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Der Stricker: Der kluge Knecht – Der Stricker: Der begrabene Ehemann – Der Stricker: Das heiße Eisen – Der Stricker: Die drei Wünsche – Der Stricker: Der arme und der reiche König – Schneekind (A und B) – Herrand von Wildonie: Die treue Gattin – Rüdiger der Hünkhover: Der Schlegel – Konrad von Würzburg (?): Die halbe Birne – Die böse Adelheid – Ritter Beringer – Die Buhlschaft auf dem Baume – Konrad von Würzburg: Herzmäre – Der Schüler von Paris (B) – Pyramus und Thisbe – Die Heidin (B) – Die Frauentreue – Aristoteles und Phyllis – Der Mänch als Liebesbote (A) – Jacob Appet: Der Ritter unter…mehr

Produktbeschreibung
Der Stricker: Der kluge Knecht – Der Stricker: Der begrabene Ehemann – Der Stricker: Das heiße Eisen – Der Stricker: Die drei Wünsche – Der Stricker: Der arme und der reiche König – Schneekind (A und B) – Herrand von Wildonie: Die treue Gattin – Rüdiger der Hünkhover: Der Schlegel – Konrad von Würzburg (?): Die halbe Birne – Die böse Adelheid – Ritter Beringer – Die Buhlschaft auf dem Baume – Konrad von Würzburg: Herzmäre – Der Schüler von Paris (B) – Pyramus und Thisbe – Die Heidin (B) – Die Frauentreue – Aristoteles und Phyllis – Der Mänch als Liebesbote (A) – Jacob Appet: Der Ritter unter dem zuber – Der Sperber – Das Häslein – Johannes von Freiberg: Das Rädlein – Das Gänslein – Der Zwickauer: Des Mönches Not – Schrätel und Wasserbär – Heinrich Kaufringer: Der feige Ehemann – Heinrich Kaufringer: Die Rache des Ehemanns – Heinrich Kaufringer: Die Suche nach dem glücklichen Ehepaar – Heinrich Kaufringer: Die unschuldige Mörderin – Heinrich Kaufringer: Drei listige Frauen – Niemand: Die drei Mönche zu Kolmar – Hans Rosenplüt: Der fünfmal getötete Pfarrer – Hans Rosenplüt: Der fahrende Schüler – Hans Rosenplüt (?): Der Bildschniter von Würzburg – Hans Rosenplüt: Die Tinte – Das Nonnenturnier – Hans Rosenplüt: Die Disputation – Kommentar von Klaus Grubmüller
Autorenporträt
Grubmüller, KlausKlaus Grubmüller, geboren 1938 in München, ist Professor für Deutsche Philologie in Göttingen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.05.1997

Mann begraben, Poet verstummt
Vielleicht rehabilitiert: Die mittelhochdeutsche Märendichtung

Die "Bibliothek Deutscher Klassiker" wagt sich mit dem vorletzten Band ihrer mittelalterlichen Reihe in übel beleumundete Gegenden der deutschen Literaturlandschaft vor: Was die Sachwalter des deutschen Geistes im vorigen und auch noch in diesem Jahrhundert "leichtfertig bis zur Unsittlichkeit" (Wackernagel) oder "einfach schmutzig" (Tegethoff) nannten, das prangt hier nun in Feinkanvas-Leinen oder gar in Radja-Ziege mit Naturnarbung! Kein Zweifel, daß man den Verlag, den Herausgeber der Reihe und den Bearbeiter dieses Bandes zu ihrem mutigen Versuch eines Eingriffs in die literarische Kanonbildung beglückwünschen muß.

Unter dem Titel "Novellistik des Mittelalters" soll hier "eine der reichhaltigsten und beliebtesten Gattungen der mittelalterlichen Erzählliteratur" rehabilitiert werden. So leicht scheint das nicht zu sein, denn der Herausgeber verwendet die ersten drei Seiten seiner Einleitung dazu, seinen Lesern beizubringen, daß es sich eigentlich nicht um Novellen handele, sondern um mittelhochdeutsche Kurzerzählungen in Versen, unschön "Märe" genannt. Der Titel "Novellistik" ist also eine kleine und verzeihliche Hochstapelei, die etwas vom klassischen Licht des Decamerone auf dessen mittelalterliche "Vorläufer" wirft und sie damit salonfähig macht.

Aus den drei Jahrhunderten vom frühen dreizehnten bis zum frühen sechzehnten sind über zweihundert deutsche Mären überliefert. Unsere Novellistik des Mittelalters wählt achtunddreißig Stücke aus, um "die Gattung Märe in charakteristischen Exemplaren" vorzustellen. Dabei entsteht ein überzeugendes Bild vom geschichtlichen, ideologischen und künstlerischen Umfang der Gattung.

Eine erste Gruppe von Verserzählungen dokumentiert die Begründung dieser Gattung. Es läßt sich sogar eine Gründungsfigur ausmachen: der bekannte Berufsdichter, der sich "Stricker" nennt und ganz kurz nach Walther von der Vogelweide in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts gedichtet hat. Er scheint immer wieder absichtlich etwas Sand in das Getriebe seines Erzählens zu streuen und verabschiedet sich ungerührt, wenn es am lautesten knirscht: Nachdem eine untreue Ehefrau und ihr buhlerischer Pfarrer in der Märe "Der begrabene Ehemann" das Schreien des lebendig Begrabenen als teuflisches Blendwerk hingestellt haben, konstatiert der Erzähler befriedigt, daß dieser "Schaden" den Ehemann deswegen traf, "weil er einer unverständigen Frau die Herrschaft über sich zugestanden hatte". Daß dies aber geschehen war, weil beide sich auf das perverse Spiel eingelassen hatten, mit der Liebe zu pokern, wird nicht mehr erwähnt, und das Problem verschwindet in einem misogynen Klischee.

Unter dem Rahmenthema "Ordnungsdiskussion" folgen zwei Abteilungen mit Beispielen zur Ehe- und Minnemoral. Komische Elemente mischen sich mit Obzönitäten und Blasphemie. Die vierte Abteilung mit dem Titel "Fallstricke der Sexualität" präsentiert Texte, von denen sich frühere Gelehrte wie Goedeke besonders heftig distanzierten, indem sie französische Vorbilder für die Frivolität des Genres verantwortlich machten. Eine Sektion ist dem um 1400 in Landsberg am Lech dichtenden Heinrich Kaufringer gewidmet. Er "radikalisierte die Prinzipien, denen die Märenautoren folgten, mit kühler Konsequenz". Seine"bösartige Groteske" von den "Drei listigen Frauen" wird auch von den Texten des eine Generation jüngeren Nürnbergers Hans Rosenplüt kaum überboten, die hier unter dem Sammeltitel "Freisetzung des Bösen" den Abschluß bilden (der noch etwas jüngere Hans Folz ist nicht vertreten).

Das komplexe Problem der philologischen Textherstellung dieser vagabundierenden Erzählungen ist hier mit großer Kompetenz und Erfahrung gemeistert worden, Angaben zur Entstehung, zu Motiven, Quellen, Parallelen sowie ein Zeilenkommentar mit sprachlichen und sachlichen Erläuterungen dürften dem Nichtfachmann erschöpfend Auskunft geben und dem Philologen alles Notwendige, weiterführende bibliographische Hinweise eingeschlossen, bieten.

Freilich würde das alles nicht genügen, der Gattung "Märe" in Zukunft Gehör bei einer breiteren Leserschaft zu verschaffen - das muß die neuhochdeutsche Übersetzung leisten. Diese Literatur ist nun aber besonders schwer von ihrer Sprache zu lösen. Zwar hält ihre dichterische Qualität nicht das Niveau der "Klassiker", aber man muß sich fragen, ob ihre Mängel wirklich Mängel sind. Der "Stricker" hat seine großen Vorgänger nachweislich gekannt. Es ist nicht wahrscheinlich, daß er seine lakonisch-ungeschickten Formulierungen aus Versehen produzierte, daß die logischen Brüche seiner Geschichten ihm unterlaufen wären. Der hier nicht aufgenommene Ruprecht von Würzburg verwendet zwei Dutzend Verse darauf, zu erklären, daß er zu dumm sei, die Geschichte zu erzählen, die er dann vorträgt (und die es in sich hat).

Der Herausgeber äußert sich nur sehr kurz zum Problem seiner Übersetzungen: die von der Reihe geforderte zeilengenaue Übertragung hat er als Fessel empfunden. Erschwerend ist auch die Vorgabe der engen Bindung an den mittelhochdeutschen Satzbau. Diese Nähe zum Text verhindere es, so tröstet der Übersetzer sich und uns, daß ein unerwünschter "gefälliger moderner Erzählton die historische Distanz verdeckt". Wenn trotzdem gelegentlich der Eindruck von Widerspenstigkeit die Oberhand gewinnt, so liegt es an einer gewissen Unentschiedenheit, was den Zweck der Übersetzung betrifft.

Manchmal ist sie wortwörtliche Lesehilfe zum Originaltext. Daneben gibt es umschreibende, erklärende Interpretationen beziehungsweise Kommentare, die von der originalen Formulierung unbedenklich abweichen. Und wo der "Stricker" nur lakonisch und höchst konventionell erzählt, daß die Bäuerin ein Spanferkel bereitete: daz fulde si und briet ez wol, da gibt der Übersetzer einmal seinem Erzähltalent nach und schreibt nun doch gefällig modern: das "füllte sie und briet es knusprig".

Ganz allgemein wird man sagen dürfen, daß die Dichter beim Erzählen von Mären, auch die namhaften unter ihnen wie der "Stricker" oder Konrad von Würzburg, ihre Mühe nicht auf prägnante Formulierungen, geschliffene Verse oder vollendeten stilistischen Ausdruck, sondern auf die Ereignisfolge, auf die entlarvenden Reden der Protagonisten und auf moralische Urteile verwendet haben. Die Leser tun also sowohl dem Übersetzer als auch dem Dichter Unrecht, wenn sie ihr gelegentliches Unbehagen schlicht der Tatsache zuschreiben, daß sie eine um Textnähe bemühte Übersetzung lesen. Kleine Meisterwerke sind jene Übersetzungen, die ein rhetorisch präziser definiertes Original wiedergeben: Das Erzählen eines Heinrich Kaufringer erscheint souverän und distanziert, und die doch zeilengetreue und syntaxgenaue Übersetzung erreicht hier beispielhafte Qualität.

Wer die fünfhundert Seiten Text und die fünfhundert Seiten Übersetzung gelesen hat und mit einem wohlbegründeten Eindruck von der Spannweite der Gattung "Märe" das Buch aus der Hand legt, wird vielleicht nun doch finden, daß Goedeke wenigstens in manchen Fällen so unrecht nicht hatte (zum Beispiel bei dem obszön langweiligen "Nonnenturnier"). So unterzieht sich der Herausgeber in seinen Kommentaren einer diskreten "freiwilligen Selbstkontrolle". Seine ungeteilte Sympathie gilt allein der (auch für Kinder geeignete) märchen- oder sagenhaften Geschichte vom Schrätel und Wasserbär . . . Wir Leser und Leserinnen sollten uns mutig daranmachen, Werturteile zu fällen: neue Klassiker brauchen ihr Plebiszit! HANS-HERBERT RÄKEL

"Novellistik des Mittelalters - Märendichtung". Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Klaus Grubmüller. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 1996. 1384 S., geb., 120,- DM.

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