Sie war das letzte Schiff, das Europa im Frieden verließ und das erste, das im Zweiten Weltkrieg von einem deutschen U-Boot versenkt wurde: Auf der Athenia waren über tausend Passagiere auf dem Weg von Glasgow nach Montreal, darunter amerikanische Touristen, polnische und deutsche Juden, andere Verfolgte der Naziherrschaft und britische Geschäftsleute. Der Kommandant von U30 hielt das Schiff für einen Truppentransporter und schoss 118 Passagiere ertranken. In einer Reihe von Einzelszenen deckt Cay Rademacher erstaunliche Zusammenhänge der Tragödie auf: So befand sich die kleine Tochter des Filmregisseurs Ernst Lubitsch unter den Passagieren der Athenia. Um die amerikanischen Überlebenden zu betreuen, schickte der US-Botschafter in London seinen Sohn nach Glasgow: Sein Name ist John F. Kennedy . . . Es sind die zahlreichen präzise und lebendig geschilderten Details, die die Geschichte einer Katastrophe zum genauen Abbild einer Zeit und ihrer Atmosphäre werden lassen. In der Welt der Athenia fängt Cay Rademacher ein Spiegelbild Europas am Rande des Abgrunds ein und entfaltet ein spektakuläres Panorama der ersten Tage des Zweiten Weltkrieges.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.2009Unseriös
Untergang der "Athenia"
Vielleicht ist das besser zu hören als zu lesen, denn das war ursprünglich ein Hörbuch. Ein Lese-Buch ist es nämlich nicht, eher eine sensationslüsterne Kolportage, die nur zu oft auf die Tränendrüse drückt und nicht an den Verstand der Leser appelliert. An sich ist es verdienstvoll, an das Schicksal dieses Schiffes zu erinnern, dem ersten Opfer des U-Boot-Krieges. 112 Menschen starben. Die "Athenia" wurde auf ihrer Reise von England nach Kanada schon am 3. September 1939 von "U-30" irrtümlich torpediert. Entsetzt ob der absehbaren Folgen, leugnete die Seekriegsleitung diesen Angriff, Reichspropagandaminister Goebbels suchte ihn als "Provokation" England in die Schuhe zu schieben. Das Kriegstagebuch des fatalen U-Bootes wurde gefälscht. Erst nach Kriegsende tauchte alles wieder auf und spielte im Nürnberger Prozess gegen die Großadmirale Raeder und Dönitz eine eher kleine Rolle.
Den "Fall Athenia" hätte man zum Anlass nehmen können, um über die komplexen Zusammenhänge zwischen Prisenordnung, U-Boot-Protokoll, unbeschränktem U-Boot-Krieg, Neutralität der Vereinigten Staaten und dem Nürnberger Prozess nachzudenken. All das fehlt. Dafür leistet sich der Autor ärgerliche Schnitzer: Kapitäne werden mit Kommandanten und diese mit jenen verwechselt; den uralten Märchenerzählungen des Dolmetschers Paul Otto Schmidt und denen von Karl Dönitz sitzt Cay Rademacher kritiklos auf; in das veröffentlichte Kriegstagebuch der Seekriegsleitung hat er anscheinend keinen Blick getan. Die naheliegende Frage, warum Kapitän Cook die "Athenia" unter Inkaufnahme zahlreicher Toter überhastet räumen ließ, obwohl der Liner noch fünfzehneinhalb Stunden schwamm, wird nicht gestellt. Ärgerlich ist die Nonchalance, mit der blanke Erfindungen und Ondits der Überlebenden ("Kapitän Cook führte gerade einen Löffel Suppe zum Mund", als das Schiff torpediert wurde) mit historischen Fakten vermengt werden - das wirkt schlicht unseriös.
MICHAEL SALEWSKI
Cay Rademacher: Drei Tage im September. Die letzte Fahrt der Athenia 1939. Verlag marebuch, Hamburg 2009. 317 S., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Untergang der "Athenia"
Vielleicht ist das besser zu hören als zu lesen, denn das war ursprünglich ein Hörbuch. Ein Lese-Buch ist es nämlich nicht, eher eine sensationslüsterne Kolportage, die nur zu oft auf die Tränendrüse drückt und nicht an den Verstand der Leser appelliert. An sich ist es verdienstvoll, an das Schicksal dieses Schiffes zu erinnern, dem ersten Opfer des U-Boot-Krieges. 112 Menschen starben. Die "Athenia" wurde auf ihrer Reise von England nach Kanada schon am 3. September 1939 von "U-30" irrtümlich torpediert. Entsetzt ob der absehbaren Folgen, leugnete die Seekriegsleitung diesen Angriff, Reichspropagandaminister Goebbels suchte ihn als "Provokation" England in die Schuhe zu schieben. Das Kriegstagebuch des fatalen U-Bootes wurde gefälscht. Erst nach Kriegsende tauchte alles wieder auf und spielte im Nürnberger Prozess gegen die Großadmirale Raeder und Dönitz eine eher kleine Rolle.
Den "Fall Athenia" hätte man zum Anlass nehmen können, um über die komplexen Zusammenhänge zwischen Prisenordnung, U-Boot-Protokoll, unbeschränktem U-Boot-Krieg, Neutralität der Vereinigten Staaten und dem Nürnberger Prozess nachzudenken. All das fehlt. Dafür leistet sich der Autor ärgerliche Schnitzer: Kapitäne werden mit Kommandanten und diese mit jenen verwechselt; den uralten Märchenerzählungen des Dolmetschers Paul Otto Schmidt und denen von Karl Dönitz sitzt Cay Rademacher kritiklos auf; in das veröffentlichte Kriegstagebuch der Seekriegsleitung hat er anscheinend keinen Blick getan. Die naheliegende Frage, warum Kapitän Cook die "Athenia" unter Inkaufnahme zahlreicher Toter überhastet räumen ließ, obwohl der Liner noch fünfzehneinhalb Stunden schwamm, wird nicht gestellt. Ärgerlich ist die Nonchalance, mit der blanke Erfindungen und Ondits der Überlebenden ("Kapitän Cook führte gerade einen Löffel Suppe zum Mund", als das Schiff torpediert wurde) mit historischen Fakten vermengt werden - das wirkt schlicht unseriös.
MICHAEL SALEWSKI
Cay Rademacher: Drei Tage im September. Die letzte Fahrt der Athenia 1939. Verlag marebuch, Hamburg 2009. 317 S., 22,- [Euro].
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