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Teilung anerkannt, Einheit passé? Diese Frage haben sich die in dieser Studie untersuchten status-quo-oppositionellen Gruppen und Persönlichkeiten in der Deutschlandpolitik während der 70er und 80er Jahre in der Bundesrepublik gestellt. Sie haben versucht, auf ihre Weise, das heißt im Sinne der Offenheit der Deutschen Frage, gegen den deutschlandpolitischen Mainstream zu argumentieren. Dabei sind sie auf erhebliche Widerstände im eigenen politischen Lager und im auf die Zweistaatlichkeit Deutschlands ausgerichteten intellektuellen Diskurs der Bundesrepublik gestoßen.
Welche Wechselwirkungen
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Produktbeschreibung
Teilung anerkannt, Einheit passé? Diese Frage haben sich die in dieser Studie untersuchten status-quo-oppositionellen Gruppen und Persönlichkeiten in der Deutschlandpolitik während der 70er und 80er Jahre in der Bundesrepublik gestellt. Sie haben versucht, auf ihre Weise, das heißt im Sinne der Offenheit der Deutschen Frage, gegen den deutschlandpolitischen Mainstream zu argumentieren. Dabei sind sie auf erhebliche Widerstände im eigenen politischen Lager und im auf die Zweistaatlichkeit Deutschlands ausgerichteten intellektuellen Diskurs der Bundesrepublik gestoßen.

Welche Wechselwirkungen gab es zwischen den hier untersuchten Gruppen und Persönlichkeiten und den Vertretern des deutschlandpolitischen Mainstreams? Zuweilen hatte es den Anschein einer Diskursverweigerung. Es ist daher eine beachtliche Leistung der in dieser Studie untersuchten deutschlandpolitischen Dissidenten, dass sie trotz aller Verdächtigungen und Anfeindungen dennoch am Staatsziel der Wiedervereinigung ganz besonders festhielten und - ex post - ihrer Zeit praktisch weit voraus waren: »Und so ist es heute richtig und an der Zeit, an die Menschen zu erinnern, die sich nie mit der Spaltung unserer Nation abgefunden haben. Ihnen gebührt hohe Anerkennung und ein angemessener Platz in der Nationalgeschichte.« (Rainer Eckert)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.2013

Wiedervereinigung - ein Thema!
Status-quo-oppositionelle Kräfte in der Bonner Republik während der Jahre 1972 bis 1989

Als sich im Herbst 1989 durch die friedliche Revolution in der DDR unverhofft die Chance zur Wiedervereinigung Deutschlands ergab, traf dies die Bundesrepublik völlig unvorbereitet. Eine auf Wiedervereinigung als wenigstens mittelfristig zu erreichendes Ziel ausgerichtete, operative Deutschlandpolitik oder auch nur Konzepte dafür gab es nicht, weder unter der sozialliberalen noch unter der christlich-liberalen Koalition. Selbst als beharrlich anzustrebendes Fernziel sah sich die Wiedervereinigung bereits teilweise in Frage gestellt. Jedenfalls hatte sich die Bundesrepublik auf die Zweistaatlichkeit als Dauerzustand nicht nur eingestellt, sondern nach Abschluss des Grundlagenvertrags mit der DDR 1972 und dem "Abschied vom Provisorium" (Andreas Wirsching) auch darin häuslich eingerichtet und im Rahmen einer "die Realitäten anerkennenden" Entspannungspolitik lediglich auf eine Milderung der Folgen der Teilung für die Menschen hinzuwirken versucht.

Teilung anerkannt, Einheit passé? Nicht alle wollten sich damit zufriedengeben. Es gab in der Bundesrepublik Einzelpersönlichkeiten und kleinere Personengruppen unterschiedlichster Provenienz und politischer Ausrichtung, die sich mit der deutschen Teilung zu arrangieren nicht bereit waren und auf eine aktive Wiedervereinigungspolitik drängten. Diesen längst in Vergessenheit geratenen status-quo-oppositionellen Kräften ist die Studie von Lutz Haarmann gewidmet. Vom deutschlandpolitischen Mainstream als "Störenfriede" und "kalte Krieger" angesehen, wurden diese Außenseiter vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR wegen "politisch-ideologischer Diversion" als "staatsgefährdend" eingestuft und intensiv observiert. Ein großer Teil dieser beharrlichen Einheitsbefürworter orientierte sich am Wiedervereinigungsauftrag des Grundgesetzes, den das Bundesverfassungsgericht im Grundlagenvertragsurteil 1973 und nochmals im Teso-Beschluss von 1987 kontrafaktisch bestätigt und bekräftigt hatte: "Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden" (Präambel in alter Fassung).

Der deutschlandpolitische Arbeitskreis der CDA etwa sah sich in der Tradition des Denkens Jakob Kaisers und erstrebte unter Führung des CDA-Chefs Ulf Fink und des Kulturpolitikers Lehmann-Brauns durch den Aufbau von Verbindungen zu DDR-Oppositionellen und private Kontakte in die DDR eine Ergänzung der regierungsamtlichen Entspannungspolitik um eine "Deutschlandpolitik von unten", um den Willen zur Wahrung der nationalen und staatlichen Einheit zu dokumentieren und wachzuhalten.

Der 1968 gegründete Kurt-Schumacher-Kreis setzte sich ebenfalls für eine aktive Berlin- und Deutschlandpolitik ein und sah sich aufgrund seines Beharrens auf unaufgebbaren Rechtspositionen und dem Eintreten für den Primat der Menschenrechte in den innerdeutschen Beziehungen innerhalb der Sozialdemokratie zunehmend isoliert und angefeindet. Das gleiche Schicksal widerfuhr dem nationalliberalen Detlef Kühn, der als Präsident des Gesamtdeutschen Instituts engagierte deutschlandpolitische Bildungsarbeit leistete.

In der bundesdeutschen DDR-Forschung hielt die Gesellschaft für Deutschlandforschung im Bewusstsein der Offenheit der deutschen Frage am Totalitarismusansatz fest und entzog sich damit einer rein systemimmanenten Betrachtung der DDR, die in der Gefahr stand, die SED-Herrschaft zu verharmlosen. Im Arbeitskreis ehemaliger DDR-Akademiker, der von Wolfgang Seiffert, Franz Loeser und Hermann von Berg gegründet und geleitet wurde, fanden sich ehemals regimetreue SED-Mitglieder nach Flucht oder Ausreise zusammen, um nach ihrem Bruch mit dem Regime gemeinsam auf der Basis des Grundgesetzes für die Überwindung der Teilung und die selbstbestimmte Herstellung der deutschen Einheit zu streiten.

Auch auf dem linken politischen Spektrum gab es mit der maoistischen KPD/ML, mit der Arbeitsgruppe Berlin- und Deutschlandpolitik der Alternativen Liste sowie dem Initiativkreis Linke Deutschland-Diskussion Kräfte, die aus dem sonstigen post- beziehungsweise antinationalen Konsens der Linken ausscherten und die Teilung auch nicht als "gerechte Strafe für Auschwitz" akzeptieren wollten. Auch das Argument der Friedenssicherung durch Bewahrung des Status quo verfing bei ihnen nicht. Wirklichen und dauerhaften Frieden konnte es nach ihrer Ansicht nur mit einem wiedervereinigten, paktfreien Deutschland geben.

Der Einfluss all dieser Akteure auf die operative Politik in der Bundesrepublik blieb marginal, aber ihr Verdienst liegt darin, die offene deutsche Frage im Westen Deutschlands immer wieder thematisiert und im Bewusstsein gehalten zu haben, was auch für die Opposition in der DDR ein Zeichen der Hoffnung blieb, ehe sie aus eigener Kraft das totalitäre System abzuschütteln vermochte und der Einheit in Freiheit den Weg bahnte.

Noch 1988 sah Martin Walser ("Über Deutschland reden") "nicht die geringste konkrete Aussicht auf einen Anfang der Überwindung der Teilung". "Ich wundere mich", so schrieb er weiter, "dass diese konkrete Aussichtslosigkeit bei mir nicht umschlägt in Hoffnungslosigkeit. Vielleicht wirkt da dieses Geschichtsgefühl." Geschichtliches Bewusstsein gab nicht nur Walser den Mut, sich zu seiner Hoffnung auf eine Wiedervereinigung zu bekennen, während die Mehrheit "an der Vernünftigmachung der Teilung" (Walser) arbeitete. Dieser Minderheit gebührt, wie Rainer Eckert in seinem Geleitwort mit Recht betont, "ein angemessener Platz in der Nationalgeschichte", und dazu hat Haarmann einen wichtigen Beitrag geleistet.

CHRISTIAN HILLGRUBER

Lutz Haarmann: Teilung anerkannt, Einheit passé? Status-quo-oppositionelle Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland vom Grundlagenvertrag bis zur Friedlichen Revolution. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2013. 377 S., 39,90 [Euro].

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