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Produktdetails
  • Verlag: Volk und Welt
  • 1996.
  • Seitenzahl: 576
  • Erscheinungstermin: 10. Januar 2001
  • Deutsch
  • Abmessung: 224mm
  • Gewicht: 856g
  • ISBN-13: 9783353009555
  • ISBN-10: 3353009558
  • Artikelnr.: 20896687
Autorenporträt
Michail Bulgakow wurde am 15. Mai 1891 in Kiew geboren und starb am 10. März 1940 in Moskau. Nach einem Medizinstudium arbeitete er zunächst als Landarzt und zog dann nach Moskau, um sich ganz der Literatur zu widmen. Er gilt als einer der größten russischen Satiriker und hatte zeitlebens unter der stalinistischen Zensur zu leiden. Seine zahlreichen Dramen durften nicht aufgeführt werden, seine bedeutendsten Prosawerke konnten erst nach seinem Tod veröffentlicht werden. Seine Werke liegen im Luchterhand Literaturverlag in der Übersetzung von Thomas und Renate Reschke vor.

Thomas Reschke, geboren 1932 in Danzig, studierte Slawistik an der Humboldt-Universität zu Berlin. 1955-1990 war er Redakteur und Lektor der DDR-Verlage "Kultur und Fortschritt" und "Volk und Welt". Seit 1956 übersetzt er literarische Werke aus dem Russischen, seit 1990 hauptberuflich als freier Übersetzer. Heute zählt er zu den produktivsten deutschen Russisch-Übersetzern der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, seine Übersetzung eines Großteils der Werke Michail Bulgakows gilt als hervorragend. Thomas Reschke wurde für seine Übersetzungen vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem F.-C.-Weiskopf-Preis (1975), dem Maxim-Gorki-Preis des Sowjetischen Schriftstellerverbandes (1987), dem Deutschen Jugendliteraturpreis, Sparte Übersetzung (1992), dem Bundesverdienstkreuz (2000) sowie in Anerkennung seines Lebenswerks dem Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW (2001).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.01.1997

Das Teufelsdutzend
Der maskierte Diarist - Michail Bulgakows Briefe und Dokumente zu seinem Werk · Von Ralph Dutli

"Manuskripte brennen nicht." Wäre Michail Bulgakow nicht durch sein 1928 bis 1940 geschriebenes Hauptwerk "Der Meister und Margarita" weltberühmt, er wäre es gewiß durch den winzigen Aphorismus aus nur drei Worten, der sich selbst in diesem zerstörungswütigen Jahrhundert immer wieder als wahr erwiesen hat. Dichter kehren zurück, verbrannte Manuskripte auferstehen auf wundersame Weise.

Am 5. Mai 1926 waren Bulgakows freimütig geführte Tagebücher von 1922 bis 1925 bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt worden. Als er sie auf Betreiben Gorkis 1929 zurückbekam, verbrannte der erschrockene Bulgakow das Belastungsmaterial unverzüglich. Daß die bürokratisch-pingeligen GPU-Schergen sich eine Kopie erstellt hatten, wußte er nicht. Als zu Glasnost-Zeiten die KGB-Archive einen Spalt breit geöffnet wurden, kam auch das "verhaftete Tagebuch" wieder zum Vorschein (es ist in Band 5 der deutschen Bulgakow-Ausgabe zu finden). Bulgakow soll sich 1926 geschworen haben, nie wieder ein Tagebuch zu führen. Doch ganz konnte er die geheime Leidenschaft nicht lassen. So entstand 1926 bis 1928 das konspirative, scherzhaft maskierte "Tagebuch N. N. Ljamins", das zwar vom meisterhaften Mystifikator Bulgakow verfaßt, doch aus Sicherheitsgründen in den Handschriften seiner damaligen Ehefrau sowie diverser Freunde, Schauspieler des Moskauer Künstlertheaters, gehalten war.

Das bizarre bis ulkige Tagebuch ist ein kleines Juwel in einem Band von "Dokumenten und Materialien", der mit dem Halbband der "Briefe 1914 bis 1940" den dreizehnten Band der Bulgakow-Ausgabe des Verlages Volk & Welt bildet. Der Herausgeber Ralf Schröder, der höchst interessante, geradezu üppige Kommentare beisteuerte, hat mit dem bewährten Bulgakow-Übersetzer Thomas Reschke (hier zusammen mit Renate Reschke) auch diesen Abschlußband der mustergültigen Ausgabe besorgt. Man möchte dazu gratulieren, daß die Bulgakow-Ausgabe ausgerechnet dreizehn Bände umfassen sollte. Die Zahl dreizehn nämlich trägt in der abergläubischen russischen Sprache den hübschen Namen "Teufelsdutzend". Welche Zahl hätte besser zu einem Autor gepaßt, der so gern den Teufel ins Spiel brachte?

Bulgakow ist nicht nur der Verfasser von "Teufeliaden", wie ein Erzählband von 1925 heißt, sondern läßt in seinem Hauptwerk "Der Meister und Margarita" den Teufel in Person aufkreuzen, um so vieles auf den Kopf und einiges richtigzustellen, getreu dem Roman-Motto aus Goethes "Faust": "Nun gut, wer bist du denn? - Ein Teil von jener Kraft, / die stets das Böse will und stets das Gute schafft." Kein anderer russischer Autor hat mit diesem paradoxen Teufel so innig vertrauten Umgang gepflegt wie Bulgakow. Und nur wenige waren so verzweifelt wie er. Wenn alles schiefläuft, muß wenigstens Satan nach dem Rechten sehen.

Wie mutig Bulgakow versucht hat, in der Sowjetunion Stalins auch als Künstler zu überleben, zeigen diverse Schreiben im Briefband. 1929 war das Jahr der Katastrophe: Sämtliche Stücke Bulgakows wurden mit Aufführungsverbot belegt. "1929 wurde meine Vernichtung als Schriftsteller vollendet", schreibt er am 24. August an seinen Bruder Nikolaj nach Paris und fügt im Brief vom 3. September an den ZK-Sekretär Jenukidse hinzu: "Das totale Verbot meiner Werke in der UdSSR ist mein Todesurteil." Das wichtigste Schreiben jedoch hatte Bulgakow bereits im Juli an den "Generalsekretär der Partei J. W. Stalin" geschrieben. Dem "Nervenzusammenbruch nahe", schließt der Briefschreiber mit der Bitte, ihn "aus der UdSSR auszuweisen".

Doch so leicht wurde man aus dem Paradies der Arbeiterklasse nicht entlassen. Der mehrmals geäußerte Wunsch nach einem Auslandsaufenthalt wurde nicht einmal beantwortet. Mit der Absetzung der Stücke versiegten auch Bulgakows Einnahmequellen ("Ich habe keine Kopeke mehr"), neben dem Rufmord durch die Kritik die schlimmste Folge. Bulgakow war aber längst - als seine Stücke noch gespielt wurden - an übelste Anwürfe gewöhnt worden. Er sei eine ,neobourgeoise Ausgeburt, die mit giftigem, aber ohnmächtigem Speichel die Arbeiterklasse und ihre kommunistischen Ideale bespuckt", dröhnte es ihm am 14. Oktober 1927 aus der "Komsomolskaja Prawda" entgegen.

Bulgakow versuchte mehrmals, seinem Schicksal eine Wendung zu geben. Am 28. März 1930 schreibt er "An die Regierung der UdSSR". Er schildert seine mißliche Lage, listet die Verbote und Anwürfe auf und holt dann zu einem überaus kühnen Bekenntnis aus. In der deutschen Presse war geschrieben worden, sein Stück "Die Purpurinsel" sei "in der UdSSR der erste Aufruf zur Pressefreiheit". Bulgakow leugnet das gefährliche ausländische Echo nicht im geringsten, sondern bestätigt dessen Wahrheit. "Ich bekenne mich dazu. Der Kampf gegen die Zensur, wie sie auch sei und unter welcher Macht sie auch existiert, ist meine Pflicht als Schriftsteller, ebenso wie Aufrufe zur Pressefreiheit. Ich bin ein glühender Anhänger dieser Freiheit, und ich meine, daß ein Schriftsteller, der auf die Idee käme, beweisen zu wollen, daß er sie nicht brauche, einem Fisch gliche, der öffentlich versichert, kein Wasser zu brauchen." Falls er nicht ausreisen dürfe, in der UdSSR zum Schweigen verurteilt bleiben müsse, bitte er schließlich um irgendeine Arbeit an einem Theater, als "Hilfsregisseur", als "Statist". "Wenn das nicht möglich ist, bitte ich um den Posten eines Bühnenarbeiters." Am 18. April 1930 lanciert Stalin einen seiner berühmt-berüchtigten direkten Telefonanrufe bei Schriftstellern (das Protokoll dieses Anrufs ist im Band der "Dokumente" abgedruckt), und kurz darauf findet Bulgakow eine bescheidene Anstellung als Regieassistent am Moskauer Künstlertheater - womit die abstrusen Schikanen nicht beendet waren, denn nach jedem winzigen Stückchen Zuckerbrot folgte wieder die Peitsche. Offenbar hatte Stalin etwas vor mit Bulgakow, dessen Stück "Die Tage der Turbins" er ein gutes Dutzend Mal gesehen hatte und mit seiner wiederholten Anwesenheit im Theater ostentativ guthieß.

Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zum Schicksal von Bulgakows Schriftstellerkollegen Jewgenij Samjatin, der im Juni 1931 ebenfalls an Stalin schrieb, um die Ausreise nachsuchte - und im November 1931 emigrieren konnte (er starb 1937 in Paris). Samjatin hatte jedem totalitären Großprojekt mit der Anti-Utopie "Wir" (1920) - die später sowohl Huxleys "Schöner neuer Welt" als auch Orwells "1984" Pate stehen sollte - einen zu unverzeihlichen Schlag versetzt und sich damit als für Stalin "unbrauchbar" disqualifiziert. Doch nicht nur Stalin hoffte auf eine mögliche Gefügigkeit Bulgakows, auch der Schriftsteller hatte etwas mit Stalin vor. Er glaubt nämlich hartnäckig an Stalins Belehrbarkeit, hoffte auf dessen Verwandlung in einen aufgeklärten Herrscher - durch den Propheten Bulgakow. Diese noble und verquere Idee war Bulgakows Vision, seine mühevoll vorangetriebene Mission als Schriftsteller. Hier nun ist man dankbar für die literaturgeschichtliche Kommentierung Ralf Schröders, der nicht nur Bulgakows persönliche Anverwandlung des "Faust"-Themas, von Dostojewskijs "Legende vom Großinquisitor" und Iwan Karamasows "Heilsmärchen" skizziert, sondern auch dieses irrwitzig-verzweifelte Projekt der Erleuchtung des Tyrannen durch den Künstler nachzeichnet.

Daß die beharrlich verfolgte Mission an Stalins Unbelehrbarkeit zerschellen mußte, macht den genialen Satiriker und Ironiker Bulgakow zu einer profund tragischen Figur. Viele späte Briefe des zunehmend erschöpften Bulgakow sind Zeugnisse schierer Verzweiflung über neue Schikanen, denen er neben seinem Hauptwerk noch den "Theaterroman" von 1937 abrang - dessen ursprünglicher Titel "Aufzeichnungen eines Toten" spricht Bände. Auch sein spätes Drama "Don Quijote" von 1938 war ein reines Selbstporträt. Gegen Windmühlen kämpfte man nicht nur in Spanien.

Ein Zeugnis ungebrochener menschlicher Integrität ist ein Brief an Stalin vom 4. Februar 1938, in dem er sich für den Dramatiker Nikolaj Erdman einsetzte, den Autor der Stücke "Das Mandat" und "Der Selbstmörder", der gerade seine dreijährige sibirische Verbannung hinter sich hatte. Es ist die Zeit der Moskauer Schauprozesse und der "Säuberungen" - sich für einen bereits Verurteilten zu verwenden, bedeutete die Gefahr, selber vom eisernen Besen des Terrors erfaßt zu werden. Wenn es in der Spätzeit noch Lichtblicke gab, verdankten sie sich Bulgakows dritter Frau, Jelena Sergejewna Schilowskaja, die er 1932 geheiratet hatte. Sie ist das lichte Vorbild für die Gestalt der Margarita im Roman. Bis zum 10. März 1940, als Bulgakow, unter großen Schmerzen und allmählicher Erblindung leidend, an Nierensklerose starb, lebten zwei gepeinigte Menschen ihre große Liebe. Auch die zärtlichen Briefe an seine "Lju" verraten die Hand des "Meisters".

Michail Bulgakow: "Gesammelte Werke. Band 13. 1. Halbband: Briefe 1914 bis 1940. 2. Halbband: Dokumente und Materialien." Herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Ralf Schröder. Aus dem Russischen übersetzt von Renate und Thomas Reschke. Verlag Volk & Welt, Berlin 1996. 344 und 234 S., geb., zus. 88,- DM.

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