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Nach "Übers Eis" und "Als Gast" ist "Ein Kirschkern im März" der dritte Band von Kurzecks großer autobiografisch-poetischer Chronik des Jahres 1984. Und dazu als ehemalige Gegenwart die Geschichte der Nachkriegszeit. Immer im März in Deutschland die ersten warmen Tage, aber bleiben nicht. Trotzdem werden der Erzähler und die Welt am Ende des Buches noch einmal gerettet. Immer im März wird die Welt uns zurückgeschenkt.

Produktbeschreibung
Nach "Übers Eis" und "Als Gast" ist "Ein Kirschkern im März" der dritte Band von Kurzecks großer autobiografisch-poetischer Chronik des Jahres 1984. Und dazu als ehemalige Gegenwart die Geschichte der Nachkriegszeit.
Immer im März in Deutschland die ersten warmen Tage, aber bleiben nicht. Trotzdem werden der Erzähler und die Welt am Ende des Buches noch einmal gerettet. Immer im März wird die Welt uns zurückgeschenkt.
Autorenporträt
Peter Kurzeck ist 1943 in Böhmen geboren. Aufgewachsen in Staufenberg bei Gießen. Lebt in Frankfurt am Main und in Uzès (Südfrankreich). Für sein literarisches Werk wurde Kurzeck mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Georg-Christoph-Lichtenberg-Preis 2007.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.08.2004

Der Umweg als Heimweg
Kirschkerngeschichten: Peter Kurzecks autobiographisches Projekt

Ein zitterndes Haus, das letzte Paar Schuhe, das ohne seinen Träger weitergehen will. Und ein zufällig daherrollender Kirschkern. "Ein Kirschkern im März", der jüngste Roman von Peter Kurzeck, ist nach "Übers Eis" und "Als Gast" der dritte Teil eines großen und auf weitere Bände angelegten Romanprojekts, das auf autobiographischen Erlebnissen basiert. Im jüngsten Roman Kurzecks kehren die bisweilen surreale Bildwelt und das Personal aus den Vorläuferromanen wieder: ein Erzähler, seine ehemalige Lebensgefährtin Sibylle sowie die gemeinsame vierjährige Tochter Carina, daneben Freunde, Bekannte, Verwandte, Lebende oder Tote wie die Mutter, die dem Erzähler erscheint.

Wer die vorangegangenen beiden Bände gelesen hat, kennt auch den Hauptschauplatz, Frankfurt am Main in den achtziger Jahren. Der Erzähler lebt in Trennung, als Gast ohne eigene Wohnung bei Freunden in einem Dachgeschoß im vornehmen Westend. Täglich geht er den Weg von dort nach Bockenheim, um die Tochter zu sehen, manchmal durchwandert er andere Stadtviertel, täglich beschreibt er seine Erlebnisse und spinnt in seiner Phantasie das Gesehene und Erlebte fort. Schon als Kind wollte er Romane schreiben: "Ich wußte längst, daß ich schreiben muß, weil ich sonst nicht auf der Welt bleiben kann. Schriftsteller, aber außer mir weiß das keiner!" Vom Zeitpunkt der Trennung an wird das Schreiben endgültig zur Obsession: "Du hast nur die Wahl gehabt, fortan zu keinem je wieder ein Wort, stumm - ein Gespenst, ein Schatten, ein Stein -, oder mußt jedem, der kommt, immer wieder dein Leben erzählen."

Es ist das Leben eines Mannes, der sich an seine Nachkriegskindheit in einer Flüchtlingsfamilie in dem hessischen Dorf Staufenberg erinnert, an seine Handwerkerlehre, an die ersten Ausflüge und den Umzug nach Frankfurt, und der die vertrauten und fremden Menschen um ihn herum ebenso genau beobachtet wie Orte und Dinge.

Kurzecks Bücher polarisieren. Die einen sind begeistert vom detaillierten Assoziationsreichtum und der rhythmischen Sprache, die anderen irritiert von der Handlungsarmut und den repetitiven Elementen. Allemal widerspricht Kurzecks Schreiben der Vorstellung vom linear fortschreitenden, meßbaren Charakter der Zeit. Der subjektive Aspekt des Zeitbewußtseins wird durch die schwelgerische Versenkung in das Sich-Ereignende, ins Erhoffte, Erwünschte oder Erträumte wie ins Gefürchtete oder Schmerzende zergliedert. In dieser Versenkung überlagern sich Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges, die Zeit scheint dahinzurasen oder stillzustehen. Zum Gegenstand solcher Versenkung kann jedes noch so kleine Ding werden: So taucht der Kirschkern, der bereits in "Als Gast" eine Rolle spielt, im jüngsten Buch wieder auf und gibt Anlaß dazu, die Geschichte dieses Kerns, der eine ganze Welt in sich birgt, weiterzuerzählen. Erinnerungen an das Dorf der Kindheit mischen sich mit Reminiszenzen an vergangene Sommer in Frankfurt, in denen der Erzähler mit Sibylle und Carina Kirschen auf dem Spielplatz gegessen hat. Aus dem Kirschkernfund in einer kirschenlosen Jahreszeit erwächst eine sich verzweigende Geschichte: "Jeden Kern eingepflanzt. Und jetzt überall Obst. Jetzt ist die Erde voller Obstbäume."

Die mäandernden Denk- und Schreibbewegungen über das Alltägliche werden durch das Herumvagabundieren des Erzählers auf der Suche nach den feinsten Facetten des scheinbar Vertrauten immer neu in Gang gesetzt. Das Flanieren und Beobachten beschwört sich überlagernde, wortreich ausgemalte Bilder, die den Schmerz der Trennung, die Trauer über das Gewesene so spürbar machen wie die Träume, in denen der Erzähler in die Vergangenheit eintaucht und die er sich ebenso wie das Zukünftige als ein glückverheißendes, noch nicht betretenes Land ausmalt. Die Sprache folgt dem Erzählten, oft ist sie elliptisch, knapp wie die Handlung. Dann wieder werden die Worte zu Schöpfungen wie den "Gemeindeamtsfliederbäumen und Flüchtlingsholzschuppen" zusammengedrängt, häufen sich Dinge in den Aufzählungen zu Bergen auf, changiert die Wahrnehmung der Zeit zwischen Augenblick und Ewigkeit. Zugleich wird versucht, den Blick des Kindes auf die Welt zurückzuerlangen, werden Randfiguren wie die Kassiererin im Supermarkt, die Erzieherin im alternativen Kinderladen, die Eisdielenthekenkraft ins Zentrum der Erzählung gerückt. Auch die Geschichten der Bauern und Handwerker aus dem Dorf der Kindheit kommen zu ihrem Recht: "Die Dorfbevölkerung, die Einwohner - lauter Menschen, die in der Literatur nicht vorkommen. Und das sind die Menschen, von denen du leben gelernt hast, das geht dir beim Schreiben erst auf. Jetzt schreibst du das Buch, weil sie außer dir keiner kennt!"

Die Idyllen grenzenlos scheinender Imaginationskraft und Versenkung werden in Kurzecks Schreiben immer wieder durchkreuzt vom ökonomischen Druck, dem der Erzähler sich aussetzt, um erzählen und schreiben zu können. Immer wieder muß das knappe Geld gezählt werden, immer wieder wird die Freude am Heranwachsen der Tochter getrübt von der Not, Geld für neue Kinderschuhe und Kleider aufzutreiben. So bleibt "Ein Kirschkern im März" trotz seines phantastischen, oft subjektiv anmutenden Sprach- und Bilderreichtums durch harte Konfrontationen mit einer gesellschaftlichen Realität weit entfernt von Naivität und ungebrochener Unmittelbarkeit. Dank der minimalistischen Virtuosität, mit der die wenigen, immer wieder auftauchenden Personen, Orte und Gedanken umkreist und immer wieder neu gesehen werden, zeigt Kurzeck, daß sein Schreiben als Gehen des eigenen Wegs, eines "Umwegs als Heimweg" eine zwar mühevolle, aber lohnende Gratwanderung ist.

BEATE TRÖGER.

Peter Kurzeck: "Ein Kirschkern im März". Roman. Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main 2004. 285 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.10.2004

Oberlichtfenster, weit geöffnet
Peter Kurzecks neuer Roman „Ein Kirschkern im März”
Im Frühjahr fangen die Dinge an zu flüstern. Dann treibt es Peter Kurzecks Erzähler auf die Straßen, und von den Straßen zurück an den Schreibtisch. Den Kopf voller Wörter und Bilder, das Flattern der Gedanken im ganzen Körper, beginnt er sich die Welt zu erzählen. Und hält die Welt zugleich in Bewegung. Stets unterwegs in der Sprache, in der die Bilder langsam durchsichtig werden. So schreibt er sich von Buch zu Buch, während die Gedanken ausfransen wie das Futter seiner Lederjacke: „Und ab jetzt immer fest die Augenbrauen zusammen, als ob du damit die Jacke zusammenhältst und mit der Jacke die Welt.”
Peter Kurzecks Bücher gehören von jeher zu den Findlingen der Literatur. Die Augen seines Ich-Erzählers zeigen am liebsten an den Rändern ihre zauberische Kraft, und auch der Autor selbst hält sich meist fern vom literarischen Betrieb, erst recht, seitdem er sich in einen kleinen Ort im Süden Frankreichs zurückgezogen hat. Nur noch selten verlässt er sein lange erträumtes Schreibparadies, doch die Bücher falten eine ganze Welt auf, mit all ihren Schlacken und Rissen, dem Gemurmel und den kleinen Gedächtnisbildern.
Es ist das Jahr 1984, das Peter Kurzeck nun schon zum dritten Mal mit seinen Sätzen betastet. Frankfurt im Winter, die ersten Wochen, in denen die Kälte sich wie ein Firnis über die Dinge legt. Der Erzähler hat sich von seiner Freundin getrennt und kurz zuvor seine Arbeit in einem Antiquariat verloren. Glücklicherweise gibt es da einen Bekannten aus dem Kinderladen, der ihm zwei Zimmer in seinem Haus anbietet. So kann er die frostige Zeit schreibend in einer fremden und doch halbwegs sicheren Umgebung verbringen. „Übers Eis” und „Als Gast” hießen denn auch die ersten beiden Romane, die sich Satz für Satz, Seite für Seite jenem Monat März annäherten, in dem der Erzähler seine Wahrnehmungsgänge durchs Frankfurter Westend fortsetzt, an der Hand meist die kleine Tochter Carina, der er jeden einzelnen Tag erzählt - „er wäre sonst nicht gewesen, der Tag”.
Das Espressokännchen
In dem feinen erzählerischen Gewebe, das Peter Kurzeck knüpft, beschreibt sich der Erzähler die Welt zugleich selbst, um alles in Gang zu halten, um sich sein Leben zu erklären, in jener Zwischenzeit der ersten Märztage. Es ist immer dasselbe Ritual, das dem Schreiben vorausgeht, an jedem Morgen, auch wenn der Erzähler in der Nacht kein Auge zugetan hat: „Das Espressokännchen. Espresso aufsetzen. Kugelschreiber, Notizzettel, das Manuskript. Schnell dir beim Zähneputzen schon die Seiten von gestern zum Lesen und Korrigieren zurechtlegen. Und weit auf das Oberlichtfenster. Morgenluft.” Wie ein Sensorium nimmt der Schreibende noch die kleinste Vibration wahr, wie ein Durchlauferhitzer, der die andrückenden Dinge, die Flüsterstimmen und die Töne der Erinnerung für den Rhythmus seiner Sprache temperiert. All die Augenblicke und Beobachtungen versucht er solange festzuhalten, bis er Leben und Literatur fast zur Deckung gebracht hat.
Der Spalt zwischen diesen beiden Sphären lässt sich zwar verkleinern, aber niemals schließen. Aus dem Wissen um die Trennung speist sich die Melancholie von Peter Kurzecks Büchern, eine Melancholie, die der Sprache ihren eigentümlich wehmütigen Tonfall verleiht und den Erzähler immer wieder zu Reflexionen über das Schreiben oder die vergehende Zeit antreibt: „Die Zeit ein verlorenes Land. Das sind wir doch selbst, die Zeit!” Doch so dunkel getönt die Sätze bisweilen sein mögen, sie haben vor allem etwas Tastendes, eine neugierig suchende Melodie. In seinen genau rhythmisierten Beschreibungsreihen genügen Kurzeck manchmal wenige Kleinigkeiten, um eine Szenerie anzudeuten, die er gleich darauf verändert, erweitert oder in leichten Variationen umkreist. Immer wieder schlüpft der Erzähler in fremde Stimmen und Sprachen, kostet die Wörter, bis er spürt, wie die Zeit ruckt.
Peter Kurzeck nimmt den Leser hinein in die allmähliche Verfertigung der Erinnerung beim Schreiben. Als Leser strömt man zunächst nur mit, macht ab und an kleine Anstreichungen aufs Papier, als wollte man Halt finden zwischen den beweglichen Wortbanden. Oft kommen die Sätze ohne Verben aus, hinterfragen sich selbst und setzen neu an. Nach und nach überlagern sich so die Zeitschichten, und wie nebenbei sickert die deutsche Nachkriegsgeschichte ein. Das hessische Dorf Staufenberg etwa, in dem Peter Kurzeck aufgewachsen ist. Oder seine Frankfurter Stadtviertel, mit all ihren Hecken und Drahtzäunen, Garagen und blicklosen Kellerfenstern.
Wie der Kirschkern, den der Erzähler auf einem Spaziergang findet - „weiß und trocken, so rund und vertraut” -, hält auch die kleine Tochter Carina eine ganze Welt in sich verborgen. Wenn es überhaupt so etwas wie eine Hauptfigur in Kurzecks Buch gibt, dann ist es dieses fast fünfjährige Mädchen, dem die einfühlsamsten Sätze des Autors gelten. In der heranwachsenden Tochter zieht Kurzeck die Fäden seines Schreibens zusammen. Sie ist ein Bild für die vergehende Zeit und ein Schauen, das vom Staunen über die Welt lebt. Der Erzähler hat von ihr gelernt: „Sie sind immer ungenau, die Erwachsenen, sie gucken nicht richtig hin.”
NICO BLEUTGE
PETER KURZECK: Ein Kirschkern im März. Roman. Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main und Basel 2004. 282 Seiten, 19,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Peter Kurzeck schreibt an seinem Leben, und er "schreibt um sein Leben", so sieht es jedenfalls Rezensent Michael Buselmeier. "Ein Kirschkern im März" ist der dritte Band eines auf insgesamt sieben Bände angelegten autobiografischen Romanzyklus', der unmittelbar an die vorgehenden Bände anschließt und dieselben Personen und dieselben Schauplätze verhandelt, wie Buselmeier verrät. Ja, sogar die Motive und Bilder ähnelten sich, so dass vieles austauschbar erscheine. Die Trennung von seiner Frau erweist sich für Kurzeck als nie versiegender Schmerz, so Buselmeier, zugleich aber auch als Quell der Produktivität; die Handlung sei wie bei den Vorgänger-Romanen auf ein Minimum reduziert, auch die Politik (das Buch spielt zur Zeit der Frankfurter Sponti-Szene der 80er Jahre) oder das Weltgeschehen finden kaum Widerhall, bekundet Buselmeier. Umso mitreißender erweist sich für den Rezensenten die Sprache - "kühn in Bewegung", schreibt er -, die Wahrnehmungen und Erinnerungen auffrischt und vermengt. Buselmeier kann und will diesem - zugegeben - monomanischen Autor die Achtung nicht versagen, der in einem dichten assoziativen Stil schreibt und den Rezensenten in einen regelrechten Sog gezogen hat. Kurzeck ist kein Arno Schmidt, kein Thomas Bernhard, sondern eine ganz eigenständige literarische Person, schwärmt Buselmeier.

© Perlentaucher Medien GmbH
»All die Augenblicke und Beobachtungen versucht er solange festzuhalten, bis er Leben und Literatur fast zur Deckung gebracht hat.« Nico Bleutge, Süddeutsche Zeitung