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Eine beeindruckende literarische Wiederentdeckung von zeitgeschichtlichem Rang
Vom Alltag während des Krieges inmitten der Diktatur handelt der 2. Band von Hermann Stresaus Tagebuchaufzeichnungen »Von den Nazis trennt mich eine Welt«, die 1939 mit dem Überfall auf Polen beginnen und im April 1945 mit dem Einmarsch der amerikanischen Truppen in Göttingen enden.
Mit Kriegsbeginn verlegt Stresau seinen Wohnort nach Göttingen. Dort versucht er, abgeschnitten von den Nachrichten der Welt, aus den anhaltenden Jubelmeldungen der Nazis zu extrahieren, wie es wirklich steht. Dass in der deutschen
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Produktbeschreibung
Eine beeindruckende literarische Wiederentdeckung von zeitgeschichtlichem Rang

Vom Alltag während des Krieges inmitten der Diktatur handelt der 2. Band von Hermann Stresaus Tagebuchaufzeichnungen »Von den Nazis trennt mich eine Welt«, die 1939 mit dem Überfall auf Polen beginnen und im April 1945 mit dem Einmarsch der amerikanischen Truppen in Göttingen enden.

Mit Kriegsbeginn verlegt Stresau seinen Wohnort nach Göttingen. Dort versucht er, abgeschnitten von den Nachrichten der Welt, aus den anhaltenden Jubelmeldungen der Nazis zu extrahieren, wie es wirklich steht. Dass in der deutschen Bevölkerung mit der Niederlage in Stalingrad und der zunehmenden Bombadierung ihrer Großstädte die anfängliche Siegesgewissheit in Mutlosigkeit umschlägt, kann aber auch die Propaganda nicht verdecken. Die Deportation der Juden ist für Stresau früh Gewissheit und hinter vorgehaltener Hand werden unter Gleichgesinnten zudem andere Kriegsverbrechen kolportiert. Es gibt Tage, an denen er gleichermaßen verzweifelt an deutscher Schuld und der Angst um das Leben der ihm nahestehenden Menschen. So verbindet sich der analytische Blick des Intellektuellen Stresau mit einer den Verhältnissen trotzenden, unerschütterlichen Menschlichkeit. Die tritt besonders zu Tage, als er verpflichtet wird, in einer Fabrik zu arbeiten, die auch Zwangsarbeiter aus Osteuropa und Frankreich beschäftigt.
Autorenporträt
Hermann Stresau, geboren am 19. Januar 1894 in Milwaukee, wuchs in Frankfurt am Main auf. Ab 1912 studierte er Germanistik und war zwischen 1929 und 1933 als städtischer Bibliothekar in Berlin tätig. Nach seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten arbeitete er als Schriftsteller, Lektor, Kritiker und Übersetzer und wurde zu einem angesehenen Intellektuellen der Nachkriegszeit. Davon zeugen unter anderem seine Mitgliedschaft in der Akademie für Sprache und Dichtung sowie das Ehrenpräsidentenamt des Schriftstellerverbandes Niedersachsen. Peter Graf, geboren 1967, leitet den 'Verlag Das Kulturelle Gedächtnis' und die Verlagsagentur 'Walde + Graf'. Publizistisch begibt er sich vor allem auf die Suche nach vergessenen Texten, um sie heutigen LeserInnen neu zugänglich zu machen. Ulrich Faure, Jahrgang 1954, lebt als Herausgeber und Übersetzer aus dem Niederländischen, u. a. von Simon Carmiggelt, Thomas Heerma van Voss, Rob van Essen und Pieter Waterdrinker, in Düsseldorf.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2021

Mit geradem Lauf in die Katastrophe

Ein Beobachter ohne Illusionen: Hermann Stresaus Tagebuch aus den Kriegsjahren.

Von Stephan Speicher

Im Mai 1942 besucht das Ehepaar Stresau eine Parteiversammlung. Sie hat dergleichen noch nie erlebt, er verspricht ihr, sie werde "in allen ihren Ansichten bestärkt aus der Sache hervorgehen", solche Treffen seien "eins der Mittel, sich frisch im inneren Widerstand zu halten". Und der Gauredner liefert, was zu erwarten war: Warum führt Deutschland diesen Krieg? "Wir wollen nämlich auch billige Bananen, billigen Kakao, billigen Kaffee (. . .) kaufen können." Doch noch bemerkenswerter als solche Dummheiten ist die schwache Resonanz, die sich beobachten lässt, "wie hierort meistens".

Hermann Stresau (1894 bis 1964), Essayist, Übersetzer, Romancier, ist heute weitgehend vergessen, am ehesten hat sich noch sein Caesar-Roman "Adler über Gallien" im literarischen Gedächtnis behauptet. Aber es war eine ausgezeichnete Idee, sein Tagebuch herauszugeben. Im Frühjahr erschien der erste Band, "Von den Nazis trennt mich eine Welt", über die Jahre 1933 bis 1939, im neuen Band geht es um die Kriegszeit. Stresau war bereits im April 1933 wegen seiner Gegnerschaft zum Nationalsozialismus aus den Diensten der städtischen Bibliothek Spandau entlassen worden. In den folgenden zwölf Jahren sollte er keine Anstellung mehr bekommen, er schlug sich durch mit Kritiken, Übersetzungen und Buchprojekten.

Ein Parteimann war er nicht. Im ersten Band las man einen Linken, vorsichtiger: einen Gegner der bürgerlichen Eigentumsordnung, der die sozialistischen Ansprüche des Regimes meist mit höhnischem Interesse notiert. Aber vor allem las man einen unbefangenen Kopf, der mit der Verachtung des Regimes die Frage nach den Gründen seines Erfolgs verband. Wie konnten die Deutschen auf dessen Großsprechereien eingehen? Sein Versuch einer Antwort: Es habe sich nicht um Glauben gehandelt, sondern nur um Kirchlichkeit.

Die Fortführung des Tagebuches im zweiten Band ist womöglich noch ratloser. Stresau macht sich wenig Illusionen. Über die Verbrechen des Nationalsozialismus spricht er als allgemein bekannte Tatsachen, die Ermordung der Geisteskranken wie die "systematischen Judendeportationen mit dem ausgesprochenen Zweck der Vernichtung dieser Unglücklichen", und er fügt hinzu: "Ein Artikel von Goebbels im Reich stellt dies klar." Die Natur des Nationalsozialismus, insofern der mit innerer Bestimmtheit auf die Katastrophe zumarschiert, ist ihm ganz unzweifelhaft. Gerade aus der Verherrlichung des "Kämpferischen" ("ohne Kampf können sie nicht leben") geht für Stresau die Ziel- und Ideenlosigkeit des Nationalsozialismus hervor. Mit diesem Regime, zu dessen Lieblingswörtern die "Kompromisslosigkeit" gehöre, sei kein Frieden möglich, der Krieg werde dauern, solange Hitler lebe.

Wer die Dinge so ansieht, muss sich immer wieder fragen, wie sich die zeitweiligen Triumphe des Nationalsozialismus in all seiner "weltanschaulichen Hilflosigkeit" verstehen lassen. Stresau kommt dabei auf kulturgeschichtliche Überlegungen. Da ist zunächst der Bankrott der alten bürgerlichen Welt festzuhalten, die nur noch in "letzten Fassaden" gegenwärtig ist. Aber mehr noch interessiert den Autor das Ende des Christentums: "Es war nicht viel daran, das ist wahr, aber dieses ,nicht viel' hielt doch viele im Zaum." Dabei ist dem Autor klar, dass eine neue Missionierung völlig unangemessen wäre, er scheint auch selbst kein eifriger Christ gewesen zu sein. Die Deutung des Dritten Reiches als Folge der Säkularisierung ist uns heute fremd, man darf aber nicht vergessen, dass viele Zeitgenossen, auch im Ausland, sie teilten, sie hat die Diskussion nach 1945 stark geprägt.

Am interessantesten aber sind die Beobachtungen zur Stimmung. Sie scheint Stresau durchweg flau, immer wieder schreibt er, dass er kaum jemanden kenne, der den Verheißungen der Führung glaube. Das Volk kämpfe, weil ihm keine andere Wahl bleibe, heißt es im Oktober 1944. Stresau neigt dazu, die Schuld an der Katastrophe Hitler und seiner Entourage zu geben. "Wie die Leute (die Propagandisten des NS) auf den Gemütern, der Stimmung der Masse Klavier spielen, das ist in seiner Art erstaunlich." Aber er hält auch die "Wollust der Selbstausschaltung eigenen Denkens und Lebens" fest, gerade auch bei "ehrlichen und anständigen Deutschen".

Im Frühjahr 1940, als die Wehrmacht "ein Land nach dem anderen einstreicht", fällt ihm in der örtlichen Zeitung, dem Göttinger Tageblatt, die "ordinäre Überheblichkeit dem Besiegten gegenüber" auf, und eine schuljungenhafte Begeisterung über Erfolge der Wehrmacht beobachtet er auch in seiner Umgebung. Aber typischer für die Stimmung scheint ihm, dass am Mittagstisch in der Pension, wo das Ehepaar täglich isst, nicht über Politik gesprochen wird, nicht einmal, wenn große Dinge auf der Tagesordnung stehen. Es ist die Angst vor Denunzianten, aber wenn zwanzig Leute beharrlich über Politik schweigen, dann seien doch wohl fünfzehn von ihnen Antinazis. Selbst im Juli 1942, als eine Reihe militärischer Erfolge gemeldet wird, "spricht kaum ein Mensch davon". Das tägliche Leben empfindet man stärker, "was da draußen vorgeht, das ist sozusagen zu umfangreich".

Stresau, gewiss ein politischer Mensch, ging es nicht anders. Am 8. Dezember 1941, "während sich im Pazifik ein Riesenkampf vorbereitet" - gerade hat Japan den Vereinigten Staaten und Großbritannien den Krieg erklärt -, trifft man sich zu einer Hamlet-Lesung. "Wie dem auch sei, im Augenblick erschien uns dies wichtiger als der totale Weltkrieg und Hamlet um ein vielfaches wirklicher." Doch ist dem Autor nicht ganz wohl dabei. Bei verwandter Gelegenheit, bei Kammermusik, hat er das Gefühl "unter wirklichen Deutschen" zu sein. Aber er nennt es "ein gewissermaßen jungfräuliches Deutschtum: es ist, als fehle die Eheerfahrung mit dem Leben, genauer gesagt: mit der Politik. Und da liegt die Schwäche dieses sonst so sympathischen Typus."

Hermann Stresau: "Als lebe man nur unter Vorbehalt". Tagebücher aus den Kriegsjahren 1939-1945.

Hrsg. von Peter Graf und Ulrich Faure. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2021. 592 S., Abb., geb., 28,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Knud von Harbou liest die von Peter Graf und Ulrich Faure herausgegebenen Tagebücher von Hermann Stresau mit großem Interesse. Als Aufzeichnungen eines konservativen Intellektuellen, der die NS-Herrschaft betrachtet und reflektiert, sind die Bücher für Harbou spannend, da sie widersprüchlich bleiben und bestenfalls eine Entwicklung nachzeichnen. Wie der Autor 1933 auf die NS-Propaganda noch ambivalent reagiert, letztlich aber Außenseiter bleibt, der die Einschränkung seiner Spielräume konstatiert und sich der Macht verweigert, kann der Leser laut Rezensent gut nachvollziehen. Wie sich der NS-Apparat auf den Einzelnen auswirkte, notiert Stresau mitunter "spröde", dann wieder in "starken Bildern", schreibt Harbou.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.12.2021

Die „innere
Zerstörung“
Der Intellektuelle Hermann Stresau dokumentierte
seine Ablehnung des NS-Regimes in Tagebüchern.
Ein seltener Glücksfall – trotz vieler Widersprüche
VON KNUD VON HARBOU
Von sich selbst schreibt Hermann Stresau, sein Schicksal sei „eins von Tausenden und nicht sehr interessant“. Genau das gilt es zu hinterfragen. Denn die von ihm hinterlassenen und nun vollständig edierten Aufzeichnungen über zwölf Jahre hinweg sind eines der seltenen Dokumente eines parteiunabhängigen Intellektuellen, der sich sein demokratisches Weltbild trotz immensen Drucks des NS-Apparats bewahrt hat.
Stresau, Jahrgang 1894, wuchs in Frankfurt am Main auf, studierte ab 1912 – unterbrochen durch Kriegsdienst – Germanistik und Geschichte, jedoch ohne Abschluss. Von 1929 an arbeitete er als Bibliothekar in einer Berliner Volksbücherei, bis er dort wegen Regimekritik entlassen wurde. Nebenher versuchte er mit etwas Privatvermögen und Beiträgen vor allem für die Frankfurter Zeitung und die Neue Rundschau, aber auch als Lektor für den S. Fischer Verlag sich über Wasser zu halten. 1939 bis Kriegsende wurde er zwangsverpflichtet als Hilfsarbeiter in einem optischen Betrieb nahe Göttingen. Sein Werkverzeichnis aus diesen Jahren zeigt in dichter Reihe etwa Übersetzungen von William Faulkner, eine Studie über Joseph Conrad, den Roman „Adler über Gallien“. Zu seiner Zeit war er durchaus bekannt und gut vernetzt mit der damaligen Verlegerszene, er starb 1964. Eine Auswahl seiner Tagebücher erschien 1948, die in Vergessenheit gerieten. Sein Nachlass liegt im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Erst Anfang der 2000er Jahre wurde Mitherausgeber Ulrich Faure auf Stresaus Aufzeichnungen aufmerksam, die jetzt neu ediert zweibändig vorliegen.
Stresaus Ziel war „die Anarchie der Werte“ zu dekouvrieren, denn die Zeitgenossen hätten nur die äußeren Zerstörungen wahrgenommen und nicht, dass diese „nur die Illustration der inneren Zerstörung“ sind. Das erklärt auch sein Verfahren, vielmehr das NS-System und seine Auswirkung auf den einzelnen Menschen verständlich zu machen, als sich über Einschränkungen im privaten Bereich wie etwa in Victor Klemperers Aufzeichnungen auszulassen. Ihm geht es um spröde Fakten, nur so ist ein fast beiläufiger Eintrag über die erste Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 zu verstehen. Die wahre Dimension, dass 20 000 Bücher von 140 Autoren verbrannt wurden, bleibt unerwähnt. Diese Distanziertheit bleibt erstaunlich, denn schließlich erfuhr auch Stresaus Leben in einem kleinen Berliner Vorort dramatische Einschränkungen.
Stresau findet starke Bilder für die NS-Ideologisierung aller Lebensbereiche: „Diese vom Nationalsozialismus (. . .) erfüllte Atmosphäre dringt in alle Ritzen, wie ein Giftgas, es stört die normalen geistigen Funktionen.“ Schon seit der Machtergreifung zweifelt er nicht am Ausgang dieser „jetzt anhebenden Periode der Zackigkeit, die so oft mit einer fetten oder halbseidenen Existenz verbunden ist (. . .) so was hält sich nicht“. Seine Haltung wirkt wie die eines Stoikers, jedoch nur scheinbar gelassen. In der Frühphase noch versucht er Hitler zu verstehen: „Er hat tatsächlich alles erfasst, was in dieser Zeit an ‚Bedürfnis‘ vorliegt, und er drückt es in einer Weise aus, die die Massen verstehen können. Dass das keiner so kann wie er, verleiht ihm die Überlegenheit.“ Gleichwohl blieben Stresau die Nazis „fremd wie ein exotischer Volksstamm“. An seinen akribischen Aufzeichnungen und seiner kompromisslosen Haltung spürt man die Bedrohlichkeit der Situation – er steht auch existenziell vor dem Nichts. Seine Stellung als Bibliothekar wurde gekündigt, weil er weder Parteimitglied noch SA- oder SS-Mitglied sein wollte. „Flucht ins Ausland würde die Sache vermutlich nicht besser machen, wir sind nicht mehr jung genug“, schreibt er im Juli 1933.
Einen inneren Freiraum schafft er sich gewissermaßen durch Sublimation, er liest sich quer durch die ganze Weltliteratur. Trotz einschneidender Eingriffe in den Kulturbetrieb wie die Auflösung aller Organisationen nicht-nationalsozialistischer Tendenz, bleibt in seinen Einträgen die literarische Erörterung dominant. Den NS-Protagonisten bescheinigt er, von Kunst keine Ahnung zu haben. Die „Macht der Propaganda“ verfolgt er zwar genau, insbesondere die Reden von Goebbels, versucht sie aber zu ignorieren. Hitlers Rhetorik hingegen sei nur „lächerlich, grauenvoll und rührend in einem, nur ein im Innersten verzweifeltes Volk kann dies für Größe halten“. Seine eigene Situation umschreibt er 1934 noch mit „persönlich geschieht uns nichts“. Eine Zäsur indes kündigt sich im Frühjahr 1936 an: „Auf Dauer aber scheint der Krieg unvermeidlich.“
1938 sieht Stresau Tabus zusammenbrechen, „die Vernichtungskampagne (gegen die Juden) beginnt“, Hetze und Hass werden Normalität, Hitlers „pathologisches Innenleben“ sprengt mit breiter Zustimmung alle Grenzen. Nüchtern konstatiert er die Besetzung der Tschechoslowakei als glatten Bruch des Völkerrechts, bezweifelt den Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion und den „Gegenangriff“ auf Polen. Man fragt sich, wo Stresau seine regimekritischen Aufzeichnungen eigentlich verbarg? Dass er unter Beobachtung stand, wusste er, und das Risiko war ihm bewusst. Doch von einer direkten Einschüchterung ist nichts bekannt. Im Gegenteil, Peter Suhrkamp konnte ihm noch Ende des Jahres ein Angebot machen, als Lektor bei S. Fischer zu arbeiten (was aber bereits im Herbst 1939 beendet wurde, weil „wir mit englischer und amerikanischer Literatur nichts mehr machen können“).
Mit Stresaus Übersiedlung nach Göttingen einher geht auch der massive Druck der Kriegseinwirkungen auf sein Privatleben, das „Einrichten in scheinbarer Normalität des Krieges“. Selbst die erkennbare Aufhebung des Rechtsstaatsprinzips ist ihm nur eine Zeile wert. Immer behält er zu den Abläufen Distanz. Nur indirekt erwähnt er die Judenmorde durch die Einsatzgruppen in Polen. Mehr als ein direkter Regimewiderstand ist bei ihm ein Zweifeln erkennbar. Der Überfall auf die Sowjetunion findet keine angemessene Beachtung, „die russische Wehrmacht taugt anscheinend nicht viel, und wenn das so weitergeht, wird sie zusammenbrechen“, doch nur vier Tage später gerät er ins Grübeln.
Auffällig ist, dass Stresau, wie um sich zu vergewissern, nunmehr den Kriegsverlauf genau protokolliert. Den Krieg will er nicht verlieren, eher ihn gewinnen, „uns jedenfalls behaupten und uns unserer verrückt gewordenen Führerbande entledigen“. Wohlgemerkt, er schreibt „verrückt“, nicht verbrecherisch. So gesehen artikuliert er sich auch nicht in einem engeren Sinn politisch, was aber seine Einschätzung nicht mindert. Durch das Nebeneinander von Innenansicht und Auswertung aller Nachrichten, die ihm zur Verfügung standen, schafft er auch so ein überzeugendes Bild dieses verbrecherischen NS-Systems. Die von ihm gesammelten (und geschickt in den Text der beiden Bände montierten) Zeitungsausschnitte verstärken den Eindruck.
Immer enger werden die privaten Spielräume, immer intensiver spürt er die Ausweglosigkeit. Der totale Staat als höchste Instanz ist jetzt „organisierte Natur“, doch „die Jahre der Nazis (sind) gezählt (. . .), weil sie Amerika nicht besiegen werden können“. So verharrt Stresau zwischen beiden Positionen, hofft aber statt der „elenden Garnitur“ der Nazis auf das „wahre Ideal eines Staatsmannes“ wie des portugiesischen Diktators Salazar.
Hier hält ein Bildungsbürger über fast 4500 Tage seine Eindrücke über die Zeit des Dritten Reichs fest. Sie sind deswegen so bemerkenswert, weil sie so widersprüchlich sind: anfangs reagiert dieser hochgebildete Literat noch ambivalent auf die Ideologie der NS-Propaganda bis hin zu sprachlichen Übernahmen. Doch bald begann er mit dem Schreibprozess das von Hannah Arendt so benannte „Wahrlügen“ des NS-Apparats zu kompensieren. Keine Illusionen machte er sich, aus seiner Außenseiterposition das Machtgefüge, dem er sich komplett verweigerte, auch nur irgendwie zu beeinflussen. Die Herausgeber verweisen zurecht darauf, dass Stresau „aus einer Haltung heraus (schreibt), die zwischen 1933 und 1945 nur sehr wenige in Deutschland für sich in Anspruch nehmen konnten“. Aber genau das macht den Reiz der Reflexionen dieses konservativen Intellektuellen aus.
Eine erstaunliche Distanziertheit
prägt das Tagebuch, das mehr
als 1000 Seiten umfasst
Stresau verweigerte sich
den Machthabern, aber er
dachte wohl nie an Widerstand
Hermann Stresau:
Von den Nazis trennt mich eine Welt. Tagebücher aus der inneren Emigration 1933–1939. Hrsg. von Peter Graf und Ulrich Faure. Verlag Klett-Cotta,
Stuttgart 2021.
439 Seiten, 24 Euro.
Hermann Stresau:
Als lebe man nur unter Vorbehalt. Tagebücher aus den Kriegsjahren 1939–1945. Hrsg. von Peter Graf und Ulrich Faure. Verlag Klett-Cotta,
Stuttgart 2021.
589 Seiten, 28 Euro.
„Diese vom Nationalsozialismus erfüllte Atmosphäre dringt in alle Ritzen, wie ein Giftgas“, schreibt Hermann Stresau. Der überwältigenden Propaganda des NS-Regimes (oben rechts, Aufruf zum „Anschluss“ Österreichs 1938) erlag er nicht. Am Ende blieben Trümmer und Traumata statt der Endsieg (unten rechts).
Fotos: DLA Marbach, Scherl/Sz Photo, dpa
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»Ein seltener Glücksfall [...]. Hier hält ein Bildungsbürger über fast 4500 Tage seine Eindrücke über die Zeit des Dritten Reichs fest. Sie sind deswegen so bemerkenswert, weil sie so widersprüchlich sind.« Knud von Harbou, Süddeutsche Zeitung, 20. Dezember 2021 Knud von Harbou Süddeutsche Zeitung 20211220