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Was ist nur mit der deutschen Linken los? Wie ist es möglich, dass sie - sich selbst als emanzipatorisch verstehend - ausgerechnet die kritische Auseinandersetzung mit dem Islam einer Rechten überlässt, die eine offene und liberale Gesellschaft ohnehin ablehnt? Stattdessen ist an die Stelle linker Islamkritik vielerorts eine linke Tabuisierungskultur getreten. Wer den gegenwärtigen Islam als eine frauenfeindliche, doktrinäre und rassistische Ideologie mit tödlichen Folgen für Andersdenkende brandmarkt, wird gern des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit verdächtigt. Dabei galt Religionskritik…mehr

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Produktbeschreibung
Was ist nur mit der deutschen Linken los? Wie ist es möglich, dass sie - sich selbst als emanzipatorisch verstehend - ausgerechnet die kritische Auseinandersetzung mit dem Islam einer Rechten überlässt, die eine offene und liberale Gesellschaft ohnehin ablehnt? Stattdessen ist an die Stelle linker Islamkritik vielerorts eine linke Tabuisierungskultur getreten. Wer den gegenwärtigen Islam als eine frauenfeindliche, doktrinäre und rassistische Ideologie mit tödlichen Folgen für Andersdenkende brandmarkt, wird gern des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit verdächtigt.
Dabei galt Religionskritik spätestens mit Voltaire einmal als Selbstverständlichkeit. Eine linke Tabuisierungskultur hingegen, die nur dazu auffordert, den Islam als eine Bereicherung der "bunten Republik" Deutschland anzusehen, belässt die zugewanderten Muslime in ihrem Identitätsgefängnis aus Religion,Tradition und antimodernen Reflexen.

Schirmbecks Buch ist keine Abrechnung mit Flüchtlingshelfern oder Merkels Flüchtlingspolitik, sondern vielmehr eine Kritik derer, bei denen die Revolte gegen Unterdrückung, Verfolgung und religiöse Intoleranz einst zum politischen Grundbesteck zählte.

Autorenporträt
Schirmbeck, Samuel§Samuel Schirmbeck, (Jg. 41), studierte bei Horkheimer und Adorno Soziologie und Philosophie. Anschließend arbeitete als Redakteur bei der französischen Nachrichtenagentur "Agence France Presse" (AFP) in Paris. 1991 baute er das ARD-Fernsehstudio in Algier auf und berichtete zehn Jahre lang über den algerischen Bürgerkrieg und die Entwicklungen in Marokko und Tunesien. Er war damit der erste westliche Dauer-Fernsehkorrespondent in Algerien. Aufsehen erregte Schirmbeck mit einem FAZ-Artikel über das muslimische Frauenbild und die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht ("Sie hassen uns"; Januar 2016).Samuel Schirmbeck ist nominiert für den Hoffmann-von-Fallersleben-Preis für zeitkritische Literatur 2017.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.02.2019

Wohngemeinschaft voller Widersprüche
Samuel Schirmbeck rügt die linke „Tabuisierungskultur“ im Umgang mit dem Islam. Geschickt dröselt er auf, was in dieser Allianz nicht zusammenpasst
Das Geschehnis stammt aus den Amtsjahren Hassans II., König von Marokko (1961-1999). Dieser empfing einen Reporter von Le Figaro, und dieser stellte dem scherifischen Monarchen folgende Frage: „Majestät, Marokko besitzt eine marxistisch aufgeheizte studentische Jugend. Fürchten Sie nicht um das Überleben Ihrer Dynastie?“ Hassan II., royalement sarkastisch lächelnd: „Lieber Freund, keine Sorge, das sind nur islamische Marxisten.“
Ja, die Seilschaften zwischen „Linken“ diverser Herkünfte und ebenso vielfarbiger „Islamisten“ haben Geschichte, und streckenweise nicht zu knapp. Bereits Mitte der Fünfzigerjahre, als Marokko und Tunesien ihre staatlichen Unabhängigkeiten vom französischen Kolonialsystem errungen hatten und der Algerienkrieg zu ersten Hochformen aufgelaufen war, gab es Querverbindungen dieser Art: zwischen sozialistisch argumentierenden, aber auch „islamisch“ denkenden maghrebinischen Aufmüpfigen und Säulenheiligen der damaligen französischen Hochschulintelligenz wie zum Beispiel dem marxistischen Ökonomen Gérard Destanne de Bernis (1928-2010), der entscheidende Beiträge zur Entwicklung tunesischer und später algerischer Planwirtschaften geleistet hatte. Sogar die westdeutsche, relativ „gemäßigte“, SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung war damals in Tunesien mit von der Partie. Nicht zu vergessen der französische Sozialwissenschaftler, Literat und Arabist Jacques Berque (1910-1995), „gauche caviar“, aber auch Koranübersetzer, Galionsfigur aller Islamomarxisten der Süd- und Nordufer des Mittelmeerraumes. Schließlich europaweit der sogenannte EAD (Euro-Arabische Dialog), politische Eruption geboren aus dem „Schlotterwinter“ 1973/74, als die vorderorientalischen Petrobarone geglaubt hatten, einen öligen Energieweltkrieg starten zu können. Großförderer dieses EADs war etwa die Bundesrepublik Deutschland während der Regierungsjahre von Helmut Schmidt (1974-1982). Auch die bei der linkslastigen französischen Intelligenzija bis vor Kurzem noch zahlreich vorkommenden Tariq-Ramadan-Jünger sollten da nicht übersehen werden. Sie gehören mit ins Bild.
Hier setzt der Journalist Samuel Schirmbeck an mit der Frage, warum die Linke die kritische Auseinandersetzung mit dem Islam weitgehend den Rechten überlässt. Seine provokante These: Anstelle von linker Islamkritik sei vielerorts eine linke Tabuisierungskultur getreten.
Um auf Nordafrika zurückzukommen: Man redete und gab sich marxistisch, doch die meisten Tunesier und Algerier fasteten weiter im Monat Ramadan. Als der tunesische Staatspräsident Habib Bourguiba irgendwann in den ersten Jahren seiner aufgeklärten „Demokratur“ bei Beginn des Fastenmonats Ramadan am helllichten Tag mit einem Glas frisch gepressten Orangensaftes vor die nationale Fernsehkamera getreten war und predigte, das jährliche, 30-tägige Ramadanfasten sei von einer Gesellschaft, die darum bemüht sei, aus einer jahrhundertealten „Unterentwicklung“ auszubrechen, nicht mehr zu verantworten, musste er rasch zurückstecken. Die Nation folgte dieses Mal dem „größten Freiheitskämpfer“ – so Bourguiba über sich selbst – in ihrer Mehrheit nicht und fastete „islamisch“ weiter. Es war der Beginn „unklarer“ Beziehungen zwischen örtlichen „Linken“ und islamischen Traditionalisten. Dieser Beziehungsbrei contre nature hat sich heute tief bis in die populistischen Plattheiten gewisser EU-Länder fortentwickelt, ja darüber hinausreichend, wie zum Beispiel bei islamischen Büttenrednern des israelisch-palästinensischen Dauergezänks oder Propagandisten der altneuen Türkei Erdoğans.
Der genannte „Beziehungsbrei“ entspricht einer gewissen Logik; denn sowohl „Linke“ aller hiesigen Rot-Schattierungen als auch islamische Traditionalisten, Islamisten, Salafisten, Dschihadisten und so weiter predigten und predigen urbi et orbi gegen den sogenannten Neokolonialismus. Er bildet(e) ihr gemeinsames Ideologiegut. Auf dieser Ebene versteht man sich prächtig und schickt sich gerne „den Etagenlift“ zu, wie die Franzosen dazu sagen. Dass die einen innerweltlich, ja areligiös denken und fühlen, die anderen im höchsten Grade jenseitsverbunden, spielt dabei im strategisch-taktischen Alltag kaum eine Rolle. Man schiebt sich beim gemeinsamen Politpokern ganz pragmatisch die unter gegebenen Umständen jeweils besten Karten zu. So kommt es dann, dass in Europa Sozialisten sowie noch weiter links stehende Genossen häufig die islamistische Forderung unterstützen, muslimische Frauen hätten sich auch „im Westen“ nur verschleiert und/oder sonst wie vermummt auf den Straßen unserer Republiken zu bewegen, ihren Vätern, Brüdern oder Ehemännern aufs Wort zu gehorchen oder sonstige theokratische Altertümlichkeiten aus ihrer religiösen Ur- und Frühgeschichte im täglichen Leben des 21. Jahrhunderts zu bewahren. Die „Frauenfrage“ (Basiswerte „Jungfräulichkeit“, Hausfrauen- und Muttersyndrom) steht dabei im Zentrum der Tugendliste von maghrebinischen oder vorderorientalischen Diaspora-Islamisten und ihren örtlichen (das heißt deutschen, französischen und so fort) Linkssympathisanten. Man versucht, diese muslimischen Neo-Europäerinnen soweit wie irgendwie manipulierbar bei „KKM“ (Kinder, Küche und Moschee) zu halten. Zum Schrecken aller authentischen Aufklärer/innen in den islamischen Herkunftsländern der Betroffenen selbst, wo vielerorts die „Schleier weg“- und „Kopftuch runter“- Bewegungen weitaus heftigere Wellen schlagen als in den großen europäischen Ländern der islamischen Einwanderung.
Da haken nun in Deutschland wie auch anderswo neueste Bücher wie das hier zu betrachtende ein. Denn allmählich dämmert es gewissen postmarxistischen Köpfen, dass in der neuen Kumpanei „Islamisten plus Linke“ etwas Grundsätzliches nicht übereinstimmt. Doch den meisten derart frisch geborenen Schriften zu diesem Thema fehlt die eingangs skizzierte zeitgeschichtliche Tiefe oder bei deren Autoren die notwendigen Orts- und Sprachkenntnisse, um die Herkunftswelt unserer Neo-Europäer/innen sachgerecht ins europäische Verständnis „rüberzubringen“. Nur ein Beispiel unter zahlreichen: der fast 500 Seiten dicke Hate-the-Islam-Wälzer Thilo Sarrazins. Der Autor scheut sich nicht einzugestehen, „den ganzen Koran“ gelesen zu haben, aber nur auf Deutsch. Das ist etwa so, als ob man versuche, Beethovens Neunte mit den Blasinstrumenten einer Feuerwehrkapelle zu spielen.
Durchgehend fehlt, wie schon gesagt, die gerade skizzierte zeitgeschichtliche Tiefe. Der Schock wabert sodann durch ganze nationale Gesellschaften. Es erstaunt unsere Zeitgenossen, dass sich streckenweise Vertreter islamischer (islamistischer, dschihadistischer, salafistischer) Minderheiten und linke bis „linkeste“ Politiker zentraler EU-Länder plötzlich so gut zu verstehen scheinen.
Die „Gefährliche Toleranz“ von Samuel Schirmbeck unterscheidet sich wohltuend von solchen sachbuchliterarischen Versuchen, die der Problemlösung nicht dienen. Dem Rundfunk- und Fernsehjournalisten (unter anderem viele Jahre in Paris und Algier) ist es gelungen, auf weniger als 200 Seiten lesbar zu verdeutlichen, weshalb die Wohngemeinschaft „Islamismus + Linke“ zum Scheitern verurteilt bleibt. Sicher, das Buch hat Schwachstellen. Oft verliert sich der Autor in nebensächlichen Details, doch sein Kernanliegen lässt er nie aus den Augen. Auch ein kleines, gezieltes Literaturverzeichnis hätte dem Buch gutgetan; denn Schirmbeck zitiert interessante maghrebinische „Spezialisten“ aus Nordafrika und Frankreich wie etwa Kamel Daoud oder Abdelwahab Meddeb, jedoch ohne Nachweis ihrer Schriften.
Schirmbecks Anliegen auf den Punkt gebracht: Erstens, der Islam mit nahezu 1,5 Milliarden Anhängern in der Welt ist eine zu ernsthafte Angelegenheit, als dass man ihn in Europa unbeachtet lassen könnte, wo inzwischen eine millionenhohe Diaspora gewachsen ist. Zweitens, die derzeit propagierten Grundwerte islami(sti)scher Lebensführung stehen in deutlichem Widerspruch zu jenen des „aufgeklärten“, säkularisierten Europas. Es muss diese konsequenterweise zurückweisen, ganz besonders bei den „Linken“ aller Schattierungen. Die derzeitige Partnerschaft „Islamismus + Linke“ ist eine solche von Wasser und Feuer. Hier muss neu gedacht und neu gehandelt werden.
WOLFGANG FREUND
Wolfgang Freund ist deutsch-französischer Sozialwissenschaftler (Schwerpunkt „Mittelmeerkulturen“). Zahlreiche Publikationen auf Deutsch, Französisch und Englisch. Lebt heute in Südfrankreich.
Der Kampf gegen den
Neokolonialismus bildet
das gemeinsame Ideologiegut
Samuel Schirmbeck:
Gefährliche Toleranz.
Der fatale Umgang der Linken mit dem Islam. Orell-Füssli-Verlag.
Zürich 2018.
166 Seiten. 20 Euro
Galionsfigur aller Islamomarxisten: der französische Schriftsteller und Arabist Jacques Berque im Jahr 1978.
Foto: Ulf ANDERSEN/GAMMA/laif
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»Schirmbeck ist es gelungen, auf weniger als 200 Seiten lesbar zu verdeutlichen, weshalb die Wohngemeinschaft "Islamismus + Linke" zum Scheitern verurteilt bleibt.«
Süddeutsche Zeitung