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Eine transnationale Diskursgeschichte des völkerstrafrechtlichen Umgangs mit staatlich organisierter Gewalt im 20. Jahrhundert.Mit dem Aufkommen des modernen Kriegsvölkerrechts im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts veränderte sich der Blick auf die verschiedenen Erscheinungsformen staatlich organisierter Gewalt. Am Beispiel politischer, rechtlicher und wissenschaftlicher Debatten um deutsche (Massen-)Gewalt, die über ein knappes Jahrhundert und in verschiedenen zeitlichen und räumlichen Zusammenhängen beleuchtet werden, geht Annette Weinke dem sich wandelnden Charakter des humanitären…mehr

Produktbeschreibung
Eine transnationale Diskursgeschichte des völkerstrafrechtlichen Umgangs mit staatlich organisierter Gewalt im 20. Jahrhundert.Mit dem Aufkommen des modernen Kriegsvölkerrechts im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts veränderte sich der Blick auf die verschiedenen Erscheinungsformen staatlich organisierter Gewalt. Am Beispiel politischer, rechtlicher und wissenschaftlicher Debatten um deutsche (Massen-)Gewalt, die über ein knappes Jahrhundert und in verschiedenen zeitlichen und räumlichen Zusammenhängen beleuchtet werden, geht Annette Weinke dem sich wandelnden Charakter des humanitären Völkerrechts nach und fragt nach den Verschränkungen von historischer Erfahrung, Historiographie, Recht und (Moral-)Politik. Ihre Untersuchung betritt historisches Neuland, indem sie erstmals die wirklichkeitskonstituierenden Wirkungen des Völkerstrafrechts und der Menschenrechte in eine längere zeitliche Perspektive rückt. Im Fokus stehen dabei deutsche Völkerrechtsverstöße im Ersten Weltkrieg, die nationalsozialistischen Massenverbrechen und der Holocaust sowie das Systemunrecht der DDR.
Autorenporträt
Annette Weinke ist Professorin am Historischen Seminar der Friedrich-Schiller-Universität Jena und stellvertretende Leiterin des Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts.Veröffentlichungen u. a.: Demokratisierung der Deutschen. Errungenschaften und Anfechtungen eines Projekts (Mithg., 2020); Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. Transnationale Debatten über deutsche Staatsverbrechen im 20. Jahrhundert (2016).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Wandlungen des Völkerstrafrechts in Deutschland lernt Miloš Vec bei Annette Weinke in einer gelungenen Zusammenschau historiografischer und juristischer Deutungen von Völkerrechtsverbrechen kennen. Dass Weinke den Fokus nicht auf eine Ereignisgeschichte deutscher Staatsverbrechen legt, sondern auf die auf gedrucktem Material basierende Analyse des Diskurses um ihre Aufarbeitung, scheint Vec nachvollziehbar. Wie um Täter- und Opferbilder gestritten wurde, davon kann ihm die Autorin mit ihrem "insistierenden" Blick auf den Konnex zwischen Völkerstrafrecht und Geschichtsdiskurs einen Eindruck vermitteln. Beobachtungen zur Rolle nichtstaatlicher Akteure ergänzen das Bild für Vec und verdeutlichen die zögerliche Hinwendung Deutschlands zum Völkerstrafrecht am Beispiel der Nürnberger Prozesse oder anhand der Debatten um das SED-Unrecht. Für Vec ein Musterbeispiel einer Kulturgeschichte des Rechts.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2016

Völkerrecht nur mit Vorbehalt
Im Kreuzfeuer: Annette Weinke sondiert Debatten über deutsche Staatsverbrechen

Das Völkerstrafrecht ist relativ jung. Seiner praktischen Durchsetzung stehen klassisch Vorbehalte nationalstaatlicher Souveränität entgegen. Impulse zu seiner Fortentwicklung kamen von jeher aus unerträglich empfundenen Rechtsgutsverletzungen. Im Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts hat Deutschland dabei einen Wandel vollzogen: Vom Widerpart völkerstrafrechtlicher Innovationen wurde es zu einem prominenten Vorreiter auf dem internationalen Parkett. Annette Weinkes Buch gibt eine sehr deutschlastige Geschichte dieser Entwicklung, deren Stärke in der Zusammenschau historiographischer und juristischer Deutungen von Völkerrechtsverbrechen liegt.

Weinkes Fokus liegt nicht auf der in den Grundzügen bekannten Ereignisgeschichte großer deutscher Staatsverbrechen im vorigen Jahrhundert und deren juristischer Aufarbeitung. Ihr ist vielmehr an einer Analyse des Diskurses um diese Aufarbeitung gelegen, wofür sie überwiegend gedruckte Materialien heranzieht. In ihnen wurde zwischen Recht, Geschichte und Politik um Täter- und Opferbilder gestritten. Mit ihrem insistierenden Blick auf den Zusammenhang zwischen Völkerstrafrecht und Geschichtsdiskurs macht die Autorin eine Reihe erhellender Beobachtungen zur Rolle von nichtstaatlichen Akteuren. Gerade der Fokus auf politische, gesellschaftliche und kulturelle Aushandlungsprozesse macht die frühe Abwehr, die zögerliche Rezeption und die späte Hinwendung Deutschlands zum Völkerstrafrecht plausibel. Insofern könnte man von einem Musterbeispiel einer Kulturgeschichte des Rechts sprechen.

Nach dem Ersten Weltkrieg standen die Deutschen im Kreuzfeuer ausländischer Schuldvorwürfe. Sie sollten, so die Konzession der Alliierten, selbst Prozesse gegen die Kriegsverbrecher in ihren eigenen Reihen durchführen. Dass diese "Verliererjustiz" (Harald Wiggenhorn) krachend scheiterte, darf niemanden verwundern. Bemerkenswert ist das erbitterte Ringen um die Geschichtsbilder, das auf deutscher Seite die Verweigerungshaltung unterfütterte. Denn rechtliche, moralische und historische Abwehrstrategien waren eng mit dem Motiv der "Ehre der Nation" verwoben. Auch wenn es bedeutende Fingerzeige in Richtung einer strafrechtlichen Schuld bei deutschen Akteuren gab, konnten sich völkerstrafrechtliche Ansätze nicht durchsetzen.

Nach 1945 war der transnationale Kommunikations- und Streitraum offener. Die neuen Gewaltformen sollten durch internationales Recht bewältigt werden. Dazu musste das Völkerrecht politisiert und modernisiert werden, die juristischen Verfahren wurden geschickt öffentlich inszeniert. Freilich war das auf alliierter Seite jahrelang vorbereitet worden. Exilierte Völkerrechtler und Sozialwissenschaftler hatten in Washington die Grundlagen für das Nürnberger Militärtribunal geschaffen.

Weinkes Augenmerk gilt hier vor allem der deutschen Verweigerungshaltung gegenüber dem menschenrechtlichen Ansatz des Nürnberger Tribunals und der wechselseitigen Verstärkung historiographischer und juridischer Deutungen: Zwar fanden Verurteilungen statt, aber die Dogmen von Befehlsnotstand und Führerprinzip wurden beim bundesrepublikanischen Umgang mit der NS-Vergangenheit apologetisch eingesetzt. Dass die Bundesrepublik 1955 die Völkermordkonvention ratifizierte und einen Völkermord-Paragraphen (§ 220) ins Strafgesetzbuch aufnahm, war einer seltsamen Allianz geschuldet. Der exilierte jüdisch-russische Völkerrechtler Raphael Lemkin, Verfasser der Genozid-Konvention, schaltete sich erfolgreich in den Gesetzgebungsprozess Westdeutschlands ein, wo sich nicht nur die Vertriebenen als Opfer kontinuierlicher Menschenrechtsverletzungen fühlten.

Zum Schluss widmet sich die Autorin den gesamtdeutschen Debatten über SED-Unrecht. Völkerstrafrecht, "Transitologie" und menschenrechtliche Positionen trafen bei der Verhandlung über den Umgang mit der untergegangenen DDR zusammen. Wie nach 1945 waren die Deutschen für bestimmte Lösungsansätze nicht offen. Sie bewältigten das Unrecht des untergegangenen Staates in eigener Regie, nicht durch Völkerrecht oder internationale Tribunale, für die sich die deutsche Politik andernorts außenpolitisch stark machte. Dass viele Akteure in diesen Umbruchsituationen das Völkerstrafrecht als eine attraktive Ressource ansahen, lag Weinke zufolge an der Vieldeutigkeit und den Unbestimmtheiten des rechtlichen Instrumentariums. Es eignete sich gerade dadurch in besonderer Weise für normative Zuschreibungen und ideologische Aufladungen. Der Siegeszug des Völkerstrafrechts gründet somit auf einem außerrechtlichen Fundament, das seinen Vordenkern vermutlich nicht immer geheuer gewesen sein dürfte.

MILOS VEC.

Annette Weinke: "Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit". Transnationale Debatten über deutsche Staatsverbrechen im 20. Jahrhundert.

Wallstein Verlag, Göttingen 2016. 372 S., br., 34,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»ein Standardwerk« (Anselm Doering-Manteuffel, H-Soz-Kult, 28.07.2016) »Die aktuelle Arbeit stellt für die rechtshistorische Forschung einen erheblichen Gewinn dar.« (Werner Augustinovic, Zeitschrift Integrativer Europäischer Rechtsgeschichte, Band 6, 2016) »eine instruktive und sehr lesenswerte, die Literatur souverän verarbeitende Untersuchung« (Ilko-Sascha Kowalczyuk, Das Historisch-Politische Buch, 2/2017)