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69 Kundenbewertungen

Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2021
Was Freundschaft bedeutet, wenn die Gegenwart Feuer fängt.
In ihrem neuen Roman erzählt Shida Bazyar voller Wucht und Furor von den Spannungen und Ungeheuerlichkeiten der Gegenwart - und von drei jungen Frauen, die zusammenstehen, egal was kommt. Seit ihrer gemeinsamen Jugend in der Siedlung verbindet Hani, Kasih und Saya eine tiefe Freundschaft. Nach Jahren treffen die drei sich wieder, um ein paar Tage lang an die alten Zeiten anzuknüpfen. Doch egal ob über den Dächern der Stadt, auf der Bank vor dem Späti oder bei einer Hausbesetzerparty,…mehr

Produktbeschreibung
Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2021

Was Freundschaft bedeutet, wenn die Gegenwart Feuer fängt.

In ihrem neuen Roman erzählt Shida Bazyar voller Wucht und Furor von den Spannungen und Ungeheuerlichkeiten der Gegenwart - und von drei jungen Frauen, die zusammenstehen, egal was kommt. Seit ihrer gemeinsamen Jugend in der Siedlung verbindet Hani, Kasih und Saya eine tiefe Freundschaft. Nach Jahren treffen die drei sich wieder, um ein paar Tage lang an die alten Zeiten anzuknüpfen. Doch egal ob über den Dächern der Stadt, auf der Bank vor dem Späti oder bei einer Hausbesetzerparty, immer wird deutlich, dass sie nicht abschütteln können, was jetzt so oft ihren Alltag bestimmt: die Blicke, die Sprüche, Hass und rechter Terror. Ihre Freundschaft aber gibt ihnen Halt. Bis eine dramatische Nacht alles ins Wanken bringt.

Shida Bazyar zeigt in aller Konsequenz, was es heißt, aufgrund der eigenen Herkunft immer und überall infrage gestellt zu werden, aber auch, wie sich Gewalt, Hetze und Ignoranz mit Solidarität begegnen lässt. »Drei Kameradinnen« ist ein aufwühlender, kompromissloser und berührender Roman über das außergewöhnliche Bündnis dreier junger Frauen - und das einzige, das ein selbstbestimmtes Leben möglich macht in einer Gesellschaft, die keine Andersartigkeit duldet: bedingungslose Freundschaft.

»Uns gibt es in dieser Welt nicht. Hier sind wir weder Deutsche noch Flüchtlinge, wir sprechen nicht die Nachrichten und wir sind nicht die Expertinnen. Wir sind irgendein Joker, von dem sie noch nicht wissen, ob sie ihn einmal zu irgendetwas gebrauchen können.« Aus: »Drei Kameradinnen«
Autorenporträt
Shida Bazyar, geboren 1988 in Hermeskeil, studierte Literarisches Schreiben in Hildesheim und war, neben dem Schreiben, viele Jahre in der Jugendbildungsarbeit tätig. Ihr Debütroman 'Nachts ist es leise in Teheran' erschien 2016 und wurde u.a. mit dem Bloggerpreis für Literatur, dem Ulla-Hahn-Autorenpreis und dem Uwe-Johnson-Förderpreis ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt. 'Drei Kameradinnen' folgte 2021 und stand auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Der hier rezensierende Autorin Mithu Sanyal ist außerordentlich angetan von diesem Roman Shida Bazyars, der "wütend, scharfsichtig und präzise" von drei Freundinnen mit Migrationshintergrund erzählt. Hintergrund der Geschichte wiederum sind die NSU-Morde, die hier als "Jahrhundertbrand" in einer Mietskaserne erzählt werden, erfahren wir. Erzählerin Kasih nennt den LeserInnen weder die Namen noch die Herkunft der Menschen in dem Roman, um Schubladendenken zu verhindern, obwohl sie selbst mit Vorurteilen belastet denkt. Aber sie weiß es wenigstens, meint Sanyal, der die Angriffslust der Autorin ebenso imponiert wie ihre Stärke.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.2021

Unter Verdacht gestellt, egal welchen
Shida Bazyars Roman "Drei Kameradinnen" erprobt eine Schockpädagogik für die Mehrheitsgesellschaft

Dieses Buch ist eine umfassende Anklage. Die "weiße Dominanzgesellschaft" steht vor einem gnadenlosen Tribunal. Und damit pauschal die Leserschaft, von der die "drei Kameradinnen" in diesem Roman annehmen, dass sie aus der ständig adressierten großen Gruppe, die mit "ihr" angesprochen wird, bestehe und nicht aus der ausgegrenzten, kleineren, die im Buch als "wir" bezeichnet wird: "Wir sind nicht so anders als ihr. Das denkt ihr nur, weil ihr uns nicht kennt . . . Ihr wartet auf den Moment, in dem ich erkläre, wer von uns aus welchem Land kommt. Das nämlich müsst ihr wissen, bevor ihr euch in uns eindenken könnt . . . Ich sage euch dazu nichts. Da müsst ihr durch."

Hier spricht Kasih, die Hauptstimme des Trios. Ihre besten Freundinnen Hani und Saya unterstützen sie dabei nach Kräften. Die Autorin Shida Bazyar schickt die jungen Frauen los, um ein Experiment mit den Lesern zu veranstalten: Diese sollen einmal selbst erfahren, wie sich Argwohn, Distanzierung, Unterstellungen, Unverständnis, Vorurteile anfühlen können, wenn man anders als die Mehrheit ist. Wenn man, wie die drei Kameradinnen und auch die Verfasserin selbst, als Kind nach Deutschland kam oder sogar hier geboren wurde und das Abitur machte, aber andere familiäre Hintergründe und keinen deutsch klingenden Namen mitbringt. Nett gemeinte, aber unüberlegte Komplimente zur guten Sprachkompetenz gehören da noch zu den argloseren Ausgrenzungen. Sie steigern sich durch Anrede auf Englisch beim Inlandsflug und führen rasch bis zur Routinekontrolle durch Kaufhausdetektive, denen Kopftücher der auf Familienbesuch angereisten Tanten auffallen. "Man stellte uns unter Verdacht, unter welchen, das war egal."

All das ist inakzeptabel und verdient Kritik. Shida Bazyar, die mit ihrem ersten Roman "Nachts ist es leise in Teheran" (2016) große Anerkennung fand, lässt ihre drei Kameradinnen literarisch kämpferisch dagegen vorgehen - in einem bewusst lauten, jugendlichen, impulsiven, manchmal groben Ton. Wenn die "weiße Dominanzgesellschaft" oft undifferenziert und aggressiv verfährt, dann stehen die drei ihr in nichts nach. Deutschland brennt hier wie in den aktuell gereizten öffentlichen Debatten, die Flammen in Schwarz-Rot-Gold auf dem Buchumschlag unterstreichen es. Dass sie auch den vielen Hilfsbereiten und Gutwilligen entgegenschlagen, versteht sich von selbst, umgekehrt geht es schließlich auch nicht gerecht zu: "Schon klar, ihr seid nicht so, ihr stellt euch das gar nicht vor, denn ihr habt ja eine Weile geholfen, Kleider zu sortieren und Kuscheltiere zu verteilen, solche Vorurteile habt ihr nicht mehr. Ihr wart nämlich bei euren Hilfsaktionen zu allen nett, auch zu den Leuten, vor denen ihr euch ein wenig gefürchtet habt, ihr wart ganz tapfer liebevoll, auch dann noch, als ihr euch gefragt habt, ob Terroristen unter euren Schutzbefohlenen sind, dann wart ihr zwar immer noch liebevoll, aber eben auch Rassisten, liebevolle Rassisten."

Kasih, die meistens spricht und auch über ihr eigenes Schreiben nachdenkt, führt mit Hani und Saya lange Diskussionen auf dem Sofa, der Parkbank, in der Schule oder auf Partys. Zuweilen wirkt das wie ein weitschweifiges Tagebuch oder verwickeltes Gedächtnisprotokoll, was Kasih durchaus bemerkt, wenn sie die Leser gelegentlich fragt: "Seid ihr noch da?" Dann gibt es aber auch distinkte Szenen, etwa im Jobcenter oder bei einer Neunziger-Jahre-Daily-Talkshow über die Frage, was es heißt, Opfer und unterdrückt zu sein. Beobachterin ist immer Kasih, die schon den Kommentaren unter ihren Schulaufsätzen gern hinzugefügt hätte, dass ihre Geschichten "der Hammer" sind und eigentlich eine Eins verdienen, auch wenn sie sich nicht an die schulübliche Gliederung halten. Ihre Aufzeichnungen gelten aber vor allem der radikalsten unter den drei Kameradinnen: Saya, der Aktivistin gegen rechts.

Saya wird schon in einem vorausgeschickten Zeitungsbericht zur Last gelegt, einen Mann vor einem Café attackiert zu haben, wo Stunden später auch noch ein verheerender Brand ausbrach. Sie, die Workshops für Jugendliche zur Berufsfindung und zur Rassismusprävention leitet, versteht sich selbst nicht unbedingt auf Deeskalation. Der Mann, der sie zu Beginn des Romans aufgrund ihres Aussehens im Flugzeug auf Englisch ansprach und dessen Namen sie auf der Bordkarte erhaschte, taucht am Ende wieder auf. Längst hat sie ihn als einen Hetzer im Internet identifiziert und unter einem Fake-Profil kontaktiert. Jetzt, da ein Prozess gegen die rechte Gruppierung, der er angehört und deren Abzeichen er trägt, unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden soll, hat sie Gelegenheit, ihn einmal richtig zusammenzufalten und zu provozieren: Mit seinem "kleinen Feuerzeug" wisse er ja nicht einmal, "wie die Sache mit dem Abfackeln" von Häusern funktioniere. Wenig später brennt es.

Saya wird als "Nazihasserin" festgenommen, denn der Streit kam zur Anzeige. Abschließend wendet sich Kasih an die Leser: "Habt ihr gedacht, Saya hätte das Haus in Brand gesetzt? Seid ihr entsetzt, dass ich euch das unterstelle?" Wie so oft im Gegenwartstheater werden wir alle stark einbezogen. Die schreibende Erzählfigur ist sich der Brisanz ihres Berichts bewusst und ahnt, dass die Presse bald darauf reagieren wird. Ihre Erfinderin Shida Bazyar wird wohl ebenfalls mit Fragen des beschimpften Publikums rechnen.

ALEXANDER KOSENINA

Shida Bazyar: "Drei Kameradinnen". Roman.

Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 352 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.04.2021

Dich schützen sie nicht
Gerade kommt beeindruckende Literatur aus den Bereichen Deutschlands, die von Ausschluss und Gewalt bedroht sind.
Shida Bazyars Roman „Drei Kameradinnen“ erzählt von Frauen in Alarmbereitschaft
VON MEIKE FESSMANN
Hoyerswerda, Rostock, Mölln, Solingen, Köln, Halle, Hanau, die rechtsterroristische Mordserie des NSU ist eine traurige Reihe und ein unzweifelhaftes Signal: Deutschland hat ein Rassismusproblem. Niemand, der sich damit beschäftigt, kann das leugnen. Trotzdem hat man es lange getan. Paradoxerweise sorgte die Aufarbeitung von Nationalsozialsozialismus und Antisemitismus in Ost und West gleichermaßen für ein gutes Gewissen. Mit Rassismus, so glaubte das wiedervereinigte Deutschland, habe es nichts mehr zu tun. Trotz Pegida, trotz AfD, trotz Thilo Sarrazins Beschwörung vermeintlicher Überfremdung und trotz all der Anschläge, die gezielt Menschen treffen sollten, die zu Fremden erklärt wurden.
Wie unterschiedlich die Wahrnehmung der weißen Durchschnittsbevölkerung und der People of Color mit und ohne deutschen Pass ist, kommt nicht nur in den Debatten um die sogenannte Identitätspolitik zum Ausdruck. Auch die Literatur erzählt davon. Sie kann das vielleicht sogar besonders gut, weil sie nicht nur Daten und zeithistorische Fakten erschließt, sondern Innenwelten, Wünsche, Sehnsüchte, Hoffnungen und Ängste. Sie weckt Empathie, zumindest, wenn sie nicht nur reines Sprachspiel oder avantgardistisches Experiment sein will.
Eine ganze Phalanx deutscher Autorinnen hat in jüngster Zeit dieses Feld neu vermessen. Sie bringt die beiden Debatten rund um gender und race zusammen, ohne sich abgesprochen zu haben. Plötzlich stehen sie gemeinsam da: Sharon Dodua Otoo, Hengameh Yaghoobifarah, Olivia Wenzel, Deniz Ohde, Mithu Sanyal, die jüngst mit „Adas Raum“, „Ministerium der Träume“, „1000 Serpentinen Angst“, „Streulicht“ und „Identitti“ ihre Romandebüts publizierten. Sie haben unterschiedliche Biografien und Herkunftsgeschichten, völlig verschiedene Temperamente und Schreibstile. Doch es eint sie die Erfahrung von Rassismus und Sexismus, ein feinmaschiges und grobschlächtiges Muster von Abwertung und Ausschluss.
Auch Shida Bazyars neuer Roman, ihr zweiter, profitiert vom weiblichen Schulterschluss – und trägt ihn sogar im Titel: „Drei Kameradinnen“. Er erzählt von drei Freundinnen, die in Wohnblocks am Rand einer deutschen Kleinstadt aufgewachsen sind. Der Name der Stadt tut nichts zur Sache, betont die Erzählerin, so wenig wie die Namen der Länder, aus denen ihre Eltern stammen. Saya, Hani und Kasih, die Ich-Erzählerin, sind mehr als Freundinnen. „Drei Kameradinnen“ werden sie genannt, als befänden sie sich in einem Kampfeinsatz. In gewisser Weise ist es auch so. Sie fühlen sich bedroht und halten zusammen. Dabei geht es eigentlich um ein freudiges Wiedersehen: Shaghayegh, in der gleichen Siedlung aufgewachsen, hat sie zu ihrer Hochzeit eingeladen. Eine gute Gelegenheit, ein paar Tage miteinander zu verbringen.
Aber es sind keine gewöhnlichen Tage. Es sind die Tage, als der NSU-Prozess beginnt, auch wenn weder der Nationalsozialistische Untergrund beim Namen genannt wird, noch die Angeklagten. Und das hat weniger rechtliche als ästhetische Gründe. Shida Bazyar setzt alles daran, die Position der Leser zu verunsichern. Sie soll haltlos sein, ohne schnelles Urteil, ohne routiniertes Anwerfen der Suchmaschine. „Hört einfach zu!“, ist gewissermaßen der Appell, ihr bekommt alle nötigen Informationen, nicht aber die Raster, die euch helfen, euch zu orientieren.
Und so schlittern wir hinein in diese Geschichte, lauschen der Atemlosigkeit, mit der Saya auf dem Dach eines – ziemlich sicher: Berliner – Mietshauses von ihrer Anreise (aus einer fernen Metropole) erzählt. Vom widerlichen Typen, der im Flugzeug neben ihr saß und sie auf – schlechtem – Englisch ansprach, von der Frau mit dem Kopftuch, der man den Sitzplatz streitig gemacht hatte und die sich schließlich fügte, am Gang und nicht wie gebucht am Fenster zu sitzen. Lauter Anlässe für Wut und zugleich für Gelächter, Gegröle, Solidarität und noch mehr Alkohol.
Ein Freundinnensoziotop. Man kennt sich schon so lange. Und man erinnert sich, wie Saya früher immer ihre Geschichten frisierte, um die anderen zu etwas zu bewegen. Etwa zum gemeinsamen Putzen eines am Straßenrand abgestellten Schrottautos, für das sie einen armen alten Mann erfand, der seit Jahren im Krankenhaus liege – nur damit es danach ein wenig besser aussah in der heruntergekommenen Umgebung. Man denkt an Tom Sawyer und Tante Pollys Gartenzaun. Wie überhaupt der Roman immer wieder einen Mark-Twain-und-Enid-Blyton-Unterton hat, was ihm nicht schadet. Denn er soll beides beschreiben: eine auf die gemeinsame Jugend zurückgehende Freundinnengruppe, wie es viele gibt, und eine Freundschaft unter den Bedingungen sozialer Deklassierung und permanenter Ausschlussdrohung.
Doch dieser Ton ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist etwas beängstigend Dramatisches. Man weiß von Anfang an, dass etwas Schlimmes geschehen wird und dass Saya „im Knast“ sitzt, wie die Erzählerin das nennen will, weil sie „lässige“ Formulierungen liebt. Offenbar unterstellt man Saya, so der als Prolog vorausgeschickte (fingierte) Zeitungsartikel, dass sie ein islamistisch motiviertes Attentat begangen habe. Der Roman ist als eine Art Showdown inszeniert, gewissermaßen als umgekehrte Sheherazade-Geschichte: Nur eine einzige Nacht braucht Kasih, um alles aufzuschreiben, und sie verwischt dabei ständig Erfindung, Wirklichkeit und Fiktion, Vergangenheit und Gegenwart.
Während Saya Workshops für Schüler gibt und bereit ist, für die gerechte Sache zu kämpfen, ist Hanis Einstellung umgekehrt. Sie ist erst später in die Siedlung gezogen, direkt aus einem Kriegsgebiet. Sie mag Sex, egal, mit welchem Geschlecht, und sie findet, solange man ein Problem übersehen kann, solle man das tun. Sie beschwichtigt und deeskaliert, wo es nur möglich ist. Dass sie als Bürokauffrau in einer Firma mit flachen Hierarchien, die sich um Tierschutz kümmert, die ganze Arbeit macht, nimmt sie klaglos hin.
Kasih, die Erzählerin, hat ein abgeschlossenes Soziologiestudium mit Bestnote, findet aber keinen Job und lebt von Hartz IV. Sie trauert ihrem Ex-Freund Lukas nach, weil sie an seiner Seite ein „normales“ Leben führten konnte. Plötzlich fiel sie nicht mehr auf und gehörte einfach dazu. Dass auch er ihr am Ende denselben Job im „Migrationsdienst“ irgendwo in Bayern vermitteln will, den schon die Beraterin im Jobcenter für passend hielt, stürzt sie noch tiefer in Verzweiflung.
Der Umgang mit der Mordserie des NSU, bei dem Ermittlungsbehörden und Medien die Opfer über Jahre zu Verdächtigen machten, ist der Dreh- und Angelpunkt des Romans. Er ist gewissermaßen der gesellschaftliche Sündenfall, der alle potenziell Betroffenen in Alarmbereitschaft versetzt, die bei jedem Attentat reaktiviert wird. Der deutsche Staat wird dich nicht schützen, kann man diese Angst zusammenfassen, weil er deine Schutzbedürftigkeit so wenig anerkennt wie deine Zugehörigkeit. Aus der Struktur dieser Vertauschung von Opfer und Täter macht die 1988 geborene Schriftstellerin das Erzählprinzip ihres Romans.
Ihr Debütroman von 2016, „Nachts ist es leise in Teheran“, war aus vier Perspektiven einer Familie erzählt, in der die Eltern als politische Flüchtlinge aus Iran exilierten und die Kinder in Deutschland aufwuchsen. „Drei Kameradinnen“ ist komplexer, ohne an Deutlichkeit und Anschaulichkeit zu verlieren. Shida Bazyar verwickelt die Perspektiven der Hauptfiguren zu einem Möbiusband. Wir wissen nicht, wo oben und unten ist, innen und außen, wir wissen nicht einmal, ob es wirklich drei Personen sind, von denen sie erzählt. „Drei Kameradinnen“ schickt uns auf eine Erkundungsreise, mitten hinein in den Abgrund deutscher Identitätspolitik – ein furioses zweites Buch.
Aus der Vertauschung
von Täter und Opfer macht
Bazyar ihr Erzählprinzip
Die Mordserie des NSU
ist der Dreh- und
Angelpunkt des Romans
Der Roman spielt am Stadtrand, genauer wird der Ort nie benannt, er könnte überall sein: hier ein Hochhaus im Münchner Stadtteil Neuperlach.
Foto: imago
Shida Bazyar: Drei
Kameradinnen. Roman.
Kiepenheuer & Witsch,
Köln 2021.
350 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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»Eine starke Geschichte feministischer Solidarität.« Zeit Wissen 20221213