenige seiner Kollegen; schon drei Jahre früher hatte er mit "Sacro GRA", einer Dokumentation über den Autobahnring rund um Rom, auf dem Festival von Venedig den Hauptpreis gewonnen. Auch das war ein Notturno der menschlichen Existenz, in dem das große Thema konfrontiert wurde mit Einzelschicksalen ganz normaler Bürger. Und auch in "Fuocoammare" gehört der größte Teil der 110 Minuten nicht den Bootsflüchtlingen, sondern dem zwölfjährigen Fischersohn Samuele.

Es dauert etwas, bis man diese Zusammenführung des Unvergleichlichen versteht. Samuele fühlt sich auf dem Meer nicht wohl, stattdessen verlegt er sich an Land auf die Vogeljagd mit der Schleuder. Gemeinsam mit einem Freund steht er am Ufer und feuert Salven aus imaginären Repetiergewehren aufs Meer hinaus - alles in ihm ist von Angst geprägt. Sein Arzt versucht dem Jungen Lebensmut einzureden, doch der Mediziner ist selbst verzweifelt, denn in seinen Einsätzen auf hoher See hat er hundertfachen Tod feststellen müssen. An die gestorbenen Kinder und Frauen kann er sich nicht gewöhnen.

Dieser Arzt ist das eine Bindeglied zwischen Samuele und den Verzweifelten, die dessen Insel zu erreichen versuchen. Die zweite Verbindung ist das Meer, das Rosi direkt nach seinem erschütternden Kamerablick in die Hölle des Unterdecks in einer langen Einstellung als bleigraue endlose Fläche vorführt, deren stetes Auf und Ab unberührt bleibt von all den Dramen - den großen wie dem Massensterben auf der Flucht und den kleinen wie Samueles Unfähigkeit, die Familientradition als Seefahrer fortzusetzen. Bisweilen begleiten wir einen Taucher unter die Wasseroberfläche, in eine blau leuchtende Welt der Stille, wo jedoch Relikte von Schiffbrüchen warten. Und dann treffen wir an Land auf dasselbe feierliche Blau, wenn Rosi nächtliche Szenen in einem Flüchtlingscamp aufnimmt: ein kollektives Abendgebet, die mitreißende wie als Rap vorgetragene Erzählung einer Flucht oder Menschentrauben um die beiden einzigen Telefonzellen. Aus dem Lampedusa-Blues ist kein Entkommen.

Und doch setzt Gianfranco Rosi zuletzt kleine Zeichen der Hoffnung. Nicht durch Aufnahmen von glücklich der See entkommenen Afrikanern; alle Geborgenen in "Fuocoammare" sind Gebrochene, denen Entbehrung und Verzweiflung anzusehen sind. Aber Samuele wird noch einmal auf nächtlicher Tour gezeigt, und statt dabei wie zuvor Vögel zu jagen, streichelt er sie, bevor der Film mit seinem Versuch endet, sich im Hafen ans Schwanken des Meeres zu gewöhnen. Was dieser italienische Junge über oder ob er überhaupt an die Hunderttausenden denkt, die im Unterschied zu ihm keine Wahl und keine Zeit haben, wenn sie sich retten wollen, das spart Rosis Film aus. Aber in der beginnenden Bemeisterung der eigenen Angst lässt er ein Modell aufscheinen, das wir uns als Idealvorstellung dieses Regisseurs für sein Land, seinen Kontinent vorstellen müssen.

ANDREAS PLATTHAUS

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