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An dem 'großen Steuermann' Mao Zedong scheiden sich bis heute die Geister: Steht er als Diktator in einer Reihe mit Hitler und Stalin oder muss er als Visionär gesehen werden, der China als die kommende Weltmacht auf den Weg brachte? Bislang erschöpfen sich die Betrachtungen seines Lebenswegs in skandalfreudigen Dämonisierungen seiner Persönlichkeit. Helwig Schmidt-Glintzernimmt in dieser richtungsweisenden Biografie Mao auf der Grundlage neuer Quellen und Forschungen nun endlich als Person in der Geschichte ernst: Er schildert anschaulich und eindrucksvoll, vor welchem historischen…mehr

Produktbeschreibung
An dem 'großen Steuermann' Mao Zedong scheiden sich bis heute die Geister: Steht er als Diktator in einer Reihe mit Hitler und Stalin oder muss er als Visionär gesehen werden, der China als die kommende Weltmacht auf den Weg brachte? Bislang erschöpfen sich die Betrachtungen seines Lebenswegs in skandalfreudigen Dämonisierungen seiner Persönlichkeit. Helwig Schmidt-Glintzernimmt in dieser richtungsweisenden Biografie Mao auf der Grundlage neuer Quellen und Forschungen nun endlich als Person in der Geschichte ernst: Er schildert anschaulich und eindrucksvoll, vor welchem historischen Hintergrundszenario Mao antrat, um nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches die Demütigung durch die Kolonialmächte abzuschütteln und China zu erneuern. Und er zeigt, dass sich Mao zur Durchsetzung dieser gewaltigen Aufgabe pragmatisch den wechselnden außen- und innenpolitischen Herausforderungen anpasste und entgegen dem, was später als Maoismus galt, durchaus undogmatisch agierte. Neben der Neubewertung des Modernisierungsprozesses gelingt Schmidt-Glintzer auf diese Weise ein grandioses Panorama der Geschichte des chinesischen Riesenreiches im 20. Jahrhundert -die heute umso wichtiger ist, da die Welt des 21. Jahrhunderts vor der Herausforderung steht, China neu zu begreifen.
Autorenporträt
Helwig Schmidt-Glintzer, 1948 geboren, hatte nach einem Studium der Sinologie und diversen Forschungsreisen nach Ostasien von 1981 bis 1993 den Lehrstuhl für Ostasiatische Kultur- und Sprachwissenschaft an der Universität München inne, bevor er von 1993 bis 2015 als Direktor der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel tätig war. Er ist heute Direktor des China Centrums Tübingen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2017

Kampf braucht es auch in der Partei

Der große Vorsitzende als Einiger des Reichs: Helwig Schmidt-Glintzer präsentiert Mao Tse-tung als Reformer, dem China seinen heutigen Wohlstand verdankt.

In der Silvesternacht des Jahres 1975 empfing der greise Mao Tse-tung überraschend Julie Nixon Eisenhower und ihren Mann David. Das Gespräch wandte sich der aktuellen Situation Chinas zu. Mao streute wiederholt englische Begriffe in seine nur schwer verständlichen Ausführungen ein: "Struggle! Hier bei uns gibt es Klassenkampf, class struggle! Innerhalb des Volkes gibt es Kämpfe, innerhalb der Partei gibt es auch Kämpfe. Wenn man nicht kämpft, gibt es kein Vorankommen, und es ist auch nicht friedlich. Eine Bevölkerung von 800 Millionen, geht es da überhaupt, dass man nicht kämpft? Aber keine Angst. Wir bringen niemanden um." Mao beschrieb die zeitgenössische politische Situation mit klassisch marxistischer Terminologie und in der für seine unredigierten Reden so typischen idiosynkratisch-doppelbödigen Ausdrucksweise. Kampf und Widersprüche erschienen ihm als absolut, Frieden und Einheit hingegen als temporär. Was Mao damit aber definitiv nicht ausdrücken wollte, war Sorge um das Auftreten gewaltsamer Konflikte und einen Zusammenbruch der Ordnung nach seinem Tod.

In der Mao-Biographie von Helwig Schmidt-Glintzer, dem Direktor des "China Centrums Tübingen" und Kenner der klassischen chinesischen Geistesgeschichte, stößt man auf dieses Gespräch, auf das sich auch der Untertitel des Buches, "Es wird Kampf geben", bezieht. Allerdings zitiert der Autor stets aus westlichen, teils unvollständigen oder veralteten Übersetzungen. So auch hier, wodurch Maos Aussagen eine ursprünglich nicht vorhandene Ausrichtung auf die Zukunft erhalten. Diese Lesart wäre nicht weiter problematisch, wenn an sie nicht ein bestimmtes Bild von Mao geknüpft wäre, welches die Biographie durchzieht. Mao wird darin als Einheitsstifter und pragmatischer Vermittler gezeichnet, dessen Hauptleistung die Schaffung einer ebenso stabilen wie wandelbaren politischen Ordnung darstellt. Die Massenkampagnen von der Landreform bis zur Kulturrevolution scheinen nur Teil dieser innenpolitischen Konsolidierung zu sein, welche nach "erfolgreichem" Abschluss auch eine neue weltpolitische Rolle Chinas ermöglicht habe. Dass Schmidt-Glintzer Mao hier als Vertreter konfuzianischen Stabilitätsdenkens kennzeichnet, ist nur konsequent. Mao Tse-tung ist für ihn weniger Revolutionär als Reformer und Chinas heutiger Wohlstand sein "spätes Vermächtnis".

Die drei Teile des Buches sind programmatisch mit "Lehrer", "Stratege" und "Visionär" überschrieben. Der Autor reiht Mao ein in eine Abfolge großer chinesischer Führer, denen es gelungen sei, "zum Teil heterogene umfangreiche Gruppen an sich zu binden und diesen das Gefühl zu vermitteln, dass ihre Interessen angemessen vertreten würden". In Ermangelung übergreifender religiöser Bindekräfte erscheint ihm der Führerkult als einigendes Element, insbesondere im Bereich des "bäuerlichen Denkens".

Schmidt-Glintzer beschreibt Mao folglich als traditionellen Reichseiniger, während ihm Begriffe wie "Diktator" oder "Massenmörder" als "weitgehend unbrauchbar" erscheinen. Er leugnet die Opfer von Maos Herrschaft nicht, stellt aber dessen persönliche Verantwortung in Abrede und fragt, ob nicht "das Wirken gerade dieses Mannes größeres Unheil verhinderte". In Anbetracht der Tatsache, dass Dutzende Millionen Menschen als unmittelbare Folge von Maos Politik starben, was die Opferzahlen der Taiping-Rebellion, des blutigsten Bürgerkriegs der chinesischen Moderne, um ein Vielfaches übertrifft, birgt diese Frage einen schwer erträglichen Zynismus.

Es wäre dennoch unzutreffend, den Autor als maoistischen Apologeten zu charakterisieren. Zwar gab es in der deutschen Sinologie eine nicht unerhebliche Anzahl von Fürsprechern maoistischer Politik, gerade während der Kulturrevolution, und die bis heute nicht erfolgte Diskussion über diese Verstrickungen ist kein Ruhmesblatt für das Fach. Schmidt-Glintzer zählt jedoch nicht zu ihnen. Ihm geht es um eine ideengeschichtliche Annäherung an Mao, die seine Absichten und seine Rolle für Chinas Entwicklung verständlich machen soll.

Ein Ansatz, der Mao Tse-tung als Denker ernst nimmt, wäre zweifellos sinnvoll, gerade weil populäre Biographien ihn häufig als psychopathischen Fanatiker darstellen. Ein solcher Anspruch wird jedoch von Schmidt-Glintzer nicht eingelöst. Dies liegt zum einen daran, dass das Grundgerüst der Biographie zumeist aus einer kaum interpretierten Aneinanderreihung von mitunter seitenlangen Zitaten besteht. Sie sind überdies nicht immer prägnant ausgewählt oder auch nur verlässlich, da wichtige Quellensammlungen in chinesischer Sprache vom Autor nicht herangezogen werden. Noch schwerwiegender aber ist Schmidt-Glintzers analytisches Versäumnis, Kerninhalte einer ideengeschichtlichen Darstellung wie etwa das Konzept der Neuen Demokratie, die Hundert-Blumen-Kampagne oder die Hintergründe der Verfassung des Jahres 1954 kritisch und auf der Höhe des aktuellen Forschungsstandes herauszuarbeiten.

So versinkt die Erzählung allzu oft in Details und ist überdies häufig fehlerhaft. Dies beginnt bei der vermeintlichen formellen Machtübertragung vom letzten Qing-Kaiser auf das Volk anstatt auf Yuan Shikai und zieht sich bis zu Maos Definition seiner zentralen Lebensleistungen kurz vor seinem Tod, als er insbesondere auf die Kulturrevolution und nicht etwa auf die "große Revolution" verwies.

Der Historiker Jonathan Spence charakterisierte Mao einst als marxistischen "lord of misrule", als jemand, der die permanente Subversion bestehender Ordnungen zum Kennzeichen seiner Herrschaft erhob. In der Tat blieb Mao Tse-tung bis zu seinem Tod ein disruptiver Faktor an der Spitze von Partei und Staat. Schmidt-Glintzers Bild von Mao als ordnungsstiftender Erfüllungsgehilfe des Schicksals auf Chinas Weg in die Freiheit ist daher wenig überzeugend.

DANIEL LEESE

Helwig Schmidt-Glintzer: "Mao Zedong". Es wird Kampf geben. Eine Biografie.

Matthes und Seitz Verlag, Berlin 2017. 465 S., Abb., geb., 30,- [Euro].

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»[Helwig Schmidt-Glintzer] gelingt [...]eine sachliche, auch auf neuen Quellen aus sowjetischen Archiven basierende Biographie. Die ist nötig.« - Sebastian Carlens, junge Welt Sebastian Carlens junge Welt 20170614