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Felix Kannmacher wächst mit drei Brüdern im Ostseestädtchen Freiwalde auf. Felix' Vater, ein strenger Schulmeister, verehrt den Philosophen Immanuel Kant, die Mutter wird von wechselnden Stimmungen und bald auch von Wahnideen beherrscht. Der erste Bruder ertrinkt, der zweite veranstaltet Hahnenwettkämpfe, der dritte zieht freiwillig in den beginnenden Krieg. Felix flüchtet sich ins Klavierspiel - immerhin wurde ihm eine Zukunft als Konzertpianist prophezeit. Das Klavier verstummt, als seine Mutter die Saiten als kriegstauglichen Rohstoff zur Sammelstelle bringt. Felix verschenkt sein Herz an…mehr

Produktbeschreibung
Felix Kannmacher wächst mit drei Brüdern im Ostseestädtchen Freiwalde auf. Felix' Vater, ein strenger Schulmeister, verehrt den Philosophen Immanuel Kant, die Mutter wird von wechselnden Stimmungen und bald auch von Wahnideen beherrscht. Der erste Bruder ertrinkt, der zweite veranstaltet Hahnenwettkämpfe, der dritte zieht freiwillig in den beginnenden Krieg. Felix flüchtet sich ins Klavierspiel - immerhin wurde ihm eine Zukunft als Konzertpianist prophezeit. Das Klavier verstummt, als seine Mutter die Saiten als kriegstauglichen Rohstoff zur Sammelstelle bringt. Felix verschenkt sein Herz an Emilie, die Tochter des Apothekers. Doch auf die hat auch sein älterer Bruder ein Auge geworfen. Felix bleibt nur Emilies widerspenstige Schwester Alma. Kurz vor der Doppelhochzeit nimmt er Reißaus ... 'Eine nie vergessene Geschichte' entfaltet das Panorama vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Kriegsende und Flucht 1945. Jan Koneffke zeichnet das Bild einer untergegangenen Welt voller Menschen, die an der Geschichte Schaden nehmen - aber auch an ihren eigenen Vorstellungen. Wie sagte Postkutscher Weidemann immer schon: »Es kommt schlimmer, als es bereits ist.«
Autorenporträt
Jan Koneffke wurde 1960 in Darmstadt geboren. Er studierte Philosophie und Germanistik in Berlin und verbrachte nach einem Villa-Massimo-Stipendium sieben Jahre in Rom. Heute lebt er als Schriftsteller, Publizist und Übersetzer in Wien und Bukarest. Er erhielt unter anderem den Leonce-und-Lena-Preis für Lyrik, den Friedrich-Hölderlin-Förderpreis und den Offenbacher Literaturpreis. Bei DuMont erschienen der Gedichtband ¿Was rauchte ich Schwaden zum Mond¿ (2001) und die ¿Abschiedsnovelle¿ (2006) s
Rezensionen
"Ein erfrischend geschriebener Roman... Koneffke versteht es, seine Figuren in dieser auch sprachlich liebevoll überfließenden Familienpartitur zum Leben zu erwecken. Das charmante Portrait eines Nachgeborenen, der im "verheimlichten Onkel" die alte Figur des Taugenichts aufspürt- und in dessen Schatten unaufdringlich große Geschichte erzählt." FR "Der souveräne Gestus, Sätze, bei denen jedes Wort am Platz ist, nostalgische Wendungen, die keineswegs betulich klingen, sondern in ihrer Authentizität wie Juwelen funkeln im wunderlich perfekten Text. Über das gesamte Spektrum der Sprache scheint dieser Autor zu verfügen (...) Vollends manifestiert sich Koneffkes stilistische Brillanz in dem Umstand, dass all dies wie mit leichter Hand hingeworfen wirkt - ein einziges Lesevergnügen. Wie und auf welchem Niveau Jan Koneffke aus pommerscher Sicht ein Panorama der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts entwirft, das ist große, größte Erzählkunst." FAZ "Eine eindrucksvolle Familiensaga des 20. Jahrhunderts, die ganz vom Trauma des Verdrängens bestimmt ist." FOCUS "Obwohl sich Jan Koneffke auf unabsehbare Historienfelder hinauswagt, ist er ein Erzähler mit feinem Sprachtemperament und kritisch nuancierter Sinnlichkeit. Seine Prosa atmet aromatische Lebensfülle (...). Einfühlsam und doch scharf konturiert heben sich die Charaktere ab vor dem Hintergrund eines alle Zivilisationen zermalmenden Geschichtsprozesses." LITERATUREN

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2008

Wie kommt Großvater ins Goggomobil?
Mit epischer Wucht: Jan Koneffke hat einen überragenden Familienroman verfasst / Von Oliver Jungen

Das Ärgerliche am Paradies ist, dass es Anfang und Ende der Geschichte markiert, aber nie einfach da ist. Manchmal fällt ein himmlischer Vorschein ins irdische Jammertal, gerne in Bayern: So verwandelt sich im Sommer der amöne Erlanger Schlosspark in einen Garten Eden. Pausenlos singen die Paradiesvögel: der Literaturnachwuchs, der seine jüngsten Werke zu Gehör bringt. Auch an die, die von Luft und Lesungen noch nicht leben zu können glauben, ist gedacht; man hat das Gärtlein zum Schlaraffenland erklärt, in dem Wurst und Bier nie zur Neige gehen. Während sich die Arien der Solisten überbieten, lagern mehr und mehr Zuhörer ermattet in der Nähe der Bierquelle, auch in diesem Jahr.

Doch dann war da plötzlich diese Stimme: neu, alt, anders, eine überlegene, faszinierende Erzählerstimme, die direkt aus den goldenen Tagen des poetischen Realismus herüberzuschallen schien: Jan Koneffke trug aus seinem Roman "Eine nie vergessene Geschichte" vor. Man musste ihm folgen, sich hineinziehen lassen in die pommersche Familiensaga mit autobiographischen Zügen. So saß man vor der Bühne und wollte nicht, dass es aufhört: der souveräne Gestus, Sätze, bei denen jedes Wort am Platz ist, nostalgische Wendungen, die keineswegs betulich klingen, sondern in ihrer Authentizität wie Juwelen funkeln im wunderlich perfekten Text.

Über das gesamte Spektrum der deutschen Sprache scheint dieser Autor zu verfügen: Gegrollt, gegreint, getrotzt und sich gewappnet wird hier ebenso wie zur Befangenheit verurteilt, schaffuttert und sich in Rachsucht verbohrt. Vollends manifestiert sich Koneffkes stilistische Brillanz in dem Umstand, dass all dies wie mit leichter Hand hingeworfen wirkt - ein einziges Lesevergnügen. Voll von Symbolik ist dieser Roman und zugleich gänzlich unprätentiös, mit Ausnahme vielleicht zweier arg mythisch geratener Prophetenfiguren: einer immer richtig liegenden Wahrsagerin und einem zum Baum werdenden Schäfer. Auch dies nimmt man gerne hin. Das Buch ist angelegt als große, chronologische Rückblende. Es beginnt, den Erzähler sowie zwei Protagonisten einführend, mit einer Eruption des Todes: "Im August 1968, auf dem Weg zur Beerdigung eines Bekannten, der wie sie von der pommerschen Seenplatte stammte, kamen meine Großeltern bei einem Unfall ums Leben. Ein Mercedes zerquetschte bei Ahrensburg Großvaters Goggomobil mit dem Namen ,Limousine'." Ein prächtiger Einstieg: Wer hat sich nicht schon gewünscht, die eigenen Großeltern in deren Jugend zu treffen? Der Erzähler erfüllt sich den Wunsch im Falle der Kannmachers. Obwohl in deren Leben wenig Außergewöhnliches passiert, halten wir es bald für das Leben an sich, verfolgen jede Schicksalswindung, als beträfe sie uns.

Die Haupterzählung setzt ein im Jahre 1898. Das mit vier Söhnen - Friedrich, Ludwig, Julius und Felix - gesegnete Ehepaar Leopold und Clara Kannmacher lebt im kleinen, langweiligen Ostseeort Freiwalde. Claras Heimweh nach Stettin wird nicht eben dadurch gemildert, dass Leopold, ein bilderbuchhafter Schulmeister, allein für seine Kant-Exegese lebt und einzig seinem Freund Doktor Dehmel gegenüber aus sich herausgeht. Mit seinem stoischem Gleichmut verkörpert er das moralische Prinzip selbst, aber eben auch ein aufgeklärtes Deutschland, das einmal möglich schien. Leopolds Ethik prallt am Leben ab, verkehrt sich in Tragik: "Vom ewigen Frieden" ist just jenes erschütternde Kapitel überschrieben, in dem Sohn Julius ins Eis einbricht und darunter, von oben noch sichtbar, wegtreibt. Die ganze Nacht hackt der Schulmeister verzweifelt aufs Eis ein. Auch Friedrich, den ältesten Sohn, der sich 1914 von der Kriegsbegeisterung mitreißen lässt, kann der Vater nicht retten; er fällt in der Schlacht. Clara, sehr ihrem Bruder Alfred zugetan, einem Abenteurer und Nationalisten, das genaue Gegenteil ihres Ehemanns, hatte Friedrichs vitalistische Ansichten unterstützt und will seinen Tod nicht wahrhaben. Geistig verwirrt, verleumdet sie ihren Mann. Der aber hält weiter zu ihr, nicht nur aus Moral, auch aus Liebe. Leopold zerbricht endlich daran, dass ihm Alfred Clara entführt und - "Ich bin in einer Partei, die das Kranke, Verfaulte und Morsche vernichten will" - ins Irrenhaus einweist, aus dem es keine Rückkehr gibt. Die Erzählperspektive hat sich da bereits verlagert auf die beiden übrigen Söhne: Felix, eine sensible Natur, der das Zeug zum überragenden Pianisten hat, und Ludwig, der sich ausgerechnet in Felix' Freundin Emilie verliebt. Für Felix bleibt deren hysterische Schwester Alma. Mit feinem Gespür auch für das Ironische schildert der Autor diese Doppelliaison. Koneffke verleiht seinen Figuren, die Zeit- und Denkströmungen repräsentieren, scharfe Konturen; aber er gibt ihnen stets Raum, sich zu entwickeln. Selbst Nebenfiguren gesteht er eigene Erzählstränge zu, am deutlichsten im Falle des gutmütigen, aber egozentrischen rumänischen Klaviervirtuosen Victor Marcu. Diesem folgt Felix Kannmacher blind, in der trügerischen Hoffnung auf Förderung seines Talents. Die zurückgelassene Alma verbittert, wirft sich den Nationalsozialisten an den Hals und wird zur lebenslangen Plage für Ludwig und Emilie Kannmacher, jenes Paar, das 1968 im Auto den Tod findet. Nach der Flucht 1945 lebte man gemeinsam im holsteinischen Lehsahn. Wenn es neben den Kant-Referenzen ein Leitthema in diesem Buch gibt, dann ist es die utopische Macht der Musik: Immer wieder erspielt sich Felix am Klavier einen anderen Fortgang der Ereignisse, selbst als die Saiten längst zu Munition verarbeitet sind. Die narrative Matrix wird durch zwei gegenzügige Entwicklungen aufgespannt: Die eine führt, als Kontrafaktur der Ursündenerzählung, immer weiter fort vom halbwegs glücklichen Urzustand, durch alle Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts. Ihr Verkünder ist Postkutscher Weidemann: "Es kommt schlimmer, als es bereits ist." Aber der Weg führt auch wieder aufs aufgeklärte Paradies zu: Ludwigs Sohn Konrad entdeckt den Hausgott seines Großvaters neu und wird Philosophieprofessor. Auch wenn man nach 1945 unter dem "Reich der Zwecke" etwas anderes verstand als die Verbindung vernünftiger Wesen, kehrte allmählich doch ein Grundbegriff von Sittlichkeit zurück.

Alle missglückten Familienromane ähneln einander, aber die geglückten, von Fontane bis Julia Franck, ruhen in sich: Im Porträt einer Familie spiegelt sich das Antlitz einer Epoche wider. Wie und auf welchem Niveau Jan Koneffke aus pommerscher Sicht ein Panorama der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts entwirft, das ist große, größte Erzählkunst.

Jan Koneffke: "Eine nie vergessene Geschichte". Roman. DuMont Verlag, Köln 2008. 320 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.12.2008

Ein Schlangenei wird Pianist
Jan Koneffkes „Eine nie vergessene Geschichte” ist ein Familienroman, aber rasanter, als es das Genre erwarten lässt
Eine richtige Familie braucht ein schwarzes Schaf: einen bankrotten Onkel, einen politisch kompromittierten Bruder, eine Cousine zweiten Grades mit fragwürdiger erotischer Vergangenheit. Sie braucht das schwarze Schaf, weil im Familienkreis ja eigentlich nur jene Gespräche wirklich interessant sind, die hinter vorgehaltener Hand geführt werden. Sie braucht das schwarze Schaf zu pädagogischen Zwecken: So einer sollst du nicht werden, mein Sohn! Und sie braucht das schwarze Schaf, um sich permanent an die Chancen zu erinnern, die ein Ausbruch aus den Erwartungen und Gepflogenheiten der Familie bietet. So gesehen verspricht das schwarze Schaf evolutionären Nutzen: Es steigert die innerfamiliäre Artenvielfalt, wovon die Sippe langfristig profitieren kann.
Jan Koneffkes jüngster Roman ist ein klassischer Familienroman, der über drei Generationen bis zum Vater des Erzählers reicht, von der Kaiserzeit bis zum Ende des Krieges, mit einem Nachspiel, das bis fast in die Gegenwart führt. Es ist aber nicht die Geschichte vom Aufstieg oder Niedergang eines bürgerlichen Geschlechts, wie es die Gattung erwarten lässt. Die Kannmachers bleiben über fast hundert Jahre, was sie immer gewesen sind, solide Mittelschicht nämlich. Koneffkes Roman kreist um des Ich-Erzählers Großonkel Felix, der im Jahre 1926 von der Familie Reißaus nahm, um einer unzumutbaren Doppelhochzeit zu entgehen. Sein Bruder Ludwig, der Großvater des Erzählers, hatte ihm seine Braut Emilie ausgespannt. Statt ihrer sollte er deren Schwester Alma heiraten, eine auf schwer erträgliche Weise hysterische Person, die man heute Zicke nennen würde. Das war mindestens eine Kränkung zu viel. Felix, dessen pianistische Begabung zumindest im pommerschen Kleinstädtchen Freiwalde, irgendwo zwischen Stettin und Danzig gelegen, ein gewisses Aufsehen erregte, schloss sich einem durchreisenden Klaviervirtuosen an und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Ein paar Briefe trafen noch bei seiner Familie ein, aber sie wurden eisern ignoriert. Niemand wollte mehr etwas mit ihm zu tun haben: Denn wer seine Braut im Stich lässt, hat die Ehre der Familie beschmutzt. Irgendwann verliert sich seine Spur in schummrigen Berliner Bars.
Aus wurmstichigem Holz
Felix’ Rolle als schwarzes Schaf hatte sich pränatal angekündigt. Während der Schwangerschaft war seine Mutter felsenfest davon überzeugt, ein Schlangenei auszutragen – die Ärzte freilich konnten keine Auffälligkeiten feststellen. Die Phantasie um das Schlangenei war Symptom einer Psychose, Jahre später wird sie Opfer der nationalsozialistischen Euthanasie. Während ihrer letzten Jahre war sie mit ihrer Rolle als Mutter überfordert. Ihr Mann freilich konnte diese Lücke nicht füllen. Ein kauziger Schulmeister, war ihm das autodidaktische Studium der Schriften Immanuel Kants der eigentliche Lebensinhalt. Seine Misanthropie hat ihn vor der Kriegsbegeisterung von 1914 bewahrt und vor der nationalsozialistischen Propaganda. Immer wieder zitiert er Kants Sentenz vom wurmstichigen Holz, das sich Menschheit nennt, und aus dem man nie was Rechtes werde schnitzen können.
Die Geschichte der Kannenmachers, von der Familiengeschichte der Koneffkes, wie man hört, reichlich inspiriert, ist eine Geschichte der gründlichen Ernüchterung – wie man sie über die Deutschen im vergangenen Jahrhundert eigentlich schon öfter gelesen hat. Koneffke aber hat durch einen überraschenden, eigentlich simplen Dreh diesem scheinbar vertrauten Stoff eine überzeugend neue Wendung abgewonnen. Einem Familienroman gönnt man gewöhnlich alle Lesezeit dieser Welt, um sich in alle Verästelungen zu entwickeln. Dieser braucht gerade einmal 300 Seiten, um drei Generationen durch fünfzig ereignisreiche Jahre zu verfolgen, und für den Epilog nicht einmal 20 Seiten, um in unserer Gegenwart anzukommen. Indem er die Jahrzehnte prestissimo abspult, hämmert er dem Leser die gnadenlose Kantische Ernüchterung von der Menschheit ein, aus der man nie was Rechtes werde schnitzen können. Die Familie Kannenmacher – die neben den Hauptfiguren auch noch ein paar Nebenfiguren zur Handlung beisteuert – führt in allen nur denkbaren Variationen vor, wie alle Ambition, die menschliche Fehlbarkeit zu überwinden, zu Schanden geht: Philosophisch bei Felix’ Vater, künstlerisch bei Felix selbst, politisch bei Felix’ Neffe (also dem Vater des Erzählers), der sich für kurze Zeit den Nationalsozialisten anschließt. Spiegelbildlich gilt dies für die Apothekerfamilie Sielaff, mit der die gescheiterte Doppelhochzeit verabredet war. Und immer neu und immer anders wiederholt sich dieses Muster bei den übrigen Bewohnern Freiwaldes, aus denen Koneffke den sozialen Kosmos der deutschen Provinz jener Jahre entstehen lässt: Eisenbahner und Kaufleute, Taglöhner und Händler, Beamte und Geistliche.
Zerrissene des 20. Jahrhunderts
Ein derart dicht bevölkertes Historienbild, dessen Figuren von einem erzählerischen Zeitraffer angetrieben werden, könnte wie ein Slapstick wirken. Das verhindert Koneffkes Arbeit am Detail: Bei allem Tempo findet sich in jeder Szene eine charakteristische Kleinigkeit, hört man jede Figur in ihrem ganz persönlichen Ton sprechen. Mit behaglich-realistischem Erzählen hat das freilich nicht viel zu tun, dem würde bei diesem Tempo der Atem ausgehen. Solch nostalgischer Ton klingt bei Koneffke nur noch als Echo aus dem 19. Jahrhundert herüber, wohin die Wurzeln der Überzeugungen und Mentalitäten seiner Figuren reichen. Ihr Leben aber haben sie als Zerrissene im 20. Jahrhundert zu führen. Und das konnte nicht gut gehen.
Erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wendet sich die Geschichte der Kannmachers zum Guten. Als Flüchtlinge hatte es sie nach Norddeutschland verschlagen. Konrad verdient sein Brot zunächst als Volksschullehrer, doch wie sein Großvater interessiert er sich in Wirklichkeit viel mehr für Immanuel Kant. Als akademischem Außenseiter eröffnet sich ihm eine Karriere an der Universität. Sein Sohn, der Erzähler, tritt als der Autor Jan Koneffke aus dem Roman heraus. Philosoph und Künstler: Das wollten die Kannmachers schon 50 Jahre früher werden. Natürlich waren die Zeiten damals schwieriger. Aber vielleicht brauchte es doch erst die Erfahrung mit dem schwarzen Schaf, um die nötige innere Freiheit für einen solchen Lebensentwurf zu gewinnen? TOBIAS HEYL
JAN KONEFFKE: Eine nie vergessene Geschichte. Roman. Dumont Verlag, Köln 2008. 318 Seiten, 19,90 Euro.
Das schwarze Schaf sorgt für genetische Diversität und bringt die Evolution voran Foto: Horizon/F1 Online
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Um einen verschollenen Onkel herum hat Jan Koneffke seinen Generationenroman aufgebaut, der auch eine Identitätssuche und ein "Sich-Selbst-Herausstemmen" aus der Heimat ist, berichtet Anja Hirsch, die dem Buch voll und ganz zugetan ist und die beflügelnde Sprache lobt. Los geht es im tiefsten Pommern des Jahres 1900, in das Felix als jüngster Sohn hineingeboren wird und schon allein seine Existenz trägt eine Mitschuld an der zunehmenden Trübseligkeit der Mutter, die ihm ein Klavier hinterlässt, bevor sie in die Anstalt geht. So keimen künstlerische Ambitionen in ihm auf; als Felix erwachsen ist und kurz vor der Hochzeit steht, flüchtet er mit einer durchziehenden Artistentruppe nach Rom. Die Rezensentin schwärmt "vom langen Atem und der freundlichen Ironie", mit der der Erzähler das alte Taugenichtsthema episch ins Werk gesetzt hat, ohne dass man es als Leser so recht merkt, wie man aus dem kalten Pommern unausweichlich nach Italien gerät.

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