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»Freiheit geht uns gar nichts an«
Sie kannten die Plätze, Kaiser und Pagoden aus den Nachrichten. Aber sie wollten alles sehen, hören und schmecken. Deshalb stehen sie nach einem langen Flug in Kirthan, vor ihnen der Reiseleiter, der Welterklärer. Er heißt Nime, ein junger Mann mit einer Stimme wie ein Märchenerzähler. Er wird ihnen den Tempel der ewigen Freundlichkeit zeigen, die schnurgeraden Prachtstraßen und das asiatische Essen. Doch plötzlich ist Nime nicht mehr da. Und es stellt sich die Frage nach seinem Verschwinden und der Wahrheit hinter dem, was ihre Blicke erfassen. - »Alles…mehr

Produktbeschreibung
»Freiheit geht uns gar nichts an«

Sie kannten die Plätze, Kaiser und Pagoden aus den Nachrichten. Aber sie wollten alles sehen, hören und schmecken. Deshalb stehen sie nach einem langen Flug in Kirthan, vor ihnen der Reiseleiter, der Welterklärer. Er heißt Nime, ein junger Mann mit einer Stimme wie ein Märchenerzähler. Er wird ihnen den Tempel der ewigen Freundlichkeit zeigen, die schnurgeraden Prachtstraßen und das asiatische Essen. Doch plötzlich ist Nime nicht mehr da. Und es stellt sich die Frage nach seinem Verschwinden und der Wahrheit hinter dem, was ihre Blicke erfassen. - »Alles was Sie sehen ist neu« kommt im Gewand des romantischen Reiseromans daher und zeigt die Begegnung mit dem Leben unter totalitärer Herrschaft, wie es westliche Reisende nicht erwarten.

»Eine aufwühlende Anklage aller Formen der Diktatur.« MDR
Autorenporträt
Annette Pehnt, geboren 1967 in Köln, studierte und arbeitete in Irland, Schottland, Australien und den USA. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Freiburg und Hildesheim, wo sie das Institut für Literarisches Schreiben & Literaturwissenschaft leitet. 2001 veröffentlichte sie ihren ersten Roman »Ich muß los«, für den sie unter anderem mit dem Mara-Cassens-Preis ausgezeichnet wurde. 2002 erhielt sie in Klagenfurt den Preis der Jury für einen Auszug aus dem Roman »Insel 34«, 2008 den Thaddäus-Troll-Preis sowie die Poetikdozentur der Fachhochschule Wiesbaden und 2009 den Italo Svevo-Preis. 2011 erschien ihr Roman »Chronik der Nähe«, im selben Jahr erhielt sie den Solothurner Literaturpreis sowie den Hermann Hesse Preis. 2013 erschien der Prosaband »Lexikon der Angst«, 2014 war sie Mitherausgeberin der Anthologie »Die Bibliothek der ungeschriebenen Bücher«. Darüber hinaus schrieb sie mehrere Kinderbücher, unter anderen »Der Bärbeiß«. Zuletzt veröffentlichte sie den Roman »Alles was Sie sehen ist neu«.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2020

Wanderer, kommst du nach Kirthan

Annette Pehnts Roman "Alles was Sie sehen ist neu" konfrontiert das alte mit dem neuen China. Und das alte Europa gleich mit.

Von Andreas Platthaus

Kirthan steht nicht im Atlas. Aber es ist Gegenstand eines Buchs aus dem neunzehnten Jahrhundert: "Reisen durch Kirthan in dunklen Zeiten". Das ist die Begleitlektüre eines pensionierten deutschen Witwers während dessen eigenem Aufenthalt in der fernöstlichen Region mit diesem Namen. Gemeinsam mit seiner Tochter ist er Teil einer organisierten Kulturreisegruppe von etwa einem Dutzend Landsleuten. Was sie in Kirthan erleben, steht in einem Buch aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert: dem Roman "Alles was Sie sehen ist neu" von Annette Pehnt.

Alles, was wir in einem Roman lesen, ist Fiktion. Sollte es zumindest sein. Also wozu sich wundern, dass es den im Roman erwähnten historischen Reisebericht gar nicht gibt? Dass der Handlungsort Kirthan heißt und nicht einfach China? Dass in Kirthan ein Spiel namens Guan populär ist oder der zentrale Platz in der Hauptstadt die Bezeichnung "Platz Ohne Namen" trägt, während die wichtigste Kultstätte ein "Tempel der Ewigen Freundlichkeit" ist? Alles irgendwie ganz nahe an der chinesischen Wirklichkeit, was Annette Pehnt sich da an Namen ausgedacht hat, und dann doch eine entscheidende Winzigkeit anders.

Während das, was von den Protagonisten während der Reise gesagt wird, genau dem entspricht, wie wir alle über China denken: "Auf dem Land herrscht in Kirthan große Armut, nicht wahr? Wie in den anderen Provinzen auch, man liest es überall", fragt ein Mitglied der Gruppe deren einheimischen Reiseleiter namens Nime. Der zuckt die Schultern und antwortet nicht. Keine zehn Seiten später wird er beim Besuch des prachtvollen Tempels umso beredter: "Nime hatte nun die Stimme eines Märchenerzählers, flüsterte von Kurtisanen und Erntetagen, Verbrennungen und Himmelsrichtungen und dem Mittelpunkt der Welt, der seit tausend Jahren mitten im Tempel ruht. Wir lauschten mit halb geschlossenen Augen, hier war sie, die erhabene Schönheit von Kirthan, hier und nicht in den verstopften Straßen und Betonsiedlungen, und den Mittelpunkt der Welt würden wir uns nicht entgehen lassen." Wenn deutsche Touristen in die Welt hinausziehen, wollen sie eine Fremde sehen, die ihnen vertraut ist, weil sie sich schon ein Bild von ihr gemacht haben. In keinem anderen Land werden mehr Reiseführer verkauft als bei uns.

Wenn die Realität davon abweicht? Umso schlimmer für die Wirklichkeit. Und für eine Reiseleitung, die nicht einlöst, was man als zahlender Gast doch wohl erwarten darf, zumal als deutscher Kulturreisender. Für Zwischentöne ist da kein Raum, und die hat Nime denn auch nicht im Repertoire. Aber er selbst, diese Hauptfigur im Roman von Annette Pehnt, ist ein Zwischenton. Nime steht zwischen Ost und West, Zukunft und Vergangenheit, Stadt und Land. Er ist eine literarische Projektionsfigur, wie wir sie lange nicht gesehen haben, ein Meisterstück in Konzeption und Ausführung. Er ist der gute Mensch von Kirthan.

Anfangs denkt man noch, es ginge in diesem Roman um die deutsche Reisegruppe. Das liegt einerseits an der Erzählstimme, die der Tochter des pensionierten Herrn gehört, die mit ihrem Vater seit dem Tod der Mutter jedes Jahr eine solche organisierte Kulturreise unternimmt, diesmal indes zum ersten Mal nach Asien. Andererseits liegt es an der Präzision des Gruppenporträts: Drei Ehepaare und drei Einzelreisende gehören außerdem mit zum Tross, und Annette Pehnt charakterisiert sie in ihren jeweiligen Persönlichkeiten äußerst subtil, obwohl wir nicht einmal alle ihre Namen erfahren. Nime ist da scheinbar nur Projektionsfläche ihrer Erwartungen an einen Reiseleiter. Und es gibt da auch noch Joe, den einheimischen Busfahrer, der aber auch des Deutschen mächtig ist. Elf Deutsche und zwei Kirthaner - da sollte doch klar sein, wo der Schwerpunkt liegt.

Dann ist das erste Drittel des Romans vorbei, sind die ersten beiden Reisetage in der Hauptstadt absolviert, und das frühe Fazit von Vater und Tochter lautet: "Kirthan: undurchdringlich, wir werden es nicht begreifen." Weil es anders geworden ist als im Reisebericht aus dem neunzehnten Jahrhundert. Aber auch die Irritation durch das Fremde ist ja ein Kitzel. Und Nime? "Klug und ein guter Regisseur." Auch da sind sich Vater und Tochter einig.

Doch das nächste Kapitel spielt ganz woanders und fast dreißig Jahre früher: 1990 in einem namenlosen kirthanischen Dorf. Erzählerin ist nun eine Lehrerin, und es dauert einige Seiten, bis die Irritation bei der Lektüre weicht, weil der Name Nime fällt. Der ist hier noch ein Kind, aber schon ein sonderbares, weil begabtes; die Lehrerin erkennt es sofort. "Auch die anderen Kinder achteten auf ihn. Er schaute ihnen in die Augen, als wollte er hinter ihren Pupillen etwas entdecken, das sie selbst nicht kannten. Das waren sie nicht gewöhnt. Er forschte in ihren Gesichtern, und dann fing er an zu erzählen." Und das ist die Geburt des Erzählers Nime, der aber nie selbst in diesem Roman erzählt, obwohl es insgesamt acht wechselnde Stimmen aus sieben verschiedenen Handlungszeitpunkten gibt. Neben der deutschen Touristin des Jahres 2019 sind das noch sieben aus Kirthan, und das macht klar, wo der eigentliche Schwerpunkt liegt: bei Nime. Denn von ihm erzählen über 29 Jahre hinweg letztlich alle acht Ich-Erzähler in "Alles was Sie sehen ist neu".

Immerhin der Titel des Romans stammt aus Nimes Mund. So (im Text übrigens mit korrekter Kommasetzung, die der Verlag beim Buchtitel aber wohl nicht für hilfreich hält) erklärt er seiner Reisegruppe auf der Fahrt vom Flugplatz ins Hotel die explosionsartig wachsende Hauptstadt. Wie neu aber, das können die Deutschen nicht verstehen, auch wenn im Rahmen des Besuchsprogramms irgendwann wohl auch ein Dorfbesuch absolviert wird. In einem der Kapitel erzählt Nimes Mutter, wie auf offizielle Anweisung hin im eigenen Dorf westliche Touristen herumgeführt werden, die hier auch dank des jungen Nime das pittoreske alte Kirthan vorgeführt bekommen, das aber nichts mit dem ländlichen Alltag zu tun hat. Der Zivilisationsbruch innerhalb einer asiatischen Gesellschaft durch die Modernisierung ist das eigentliche Thema des Romans, vorgeführt am grandiosen Erzähler Nime, der den Stoff für seine Geschichten nicht Lektüre verdankt, sondern dem eigenen Zuhören. Und vorgeführt von Annette Pehnt, die genau das Gleiche tut, wenn sie uns ihren verschiedenen Stimmen zuhören lässt.

Nebenbei entsteht in "Alles was Sie sehen ist neu" eine Erzählkonkurrenz zwischen Nime und dem alten Mann aus Deutschland, der ziemlich zum Schluss, als wir wieder bei den Erlebnissen der Reisegruppe angelangt sind, sagt: "Einen Erzähler werden wir brauchen, sonst werden wir nichts verstehen." Zuvor ist Nime plötzlich verschwunden, einfach am dritten Morgen der Reise nicht erschienen, und wir Leser, die wir ihn mittlerweile aus vielen kirthanischen Perspektiven als ebenso brillanten wie eigensinnigen Menschen kennengelernt haben, müssen das Schlimmste fürchten im autoritären Staat. Die deutsche Gruppe aber denkt nur an die Fortführung ihres Programms und bestimmt kurzerhand den belesenen Pensionär zum neuen Reiseleiter: "Wenn Herr Nime morgen wieder zu uns stößt, werden wir ihm berichten, was wir gesehen haben: das alte Kirthan." Doch das neue wird triumphieren, denn so einfach können Ausländer in Kirthan sich nicht als ihre eigenen Herren aufschwingen, und im Schlusskapitel wird klar, was der Grund für Nimes Verschwinden ist. So viel sei verraten: Einen sympathischeren gibt es nicht. Beschämt steht man auch als Leser. Vor dem guten Menschen von Kirthan. Und vor diesem exzellenten Roman.

Annette Pehnt: "Alles was Sie sehen ist neu". Roman.

Piper Verlag, München 2020. 190 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.06.2020

In der Apotheke weiden die Ziegen
Das Vertraute, das Fremde und das Unberechenbare in Annette Pehnts „Alles was Sie sehen ist neu“
„Jemand öffnet die Tür und tritt neben mich, ein müder junger Mann, er sieht nicht so krank aus und hält die Hände unter den dampfenden Wasserstrahl.“ Diese Situation ereignet sich gegen Ende des neuen Romans von Annette Pehnt, das von einer diffusen, unheimlichen Stimmung beherrscht wird: „Ich frage ihn nach seinem Namen, er heißt Nime. Als wir zusammen aus dem Baderaum treten, frage ich mich, was er hat. – Was ist mit Dir? Aber er antwortet nicht und gibt die Frage zurück. Und selbst?“ Der Ort der Handlung ist ein überfülltes Krankenhaus.
Der Roman „Alles was Sie sehen ist neu“ wurde vor der Corona-Pandemie geschrieben und den Ort Kirthan, an dem er spielt, gibt es nicht. Noch in der Programmvorschau des Verlags wird allerdings eine China-Reise der Autorin erwähnt, auf der das Buch fußt, und ein entsprechende Passage aus dem Text zitiert, die im jetzt veröffentlichten Buch gekürzt ist, womöglich um weitere Assoziationen zu meiden. Man kann sich als Schauplatz aber noch immer ein paar alte chinesische Dörfer vorstellen und eine davon mehrere Tagesreisen entfernte, schnell wachsende Stadt, in der sich gerade eine Krankheit zu verbreiten beginnt.
Davon ist im gediegenen Abenteuer-Ambiente zu Beginn des Romans allerdings noch nicht die Rede: Eine nicht mehr ganz junge Frau und ihr verwitweter Vater machen jedes Jahr eine Reise. Immer darf der Vater das Ziel aussuchen und gebucht wird über ein kostspieliges Münchner Reisebüro, das nichts dem Zufall überlässt. Der erste Teil des Romans ist aus der Perspektive der Tochter erzählt, die Reisen früher als ein „Verwildern“ verstanden hat, ein sich Zurechtfinden in unzugänglichen Gegenden, die es inzwischen aber auch schätzt, wenn alles Anstrengende minimiert ist. Diesmal fährt sie also nach Asien mit ihrem Vater, der wiederum sein Leben damit verbringt, alte Schriften zu entziffern. Seine Bibliothek verlässt er sonst nur selten, was er von Beruf gewesen ist, wird nicht ganz klar. Professor war er nicht, obwohl er das „verdient“ hätte, wie seine Tochter meint. Er ist jedenfalls einer der gegenwartsfernsten Menschen, die sie kennt. Auf ihr Reiseziel brachte ihn ein altes Buch, das er mitführt: „Reise nach Kirthan in dunklen Zeiten.“
Geht es in diesem Roman also um eine Vater-Tochter-Beziehung vor exotischem Hintergrund? Eine Möglichkeit, die Pehnt erwogen haben dürfte. Auf den ersten sechzig Seiten ist eine solche Geschichte bis in Details vorbereitet. Man erwartet allmähliche Aufklärungen über die Familie: Was war mit der Mutter? Doch dann entwickelt sich ein vollkommen anderer Roman.
Vater und Tochter geraten in den Hintergrund der Erzählung, die Figur des einheimischen Reiseleiters wird wichtig. Das ist eben jener Nime, ein mal freundlicher, mal schweigsamer Mann, der der kleinen Reisegruppe als so etwas wie „das Fremde“ selbst erscheint. Statt eine geheimnisvolle Nebenfigur zu bleiben, wird er dann aber selbst zum Thema des Romans. Aus der Perspektive verschiedener weiterer Figuren leuchtet Pehnt sein Leben aus, versucht diesem „Anderen“ nahe zu kommen, indem sie Nimes Umgebung erkundet, seiner Herkunft vorsichtig nachspürt.
Halbverlassene Dörfer kommen ins Bild. Nimes Heimatort ist für einen Stausee geflutet worden. Seine Mutter erzählt, wie dort die Alten früher „gelb und grau“ zusammensaßen, auf Touristenbusse warteten, und wie beliebt Nime bei den Gästen war, weil er gute Zähne hatte und gut sprechen konnte. Inzwischen hat er geheiratet, lebt aber von seiner Frau getrennt (auch aus ihrer Perspektive wird erzählt) und die beiden kleinen Kinder sind bei den Großeltern.
Nime selbst wird mit jeder neuen Erzählperspektive greifbarer, aber seine eigene Sicht fehlt. So bleibt ihm und dem Text ein Rest Geheimnis. Annette Pehnt, die neben ihrer Arbeit an Romanen, Essaybänden und Kinderbüchern mit dem Literaturinstitut in Hildesheim eine der einflussreichsten Schreibschulen des Landes leitet, geht auch ein erzählerisches Risiko ein, wenn sie sich „dem Fremden“ nähert, indem sie ihren Roman mit den Stimmen von Menschen aus seiner Umgebung anfüllt. Die Gefahr, in politisch gut gemeine Anteilnahme zu verfallen besteht. Aber wagemutige Versuche, andere Sichtweisen einzunehmen, sind doch spannender als ein noch so gehaltvoller, touristischer Blick.
Aus verschiedenen Perspektiven lässt Pehnt also die unsichere Stimmung einer Übergangszeit betrachten, in der die Dorfbewohner Schwierigkeiten haben mit einem von oben verordneten Neuen und der radikalen Ausmerzung des Alten, wie es das heute eben auch in China gibt. Sie haben darin etwas gemeinsam mit dem gelehrten europäischen Vater vom Anfang des Romans.
Im letzten Kapitel findet der Roman schließlich eine Verbindung zur unmittelbaren Gegenwart: Maran, die Frau eines alten Dörflers, aus dessen Perspektive dieses Kapitel erzählt ist, leidet unter Schwindelanfällen. Es sieht aus, als werde sie allmählich dement, was genau sie hat, weiß keiner. In der Dorfapotheke weiden die Ziegen, einen Arzt gibt es nicht. Sie müsse wohl in eine Klinik, meint die Frau, ein Auto wird geliehen, das alte Ehepaar, das noch nie eine längere Reise unternommen hat, bricht in die Hauptstadt auf.
Mit ihren Augen betrachtet ist alles ungewohnt, man kann also kaum einschätzen, was an dem, was sie unterwegs sehen, wirklich „neu“ ist. Etwas erscheint allerdings zweifelhaft an den medizinischen Qualitäten des „Neuen“. Die beiden finden zwar eine Klinik, doch das Gesundheitssystem scheint still zu stehen: „Der erste Tag ist unschuldig, wir warten und heben jedes Mal, wenn jemand durch den Flur kommt, erwartungsvoll den Kopf. Es ist aber immer nur ein neuer Kranker, der sich eine Nummer zieht und zu uns gesellt. Niemand wird aufgerufen, niemand geht, und kein Pfleger kommt in unsere Nähe.“
Vergessen, wie die perfekt organisierte Münchner Reisegruppe, nachdem Nime sie in einem früheren Kapitel verlassen hat, sitzen der alte Mann und seine Maran in der Hauptstadt-Klinik fest. Das „Neue“, das man doch eher mit einer „Verbesserung“ in Verbindung bringen würde, ist offenbar durch etwas Unberechenbares außer Kraft gesetzt worden.
HANS-PETER KUNISCH
In der Klinik stellt sich allmählich
heraus: dieses Gesundheitssystem
scheint still zu stehen
Annette Pehnt:
Alles was sie sehen ist neu. Roman. Piper Verlag.
München 2020. 190 Seiten, 18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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»Was diesem Roman sehr gut gelingt, ist auch diesen Tourismus von beiden Seiten zu beleuchten also aus der Perspektive von denjenigen, die unterwegs sind und die etwas sehen und aus der Perspektive derjenigen die sozusagen betrachtet werden, also den Einheimischen und auch dem Geschäftsmodell Tourismus in diesem autoritären Land.« SWR2 "LesenswertMagazin" 20200315