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3 Kundenbewertungen

Lange schon lebt der Apokalypse-Spezialist und Seminarleiter eine Menage à trois, ohne dass die Frauen davon wissen. Doch langsam kommt er in ein kritisches Alter, und das Liebesleben leidet immer mehr unter der Anstrengung, Sandra und Judith voneinander fern zu halten. Eines Tages beschließt er, sich von einer der beiden zu trennen - doch welche soll es sein? Die Entscheidung, die sein Leben erleichtern sollte, macht alles nur noch auswegloser. Ein ironisches Bekenntnis zum "Durcheinander des Liebeslebens".

Produktbeschreibung
Lange schon lebt der Apokalypse-Spezialist und Seminarleiter eine Menage à trois, ohne dass die Frauen davon wissen. Doch langsam kommt er in ein kritisches Alter, und das Liebesleben leidet immer mehr unter der Anstrengung, Sandra und Judith voneinander fern zu halten. Eines Tages beschließt er, sich von einer der beiden zu trennen - doch welche soll es sein? Die Entscheidung, die sein Leben erleichtern sollte, macht alles nur noch auswegloser. Ein ironisches Bekenntnis zum "Durcheinander des Liebeslebens".
Autorenporträt
Wilhelm Genazino (1943-2018) wurde in Mannheim geboren, arbeitete zunächst als Journalist, später als Redakteur und Hörspielautor. Als Romanautor wurde er 1977 mit seiner ¿Abschaffel¿-Trilogie bekannt und gehörte seither zu den wichtigsten deutschen Gegenwartsautoren. Für sein umfangreiches Werk wurde er mit zahlreichen Preisen geehrt, unter anderem erhielt er 1998 den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und 2004 den Georg-Büchner-Preis. 2007 wurde er mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet, 2010 mit dem Rinke-Sprachpreis. 2011 wurde Genazino in die Akademie der Künste gewählt. 2013 erhielt er den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor, 2014 den Samuel-Bogumil-Linde-Preis für sein literarisches Werk.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dem Rezensenten Ijoma Mangold hört man die Enttäuschung förmlich an. Denn hier hat sich einer in die Nesseln gesetzt, der ihm sehr am (literarischen) Herzen liegt. In seinem jüngsten Roman "Die Liebesblödigkeit" werfe Wilhelm Genazino schlichtweg all das über Bord, was seine Poetik ausmache: die mit Ekel gemischte Demut seines Erzählers, die Weigerung vor der endgültigen Formulierung und der besondere Humor, das "existentielle Begleitgeräusch der individuellen Art seiner Figuren, durch die Welt zu gehen". Der "Riese der Delikatesse", der Wilhelm Genazino nun einmal sei, falle hier seinem eigenen Erzähler zum Opfer. Denn dieser ist von Beruf ein meinungsgesättigter Lesungsreisender in Sachen Gesellschafts-Apokalypse. Der berufliche selbstzufriedene Zynismus des Erzählers (der genau weiß, wonach er klingen muss, um nach mehr zu klingen) schlägt sich jedoch "eins zu eins" auf den Roman nieder, bringt Humor vom Reißbrett und streckenweise "angestrengt parlierenden Feuilleton-Leitartikel" hervor, klagt Mangold, obwohl nichts der eigentlichen Poetik Genazinos fremder sei als Zynismus und Meinungswahn. "Vielleicht", überlegt Mangold, "ist das alles im Sinne der psychischen Gesundheit von Genazinos Held nur zu begrüßen". Im Sinne der literarischen Gesundheit des Romans jedoch ist es das sicher nicht.

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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2005

Er folgt errötend ihren Schuhen
Wilhelm Genazinos barmherzige Komik / Von Patrick Bahners

In der Essaysammlung, die Wilhelm Genazino im vergangenen Jahr unter dem Titel "Der gedehnte Blick" publizierte, findet sich eine Untersuchung über das Komische. Sie kommt als Glossierung der Klassiker daher, erörtert im Vorübergehen die Humortheorien von Jean Paul bis Helmuth Plessner. Ist Komik unter aller Menschenwürde? Zu diesem unheimlichen Gedanken gibt Henri Bergson Anlaß, der am Gelächter die polemische Natur des Sozialen herausarbeitet. Das Lachen ist Kampf, ist für Bergson dem Wesen nach Auslachen. "Es wird ausgelöst", so faßt ihn Genazino zusammen, "wenn einer Gruppe von Menschen an einem einzelnen ein Zuviel an Starre und Unlebendigkeit auffällt und damit der Eindruck entsteht, daß ,etwas Lebendiges von etwas Mechanischem überdeckt wird'." Lachen macht uns, so Bergson wörtlich, die "vorübergehende Verwandlung einer Person in ein Ding".

Nach diesem Verfahren der Verdinglichung ist eine der komischsten Stellen in Genazinos jüngstem Roman "Die Liebesblödigkeit" gearbeitet. Der Ich-Erzähler hat sich eine freiberufliche Existenz als Apokalyptiker aufgebaut, liefert in Schweizer Hotels einer gutbetuchten Klientel zumeist fortgeschrittenen Alters zeitdiagnostische Rechtfertigungen ihres Unbehagens in der Kultur. Im Salon "Burgund" des Hotels "Seeblick" in Interlaken treten die Teilnehmer eines solchen Seminars zusammen. Das Protokoll des Seminarleiters hält fest: "Eine Investmentexpertin aus Stuttgart, die sich auf der rechten Hufeisenhälfte niedergelassen hat, legt immer mehr von sich ab. Zuerst die Uhr und den Armreif, dann die Brille und die Ohrringe. Gerade zieht sie ihre Schuhe aus, dann sind Ringe und Haarspange dran. Mit Ausnahme der Schuhe liegen alle Gegenstände auf dem Tisch."

Die Dame, die mit Investitionstips handelt, aber die Kursgebühr entrichtet hat, um sich sagen zu lassen, daß es keine Zukunft mehr gibt, macht eine lächerliche Figur. Durch ostentative Entblößung stellt sie sich ein auf ultimative Enthüllungen; auf die Vernichtung aller Werte bereitet sie sich vor, indem sie sich aller Wertsachen entledigt, nicht ohne sie im letzten Moment noch ins rechte Licht zu rücken. Weise Worte weiser Männer will sie vernehmen, aber ihr Ritual der Sammlung verrichtet sie gedankenlos, wie ein Roboter. Wäre wirklich das Ende der Welt zu verkünden, wie wäre sie durch den Ruf zur Umkehr zu erreichen? Sie hat noch nach jedem Seminar Armreif und Uhr wieder übergestreift.

Die am Tag liegende Mechanik der Erwartungen ist das Komische an einem Kulturbetrieb, der sich durch Untergangsszenarien schadlos hält. Auch die Bekannten des Ich-Erzählers haben Marktlücken für Geisteswissenschaftler entdeckt: Die Zivilisationskrankheiten ernähren einen eigenen diagnostisch-therapeutischen Komplex voller Schockforscher, Ekelreferenten und Panikberater. Und wir Genazinoleser haben an der ganzen Misere unseren Spaß, schließen uns zusammen im Gelächter über die hilflose Bildungsbeflissenheit einer Finanzexpertin, die wohl zuviel Geld hat - sonst blätterte sie es nicht hin für einen Vortrag über den Faschismus der Massenunterhaltung, wie sie ihn auch in der Zeitung hätte lesen können, beispielsweise im vergangenen Oktober, als die Rede gedruckt wurde, mit der Wilhelm Genazino sich in Darmstadt für den Büchnerpreis bedankt hat.

Die komische Beschreibung der in den Stand der Schmucklosigkeit wechselnden Investmentberaterin rundet sich im Stil eines Witzes, endet mit einer überraschenden Wendung, die geeignet ist, den Leser laut lachen zu lassen. Erst die Erwägung, daß unter den Statussymbolen auf dem Tisch auch die Schuhe hätten liegen können, komplettiert den Eindruck, daß das Abschnurren eines psychischen Mechanismus gezeigt wird: Im Akt der Konzentration auf die Apokalypse fahren Hemmungen dahin; in der Endzeitangst kann man es sich gemütlich machen wie in einem Zugabteil, sofern man keine Rücksicht nimmt. Hätte wirklich das Schuhwerk neben Hotelbleistift und Notizblock seinen Platz gefunden, wäre das Lächerliche am Verhalten der Stuttgarterin auch ihren Seminarkollegen und nicht nur den Romanlesern vor Augen getreten. Auf dem Höhepunkt der Peinlichkeit wäre indes etwas zum Vorschein gekommen, das keine Lachsalve aus der Welt wieder fortschaffen kann: eine nackte Menschlichkeit, die unschicklich wirkt und Grund der Schicklichkeit ist. Selbst wenn die Schuhe neu gewesen wären, hätten sie in anderer Weise etwas über ihre Trägerin verraten als Brille oder Haarspange.

Das legt eine Episode aus der Kaffeepause nach der ersten Sitzung nahe, die der Ich-Erzähler in apokalyptischer Metaphorik schildert: "Da flutet eine Schar wohlhabender deutscher Rentner in die Lounge." Wieder erzeugt Genazino Komik durch Verdinglichung, diesmal in der besonders schlichten Variante, daß er den reichen Rentner, diese Schlüsselfigur unserer Zeit, als Typus auftreten läßt, den er in "Einheitskleidung" steckt. In einheitlicher Weise schiebt sich freilich auch das Residuum der Individualität am unteren Rand ins Bild: "An einer Stelle, an den ausgebeulten, weil zu lange getragenen Schuhen, zeigt sich doch das Alter der Leute. Die unförmig gewordenen Füße haben den Schuhen von innen ihre Form aufgedrängt." Alle biographische Form ist aufdringliche Verformung von innen. Wo der Mensch am Boden haftet, wird unübersehbar, daß der Erdenrest, der ihm zu tragen bleibt, sein Leib ist. Der Held von Genazinos vorvorigem Roman "Ein Regenschirm für diesen Tag" war Testläufer für Luxusschuhe.

Gegen Ende der "Liebesblödigkeit" gelangt der Ich-Erzähler zu der Einsicht, daß es sich beim Gewerbe des Apokalyptikers nicht um einen Brotberuf wie andere handelt, zur Ahnung, daß etwas dran ist an der alten Weissagung von der Endlichkeit der Welt. "Wir alle leben in der Apokalypse einer nicht möglichen Wahrheit." Das Leben ist die Aufdeckung einer Wahrheit, die nicht ausgesprochen werden kann. Worum es sich bei dieser Wahrheit handelt, von der die in "Büros, Wohnungen, Theatern, Kinos, Schulen, Universitäten und Kantinen" produzierten Theorien nur ablenken, deutet eine Formel an, die wenige Seiten später fällt, als der Ich-Erzähler auf seine lange vergangene Ehe zurückblickt. Den Grund für das Scheitern dieser Liebe könnte er seiner Frau gegenüber auch heute nicht nennen, "er ist in die Geheimgeschichte unserer beider Scham eingewandert".

In Genazinos Romanen, deren Helden uns allesamt als Einzelgänger entgegentreten, ist es das Geheimnis der Scham, daß die Betrachtung der Vereinzelung, die von ihr hervorgebracht wird, hinterrücks Gemeinschaft stiftet. Eine der beiden Frauen, zwischen denen der Ich-Erzähler sich entscheiden zu müssen meint, weil er als Apokalyptiker in eine Krisenzeit hineingestellt zu sein glaubt, gesteht ihm bei einem Parkspaziergang, "daß sie, wenn sie allein auf einer der Bänke sitzt, nicht wagt, sich die Schuhe auszuziehen, weil sie fürchtet, dann wie eine Obdachlose auszusehen". Vorher hat der Ich-Erzähler einmal beobachtet, wie Kinder die Sandale eines jungen Mannes, der auf einer Parkbank schläft, als Fußball benutzen. Er bildet sich ein, daß sie das unrunde Leder achtlos fortgetreten haben, muß aber im Nachdenken seine Erinnerung korrigieren: Sie haben dem Barfüßigen beide Sandalen ordentlich zurückgebracht.

Als Täuschung stellt sich dem Ich-Erzähler im Rückblick auch die Handlung dar, in die sich zu verstricken er sich mit der Routine des Seminarprofis überredet hatte: Er muß gar keine Entscheidung fällen oder will das jedenfalls nicht. Obgleich dieses Ich seiner Natur nach Erzähler ist und im unverwechselbaren Genazino-Ton eins ans andere reiht, erwächst die Einheit des Romans nicht aus dem narrativen Nacheinander, sondern motivisch, aus dem Nebeneinander der Gedächtnisbilder, einem Übereinander von Beobachtungen und Erinnerungen, dessen Dichte sich erst bei der zweiten Lektüre erschließt.

So fällt dem Ich-Erzähler im blitzblanken Schweizer Hotelzimmer eine tote Fliege ins Auge; "ganz wunderbar" will sie ihm erscheinen, der Kadaver als Repräsentant des Lebens mitten im sterilen Kitsch. Später erfahren wir, daß sein Vater Fliegen in der hohlen Hand zu fangen pflegte und sie bisweilen so lange ins Dunkel sperrte, bis sie wie tot auf den Küchentisch fielen. Wo wir auch hinkommen, dieses Unaussprechliche wird hier umkreist, sind unsere Eltern schon gewesen. Wiedergänger scheinbarer Möglichkeiten schamlos-unschuldigen Beobachtens begegnen dem Ich-Erzähler auf Schritt und Tritt in den emblematischen Figuren der Obdachlosen und der Kinder. Sie konfrontieren ihn, wenn er weitergeht, mit dem für Genazino charakteristischen Gedanken der diffusen Schuld des bloßen Lebens, das Wegsehen und Sterbenlassen ist. Über Bergson geht Genazino hinaus: Im Lachen über die peinliche Lage des Außenseiters, bei Bergson Indiz der Unbarmherzigkeit der Vergesellschaftung, möchte er eine unartikulierte Form der Anteilnahme sehen.

Auf den zweiten Blick gilt für dieses Buch, was in ihm über den dicken Mann in einer Bar zu lesen ist, auf dessen Jacke in Großbuchstaben "Athletic Department" steht: "Es ist nicht komisch, es sieht nur so aus." Auf den ersten und den dritten Blick aber ist es eigentlich urkomisch.

Wilhelm Genazino: "Die Liebesblödigkeit". Roman. Hanser Verlag, München 2005. 203 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.03.2005

Du musst dein Frauenproblem lösen
Wo sich die Meinung breit macht, kann der Witz nur verlieren: Wilhelm Genazinos Roman „Die Liebesblödigkeit”
Vielleicht war es einfach die falsche Berufswahl. Der Held des neuen Buches von Wilhelm Genazino, „Die Liebesblödigkeit”, ist Vortragsreisender in Sachen Apokalypse. Man kann bei ihm Seminare buchen, in denen er in scharf umrissenen Bildern den Lauf der modernen Zivilisation grell ausleuchtet, den allgemeinen Kulturverfall schonungslos kritisiert, um die Konsumgesellschaft zuletzt im Tonfall eines apodiktischen Urteils zu verdammen. Im Milieu kulturell saturierter Besserverdiener mit chronischem Sinndefizit sind diese Seminare ein absoluter Bringer. Es ist nicht leicht, ein solches Berufsbild zu definieren, eine Eigenschaft aber ist offensichtlich unabdingbar: Wer als Apokalypse-Spezialist, als professioneller Schwarzseher bestehen will, muss Meinungen produzieren am laufenden Band, darf nie um ein Urteil verlegen sein und sollte stets wissen, durch die Wahl welcher Worte seine Ansichten den Schein des Originellen und so noch nie Gehörten bekommen.
Natürlich ist die Berufswahl von Wilhelm Genazinos namenlosem Protagonisten nicht zufällig. Sie entspricht seinem Wesen. Es ist nur die Frage, ob dieser Typus Mensch der richtige für einen Genazino-Roman ist. Denn als Ich-Erzähler schlägt dessen Art, die Welt zu sehen und darüber zu reden, eins zu eins auf den Roman durch. Und der klingt dann tatsächlich streckenweise wie ein angestrengt parlierender Feuilleton-Leitartikel.
Hören wir in einen seiner Vorträge hinein: „Die Preisgabe der Diskretion im öffentlichen Raum ist eine Vorstufe zum faschistischen Ordnungsdenken, sage ich mit leicht angehobener Stimme.” Natürlich ist das eine Richard-Sennett-Karikatur - als solche nicht nur vom Autor intendiert, sondern auch von seinem Ich-Erzähler selbst durchschaut. Über die bedenkliche Hohlheit seines Gewäschs ist sich dieser nämlich durchaus im Klaren. Sich aber über die Hohlheit der eigenen Handlungen bewusst zu sein und sie dennoch fortzusetzen, das macht den Zyniker aus. Der Held von Genazinos neuem Buch ist ein selbstzufriedener Zyniker.
Wer die wunderbaren Bücher von Wilhelm Genazino kennt, ahnt sogleich, dass das nicht gut gehen kann. Mit einem Zyniker auf offener Bühne funktioniert die Genazino-Poetik nicht mehr. Diese besteht in einer Art der Weltbeschreibung, die ihre Beobachtungen aus dem kleinen Detail entwickelt, weshalb sich ihr Stimmungsschwirren bei aller Traurigkeit nie zum Gestus einer allgemeinen Kulturkritik generalisieren lässt. Genazino ist nämlich vor allem ein Riese der Delikatesse: Bei allem Benennungsfuror bewahrt sich sein Stil immer die Scheu vor der letzten Formulierung. Deshalb wird stets das eine Bild durch das nächste, das erste Wort durch ein zweites ergänzt oder ersetzt, so dass alle Sätze sich immer zugleich ihrer Letztgültigkeit entziehen. Man kann es auch anders sagen: Aus den merkwürdigen Ansichten seiner Figuren wurden nie Meinungen. Im Sinne dieser Delikatesse ist ein Satz wie der folgende aus „Liebesblödigkeit” einfach schon zu bescheidwisserisch: „Die Friseursalons nehmen in den letzten Jahren überhand. Sie haben neuerdings breite, offene Schaufenster ohne Gardinen. Man soll es interessant finden, wie Friseure in anderer Leute Haare herumwühlen.”
In Genazinos Roman „Ein Regenschirm für diesen Tag” von 2001 heißt es: „Mein Dünkel besteht aus einem fast permanenten Zusammenstoß von Demut und Ekel.” Von der Demut ist nun leider nicht mehr viel übrig geblieben. Und deshalb hat auch der ebenfalls stark zurückgetretene Ekel etwas Mechanisches. Was in „Ein Regenschirm für diesen Tag” das Erstaunen über die „Gesamtmerkwürdigkeit allen Lebens” war, findet sich in „Die Liebesblödigkeit” bereits hübsch in entsprechende Schubläden verstaut. Wenn man die einzelne Schublade öffnet, ist, was man findet, zwar ganz nett, der Eindruck einer Gesamtgeordnetheit alles Geschriebenen dominiert aber.
Mit Liebe gemästet
Vielleicht ist das alles im Sinne der psychischen Gesundheit von Genazinos Held nur zu begrüßen. Denn dieser steht eindeutig fester im Leben als seine Vorgänger. Dafür gibt es einen handfesten Grund. Er ist nämlich mit zwei Frauen zusammen, die seit Jahren nichts voneinander wissen: „Ich kann die dauerhafte Liebe zu zwei Frauen nur empfehlen. Sie wirkt wie eine wunderbare Doppelverankerung in der Welt. Man wird mit Liebe gemästet, und das ist genau das, was ich brauche.” Da er aber in seinen Fünfzigern steht, macht er sich doch Sorgen, ob er sich nicht langsam für die eine und gegen die andere entscheiden müsse, damit es im Falle seiner Hinfälligkeit nicht zu bösen Überraschungen am Krankenlager kommt. „Du musst unbedingt dein Frauenproblem lösen, denke ich . . .” Von den Abwägungen für die eine oder die andere oder doch für beide handelt „Liebesblödigkeit”.
Vielleicht sind tatsächlich zwei Frauen „die Mindestüppigkeit, mit der wir den Kampf gegen unser armseliges Leben antreten können”. In jedem Fall ist das ein komischer Stoff. Aber gerade hier liegt das Problem. In früheren Büchern von Genazino war Humor immer so etwas wie ein existentielles Begleitgeräusch der individuellen Art seiner Figuren, durch die Welt zu gehen. In „Liebesblödigkeit” dagegen sehen wir einen Pointenkonstrukteur am Reißbrett arbeiten. „Ich hätte”, sagt der Held zum Beispiel, „nicht gedacht, dass die Apokalypse in diesem Jahr so gut läuft.” Sagt er das extra so, weil man genau so einen komischen Satz baut? Manchmal hat man gar den Eindruck, dass der Ich-Erzähler nach besonders gelungenen Formulierungen wie der von der „Alterssicherung unserer Sexualität” oder der so genannten „Wackelerektion” kurz innehält und aus den Seiten heraus dem Leser ins Gesicht guckt, ob sich auf dessen Gesichtszügen denn auch ein Schmunzeln breit gemacht habe.
IJOMA MANGOLD
WILHELM GENAZINO: Die Liebesblödigkeit. Roman. Hanser Verlag, München 2005. 203 Seiten, 17,90 Euro.
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"Originell, abgründig und herrlich komisch."
Susanne Kunckel, Welt am Sonntag