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Wolfgang Frühwalds Aufsehen erregende, von der Zeitschrift "Damals" preisgekrönte Neuedition der Autobiographie Ernst Tollers, 2011 bei Reclam im Hardcover erschienen, erschließt diesen wichtigen Text durch einen ausführlichen Kommentar, der dem Leser die historischen Hintergründe der Vorkriegszeit, des Ersten Weltkriegs und der Münchner Räterepublik sowie alle auftretenden Personen erklärt. Diese Ausgabe wurde jetzt vom Herausgeber nochmals durchgesehen und auf die Bedürfnisse der Universal-Bibliothek zugeschnitten: damit gibt es den wichtigen Text in einer verlässlichen, preiswerten Ausgabe für Schule und Universität.…mehr

Produktbeschreibung
Wolfgang Frühwalds Aufsehen erregende, von der Zeitschrift "Damals" preisgekrönte Neuedition der Autobiographie Ernst Tollers, 2011 bei Reclam im Hardcover erschienen, erschließt diesen wichtigen Text durch einen ausführlichen Kommentar, der dem Leser die historischen Hintergründe der Vorkriegszeit, des Ersten Weltkriegs und der Münchner Räterepublik sowie alle auftretenden Personen erklärt. Diese Ausgabe wurde jetzt vom Herausgeber nochmals durchgesehen und auf die Bedürfnisse der Universal-Bibliothek zugeschnitten: damit gibt es den wichtigen Text in einer verlässlichen, preiswerten Ausgabe für Schule und Universität.
Autorenporträt
Ernst Toller (1.12.1893 Samotschin bei Bromberg, Posen - 22.5.1939 New York) genoss als Protagonist des literarischen Expressionismus große Bekanntheit in der Weimarer Republik. Erste Erfolge feierte er mit dem Stationendrama »Die Wandlung«, das im Kern die Entwicklung zum >Neuen Menschen< nachvollzieht. Als Politiker engagierte er sich in einer pazifistischen Bewegung und wirkte an der gescheiterten Bayerischen Räterepublik im Jahre 1919 mit, nach deren Sturz er fünf Jahre Gefängnishaft verbüßte. Diese Zeit sollte seine literarisch produktivste werden. Sein Anliegen, dass Revolution ohne Blutvergießen stattfinden muss, wird in seinem bekanntesten Werk »Masse Mensch« zum Ausdruck gebracht. Daneben entstehen mit »Die Maschinenstürmer«, »Der Deutsche Hinkemann« und »Der entfesselte Wotan« drei weitere Dramen in Gefangenschaft. Von den Nationalsozialisten ins Exil getrieben, nahm er sich 1939 in New York das Leben.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.01.2024

Aus dem Leben eines Utopisten
Wem die Protestbewegungen heute zu kleinlich sind, der sollte Ernst Toller lesen.
Jetzt erscheint die Neuauflage von „Eine Jugend in Deutschland“.
VON WILLI WINKLER
Was ist’s denn mit eurer Revolution?“ fragte mich Selma zwischendurch.
Oskar Maria Graf, „Wir sind Gefangene.“
Weil die Eltern sich doch sorgten, versichert ihnen der Sohn, dass er sich an den gefährlichen Umtrieben nicht beteiligt habe. Nicht Angst halte ihn davon ab, sondern „weil ich im gegenwärtigen Zeitpunkt jede revolutionäre Bewegung als eine vergebliche Unternehmung betrachte und nicht die Verblendung derer teile, welche in den Deutschen ein zum Kampf für sein Recht bereites Volk sehen“. Und damit sie auch wissen, woran sie sind mit ihm, wird er noch mal deutlich: „Wenn in unserer Zeit etwas helfen soll, so ist es Gewalt.“ Vier Jahre später war Georg Büchner tot, mit 23.
Ernst Toller war ein anderer Frühvollendeter. Mit 25 Anführer einer Roten Armee, ein paar Wochen lang der Spätwinterkönig von Südbayern, der „Sieger von Dachau“. Eine Zeit lang war er weltberühmt, reiste von Premieren zu Kongressen, schrieb für Hollywood und verfasste Manifeste. Thomas Mann hatte sich aufmerksam bereits über die Gedichte des Studenten gebeugt, Max Weber rühmte an ihm die „absolute Lauterkeit der Absichten“, Rilke schaute ihn an aus traurigen Augen, „dass er ein Dichter war, machte ihn der Polizei verdächtig“.
Toller war gleich ein noch viel schlimmerer Fall, Dichter nicht bloß und traurig, sondern Jude und zu allem Überfluss ein Preuße, einer von diesen Literaten, die von Ludwig Thoma bis Franz Josef Strauß mit Ingrimm verfolgt wurden, weil sie am Ende des Ersten Weltkriegs in München einfielen und unbedingt Revolution machen wollten.
Heute sind seine Gedichte nur schwer erträglich, seine Stücke werden kaum mehr aufgeführt, aber da ist dieses Buch, „Eine Jugend in Deutschland“, revolutionäres Fanal, Menschheitsbeglückung, blühendes Jugendirresein, eine Verzweiflungstat und bei aller Resignation der rare Fall, dass Politik, Geschichte und Poesie zusammengehen.
„Eine Jugend in Deutschland“, 1933 in Amsterdam erschienen, entstand bereits auf der Flucht, die Einleitung schrieb Toller am „Tag der Verbrennung meiner Bücher in Deutschland“. Joseph Goebbels rundete diesen 10. Mai 1933 mit seiner Ansprache gegen die „jüdischen Asphaltliteraten“ ab und feierte den „Durchbruch der deutschen Revolution“. Opfer dieser ganz besonders deutschen Revolution wurde schließlich auch Toller, der sich 1939 in einem New Yorker Hotel erhängte.
Seine Erinnerungen sind längst gemeinfrei, wer sich das antun will, kann sie umsonst im Netz lesen. Im Internet-Antiquariat kostet die Erstausgabe von 120 Euro an aufwärts, „etw. berieben, etw. schiefgelesen, innen tadellos“. In der „Anderen Bibliothek“ hat Ernst Piper jetzt eine neue Ausgabe herausgebracht, angereichert mit einer hilfreichen Dokumentation. Es kann gar nicht genug Toller geben.
1893 wurde er im heute polnischen Samotschin geboren. Als der Klempnermeister Grun sein Grundstück einem Polen verkauft, geißelt der Schüler Toller den Verfall der Moral: „Die Deutschen sind nicht mehr auf der Wacht, was soll aus dem Vaterland werden.“ Das Vaterland, das liebe, drängt zum Krieg. Die Sozialdemokraten schließen Burgfrieden mit dem Kaiser, die Professoren feiern den Krieg, die Studenten marschieren blumenbekränzt zum Bahnhof. Toller studiert in Frankreich, dann in München. Eben noch trauerten die Zeitungen um den ermordeten Kriegsgegner Jean Jaurès, die Stimmung schlägt um, „man riecht den Krieg“. Im Englischen Garten setzen die Mitbürger Toller nach, weil sein Hut in Lyon hergestellt wurde und er deshalb als Franzos gilt. Er will aber kein Franzos sein und kein Jude, deshalb wird er ganz deutsch. „Französische Flieger, sagt der Reichskanzler, haben Bomben auf bayerisches Land geworfen, Deutschland wurde überfallen, ich glaube es.“ Toller wird Soldat.
Bei dem, was er erlebt, hülfe auch das Stahlgewitter-Pathos von Stoßtruppführer Ernst Jünger nichts mehr. Im Drahtverhau an der Front ist einer hängen geblieben, ein Franzos oder ein Deutscher, keiner weiß es, aber jeder hört es, wie er schreit. „Der Schrei lebt für sich, er klagt die Erde an und den Himmel. Wir pressen die Fäuste an die Ohren, um das Gewimmer nicht zu hören, es hilft nichts, der Schrei dreht sich wie ein Kreisel in unsern Köpfen, er zerdehnt die Minuten zu Stunden, die Stunden zu Jahren. Wir vertrocknen und vergreisen zwischen Ton und Ton.“ Die Kameraden versuchen ihn zu retten, werden erschossen, er schreit und schreit. „Der Tod stopft ihm den Mund am dritten Tag.“
Der Expressionismus ist nicht nur Vatermord und Frühlings Erwachen, sondern hat den Krieg zum Hintergrund. Der Krieg sorgt fleißig für Tote, so viele, dass keine regelrechte Bestattung mehr möglich ist. „Die Grabdecke ist dünn, zu dünn, von einem toten Soldaten hat der Regen die Erde weggespült, die seine Füße bedeckte, in schauriger Blöße wachsen zwei derbe rindslederne Stiefel aus dem Boden.“ Der Tote, meldet Toller, hatte Schuhgröße 48.
Toller wird krank und gerät in die wenig heilenden Hände des berühmtesten deutschen Psychiaters. Ernst Kraepelin behandelt nicht, sondern agitiert: „Wie können Sie es wagen, die berechtigten Machtansprüche Deutschlands zu leugnen, dieser Krieg wird gewonnen, Deutschland braucht neuen Lebensraum“, herrscht er den kriegszerstörten Patienten an. „Ich lerne, dass es zwei Arten Kranke gibt, die harmlosen liegen in vergitterten klinkenlosen Stuben und heißen Irre, die gefährlichen weisen nach, dass Hunger ein Volk erzieht, und gründen Bünde zur Niederwerfung Englands, sie dürfen die harmlosen einsperren.“
Tatsächlich war Kraepelin Mitgründer bei einem „Volksausschuss für rasche Niederkämpfung Englands“. Der „brillante Wissenschaftler“, als den ihn die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität nach wie vor feiert, nahm seinen Kriegseinsatz ernst, zeterte also über den „ungünstigen Einfluss“ der Homosexualität „auf die Volksvermehrung“ und empfahl Maßnahmen zur „Weckung und Stärkung der Kinderfreudigkeit“. Schließlich wurde an der Front massenhaft gestorben, der Kaiser brauchte neue Soldaten. Kraepelins Tochter, die neben dem Vater Dienst am Kranken tat, verweigerte Toller das Medikament: „Erst das Vaterland verraten und dann so schlapp sein und Schlafmittel verlangen!“
Kraepelins Stellvertreter Ernst Rüdin, das nur nebenbei, erkannte als Gutachter im Prozess gegen den Mörder Kurt Eisners auf „Tyrannenmord“, schließlich sei Eisner ein „Fremdling“ gewesen. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, sechs Wochen nach der Bücherverbrennung erlassen, geht auf Rüdins Arbeit zurück. Auf der Website der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, die unter Kraepelins Leitung entstanden war, wird dieser Krankendienst lieber verschwiegen, dafür bleibt die „Kraepelin’sche Systematik der psychiatrischen Krankheitsbilder unverändert gültig“.
Bei Toller wurde eine „abnorme Neigung, sich hervorzutun“ festgestellt, für ihn selber war es ein Kampf gegen die „Trägheit des Herzens“: „Ich will das Lebendige durchdringen, in welcher Gestalt es sich auch immer zeigt, ich will es mit Liebe umpflügen, aber ich will auch das Erstarrte, wenn es sein muss, umstürzen, um des Geistes willen.“
Geist oder nicht, die Revolution ist überfällig, der Krieg bringt sie nicht, aber die Niederlage. Toller schließt sich Kurt Eisner an. Aus dem Freistaat wird eine nicht kommunistische, dann eine kommunistische Räterepublik. „Der Krieg ließ mich zum Kriegsgegner werden“, hat Toller eben noch geschrieben, plötzlich ist er „Heerführer“. Der Schauspielerin Tilla Durieux, die ihn mit einer Uniform herumlaufen sieht, kündigt er an, dass sie nicht schießen würden: „Wir werden die feindlichen Soldaten fangen, ihnen die Waffen wegnehmen, sie mit unsern Ideen bekannt machen und daraufhin wieder zurücksenden.“
In einem Keller werden zehn Menschen erschossen, Toller verhindert weitere Morde – „wir kämpfen für eine gerechtere Welt, wir fordern Menschlichkeit, wir müssen menschlich sein“. Die Reaktion marschiert, an die tausend Menschen sterben bei der Rückeroberung Münchens, werden füsiliert, massakriert, beiläufig totgeschlagen. Auf Tollers Kopf sind zehntausend Reichsmark ausgesetzt. Im Steckbrief heißt es über ihn, er „schließt beim Nachdenken die Augen“. Ein weiterer Makel muss angezeigt werden, er „spricht Schriftdeutsch“. Toller kann sich drei Wochen lang verstecken, flieht von Wohnung zu Unterschlupf, wird doch entdeckt und vor Gericht gestellt. Rudolf Egelhofer und Gustav Landauer werden umgebracht, Eugen Leviné wird hingerichtet. Thomas Mann kann dem Tagebuch seine klammheimliche Freude nicht verhehlen: „Ich habe logisch-menschlich nichts gegen dies Ende eines politischen Fanatikers und Abenteurers der Realität.“ Toller kommt davon, weil er berühmt ist.
Das „Deutschland von Morgen“, dem sein Buch gewidmet ist, wäre das heutige, doch die revolutionäre Begeisterung des nach-Toller’schen Deutschland beschränkt sich auf ein bisschen Reichsbürgertum und „Tagesschau“-taugliche Traktorenaufmärsche. Aber jeder, Mann, Frau, Kind, Greis, kann dessen Buch der verlorenen Illusionen lesen und wieder lesen. „Wer einen Schriftsteller“, das ist jetzt Goethe und nicht Büchner, „der sich und die Sache fühlt, nicht lesen mag, der darf überhaupt das Beste ungelesen lassen.“ Toller also.
An der Front wird
gestorben, der Kaiser
braucht neue Soldaten
Im Steckbrief heißt es
über ihn, er „schließt beim
Nachdenken die Augen“
Als Exilant: Ernst Toller am 14. September 1933 in London.
Foto: AP
Für die Räterepublik warf sich Ernst Toller in den Kampf: Hier Rotarmisten im April 1919 in der Nähe des Münchner Stachus mit einem Minenwerfer, auf den sie Handgranaten und einen Munitionskasten geladen haben.
Foto: Scherl / SZ PHoto
Ernst Toller:
Eine Jugend in Deutschland. Herausgegeben und mit einem Nachwort von
Ernst Piper.
Die Andere Bibliothek.
348 Seiten, 48 Euro.
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