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Lisa friert nicht. Sie kann es einfach nicht. Schwitzen dafür umso mehr. In den Sommermonaten flüchtet sie ins Eisstadion und stellt sich vor, es hätte sie noch weitaus schlimmer treffen können als in Südwestdeutschland. Etwa in Bangkok oder Miami. Und dann zieht Anne ins Nachbarhaus, ein Anti-Mädchen mit Gletscheraugen und einem Plan im Gepäck ... Wie Lisa und Anne sind alle Figuren in »Das Umgehen der Orte« Geheimnisträger, deren Wege sich kreuzen und Schicksale aufeinanderprallen. Einige trägt es hinaus in die Welt, nach Melbourne oder auf die Westmännerinseln, andere zieht ihre Last bis…mehr

Produktbeschreibung
Lisa friert nicht. Sie kann es einfach nicht. Schwitzen dafür umso mehr. In den Sommermonaten flüchtet sie ins Eisstadion und stellt sich vor, es hätte sie noch weitaus schlimmer treffen können als in Südwestdeutschland. Etwa in Bangkok oder Miami. Und dann zieht Anne ins Nachbarhaus, ein Anti-Mädchen mit Gletscheraugen und einem Plan im Gepäck ... Wie Lisa und Anne sind alle Figuren in »Das Umgehen der Orte« Geheimnisträger, deren Wege sich kreuzen und Schicksale aufeinanderprallen. Einige trägt es hinaus in die Welt, nach Melbourne oder auf die Westmännerinseln, andere zieht ihre Last bis auf den Grund. Was zählt sind Freunde - die Familie, die man sich aussucht, wie es heißt. Mit ihnen teilt man: Träume, Ängste, die guten Momente und die richtig miesen. Kaum ein deutschsprachiger Autor unserer Tage vermag das Fangnetz der Emotion so sensibel und kunstvoll zu knüpfen wie Fabian Hischmann. In seinem neuen Roman erfindet er Figuren und Szenen, die berühren und verstören, die laut auflachen und die existenzielle Wucht des Beiläufigen erleben lassen.
Autorenporträt
Hischmann, FabianFabian Hischmann, geboren 1983 in Donaueschingen, studierte Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim und am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. 2013 war er Teilnehmer der Jürgen-Ponto-Schreibwerkstatt, 2015 Stipendiat der Kunststiftung Baden-Württemberg. 2017 wurde er zum Festival Neue Literatur nach New York City eingeladen und erhielt ein Aufenthaltsstipendium des Schleswig-Holsteinischen Künstlerhauses in Eckernförde. Kurzgeschichten von ihm wurden in verschiedenen Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht. Sein Debütroman "Am Ende schmeißen wir mit Gold" war 2014 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, sein zweiter Roman "Das Umgehen der Orte" erschien 2017. Und im Sommer 2019 erscheint der Erzählungsband "Alle wollen was erleben". Fabian Hischmann lebt in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.03.2017

Ein Schinken hat es gut, hängt ewig rum
In seinem zweiten Roman „Das Umgehen der Orte“ verfeinert Fabian Hischmann seine Kunst, sich die Figuren vom Hals zu halten
Ein Vater, der sich beim Onanieren versehentlich selbst erdrosselt und dessen Penis wie eine „dicke, haarige Raupe“ aussieht, als seine kleine Tochter ihn findet, so was nennt man eine verkorkste Kindheit. Wir befinden uns auf Seite eins von Fabian Hischmanns „Das Umgehen der Orte“. Auf Seite zwei wiegt Lisa, die kleine Tochter, über hundert Kilo. Nach der Raupen-Daddy-Nummer hat sie Snickers für sich entdeckt.
Bereits von Seite drei an muss sie sich die Aufmerksamkeit des Lesers mit Anne teilen, ihrer neuen Freundin. Anne findet, Lisa sei gar nicht fett, sie sei „halt mehr als andere“. Auf Seite 25, es sind inzwischen etliche Jahre vergangen, stößt Magnus dazu, der will mal Schriftsteller werden, und in Annes Höschen will er auch. 45 Seiten lang ist „Das Umgehen der Orte“ wie eine durchschnittliche Jugend: Eine einzige Demütigung, aber man erinnert sich trotzdem irgendwie gern daran.
Doch von Seite 46 an verhält sich der Roman gegenüber Lisa wie Anne, die untreue Freundin. Er drückt sich vor ernsthaften Beziehungen mit seinen Figuren. Sobald jemand Neues auftaucht, lässt er die alten Freunde links liegen. Und es taucht ständig jemand Neues auf, den wir im Drive-by-Modus kennenlernen, bevor er schwuppdiwupp wieder von der Bildfläche verschwindet. Alle leiden an unterschiedlichen Schattierungen jener seltsamen Gemütskrankheit, die man sich in warmen Bürgerstuben holt, um sie dann in Berlin bei schummrigem Licht auszukurieren.
Zum Beispiel Samuel, ein Schriftsteller und „trauriger Vampir“. Oder Tim, der eine Fotoreihe von Tierkadavern macht. Dylan, sagt Tim, sei ein „schillernder Verlierer“. Ein gewisser Thorben taucht kurz auf, um sofort mit dem Auto gegen einen Baum zu knallen, denn das Unglück ist stets nah. Den „lost boy“ Max Flieger kennen wir, ebenso wie Tim, schon aus „Am Ende schmeißen wir mit Gold“. Der Debütroman von Hischmann war 2014 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
Das bewahrte ihn nicht vor den Stimmen, die der Erzählung von Max Flieger bescheinigten, eine allzu stilsichere, allzu abgeklärte Schönschreib-Übung zu sein, wie man sie an den Schreibschulen in Leipzig und Hildesheim absolviert. Hischmann hat beide besucht und zudem das Pech, dass Florian Kessler kurz zuvor in der Zeit gegen die Angepasstheit und stilsichere Langeweile polemisiert hatte, die an diesen Instituten reproduziert werde.
Kessler argumentierte soziologisch. Eine groß- und bildungsbürgerliche Elite kreise in diesen Schulen um sich selbst, Menschen, so wähnte man, wie Fabian Hischmann und sein Ich-Erzähler Max Flieger, der als ennuierter Lehrer in den Sommerferien auf eine merkwürdige Art konturlos über die Seiten glitt. In „Das Umgehen der Orte“ erhebt Hischmann diese Schwäche nun zur Methode. Er tut gar nicht mehr so, als würde er seine Figuren gern tiefer kennenlernen, um dort eventuell auf etwas zu stoßen, das den Fluss seiner Prosa stören könnte.
Stattdessen hagelt es Sentenzen aus mittlerer Überflugshöhe. „Ich ziehe das Hemd über und denke mir, dass ein Schinken es gut hat: Hängt ewig rum, hat ewig Zeit zu reifen.“ Hischmann ist clever. Damit die Lebensklügeleien nicht zu prätentiös wirken, legt er sie seinen Figuren in den Mund oder Kopf.
Das Personal verschmilzt dadurch zu einem kaum unterscheidbaren Chor, in dem es ständig seufzt, ein Zeltlager der gebrochenen Herzen, das die Jahre und den Globus umspannt und in dem alle heim zu Mama wollen. Ein generisches dickes Mädchen, das nicht Lisa ist, sondern Jessi heißt, berichtet einem Burschen namens Hannes, Himbeer-Donuts seien ihr größtes Problem. Darauf entgegnet er: „Ich wünschte, wir könnten tauschen.“
Literaturgeschichtlich liegt dieses Zeltlager am Zürichsee, jenem wohlstandsumwölkten Gewässer, in dem sich der Erzähler von Christian Krachts „Faserland“ ertränkt. Auch Hischmann versenkt dort eine seiner Figuren, den bereits kurz erwähnten Samuel, der vor seinem Freitod einen gefeierten Roman geschrieben hat. Jeder im Universum dieses Romans kennt das Buch, es handelt von einem Schiffskapitän namens Nick Cave, der auf See die Orientierung verloren hat.
Pop, auch müder Pop, ist Pose. „Das Umgehen der Orte“ funktioniert wie eine literarische Instagram-Galerie. Es addiert erzählerische Schnappschüsse somnambul dreinschauender junger Menschen hinterm Retro-Filter, die zur Selbstfindung zu einer Seehundstation fahren, an ihre Kindheit denken und „In Brasilien ist jetzt Frühling“ sagen, weil doch hier alles so grau ist.
Vielleicht ist diese souverän geschriebene Larmoyanz der Hischmann’sche Mittelfinger. Gegen die Kritiker, die seinen Debütroman zu saturiert und bürgerlich fanden, fährt er das Großbürgertum auf. Er macht dessen Lebenslügen, den Verschleiß seines Personals, zum erzählerischen Prinzip. Dann feiert er aber doch wieder Figuren aus einfachen Verhältnissen ab, die „das Herz am rechten Fleck“ haben.
Der Mittelfinger bleibt, halb ausgeklappt, in der Mitte stecken. Vermutlich hat ihn unterwegs eine Depression befallen. Kopf hoch, möchte man dem Roman zurufen, wie Anne ihrer dicken Lisa, so schlecht bist du gar nicht. Du bist halt nur ein kleines bisschen weniger als andere.
PHILIPP BOVERMANN
Eine einzige Demütigung, an die
man sich trotzdem gern erinnert
Fabian Hischmann: Das Umgehen der Orte. Roman. Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München 2017. 208 Seiten, 18 Euro. E-Book 14,99 Euro.
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»Fabian Hischmanns zweiter Roman ist ein Buch über das Erwachsenwerden, über Traurigkeit, Einsamkeit und gleichzeitig über die beste Zeit überhaupt.« B.Z. am Sonntag 20170716