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»Hellas« meint im Deutschen die Kultur der griechischen Antike, während es zugleich die Eigenbezeichnung des modernen Griechenlands ist. Doch wo liegt Griechenland im kulturellen Europa? Durch welche Vorstellungen und durch welche Akteure entstand das gegenseitige Bild? Der Band spannt einen Bogen vom deutschsprachigen literarischen Konservatismus der Jahrhundertwende über die Kulturpolitik der NS-Zeit, die Besatzungszeit Griechenlands durch die »Deutsche Wehrmacht« bis zu den Folgen der Ost-West-Spaltung Europas für die gegenseitigen Nachkriegsbeziehungen. Die Beiträge verknüpfen Literatur-…mehr

Produktbeschreibung
»Hellas« meint im Deutschen die Kultur der griechischen Antike, während es zugleich die Eigenbezeichnung des modernen Griechenlands ist. Doch wo liegt Griechenland im kulturellen Europa? Durch welche Vorstellungen und durch welche Akteure entstand das gegenseitige Bild? Der Band spannt einen Bogen vom deutschsprachigen literarischen Konservatismus der Jahrhundertwende über die Kulturpolitik der NS-Zeit, die Besatzungszeit Griechenlands durch die »Deutsche Wehrmacht« bis zu den Folgen der Ost-West-Spaltung Europas für die gegenseitigen Nachkriegsbeziehungen. Die Beiträge verknüpfen Literatur- und Wissenschaftsgeschichte, indem sie den Kulturtransfer an zentralen Institutionen und Vermittlern darstellen und damit eine Grundlage für eine in beiden Ländern weiterhin notwendige Gedächtnisarbeit legen.
Autorenporträt
Marilisa Mitsou ist Professorin für Neogräzistik an der LMU München.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.06.2010

Falsche Liebe
Seit jeher haben die Deutschen einen
verzerrten Blick auf Griechenland
Geschichten, die derzeit in Griechenland erzählt werden, gehen so: Eine griechische und eine deutsche Autofahrerin streiten um einen Parkplatz. Sagt die Griechin zur Deutschen: „Du Merkel!“ Im Verhältnis der Völker gewinnt in Krisenzeiten das Klischee. Die Wucht, mit der heutzutage längst vergessene Stereotype neu belebt werden, überrascht aber doch. Wer nach Erklärungen dafür sucht, kann mit der Aufsatzsammlung „Hellas verstehen“ auf Spurensuche gehen.
Die Beschäftigung mit Hellas beginnt, wo das Unglück seinen Lauf nahm: im 19. Jahrhundert, mit der Aneignung der Antike durch ein schwärmerisches Philhellenentum. Ein verinnerlichtes ideales Griechenlandbild verhinderte nicht nur die unvoreingenommene Betrachtung der Antike, es verstellte auch den Blick auf die Gegenwart. Die Freunde der Hellenen, schreibt Hans Eideneier, seien schon bald so weit gegangen, die Griechen zu verachten. Der Byzantinist sieht darin „ein Phänomen, das nur in deutschen Landen mit solcher Energie betrieben“ wurde. Gleichwohl: Das Heil in „Arkadien“ zu suchen, wurde Teil deutscher Seelenfindung.
Die Volte der Geschichte: Die Ideologie des schönen Scheins wurde mit dem Wittelsbacherkönig Otto nach Griechenland exportiert und dort nur zu gern importiert: Den Bewohnern Griechenlands kam die Fiktion einer Kontinuität von der Antike bis in die Gegenwart zupass. Eideneier schlägt in seinem erhellenden Beitrag den Bogen zu heute und beklagt eine fortgesetzte Ignoranz, beispielweise gegenüber der aktuellen neugriechischen Literatur.
Hitler ließ Olympia ausgraben
Der Angriff der Wehrmacht wurde noch unmittelbar vor dem April 1941 von vielen Griechen für unmöglich gehalten, glaubten sie doch an ein von Bewunderung geprägtes Verhältnis speziell der Deutschen zu ihrem Land. Deutsche Offiziere ließen sich dann auch über die Akropolis führen. Hitler ließ schon von 1937 an propagandawirksam das antike Olympia weiter ausgraben, mit Einkünften aus „Mein Kampf“. Seine Antikenverehrung verhinderte allerdings keine der vielen Grausamkeiten. Die barbarischen Übergriffe der Besatzer ließen später die zahlreichen deutschfreundlichen Professoren in Hellas, sofern sie den Furor überlebt hatten, an ihrem Ideal verzweifeln. Der Band widmet diesem dunkelsten Kapitel der „Kultur-Beziehungen“ mehrere aufschlussreiche Texte.
Wie die Erinnerung an die braune Ära später erfolgreich „liquidiert“ wurde, und zwar auf Bestreben beider Seiten, zeichnet Hagen Fleischer nach: Er beschreibt die deutsch-griechische Nachkriegsgeschichte anhand von diplomatischen und sonstigen Hinterlassenschaften beider Nationen. In der jüngsten Schimpfkanonade gegen die „Pleite-Griechen“ fand Fleischer ethnische Stereotype wieder, mit denen schon die deutsche Besatzungspolitik einst brutalisiert wurde. Die Hysterie in den griechischen Medien hat es daher leicht, mit Nazi-Stereotypen an nicht verheilte Wunden zu rühren – zumal die deutsche Entschädigungspolitik es im Fall Griechenlands versäumt hat, für Heilung zu sorgen.
Wie die Vergangenheit noch spukt, trotz Jahrzehnten gemeinsamer europäischer Geschichte, musste Fleischer in einem Standardlexikon der neu-griechischen Sprache feststellen. Dort lautet ein Anwendungsbeispiel für die harmlose Präposition „von“: „Er wurde von den Deutschen exekutiert.“ Mit Sprache und Literatur befasst sich der letzte Teil des Bandes. Die deutsche Übersetzung von Nikos Kazantzakis’ Roman „Alexis Sorbas“ hat die Griechenland-Wahrnehmung vieler junger Deutscher geprägt. Sorbas tanzt sich am Ende das Unglück von der Seele, ein Unglück, an dem er selbst mitgewirkt hat. CHRISTIANE SCHLÖTZER
CHRYSSOULA KAMBAS, MARILISA MITSOU (Hrsg.): Hellas verstehen. Deutsch-griechischer Kulturtransfer im 20. Jahrhundert. Böhlau Verlag, Köln 2010. 380 Seiten, 39,90 Euro.
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