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Die in diesem Buch versammelten Aufsätze, Notate und Reden aus den vergangenen zehn Jahren zeigen Peter Handke als leidenschaftlichen Kinogänger, Bildbetrachter und Leser beim »Beobachten, Betasten, Beschreiben, Vergleichen«. Mit einem unbändigen »Appetit auf die Welt« läßt er sich ein auf die Werke von Kollegen, um sie »mit erfrischten Augen« neu zu sehen, sich selbst im Kunstgenuß als einen Veränderten und Bereicherten zu erleben. »Es war, als hätte ich mir durch bloßes Zuschauen die Welt verdient«, beschreibt Handke etwa in einer Rede auf der Viennale 1992 sein Kinoerlebnis mit Antonionis…mehr

Produktbeschreibung
Die in diesem Buch versammelten Aufsätze, Notate und Reden aus den vergangenen zehn Jahren zeigen Peter Handke als leidenschaftlichen Kinogänger, Bildbetrachter und Leser beim »Beobachten, Betasten, Beschreiben, Vergleichen«.
Mit einem unbändigen »Appetit auf die Welt« läßt er sich ein auf die Werke von Kollegen, um sie »mit erfrischten Augen« neu zu sehen, sich selbst im Kunstgenuß als einen Veränderten und Bereicherten zu erleben. »Es war, als hätte ich mir durch bloßes Zuschauen die Welt verdient«, beschreibt Handke etwa in einer Rede auf der Viennale 1992 sein Kinoerlebnis mit Antonionis La Notte. Was wir erfahren von seinen Begegnungen mit Filmen von Jean-Marie Straub oder Abbas Kiarostami, dem iranischen Cineasten, mit Büchern von Marguerite Duras, Hermann Lenz, Karl Philipp Moritz, Ralf Rothmann, Erich Wolfgang Skwara, den Bildern und Gemälden Pierre Alechinskys, Emil Schumachers und Anselm Kiefers sind weltauftuende und scharfsichtige Beobachtungen, durch die immerder Blick auf das Umfassendere mitgeöffnet wird. Sichtbar werden Bilder - »bekannt als Bilder aus dem eigenen Leben - dem unbekannten eigenen Leben. Nur dem eigenen? Nein: dem unbekannten, größeren, in dem auch das des Betrachters mitspielt.«
Autorenporträt
Peter Handke wird am 6. Dezember 1942 in Griffen (Kärnten) geboren. Die Familie mütterlicherseits gehört zur slowenischen Minderheit in Österreich; der Vater, ein Deutscher, war in Folge des Zweiten Weltkriegs nach Kärnten gekommen. Zwischen 1954 und 1959 besucht Handke das Gymnasium in Tanzenberg (Kärnten) und das dazugehörige Internat. Nach dem Abitur im Jahr 1961 studiert er in Graz Jura. Im März 1966, Peter Handke hat sein Studium vor der letzten und abschließenden Prüfung abgebrochen, erscheint sein erster Roman Die Hornissen. Im selben Jahr 1966 erfolgt die Inszenierung seines inzwischen legendären Theaterstücks Publikumsbeschimpfung in Frankfurt am Main in der Regie von Claus Peymann. Seitdem hat er mehr als dreißig Erzählungen und Prosawerke verfasst, erinnert sei an: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (1970), Wunschloses Unglück (1972), Der kurze Brief zum langen Abschied (1972), Die linkshändige Frau (1976), Das Gewicht der Welt (1977), Langsame Heimkehr (1979), Die Lehre der Sainte-Victoire (1980), Der Chinese des Schmerzes (1983), Die Wiederholung (1986), Versuch über die Müdigkeit (1989), Versuch über die Jukebox (1990), Versuch über den geglückten Tag (1991), Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994), Der Bildverlust (2002), Die Morawische Nacht (2008), Der Große Fall (2011), Versuch über den Stillen Ort (2012), Versuch über den Pilznarren (2013). Auf die Publikumsbeschimpfung 1966 folgt 1968, ebenfalls in Frankfurt am Main uraufgeführt, Kaspar. Von hier spannt sich der Bogen weiter über Der Ritt über den Bodensee 1971), Die Unvernünftigen sterben aus (1974), Über die Dörfer (1981), Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land (1990), Die Stunde da wir nichts voneinander wußten (1992), über den Untertagblues (2004) und Bis daß der Tag euch scheidet (2009) über das dramatische Epos Immer noch Sturm (2011) bis zum Sommerdialog Die schönen Tage von Aranjuez (2012) zu Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße (2016). Darüber hinaus hat Peter Handke viele Prosawerke und Stücke von Schriftsteller-Kollegen ins Deutsche übertragen: Aus dem Griechischen Stücke von Aischylos, Sophokles und Euripides, aus dem Französischen Emmanuel Bove (unter anderem Meine Freunde), René Char und Francis Ponge, aus dem Amerikanischen Walker Percy. Sein Werk wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. Die Formenvielfalt, die Themenwechsel, die Verwendung unterschiedlichster Gattungen (auch als Lyriker, Essayist, Drehbuchautor und Regisseur ist Peter Handke aufgetreten) erklärte er selbst 2007 mit den Worten: »Ein Künstler ist nur dann ein exemplarischer Mensch, wenn man an seinen Werken erkennen kann, wie das Leben verläuft. Er muß durch drei, vier, zeitweise qualvolle Verwandlungen gehen.« 2019 wurde Peter Handke mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Peter Handke wird am 6. Dezember 1942 in Griffen (Kärnten) geboren. Die Familie mütterlicherseits gehört zur slowenischen Minderheit in Österreich; der Vater, ein Deutscher, war in Folge des Zweiten Weltkriegs nach Kärnten gekommen. Zwischen 1954 und 1959 besucht Handke das Gymnasium in Tanzenberg (Kärnten) und das dazugehörige Internat. Nach dem Abitur im Jahr 1961 studiert er in Graz Jura. Im März 1966, Peter Handke hat sein Studium vor der letzten und abschließenden Prüfung abgebrochen, erscheint sein erster Roman Die Hornissen. Im selben Jahr 1966 erfolgt die Inszenierung seines inzwischen legendären Theaterstücks Publikumsbeschimpfung in Frankfurt am Main in der Regie von Claus Peymann. Seitdem hat er mehr als dreißig Erzählungen und Prosawerke verfasst, erinnert sei an: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (1970), Wunschloses Unglück (1972), Der kurze Brief zum langen Abschied (1972), Die linkshändige Frau (1976), Das Gewicht der Welt (1977), Langsame Heimkehr (1979), Die Lehre der Sainte-Victoire (1980), Der Chinese des Schmerzes (1983), Die Wiederholung (1986), Versuch über die Müdigkeit (1989), Versuch über die Jukebox (1990), Versuch über den geglückten Tag (1991), Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994), Der Bildverlust (2002), Die Morawische Nacht (2008), Der Große Fall (2011), Versuch über den Stillen Ort (2012), Versuch über den Pilznarren (2013). Auf die Publikumsbeschimpfung 1966 folgt 1968, ebenfalls in Frankfurt am Main uraufgeführt, Kaspar. Von hier spannt sich der Bogen weiter über Der Ritt über den Bodensee 1971), Die Unvernünftigen sterben aus (1974), Über die Dörfer (1981), Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land (1990), Die Stunde da wir nichts voneinander wußten (1992), über den Untertagblues (2004) und Bis daß der Tag euch scheidet (2009) über das dramatische Epos Immer noch Sturm (2011) bis zum Sommerdialog Die schönen Tage von Aranjuez (2012) zu Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße (2016). Darüber hinaus hat Peter Handke viele Prosawerke und Stücke von Schriftsteller-Kollegen ins Deutsche übertragen: Aus dem Griechischen Stücke von Aischylos, Sophokles und Euripides, aus dem Französischen Emmanuel Bove (unter anderem Meine Freunde), René Char und Francis Ponge, aus dem Amerikanischen Walker Percy. Sein Werk wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. Die Formenvielfalt, die Themenwechsel, die Verwendung unterschiedlichster Gattungen (auch als Lyriker, Essayist, Drehbuchautor und Regisseur ist Peter Handke aufgetreten) erklärte er selbst 2007 mit den Worten: »Ein Künstler ist nur dann ein exemplarischer Mensch, wenn man an seinen Werken erkennen kann, wie das Leben verläuft. Er muß durch drei, vier, zeitweise qualvolle Verwandlungen gehen.« 2019 wurde Peter Handke mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2002

Ein Denken, das aus dem Atemrhythmus kommt
Diesmal ist Peter Handke ein stiller Wilder, der über Umwege gegen die Bilderflut rebelliert: „Mündliches und Schriftliches”
„Ich glaube, ich werde bald wieder zum Kinogeher”, so oder ähnlich denkt der Erzähler Peter Handke. Diesen oder einen ähnlichen Beschluss fasst der Leser von Handkes schmalem Band „Mündliches und Schriftliches”, der Reden und kleine Skizzen über Bücher, Bilder und Filme aus den letzten zehn Jahren enthält, meist Laudationes zu einer Preisverleihung oder Beiträge zu einer Bildausstellung. Der Autor tut alles, um unsere Erwartungen kleinzuhalten; es handle sich um „ein paar im Sprechen entstandene Sachen”, um „kleine Andeutungen”, um ein bisschen Erzählen. Handke erspart es uns, unter der Wucht eines neuen „Hauptwerke” zu stöhnen oder zum zehnten Mal über seine politische Unkorrektheit zu lamentieren; diesmal bleibt er, ein stiller Wilder, bei kleinen Objekten, aber diese Objekte – Gemälde von Emil Schumacher oder Anselm Kiefer, Romane von Hermann Lenz oder Arnold Stadler, Bildsequenzen des Paares Straub/Huillet – haben es in sich. Wie Handke von ihnen spricht, zeigen sie einen Weltzustand der sprachlichen Verschmutzung und der Bilderflut, dem die von ihm gelobten Künstler durch Sprache und Bilder widerstehen.
Der Zusammenhang von mündlichem Wort, Kinoerfahrung, Roman und Gemälde gibt dieser Textsammlung die Einheit. Es ist ein Buch über Umwege und über umwegiges Sprechen; dadurch wird es zugleich ein Buch über Handkes Stil, den er selbst als ein Stocken, als begriffsstutzig und als Bild gegen die Bilderflut beschreibt. Er sucht ein Sprechen, das nicht vorgeformt wäre durch übliche Sprachform. Es soll eine Sprache sein, „als ob sie das Mündliche wieder erreicht hätte”. Er will sehen, riechen, tasten und das Wahrgenommene zur Sprache bringen, bevor es eingesperrt wird „in den Kleingeist expliziten Denkens”. Er lobt den Filmkritiker Helmut Färber als einen „Sehdenker”; als Hoffnung gegen alle Hoffnung formuliert er quasi als Motto seines Buches: „Die Bilder sind nicht am Ende”. In den Filmen, die er beschreibt, folgt der rasche, überraschende Wechsel der Bildeinstellung nicht einer logischen Konstruktion, sondern der internen Konsonanz der Bilder selbst, ähnlich wie Szenen in Handkes Erzählungen.
Verzauberter Heimweg
Deswegen führt der Weg über das Kino. Das Kino verwandelt ein kleines Nest in eine Weltstadt. Große Filme wie die von Antonioni, von Yasujiro Ozu oder John Ford verzaubern den Heimweg. Es sind die wenigen Filme, die fern sind von „Maschinen, künstlichem Glanz und Invasorentum”. Weil sie so selten sind, geht der Sprechdenker Handke wie so manche seiner Romanfiguren nicht selten vorzeitig aus dem Kinosaal. Dieses Weggehen mitten im Film, möglichst schnell, den Kopf gesenkt, das ist eine Handke’sche Figur, in seinen Erzählungen wie in seinen reflektierenden Texten. Das ist Handkes ungesellige Geselligkeit. Sie bricht aus wie ein Vulkan in wütende Polemik gegen die meisten jetzigen Filmkritiker „mit ihren blödlässigen ahnungslosen Kintoppvisagen”.
Es wird Leute geben, die auch das neue Buch von Handke nach solchen Rundumschlägen absuchen. Die Verzweiflung über den Stand der Dinge ist unüberhörbar; sie führt zu zornigen Brandreden, etwa gegen das immer schlechter werdende Zeitungsdeutsch, selbst, wie Handke eigens hervorhebt, in der „spielfreudigen Süddeutschen”. Andere werden das Buch autobiographisch entschlüsseln, denn auch dazu lädt es ein: Die Geburt an der Grenze zwischen Österreich und Slowenien in einem Gelände voller Höhlen und Grotten erklärt, scheint es, die ländliche Begriffsstutzigkeit, den Hunger nach grenzüberschreitenden Bildwelten und den Sinn für Gemälde wie die von Anselm Kiefer, die Handke als waghalsiges, grenzenerprobendes Abenteuer anschaut.
Wer vom Land kommt, fasst leichter den Beschluss, bleibend anfängerhaft zu sehen, zu sprechen und zu schreiben. Vielleicht gelingt es ihm eher, beim Mündlichen wieder anzukommen. Handke schließt, wie gesagt, die autobiographische Lektüre nicht aus, aber wichtiger wäre es, das zu sehen, was er zeigt. Er beschreibt Kunstwerke und fasst dabei ein Denken ins Auge, das weder System noch Methode ist, „vielmehr aus dem Blick- und Atemrhythmus kommt”; er leitet an, die Romane von Arnold Stadler zu lesen als die Bücher eines Kindes, als Gestaltung der Sehnsucht, der Ernüchterung und einer Verzweiflung, die ins Lustige übergeht. Auf wenigen Zeilen charakterisiert er Karl Philipp Moritz und seine geschichtliche Stellung neben Goethe: Der Verfasser des Anton Reiser erscheint hier als der „andere Goethe, stofflicher, analytischer, illusionslos”, bezeichnend für Moritz sei die „fast schaurige Härte, nein, Schärfe gegen sich selbst”. Jetzt verstehen wir, warum Zitate aus dem Anton Reiser in Handkes Erzählwerken als Motti stehen.
Der Dichter als „Traumvermesser”, das sagt Handke von Hermann Lenz; das sagt er von sich selbst. Und was er über gute Filme, über Gemälde und einige Romane schreibt, gilt vielleicht von aller Kunst, jedenfalls von seiner: Sie zeigt das Weite, das Hochgebirge und die Niederung, also die Hoffnung und das Kleine, fast schäbige Kranke, Kritische. Darüber nachzudenken, gibt Handkes facettenreiches kleines Buch willkommenen Anlass.
KURT FLASCH
PETER HANDKE: „Mündliches und Schriftliches”. Zu Büchern, Bildern und Filmen 1992 – 2002. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 166 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2002

Der kurze Text zum langen Heimweg
Der Mann, den Liberty Valance ergriff: Peter Handkes verstreute Lobreden über Film, Literatur und Kunst / Von Andreas Kilb

Es gibt gute Gründe, dem Dichter Peter Handke zu mißtrauen. Sie liegen offen zutage in seinen Büchern und Texten, vor allem in jenen, in denen er nicht dichtet, sondern redet. Etwa über Jugoslawien, das "neunte Land", und seinen Neuntöter, den einstigen Staatslenker Milosevic, nun angeklagt einiger Menschheitsverbrechen, die er, so Handke, womöglich nicht begangen hat. Das Reden hat sich in den letzten Jahren bei Handke gewissermaßen selbständig gemacht, es ist in seine poetische Sprache eingedrungen, die zuvor, in den "Versuchen", so knapp und klar die Welt umschrieb. Nun dehnt sie sich zur Litanei, auf den gut tausend Seiten der "Niemandsbucht", den knapp achthundert des "Bildverlusts". Die Einsamkeit der Sierra de Gredos, in der sein jüngster Roman spielt, ist auch die Einsamkeit Handkes geworden, und die Krankheit des Eremiten, das Unvermögen, dem monologischen Fluß der Worte Einhalt zu gebieten, hat auch ihn erfaßt.

Aber nicht hier, nicht in diesem Band. Hier faßt der Dichter sich kurz, weil er in Gesellschaft ist. Er redet vor Publikum, vor einer ganz bestimmten Leser- oder Zuhörerschaft, und der Ort, an dem er spricht, begrenzt die Dauer seiner Rede - seien es die Spalten der "Zeit", der "taz" und der "Frankfurter Rundschau" oder die Festsäle diverser Preisverleihungen. Und weil er sich beeilen, weil er zum Punkt, zum Satz kommen muß, findet er Sätze von kristallener Härte. "Sie hat die Zwischenräume nicht mehr frei gelassen", schreibt er über die späte Marguerite Duras und über Hermann Lenz: "Du berührst die Wörter nicht und baust doch ein Haus." Handke, als Festredner und Zeitungskolumnist, berührt die Wörter ohne Scheu - jedenfall mit viel weniger Scheu als der Dichter Peter H., der hinter Fragezeichen und Relativierungen in Deckung geht. "Das Volk gibt es, denn ich habe es, zum Beispiel vor dem Hintergrund der Filme des Abbas Kiarostami, erlebt." Solche Entdeckungen sind kostbar, und wer sie, statt etwa auf Balkan-Reisen, im Kino macht, braucht das Gegenbeispiel nicht zu fürchten. Seine Rede ist Jaja und Neinnein, sie hat die Kraft der Evidenz. Mit Worten baut er den Bildern ein Haus.

Siebzehn kurze und halblange Texte aus den vergangenen zehn Jahren versammelt der Band, und wer zwischen den älteren und den jüngsten Texten nach Spuren einer Entwicklung, einer Veränderung sucht, wird überrascht sein: Es gibt sie nicht. Der Handke, der den letztjährigen Hermann-Lenz-Preisträger Ralf Rothmann für seine "mit Absicht verschmutzte Sprache auf der Suche nach Reinheit" lobt, ist derselbe, der in einem alten "Zeit"-Aufsatz dem Regisseursduo Straub/Huillet bescheinigt, die beiden seien "ein schreckliches Paar", dessen "augen- und ohrenöffnende Schocks" ihn im Kino gleichwohl tiefer erfrischten als "die inzwischen vampirisch gewordene Magie" Hollywoods. Auffällig ist dennoch, daß das Sprechen über Filme, das zu den ursprünglichen Beweggründen von Handkes Schreiben zählt, zurücktritt hinter dem Reden über Kunst und Literatur.

Und das ist schade. Natürlich erfährt man gern von unserem Dichter, daß ihm die Malerei Anselm Kiefers als "etwas Gefährliches" und die von Zoran Music als "Karte eines anderen Europa" erscheint. Oder daß Emil Schumachers Gemälde "Gleichnisse jenes uralten Hin und Her, Einander-Durchdringens zwischen zwanglosem Reden und kodifiziertem Aufschreiben" sind. Aber was ist mit den ganz anderen Gefährdungen, mit denen etwa das ekstatische, antipolitische Kino von Handkes Freund Emir Kusturica ringt? Was mit der augenöffnenden Wirkung des dänischen Dogma-Projekts? Welches Gleichnis steckt in der augenblicklich stattfindenden filmischen Machtergreifung der handgehaltenen Digitalkamera? Wenn man liest, was Handke Anfang der neunziger Jahre über die Filme von Straub/Huillet, Kiarostami und Tarantino - bei dem er eine "gar nicht so von Rohmer entfernte Subtilität und zugleich Beiläufigkeit der Reden" feststellt - geschrieben hat, möchte man bedauern, daß diese Stimme verstummt ist.

Denn dieser Dichter kann schwärmen wie selten einer. "Damals mit ,La Notte' erfuhr ich zum ersten Mal, weit über alle die Selbstgefühle hinaus, so etwas wie ein Weltgefühl." - "Ja, nach ,The Man Who Shot Liberty Valance' bekam ich Appetit auf die Welt: den Wind, den Asphalt, die Jahreszeiten, die Bahnhöfe . . .". Und immer wieder die Heimwege nach der Vorführung: "Mit nichts auf der Welt hat es für mich solche Heimwege gegeben wie zuzeiten nach dem Kino, nach der ,Reise nach Tokyo' von Ozu, nach ,Andrej Rubljow' von Tarkowski, nach ,Mouchette' von Bresson, nach ,El Nazarín' von Buñuel."

Heimweg, Heimweh, Heimkehr. Das Kino ist für Handke allgemach zum Hort der Erinnerung geworden, zum Gedächtnisalbum des eigenen Lebens. Worum er sich in seiner Romanprosa oft selbst- und sprachquälerisch bemüht, ohne es zu erreichen, das gelingt ihm hier mühelos: die Beschwörung des einen großen Moments, in dem ein Kunstwerk oder ein Erlebnis sich zur Erfahrung verdichtet. Wie er die Schlußeinstellung aus Abbas Kiarostamis Film "Quer durch den Olivenhain" beschreibt, den Weg des jungen Mannes die Böschung hinunter zu der Geliebten, das Verschmelzen der beiden Gestalten in der Ferne, schließlich die Umkehr und den Rückweg Hosseins, ohne daß der Betrachter wüßte, ob sein Antrag Erfolg gehabt hat, das ist Handke at his best, vergleichbar den schönsten Passagen aus "Wunschloses Unglück" oder dem "Kurzen Brief zum langen Abschied". Das "epische Problem", das unser Dichter seit gut zwanzig Jahren in immer neuen Anläufen formuliert, das Problem der reinen, durch keinerlei polemischen Impuls verzerrten poetischen Rede, ist in diesen Zeilen ganz nebenbei gelöst. Im Angesicht der Leinwand findet Handke zu jener Melodie des Rühmens, nach der sein Schreiben sich immer gesehnt hat.

Aber der Dichter Handke, und das ist ein Dilemma seiner Kunst, kann nichts sagen oder tun, ohne zugleich darüber zu räsonieren. Er haßt die Polemiker - und polemisiert fleißig gegen sie. So preist er den Filmwissenschaftler und -kritiker Helmut Färber, dem er 1994 die Laudatio zum Petrarca-Preis hält, für seine in der "Süddeutschen Zeitung" der sechziger und siebziger Jahre erschienenen Texte zum Kino, die "aus lauter Abweichungen, so leichten wie ernsten", bestünden; und wirklich möchte man jenen Bericht über ein Science-fiction-Filmfestival in Triest, in dem Färber statt über die gezeigten Filme über "ein Schaufenster in der Triester Innenstadt mit phantastischen Weltraumfiguren, geknetet, händisch, aus Marzipan, samt Nachtbeleuchtung" schrieb, unbedingt in voller Länge nachlesen, schon aus Appetit auf diese süße Welt. Doch dann kann es sich Handke nicht verkneifen, sein Lob Färbers mit einer Verdammung jener anderen (sprich: aller anderen) Filmkritiker zu verbinden, "denen die eigene Intelligenz so viel mehr gilt als . . . die so andersartige Intelligenz in ihrem jeweiligen Gegenstand", die "Veröffentlicher", die mit ihrem "lieblosen Scharfsinn", ihren "blödlässigen ahnungslosen Kintoppvisagen" das kinematographische Kunstwerk zerredeten.

Wo einer so verletzend dreinschlägt, hat er meist selbst eine Verletzung zu verbergen; und tatsächlich wurde Handkes zweiter und bisher letzter Spielfilm "Die Abwesenheit" (1992) bei seiner Kinopremiere von der Kritik ziemlich übel abgefertigt. Nur wird das, was er mit seiner Beschimpfung meint, die Abgrenzung des nichtanalytischen, beschreibenden, "dienenden" Redens über Film vom vernichtenden Scharfsinn, trotzdem nicht evident. Denn in alldem, was er von Färber zitiert, erweist sich dieser als ebenso scharfsinnig und polemisch wie nur je ein Filmkritiker, freilich ohne jene Verbeugung zum Publikum hin, auf die Redakteurskarrieren gebaut sind. So hält er sich rein von den Alltäglichkeiten der Kulturkritik, ein "Sehdenker" und "Erstbesteiger" (Handke) der Kinematographie. Und in dieser selbstgewählten Einsamkeit ist er des Dichters Freund.

Peter Handke: "Mündliches und Schriftliches". Zu Büchern, Bildern und Filmen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 166 S., geb., Abb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Dass Peter Handke als Kritiker zu lesen lohnt, steht für Rezensent Michael Rutschky seit dem Band "Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms" (1972) außer Frage. Auch sein nun vorliegender Band "Mündliches und Schriftliches - Zu Büchern, Bildern und Filmen 1992 - 2002" hat Rutschky vollauf überzeugt. In einer sehr persönlich gehaltenen Besprechung zeigt sich Rutschky unter anderem darüber erfreut, dass Handke sich von zwei Regisseuren begeistern ließ, "die auch gleich meine Favoriten waren: Quentin Tarantino und Atom Egoyan". Die "Kinogeher" Handke und Rutschky stimmen auch sonst in vielem überein, etwa in der Beobachtung, die Rutschky für sein "höchstpersönliches Eigentum" hielt, nämlich dass Tarantino mit Eric Rohmer vergleichbar sei, und dass wir gewissen amerikanischen Regisseuren inzwischen die Filme verdanken würden, mit denen uns früher die französischen erfreuten. Neben den Schriften zum Film haben Rutschky auch Handkes Schriften zur Kunst, etwa zur Malerei Emil Schumachers, begeistert, während Handkes Lobreden auf Schriftsteller in diesem Band "weit weniger Wirkung" auf den Rezensenten zeitigen. Was Rutschky auch "nicht so richtig" versteht, was vielleicht aber auch unwichtig sei. Handke ähnle dem Esser, erklärt Rutschky: Der Esser, habe er die Speise erst mal im Mund, könne und müsse sich nicht mehr gegen ihren Geschmack wehren. "Es ist der primäre Kontakt", resümiert Rutschky, "der Handke als Kritiker sofort mit seinen Gegenständen verbindet, der seine Arbeiten so lesenswert und lehrreich macht."

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