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Der Riss ist eine ungewöhnliche Graphic Novel. Eine Fotoreportage in Form eines Comics, ein Reisebericht mit authentischem Bildmaterial - in vielerlei Hinsicht eine Grenzerfahrung. Für das spanische Magazin El País Semanal machen sich der Fotograf Carlos Spottorno und der Journalist Guillermo Abril auf den Weg an die Außengrenzen der EU: Von Melilla, der spanischen Enklave in Marokko, schwer bewacht und durch einen schier unüberwindbaren Zaun geschützt bis in den Norden Finnlands, bis in die Wälder Weißrusslands, wo NATO-Truppen für einen Grenzkonflikt mit Russland trainieren. Die Autoren…mehr

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Produktbeschreibung
Der Riss ist eine ungewöhnliche Graphic Novel. Eine Fotoreportage in Form eines Comics, ein Reisebericht mit authentischem Bildmaterial - in vielerlei Hinsicht eine Grenzerfahrung. Für das spanische Magazin El País Semanal machen sich der Fotograf Carlos Spottorno und der Journalist Guillermo Abril auf den Weg an die Außengrenzen der EU: Von Melilla, der spanischen Enklave in Marokko, schwer bewacht und durch einen schier unüberwindbaren Zaun geschützt bis in den Norden Finnlands, bis in die Wälder Weißrusslands, wo NATO-Truppen für einen Grenzkonflikt mit Russland trainieren. Die Autoren merken schnell, dass die europäische Grenze sehr viel komplexer ist, als dass man sie an einem einzigen Ort vollständig begreifen könnte. Sie treffen Flüchtende, Grenzsoldaten und Kommunalpolitiker, und halten ihre Erlebnisse in Wort und Bild fest. Ein einmaliges Dokument der Herausforderungen welche tagtäglich an den Grenzen der EU auftreten.Dieses Buch basiert nicht auf realen Ereignissen - esist die Realität.Wer Der Riss gelesen hat, wird Europa mit anderen Augen sehen."Ein notwendiges Zeitzeugnis, um zu verhindern, dass die Fehler von heute die Welt von morgen bestimmen." La Vanguardia
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.11.2017

Grenzfall
Carlos Spottorno und Guillermo Abril haben das Flüchtlingselend an den Außenposten der Europäischen Union dokumentiert.
Ihre Comic-Reportage „Der Riss“ ist ein erschütterndes Dokument und formal innovativ – das reicht aber nicht
VON THOMAS VON STEINAECKER
Wir kapitulieren. Wer kann heute noch verstehen, wie in der globalisierten Welt die Dinge miteinander zusammenhängen; wer kann mit Sicherheit sagen, welche historischen Ereignisse das Ergebnis einer geschickt verfolgten Strategie oder aber in Wirklichkeit Zufallsprodukte sind? Mit den Mitteln der Vernunft kommt man hier nur mehr bedingt weiter, ja, wenn wir ehrlich sind, überfordert es uns, uns neben unserem durchaus komplexen Alltag auch noch mit dem großen Ganzen zu beschäftigen. Gleichwohl wird von uns permanent eine klare Meinung, am besten eine Haltung zu den jeweils aktuellen Ereignissen erwartet. Doch es gibt da einen Trick, eine Abkürzung, die das nervige Studium von Fachaufsätzen überflüssig macht: Gefühle – und mit ihnen Bilder, mit denen sie verbündet sind, so wie das Wort eher mit der Ratio zusammenhängt. Die Aufnahmen von mordenden Terroristen, von ertrinkenden Flüchtlingen oder von Politikern an Krisenorten erklären nichts; und doch meinen wir, wenn wir sie sehen, etwas verstanden zu haben. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, lautet die alte Binsenweisheit. Und sie gilt umso mehr in einem Zeitalter, in dem es wie selten zuvor vor allem darum geht, Gefühle zu erzeugen, weil nüchterne Erklärungen so wenig befriedigen.
Dieses gesellschaftliche Klima, in dem sich immer mehr Menschen Infotainment über höchst komplexe Zusammenhänge wünschen, ist ideal für visuell erzählte Geschichten. Das betrifft nicht nur das Medium Film, in dem sich Dokumentationen und Reportagen größter Popularität erfreuen, sondern auch die Nischenkunst Comic. Die erfolgreichsten Graphic Novels der Gegenwart sind Memoirs wie „Persepolis“, ein Buch, das uns das Leben als junge Frau in Iran zur Zeit der Islamischen Revolution witzig, berührend und vor allem authentisch nahegebracht hat. Gleichzeitig steht ein Genre hoch im Kurs, das auf den ersten Blick einigermaßen paradox wirkt: die Comic-Reportage. Und doch geben die beiden bekanntesten Künstler dieser Form, Joe Sacco und Guy Delisle, in ihren gezeichneten Reportagen einen Eindruck vom Leben in den Krisenregionen dieser Welt, deren Lebendigkeit und Intensität die wenigsten klassischen Berichte erreichen. Es verwundert also nicht, dass dieses Jahr ein weiter aktuelles Thema wie die Flüchtlingskrise auch bei den Comic-Neuerscheinungen eine große Rolle spielt. Hanser Berlin hat bereits Anfang des Jahres „Freedom Hospital“ von Hamid Sulaiman über das Leben in Syrien während des Bürgerkrieges veröffentlicht, dem folgte „Kobane Calling“ bei Reprodukt über die Reise des Comic-Bloggers Zerocalcare ins türkisch-syrische Grenzgebiet und schließlich „Dem Krieg entronnen“ von Olivier Kugler bei der Edition Moderne mit Interviews und Geschichten syrischer Flüchtlinge.
Das ungewöhnlichste Werk in dieser Reihe ist sicherlich der Band „Der Riss“. Bereits auf den ersten Blick irritiert seine Form: 167 Seiten voller Bilder – allerdings keine Zeichnungen, sondern Fotos. Haben wir es also nicht eher mit einer Fotogeschichte zu tun? Einer Art „Kriegsfibel“, in der einst Bert Brecht Gedichte und Fotos kombinierte? Man sollte sich nicht allzu lange mit Kategorisierungsversuchen aufhalten. Denn die Bilder wurden nicht nur nachträglich durch Kolorierung und Weichzeichnung verfremdet; sie wurden auch zu Sequenzen montiert und mit verbindenden Erzählblöcken versehen, wobei allerdings auf Sprechblasen verzichtet wurde.
Entstanden sind die Geschichten und Aufnahmen bei sieben Reisen, die der spanische Fotograf Carlos Spottorno und der Journalist Guillermo Abril gemeinsam zwischen 2013 und 2016 unternahmen. Ihre Ziele waren die Außenposten der Europäischen Union, jene Orte also, an denen Wohlstand und Armut aufeinandertreffen oder, wie es einer der Flüchtlinge im Buch formuliert: an die „Grenze zwischen gefährlicher und sicherer Welt“.
Die buchstäbliche Schizophrenie dieser Einteilung wird gleich bei der ersten Station deutlich: die spanische Exklave Melilla bei Marokko. 13 Quadratkilometer Luxus, Zäune und Mauern, dahinter Lager, die für knapp 500 Menschen ausgerichtet sind und von mehr als der doppelten Menge bewohnt werden. Hier die zynische Langeweile des hochgerüsteten Sicherheitspersonals, dort die Verzweiflung der Wartenden, die darauf lauern, über eine der Absperrungen in ein vermeintlich besseres Leben zu gelangen. Zum ersten emotionalen Höhepunkt im Buch werden kurz darauf die Erlebnisse auf einer italienischen Frontex-Operation im Mittelmeer, wo die Fregatte Grecale 218 Flüchtlinge auf einem winzigen Schlauchboot rettet. „Als Erstes werden die Kinder auf die Grecale gebracht. Die Militärs reichen sie weiter. Die Kleinen weinen heiser, als dringe ihr Schluchzen tief aus der Erde.“ 2015 hat sich die Lage verschärft, die Reporter machen sich zur Balkanroute auf, wo sie in einem kleinen kroatischen Grenzort Zeugen von an Dramatik nur schwer zu überbietenden Szenen werden: überforderte Sicherheitskräfte, die zwischen Mitgefühl und Gehorsam hin und hergerissen sind, und Massen ausgemergelter Flüchtlinge mit kleinen Kindern.
Reisen nach Litauen und Finnland, wo man nach der russischen Annexion der Krim für den Ernstfall, den Einmarsch des verhassten Nachbarn, übt, führen zwar vom Flüchtlingsthema weg, komplettieren aber das Bild von Europa in der Krise. Hier taucht auch das titelgebende Bild des Risses auf, der sich für Spottorno und Abril durch Europa zu ziehen beginnt: „Es gibt die großen Risse und kleinere Risse. Alle sind miteinander verbunden. Hält man sie nicht auf, kollabiert die Struktur“, heißt es in der etwas holprigen Übersetzung.
„Der Riss“ ist ein Buch, das an die Nieren geht. Obwohl jeder inzwischen mit den Manipulationsmöglichkeiten von Fotografien vertraut ist, beinhalten sie eben immer noch das Versprechen der Authentizität. Alles echt, ruft hier jede Seite. Und wie könnte man sich der Dramatik der Bilder auch entziehen? Allein jenes des völlig überfüllten Flüchtlingszuges, aus dessen halb geschlossenen Fenstern Beine eines Menschen schauen, der sich irgendwie noch von außen in dieses Knäuel hineingestopft hat, bleibt lange haften, ganz abgesehen von den verhärmten Blicken der Kinder, bei denen man sich sofort fragt, was sie wohl alles Entsetzliches erlebt haben müssen in ihren kurzen Leben. Die innovative Form der Kombination aus Fotos und Erzählblöcken funktioniert hier extrem beeindruckend.
Was dem Buch allerdings auf irritierende Weise fehlt, ist die Reflektion auf seine eigenen Strategien der Manipulation. Nicht nur, dass nie davon die Rede ist, dass Fotos natürlich mitnichten Instrumente der Wahrheit sind, gerade solche, die sich in ihren Motiven und ihrem Bildaufbau reichlich bei der Ikonografie der Kunstgeschichte bedienen wie jene Spottornos; hinzu kommt, dass die Texte und Geschichten im Buch überdeutlich tendenziös sind: Weil mit keinem der Flüchtlinge ausführlicher gesprochen wird, bleiben die kargen Gesichter Projektionsflächen für unser schlechtes Gewissen; die Offiziellen hingegen wirken die meiste Zeit kühl, unsympathisch und werden in mehr oder weniger dumpfen Posen inszeniert, wozu dann Kommentare gesetzt werden wie jener, dass der Navy Seal auf der Grecale „gelbe Augen wie ein Geier“ habe.
So hinterlässt „Der Riss“ einen zwiespältigen Eindruck: Hier wird alles darangesetzt, Bestürzung hervorzurufen; was zurückbleibt, ist also wieder einmal ein starkes Gefühl. Ja, die Lage ist entsetzlich, und man sollte handeln. Doch wie kam es eigentlich zu dieser Katastrophe, welches Leben lassen die Flüchtlinge zurück, wie muss man gestrickt sein, um so einen Job als Grenzer zu machen, und was will Russland eigentlich? Tatsächlich nur die Befriedigung imperialistischer Gelüste, wie suggeriert wird? All diese Fragen spielen im Buch überhaupt keine Rolle. Damit ist es mit seinem bravourösen Spiel auf der Betroffenheits-Klaviatur eher Teil des Problems als der Versuch seiner Lösung.
Carlos Spottorno / Guillermo Abril: Der Riss. Avant-Verlag, Berlin 2017. 184 Seiten, 32 Euro.
Die Form irritiert. Die Bilder
sind nicht gezeichnet, sondern
verfremdete Fotografien
Ja, die Lage ist entsetzlich!
Über die Hintergründe des Elends
erfährt man aber viel zu wenig
An der Grenze zwischen gefährlicher und sicherer Welt:
Flüchtlinge auf der Fregatte
Grecale im südlichen Mittelmeer.
Foto: Avant verlag
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