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»Wir denken immer, die großen Familienromane können nur die Amerikaner oder Thomas Mann schreiben - das ist falsch: Von Düffel kann es auch!« (Elke Heidenreich in Lesen!)
´Ich kenne den Mann nicht`, sagt Christian de Houwelandt, als er gebeten wird, die Rede zum achtzigsten Geburtstag seines Großvaters, des Familienoberhaupts zu verfassen. Familiengeschichte als Generationengeschichte: John von Düffel erzählt in seinem neuen Roman mit dramatischer Raffinesse von den de Houwelandts - von vier bewegenden Gestalten aus drei Generationen. Großvater Jorge, ein asketischer Gottsucher, sieht nach…mehr

Produktbeschreibung
»Wir denken immer, die großen Familienromane können nur die Amerikaner oder Thomas Mann schreiben - das ist falsch: Von Düffel kann es auch!« (Elke Heidenreich in Lesen!)

´Ich kenne den Mann nicht`, sagt Christian de Houwelandt, als er gebeten wird, die Rede zum achtzigsten Geburtstag seines Großvaters, des Familienoberhaupts zu verfassen.
Familiengeschichte als Generationengeschichte: John von Düffel erzählt in seinem neuen Roman mit dramatischer Raffinesse von den de Houwelandts - von vier bewegenden Gestalten aus drei Generationen. Großvater Jorge, ein asketischer Gottsucher, sieht nach einem mit unerbittlichem Stolz gelebten Leben an der Seite seiner Frau Esther seinem achtzigsten Geburtstag entgegen. Den Familiensitz im Norden Deutschlands haben die beiden Houwelandts mit der spanischen Küste vertauscht - denn ´was Jorge brauchte, war das Meer`. Das Elternhaus aus der Vorgründerzeit verwaltet der ´Erstgeborene`, sein Sohn Thomas, der am väterlichen Starrsinn zu zerbrechen droht. Dessen einziger Sohn Christian, ´Erstgeborener des Erstgeborenen`, hat den Großvater kaum je kennen gelernt und möchte allen familiären Verlegenheiten, Verlogenheiten Verstrickungen aus dem Wege gehen. Jorges Frau Esther plant, den großen Geburtstag des Patriarchen in Deutschland zu feiern, um die versprengte Familie noch einmal zusammenzubringen. Je näher das Fest rückt, desto verzweifelter kämpfen die de Houwelandts um die eigene Wahrheit, um Recht und Unrecht in der Vergangenheit. Jorge und Esther, Thomas und Christian und ihre Frauen müssen dabei erfahren, dass ihre Wahrheit nur Version ist.


John von Düffel erzählt in seinem neuen Roman mit dramatischer Raffinesse von den de Houwelandts - vier bewegenden Gestalten aus drei Generationen. Familiengeschichte als Generationengeschichte. "Ich kenne den Mann nicht", sagt Christian de Houwelandt, als er gebeten wird, die Rede zum achtzigsten Geburtstag seines Großvaters, des Familienoberhaupts zu verfassen.
Großvater Jorge, ein asketischer Gottsucher, sieht nach einem mit unerbittlichem Stolz gelebten Leben an der Seite seiner Frau Esther seinem achtzigsten Geburtstag entgegen. Den Familiensitz im Norden Deutschlands haben die beiden Houwelandts mit der spanischen Küste vertauscht - denn "was Jorge brauchte, war das Meer". Das Elternhaus aus der Vorgründerzeit verwaltet der 'Erstgeborene',sein Sohn Thomas, der am väterlichen Starrsinn zu zerbrechen droht. Dessen einziger Sohn Christian, 'Erstgeborener des Erstgeborenen', hat den Großvater kaum je kennen gelernt und möchte allen familiären Verlegenheiten, Verlogenheiten und V
Autorenporträt
John von Düffel, geboren 1966 in Göttingen, lebte zeitweise in Irland und den USA, er promovierte 23-jährig über Erkenntnistheorie und war danach als Theater- und Filmkritiker, als Schauspieldramaturg und Übersetzer tätig. Er ist einer der meistgespielten jungen deutschen Theaterautoren der letzten Jahre. 2006 erhielt John von Düffel den Nicolas Born-Preis des Landes Niedersachsen für sein literarisches Werk.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.09.2004

Jorge heißt er, ist Tauchweltmeister
Wenn die Tiefe hinaufdrängt: In seinem vierten Roman läßt John von Düffel die Familie "Houwelandt" auf den Wogen schaukeln

Die Feststellung, daß man mehr Eigenschaften von seinen Eltern hat als gedacht, kann ebenso bestürzend wie tröstlich sein. Manchmal ist es auch einfach nur komisch, sich unversehens dabei zu ertappen, daß man, genau wie der Vater, lauwarme Suppen nicht ausstehen kann oder wie die Mutter eine Vorliebe für roten Lippenstift hat. Auf andere Ähnlichkeiten wiederum muß man gestoßen werden, weil man selbst sie nicht erahnen kann, etwa daß bestimmte Gesten und Verhaltensweisen genau jenen der Großmutter entsprechen, die man nie gekannt hat. "Wir tragen viel mehr Vergangenheit und Geschichte in uns, als wir uns selbst zutrauen", sagt John von Düffel. Oft auch mehr, als wir wahrhaben wollen.

In seinem neuen Roman "Houwelandt" geht es Düffel weniger um äußerliche Ähnlichkeit oder die erblich bedingte Ausdauer gewisser Marotten. Solche Merkmale dienen ihm vielmehr dazu, nach tiefer liegenden, weniger greifbaren Gemeinsamkeiten zu suchen. Für seine zeitgemäße Version des Familienromans läßt er vier Personen in eigenen Kapiteln abwechselnd zu Wort kommen: Jorge de Houwelandt, seine Frau Esther, ihren Sohn Thomas sowie den Enkel Christian. Die offensichtliche Zerklüftung des Houwelandt-Clans hat ihren Ursprung in der Gestalt Jorges, aber erst in den einzelnen Perspektiven der Beteiligten tritt sie in ihrer ganzen Drastik zutage.

Auch in diesem, seinem vierten Roman ist gleich zu Beginn die Rede vom Wasser, dem Element, dem sich John von Düffel im wahrsten Sinne verschrieben hat. Jorge, der geradezu krankhaft rüstige, unerbittliche Patriarch der Houwelandts, überwindet jeden Morgen im Meer den inneren Schweinehund und findet dadurch zu einer Ruhe, die eher einer Betäubung ähnelt. Sein bevorstehender achtzigster Geburtstag zwingt die Familie dazu, sich nach einer langen, uneingestandenen Eiszeit wieder miteinander zu beschäftigen - eine für jeden von ihnen entsetzliche Vorstellung.

Jorge weigert sich hartnäckig, vereinnahmt zu werden, allerdings nur insgeheim: "Er konnte die Feier noch immer absagen. Er war das Familienoberhaupt. Wenn er nicht wollte, würde sein Geburtstag nicht stattfinden, alle würden bleiben, wo sie waren." Einige Schwimmzüge weiter steht sein Entschluß fest: "Es würde keinen Geburtstag geben, und erst recht nicht, wenn es, wie Esther betonte, sein achtzigster war." Seine Frau derweil hat längst beschlossen, ihm ein Fest auszurichten, komme, was wolle, und dazu die Familie nicht nur zusammenzuführen, sondern auch auszusöhnen. Ihr Sohn Thomas, der so tut, als würde er den Familiensitz in Norddeutschland verwalten, seit seine Eltern nach Spanien, ans Meer, gezogen sind, ist entgeistert und überfordert von der mütterlichen Aufforderung, eine Rede auf seinen Vater zu halten: "Er haßte seinen Vater nicht. Er haßte es nur, sein Sohn zu sein."

Ähnliches empfindet sein Sohn Christian ihm gegenüber, auf den er die lästige Pflicht abzuschieben sucht: Für ihn als Rundfunkjournalisten dürfte eine solche Ansprache doch ein Kinderspiel sein. Für Christian wiederum kommt das Anliegen zu einem denkbar empfindlichen Zeitpunkt. Just hat er seiner Frau, der ehrgeizigen Anwältin Ricarda, seinen Wunsch nach Sicherheit und Geborgenheit eröffnet: "Ich will ein Kind mit dir." Doch statt der erwarteten Begeisterungsstürme ist sie skeptisch und vertröstet ihn Tag für Tag. Ihr Zögern bringt Christians fragiles Selbstbild völlig ins Wanken. Erstmals fragt er sich, ob er überhaupt ein guter Vater wäre, und muß sich seinem Verhältnis zu seinem eigenen Vater stellen, einem Mann, dessen Schwäche und Lebensuntüchtigkeit ihn schon als Kind erschreckten.

Vor allem die drei Generationen der Männer, Vater, Sohn und Sohnessohn, sind in der Fremdheit der Houwelandts gefangen. Aber auch die Frauen und Mütter können keine Vertrautheit herstellen - oder gar bewahren. Die Beklemmung, die von dem kühlen, Disziplin mit Distanz in eins setzenden Wesen Jorges ausgeht, hat längst die ganze Familie erfaßt, deren Mitglieder alle auf ihre Weise versuchen, Erinnerung, Pein, Schwäche und Zweifel zu bezähmen. Was bleibt, ist eine konstante Verunsicherung, ein unterschwelliger Schmerz: "Christian konnte nicht mehr, er hatte sich überschätzt. Was eine Familie wert war, zeigte sich nicht in den Erfolgen, die der eine oder andere vozuweisen hatte, sondern in ihrem Umgang mit dem schwächsten Glied in der Kette. So gesehen, war es um seine Familientauglichkeit nicht zum Besten bestellt."

Wie eine Spinne hockt mitten in diesem Netz aus unausgesprochenen, verdrängten Beziehungen das sogenannte Familienoberhaupt. Insbesondere die Charakterstudie Jorge de Houwelandts ist Düffel gelungen, was auch daran liegen mag, daß er ihn als manischen Schwimmer schildert. Doch die Klarheit, die Düffel selbst dem Sport, zumal dem Schwimmen, immer wieder angedichtet hat, stellt sich bei Jorge kaum mehr ein. Längst ist das Meer ihm zu einer Droge geworden, ohne die er die Tage nicht überstehen kann, denn das Wasser steht ihm bis zum Hals. Erinnerungen an seine Kindheit drohen ihn zu übermannen, und er fürchtet, den jahrzehntelang aufgestauten Schmerz nicht mehr im Zaum halten zu können. Während die Versteinerung, die jeden Tag seines Lebens zugenommen hat, ihn endgültig zu überwältigen droht, bekommen seine Frau, sein Sohn und sein Enkel unerwartet Gelegenheit, jeder für sich den gepanzerten Kokon aufzubrechen.

Vor allem aber gibt Jorge dem Autor Gelegenheit, nach zwei schwächeren Romanen endlich wieder Sätze von jener kalten, lautlosen Sinnlichkeit zu schreiben, wie sie schon sein Debüt "Vom Wasser" (1998) auszeichneten: "Das Wasser war flüssiges Glas, farblos vor Frühe. Durch die Tanggärten strich schon der Herbst. Der Gedanke an Sauerstoff durchzuckte ihn, doch es war nur ein Reflex wie vor dem Einschlafen - schon vorbei. All seine Sinne richteten sich auf das bodenlose Blau, das sich unter ihm auftat, und die hinaufdrängende Tiefe. Sie hatte ein so weiches Fell. Jorge war überwältigt von dem Gefühl des Entronnenseins auf der Haut. Wie jeden Morgen."

Trotz der streckenweise bemüht wirkenden perspektivischen Konstruktion, und obwohl wir es erneut mit einem für Düffel zwar typischen, aber deshalb nicht sympathischeren Held der Selbstdisziplin zu tun haben, entwickelt der Roman eine Tiefe, die gerade aufgrund der relativen Banalität der Ereignisse ihre Wirkung entfaltet. Unversehens gelingt es John von Düffel, in jedem seiner Protagonisten eine eigene Ahnung der unendlich komplexen Verschränkungen zwischen den Generationen einer Familie aufscheinen zu lassen. Am Ende ist es ein Tod, der die Houwelandts aufleben läßt - und der unterdrückte verwandtschaftliche Ähnlichkeiten in Chancen verwandelt: Vielleicht sei es ihm nicht gegeben gewesen, den Großvater "finden und lieben zu können in seiner Einsamkeit, aber er habe diese Möglichkeit sein Leben lang gespürt", sagt Christian in seiner Rede. John von Düffels Roman ist ein vorsichtiges Plädoyer dafür, diese Möglichkeit zu nutzen.

John von Düffel: "Houwelandt". Roman. DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2004. 316 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"John von Düffels Art zu schreiben ist von meisterhafter Eleganz und berückender Aufrichtigkeit. Er führt keine Geschichte vor, sondern er begibt sich hinein."
Sächsische Zeitung

"John von Düffel ist nicht allein ein begnadeter Stilist und großartiger Beobachter, er ist vor allem auch ein richtiger Erzähler."
Focus

"Ein ungemein talentierter Erzähler."
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.11.2004

Verloren alle Knorrigkeit
John von Düffels Roman „Houwelandt”
Wie lange noch wird der knorrige Alte, der strenge Familienpatriarch zum Figurenbestand der Literatur zählen? Könnte es nicht sein, dass die Alten von morgen eher unknorrig sind? Und wer würde ihnen in Zukunft beim Knorrigsein zuschauen? Wenn biblisches Alter zum Normalfall wird und nachfolgenden Generationen, wenn es sie gibt, wenig Anlass zu gesteigertem Respekt bietet, dann droht der Altersexzentrik alten Stils das Ende. Das ist eine der Einsichten, die John von Düffels Generationenroman „Houwelandt” bereithält. In der Figur des bald achtzigjährigen Familienoberhaupts mit dem monumentalen Namen Jorge de Houwelandt hat er dem heroischen Typus des Alten ein spätes Denkmal gesetzt.
Die Zukunft wird, für Alte wie für Junge, postheroisch sein. Für den erstgeborenen Sohn des Alten, inzwischen ein Mittfünfziger, hat es nur noch zum charmanten Nichtsnutz und Gelegenheits-Verwalter des elterlichen Anwesens gereicht. Dessen Sohn wiederum ist Anfang dreißig und findet die Schwäche seines Vaters ebenso abschreckend wie die Stärke des Großvaters. Wird die Sippe in Christian de Houwelandt, dem Enkel, das charismatische Oberhaupt von übermorgen haben? Wohl kaum, wenn man sich Christians Beruf vor Augen führt: Er ist Moderator beim Rundfunk. Vom Patriarchen (und studierten Mathematiker) über den Versager zum Moderator, so ließe sich also die männliche Generationsabfolge bei den Houwelandts skizzieren, wobei der Enkel entschlossen scheint, mit dem Regime der Väter und Söhne zu brechen. Nichts wünscht er sich von seiner vom beruflichen Erfolg absorbierten Lebenspartnerin sehnlicher als eine Tochter.
Nicht erst seit Thomas Vinterbergs „Fest” schlägt auf literarischen oder filmischen Familienfesten gern die Stunde der Wahrheit. Katharsis ist angesagt, ja Nemesis, wenn die Söhne das Wort ergreifen, um vor einer allmählich zu Salzsäulen erstarrenden Festgesellschaft die Lebensrechnung mit den Altvorderen zu begleichen. Und immer, zeigt sich dann, gibt es in diesen Familien genug Unausgesprochenes, Verdrängtes und Vergrabenes, das ans Licht will und den großen Festtag im Handumdrehen in eine beschämende und skandalöse Veranstaltung verwandelt. Eben das droht auch den Houwelandts; vieles hat sich am Vorabend von Jorges achtzigstem Geburtstag angestaut, was nie besprochen wurde, allein schon deshalb, weil der Jubilar nicht gern spricht. All das Unbesprochene soll nun in die Rede einfließen, an der Thomas, der Sohn des Alten, mit einem Eifer sitzt und feilt, als gelte es, die versäumten Examina seines Lebens nachzuholen. Halten soll die vom Vater aufgesetzte Rede jedoch sein Sohn.
Gottsucher in der Sonne
Dies also ist die Ausgangslage: Ein schwieriger Mann wird achtzig, und seine Frau, Esther mit Namen, reist für ein paar Tage von Spanien (wo man sich ein Altersdomizil eingerichtet hat) nach Deutschland, um die Familie zu treffen und darauf hinzuwirken, dass das Fest reibungslos vonstatten geht. Während also in Deutschland die familiären Fäden neu geknüpft werden, während Esther, die milde und verständige Ehefrau, Mutter und Großmutter, die Generationsregie an sich zieht, wendet in Spanien der alte Jorge seiner Familie wie gewohnt den Rücken zu. Dort und nur dort befindet er sich in seiner Landschaft, in einer kargen Szenerie mit wenig mehr als Steinmauern und Olivenbäumen, Sonne und Meer und einem selten nachlassenden Schmerz, in dem sich die Todeskrankheit des Alten ankündigt. „Der Berg versank in Sonne. Heller als der Himmel leuchtete der Hang, die Pfade vor ihm waren nur ein Flimmern, unter seinen Schritten erzitterte das Licht. Ohne stehenzubleiben lüftete Jorge seinen Hut, den er der Mittagshitze wegen aufgesetzt hatte, und wischte sich mit bloßer Hand die Stirn. Er mochte keine Hüte, er wollte nichts als freien Himmel über seinem Haupt” - denn Jorge de Houwelandt ist ein Gottsucher auf eigene Faust, dem Konventionen und Regeln eine Last sind, es sei denn diejenigen, der er selbst gegen sich und seine Familie verhängt hat.
John von Düffel hat seine Hauptfigur mit Eigenschaften geradezu überdekoriert, ganz so, als habe er ein letztes Mal einen Patriarchen in his full zeigen wollen. Also lernen wir Jorge de Houwelandt als einen multiplen Fanatiker kennen, als einen Fanatiker des Schwimmens (wieder einmal ist der gelernte Schwimmer von Düffel hier in seinem literarischen Element), der einem Dorfjungen mit einer selbstgebauten Schwimmmaschine die Liebe zum Wasser einbläuen will; als einen Fanatiker des Schmerzes, der den Signalen seines Körpers mit gesteigerter Selbstkasteiung trotzt; als Fanatiker einer menschenabgewandten Männlichkeit, die lieber mit Steinen, Bäumen und Wellen kommuniziert als mit den eigenen Angehörigen. Kurz, es waltet in dieser Figur ein Transzendenzverlangen, gepaart mit einem übermäßigen Strenge-, ja Zucht- und Züchtigungsverlangen gegen sich und andere. All das erinnert nicht wenig an Praktiken von „Opus Dei”, erst recht, wenn man an Thomas’ aktuelle Aufarbeitung des vom Vater verursachten familiären „Verdauungstraumas” denkt. Ein „Übermaß an Kontrolle, an Willkür und Fremdbestimmung” hätten sie als Kinder erlitten, resümiert der Sohn, und er erinnert sich an „durchfallartige Panikattacken”, an „unberechenbare Heimsuchungen des Magen-Darm-Trakts” und „chronische Diarrhöe”. Und von alledem soll beim großen Familienfesttag in aller Ausführlichkeit die Rede sein.
Man liest diesen Roman mit Anteilnahme, allein schon, weil sich in jedem Familienroman alle anderen Familienromane spiegeln, und man liest ihn gespannt zu Ende, weil man wissen will, ob es zum großen Showdown kommt, bevor die Kräfte des alten Mannes versiegen. Trotz solcher Qualitäten bleibt ein Unbehagen. Teils hat es mit von Düffels Sprache zu tun, die recht nah am Wasser baut („Unter den Augen des Jungen, unter dem Blick seines Schülers wurde Schwimmen wieder das Gebet, das es in seinem Herzen immer war”) und der auch sonst die geschmäcklerische Attitüde nicht fremd ist („Der Rioja kreiselte tiefrot und schwappend den Glasbauch entlang”), teils mit dem spirituellen Pathos, das von Düffel seiner Hauptfigur mit auf den Weg gegeben hat. Andererseits: Wer eine Familiensaga schreiben will, die diesen Namen verdient, braucht Helden aus der Vorzeit. So eine mythische Gestalt aus der Vorzeit ist Jorge de Houwelandt - unwahrscheinlich, dass einer wie er heute noch unter uns lebt. Wir kennen niemanden wie Jorge, aber wir fühlen uns vertraut mit seinen Nachkommen, mit dem Versager oder dem Moderator. Von einem mythischen Helden - wie alle Helden eine Summe von Klischees - und seinen sehr alltäglichen Erben erzählt dieser Roman. So gesehen, verstehen wir besser, warum es der knorrigen Figur des Jorge de Houwelandt bedurfte. Um zu demonstrieren, wie in der Abfolge von nur drei männlichen Generationen die Knorrigkeit aus der Welt verschwand.
CHRISTOPH BARTMANN
JOHN VON DÜFFEL: Houwelandt. Roman. DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2004. 316 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Dass John von Düffels Familienporträt "glänzend geschrieben" sein würde, hat Siljia Ukena schon erwartet. Überrascht hat sie allerdings, welch "freundliche Seiten" Düffel dem Sujet abgewinnen kann. Worum geht’s? Auf einer Geburtstagsfeier des Patrons kommen die einander schon lange entfremdeten Mitglieder der Houwelandt-Familie noch einmal zusammen und streiten sich im Folgenden darum, wer das richtige Leben lebt, wer die Wahrheit für sich beanspruchen kann. Der Erzähler zieht sich im Streit um das Richtige "klug aus der Affäre", indem er fortlaufend die Perspektiven wechselt, bemerkt Ukena. Im Laufe der Auseinandersetzung erkennt die Rezensentin dann, um was es Düffel eigentlich geht: "Um die Frage, ob eine Familie als eigene Größe, als Muster" besteht, unabhängig von der Individualität der einzelnen Mitglieder. Eine Idee, die der in "demonstrativer Familienlosigkeit" aufgewachsenen 68er Generation fremd sein dürfte, stichelt Ukena, eine Idee aber, die Düffels Roman zu seinem "besten" nach "Vom Wasser " macht.

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"Düffel gelingt es in seinem ebenso klugen wie packende Roman, das Schweigen hörbar zu machen - mit einer präzisen, rhythmischen und anschaulichen Sprache." DER SPIEGEL "Vielleicht kann man nach der Lektüre dieses glänzend geschriebenen Buchs das nächste Familientreffen mit anderen Augen betrachten." DIE ZEIT "Zielsicher und subtil führt John von Düffel seine Akteure auf das Chaos zu. Und reißt am Ende jeden mit sich." BRIGITTE "John von Düffel ist ein begeisterter Schwimmer und Läufer und kann wie niemand sonst Bewegung in Sprache umsetzten ((...) ein sehr stilles Buch - und manchmal sehr spannend. FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND "Unter den Gegenwartsschriftstellern ist John von Düffel ein Amphibienwesen, dessen eigentliches Element das Wasser ist. Der Autor weiß von den unterschiedlichen Färbungen des Meeres in der Tiefe, er kennt ihren Geschmack, ihren Geruch, ihre Geräusche. Weil das Meer nie losgelöst vom Schwimmen beschrieben wird, läuft die Art und Weise, wie Düffel esbeschreibt, selten Gefahr Klischeehaft zu sein." BERLINER ZEITUNG "Wasser, das Element, dem sich John von Düffel im wahrsten Sinne verschrieben hat." FAZ "Von Düffels Roman ist witzig, scharfsinnig, raffiniert; eine Spielwiese, auf der er herrliche Versuche mit dem angeschlagenen Subjekt des modernen Mannes anstellt." NZZ "Mit Hilfe seines sprach gewandten Ich-Erzählers lotet Düffel sehr amüsant die groteske Psyche eines Turbo-Egoisten im Wellness-, Kontroll - und Karrierewahn aus (...) er erzeugt den faszinierenden Sog einer Sprache im Ich-Rausch." FRANKFURTER RUNDSCHAU "Ein sehr gut gemachter und intelligenter deutscher Unterhaltungsroman!" DER STANDARD…mehr
"Von Düffel entfaltet die komplexe Geschichte der de Houwelandts über drei Generationen leise, subtil, mit psychologischem Feingefühl."
Tobias Haberl, Der Spiegel Special