14,90 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

Die Geschichte der modernen Sprachwissenschaft wird von ihrer Gründerfigur Ferdinand de Saussure beherrscht. Der unter seinem Autornamen veröffentlichte Cours de Linguistique Générale gilt als Programmschrift des Strukturalismus und ist einer der in Linguistik und Kulturwissenschaften am meisten zitierten Texte der letzten Jahrzehnte. Ludwig Jägers Einführung legt hinter diesem allzu gegenwärtigen de Saussure einen weithin unbekannten Autor gleichen Namens frei, dessen theoretische Interessen im Bereich der Sprach- und Zeichentheorie sich aus den Laborerfahrungen eines brillanten…mehr

Produktbeschreibung
Die Geschichte der modernen Sprachwissenschaft wird von ihrer Gründerfigur Ferdinand de Saussure beherrscht. Der unter seinem Autornamen veröffentlichte Cours de Linguistique Générale gilt als Programmschrift des Strukturalismus und ist einer der in Linguistik und Kulturwissenschaften am meisten zitierten Texte der letzten Jahrzehnte. Ludwig Jägers Einführung legt hinter diesem allzu gegenwärtigen de Saussure einen weithin unbekannten Autor gleichen Namens frei, dessen theoretische Interessen im Bereich der Sprach- und Zeichentheorie sich aus den Laborerfahrungen eines brillanten komparatistischen Linguisten am Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten. Dieser aus den Quellen rekonstruierbare Saussure tritt mit seinem strukturalistischen Alter Ego in einen Dialog und wird im Horizont zeitgenössischer Diskurse situiert.
Autorenporträt
Ludwig Jäger ist Professor (i. R.) für Sprachwissenschaft an der RWTH Aachen University mit dem Schwerpunkt Medientheorie sowie linguistische Fach- und Theoriegeschichte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.11.2010

Sprache und
Willkür
Ursprünglich sollte die 1978gegründete Junius-Reihe „ . . . zur Einführung“ den theoretischen Unterbau liefern für den Marsch durch die Institutionen, sollte kurz und knapp die wichtigsten philosophischen Grundlagen und Diskurse vermitteln. Davon kann im Falle des Sprachwissenschaftlers Ferdinand de Saussure kaum mehr die Rede sein, denn der Germanistikprofessor Ludwig Jäger verkompliziert durch seine höchst akademische Prosa die ohnehin schon komplexen Theorien Saussures. Die handeln vor allem von der Sprache als System willkürlicher Zeichen, als substanzlos reine Form. Saussure hat damit nicht nur die Basis für den Strukturalismus geliefert, sondern für die moderne Linguistik überhaupt. Eines der unterhaltsamsten Kapitel in dieser Monographie ist aber vielleicht Saussures Biographie, die tiefe Einblicke gewährt in seine Persönlichkeit und Karriere.
Helmut Mauró
Ludwig Jäger: Ferdinand de Saussure zur Einführung. Junius Verlag, Hamburg 2010. 253 Seiten, 14,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2011

Korrekturen einer Heldenbiographie
Ludwig Jäger erläutert, was Ferdinand de Saussure wirklich zum Begründer moderner Sprachwissenschaft machte

Wo ist der erste Drehbuchautor, der den Reiz dieses Stoffes erkennt? Eine wissenschaftshistorische Heldenbiographie mit der unwahrscheinlichsten aller Wendungen: Jahrzehntelang wurde Ferdinand de Saussure, die erste Koryphäe der modernen Sprachwissenschaft, für das falsche Werk gefeiert, den postum von seinen Schülern verfassten "Cours de linguistique générale". Saussure galt und gilt vielen Germanisten daher bis heute als Nestor der Linguistik im Geiste des Strukturalismus, wonach ein abstraktes Sprachsystem (Langue) den verschiedenen Aktualisierungen (Paroles) vorgeordnet ist. Nur Ersteres, die Langue als Form, betrachtete der "Cours" als Gegenstand linguistischer Analyse. Dabei war der Komparatist Saussure in Wahrheit ein profunder Kritiker des rein kognitivistischen Strukturalismus: Die Parole nämlich wirkt seiner Meinung nach auf das System zurück, weshalb soziohistorische, psychische und biologische Kommunikationsbedingungen in die Analyse einzubeziehen seien.

Erst in der jüngeren Vergangenheit beginnt sich allmählich die Auffassung durchzusetzen, dass Saussure die moderne Linguistik gerade in ihrer nicht- oder nachstrukturalistischen Verfasstheit umrissen habe. Diese Sicht auf den "authentischen Saussure", bestätigt vom Fund fragmentarischer Aufzeichnungen des Wissenschaftlers im Jahre 1996, wurde seit den siebziger Jahren ganz entscheidend vom Aachener Sprachwissenschaftler Ludwig Jäger vorangetrieben. Nun hat er seine zahlreichen Einsprüche gegen das überkommene Saussure-Bild zu einer instruktiven Monographie zusammengefügt. Er entwickelt dabei das Gedankengebäude des großen Sprachwissenschaftlers aus dessen Biographie heraus - und die eben ist filmreif.

Ferdinand de Saussure stammte aus einer bedeutenden Genfer Intellektuellenfamilie. Der hochbegabte Ferdinand litt vor allem unter den Erziehungsvorstellungen seines Vaters Henri, eines renommierten Insektenforschers, der den Sohn in die Naturwissenschaften zu drängen suchte. Groß war die Bestürzung bei Henri de Saussure, als Ferdinand an der Genfer Universität durch das Chemieexamen fiel. Zeitgleich aber hatte der Sohn sein Griechisch, Latein und Sanskrit verbessert und einen sprachwissenschaftlichen Artikel bei der Société linguistique in Paris eingereicht, die den Achtzehnjährigen sogleich als Mitglied aufnahm.

Der Paukenschlag erfolgte kurz darauf. Mit zwanzig Jahren veröffentlichte der seit zwei Jahren in Leipzig unter anderem Slawisch, Litauisch, Altpersisch und Keltisch studierende Saussure ein Buch, das die etablierte Disziplin in "Schockstarre" (Jäger) versetzte und den Verfasser über Nacht berühmt machte. Das "Mémoire sur le système primitif des voyelles dans les langues indo-européennes" hat bis heute kaum etwas von seiner revolutionären Bedeutung als Ausgangspunkt der modernen Indogermanistik eingebüßt. Vor allem sieht Jäger darin das positivistische Wissenschaftsprogramm der Junggrammatiker um Karl Brugmann und Hermann Osthoff, denen man Saussure mitunter zurechnet, mit Nachdruck zurückgewiesen. Erstmals formulierte de Saussure hier die zentrale Einsicht, dass Laute nur in ihrer jeweiligen morphologischen Umgebung analysiert werden dürfen.

Ein kurzes Berliner Intermezzo im Wintersemester 1878/79 könnte ihn, so mutmaßt Jäger, mit der Vorlesung Carl Wernickes zur Gehirnanatomie und mit Heymann Steinthals Vorlesung zur Sprachphilosophie im Gefolge Wilhelm von Humboldts in Kontakt gebracht haben: Beides jedenfalls hat Spuren in Saussures Werk hinterlassen. Es folgte ein äußerst fruchtbares Jahrzehnt in Paris, wo aus dem behüteten Sohn ein gerühmter Hochschullehrer wurde, der Grundzüge einer neuen Sprachwissenschaft entwarf. Es ging darum, ein Modell der Sprache zu entwerfen, das kein Substrat der Sprache unterstellt. "Daten müssen, bevor sie beobachtbar sind, theoretisch konstituiert werden, allerdings auf einem Wege, der seinerseits der theoretischen Legitimation bedarf", fasst Jäger Saussures in vager Anlehnung an den hermeneutischen Zirkel entworfenes Programm zusammen.

Vermutlich war es der Druck der Familie, der im Jahre 1891 zu de Saussures Rückkehr nach Genf führte. Zwar heiratete er bald, aber an der Genfer Universität war er einsam und unglücklich. Er stufte nur wenige Studenten als "seriös" ein und hielt Vorlesungen vor ein oder zwei Zuhörern. Da war er Mitte dreißig - und am Ende seiner Karriere. Als Autor trat er in den nächsten zwanzig Jahren kaum noch hervor, dafür füllten sich seine Notiz- und Tagebücher mit weitreichenden Thesen zur Sprach- und Literaturtheorie, die Jäger detailliert diskutiert. Dabei zeigt sich in der Tat, dass de Saussures Sprachmodell, das mit Grenzfiguren und Annäherungen operiert, "in hohem Maße als geeignet erscheint, auch in den gegenwärtigen Theoriedebatten eine bedeutende Rolle zu spielen".

OLIVER JUNGEN

Ludwig Jäger: "Ferdinand de Saussure". Zur Einführung. Junius Verlag, Hamburg 2010. 254 S., br., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das revolutionäre Potential der Saussure'schen Thesen zu den indo-europäischen Sprachen erkennt Oliver Jungen noch beim Lesen der Biografie des großen Sprachwissenschaftlers. Atemlos ob der "filmreifen" Lebensgeschichte und der ungewöhnlichen, auf das nachstrukturalistische Vermächtnis von Ferdinand de Saussure abhebenden Arbeit von Ludwig Jäger, legt Jungen das Buch aus der Hand. Saussures Denken aus dessen Biografie und den umfangreichen Notiz- und Tagebüchern heraus detailliert zu entwickeln, hält er für einen starken, instruktiven Ansatz.

© Perlentaucher Medien GmbH