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War Großbritannien 1945 noch eine der Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkrieges und Zentrum des größten Weltreichs der Geschichte, so wurde das Land bis 1971, als es seine letzten Truppen aus Übersee abzog, auf den Status einer europäischen Mittelmacht in der NATO reduziert. Die 25 Jahre zwischen diesen beiden Zäsuren waren für das britische Militär angesichts eines stetig schrumpfenden Verteidigungshaushalts von einem immer schärfer werdenden Wettbewerb um Budgetanteile zwischen Denkschulen, Teilstreitkräften und Waffengattungen geprägt. Das Konzept der nuklearen Abschreckung konkurrierte mit…mehr

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Produktbeschreibung
War Großbritannien 1945 noch eine der Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkrieges und Zentrum des größten Weltreichs der Geschichte, so wurde das Land bis 1971, als es seine letzten Truppen aus Übersee abzog, auf den Status einer europäischen Mittelmacht in der NATO reduziert. Die 25 Jahre zwischen diesen beiden Zäsuren waren für das britische Militär angesichts eines stetig schrumpfenden Verteidigungshaushalts von einem immer schärfer werdenden Wettbewerb um Budgetanteile zwischen Denkschulen, Teilstreitkräften und Waffengattungen geprägt. Das Konzept der nuklearen Abschreckung konkurrierte mit der Vorbereitung auf den mechanisierten Großkrieg in Europa und den Anforderungen der Kolonialkriege in Übersee, von denen Großbritannien während der Dekolonisation mehr führte als jede andere Großmacht. Unterschiedliche Visionen vom Krieg der Zukunft waren die Hauptargumente in diesen Debatten über rivalisierende Strategien, die ihre Verfechter vorrangig in der britischen Militärpublizistik austrugen. Dierk Walter hat anhand von rund 3500 Artikeln aus repräsentativ ausgewählten Militärzeitschriften diese Szenarien vom Zukunftskrieg untersucht, die den unauflösbaren Widerspruch zwischen Anspruch und Mitteln, Selbstbildern und Handlungsspielräumen spiegelten. Konkret ging es neben Fragen des Zeitpunkts, des Ortes und der Dauer zukünftiger Kriege um Waffensysteme, Ausrüstung, Taktiken, Doktrinen, Ressourceneinsatz, Mobilisierung, Strukturen oder Organisationsmuster. Entstanden ist eine dichte Analyse konkurrierender Ideen und Vorstellungen, die die geradezu albtraumhafte Vielfalt der Anforderungen illustriert, denen sich die britischen Streitkräfte in der Anfangsphase des Kalten Krieges glaubten stellen zu müssen. Sie veranschaulicht, wie in diesem oft von Ängsten und Rassismus geprägten Diskurs die Grenzen zwischen Militär und Zivilgesellschaft verwischt wurden. Die Lösungsmöglichkeiten, die die Militärpublizistik für den Konflikt zwischen den konkurrierenden Kriegsbildern entwarf, können lehrreich sein für andere Militärapparate, die mit widersprüchlichen oder sich wandelnden Einsatzszenarien konfrontiert werden - wie etwa die deutsche Bundeswehr. Dierk Walters Studie ist ein wichtiger Beitrag zu einer Militär- und Gesellschaftsgeschichte des Kalten Krieges, die sich von dem in Deutschland noch immer vorherrschenden Bild einer im Kern bipolaren, starren Konfrontation zweier Supermächte beidseits eines Schlachtfeldes Mitteleuropa abhebt. Sichtbar wird eine wesentlich komplexere, offenere internationale Situation, in der dritte Mächte durchaus eigene Anschauungen und Interessen vertraten. Die britische Erfahrung macht auch deutlich, auf welchen intellektuellen Fundus die seit den 1990er Jahren wieder verstärkt geführten Debatten um Aufstandsbekämpfung und Anti-Terror-Strategie zurückgreifen.
Autorenporträt
Dierk Walter, PD Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich »Theorie und Geschichte der Gewalt« des Hamburger Instituts für Sozialforschung und Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Bern (Schweiz). Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Geschichte der Europäischen Expansion und die Militärgeschichte der westlichen Welt seit dem 18. Jahrhundert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.11.2009

Knappe Mittel
Debatten um Kriegsbilder in den britischen Streitkräften

Niemals zuvor ist in der neueren Weltgeschichte eine im Krieg siegreiche Nation derart rasant abgestiegen wie das Vereinigte Königreich nach 1945. Nicht nur der Zerfall des Empire, sondern auch die in weiten Teilen die Geschicke der Menschheit bestimmende Supermächtekonfrontation zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion versinnbildlichen den galoppierenden Bedeutungsverlust Großbritanniens. Was für London in diesem Ringen blieb, war die Rolle des amerikanischen Juniorpartners. Dass dieser Niedergang die politischen Eliten vor größte Probleme gestellt hat, liegt auf der Hand. Und doch kann aus der Rückschau festgehalten werden, dass britische Staatsklugheit diesen säkularen Prozess mit kühler Umsicht kanalisiert und damit auch abgefedert hat. Nichtsdestotrotz ist in der Geschichtswissenschaft der imperiale Abstieg mittlerweile zu einem Topos geronnen. Historiker unterbieten sich mit immer neuen Anfangsdaten dieser Verfallsgeschichte. Zuweilen kann sich der Leser des Eindrucks nicht erwehren, dass das britische Empire niemals existiert habe, obwohl es dem Gang der Weltgeschichte über weit mehr als 200 Jahre nachhaltig seinen Stempel aufgedrückt hat.

Dieser Gefahr erliegt Dierk Walter nicht. Der ausgewiesene Militärhistoriker schildert auf breiter Quellenbasis - vornehmlich zeitgenössischen Militärzeitschriften - Gedanken und Überlegungen des britischen Offizierkorps über die Kriege der Zukunft. Es ist ein Vorzug des Buches, dass Walter sich nicht ausschließlich auf die Diskursgeschichte verlässt. Er weist in seiner Einleitung darauf hin, dass Großbritannien zwischen 1945 und 1992 mehr Kriege geführt hat - immerhin 18 - als jede andere Nation auf der Welt. Kurzum: Das britische Militär ist ein nahezu idealer Untersuchungsgegenstand, da es nicht nur in zahlreichen Kriegen kämpfte, sondern auch wie kaum einen andere Streitmacht mit unterschiedlichen Anforderungen konfrontiert worden ist. Es geht dem Autor in letzter Konsequenz um die Nachzeichnung zuweilen leidenschaftlich geführter Diskussionen sowie um die Identifikation eines verbindlichen Kriegsbildes, das es nie gegeben hat, ja nicht geben konnte. Dieser Befund vermag mit Blick auf die äußerst heterogene strategische Gesamtlage Großbritanniens nicht zu überraschen.

Auch die Ergebnisse zu den "Konjunkturen einzelner Kriegsbilder", die Walter deutlich herausarbeitet, sind wenig frappierend. Dass diese Phasen sich in letzter Konsequenz weniger an britischen Spezifika orientierten, die allerdings vom Autor betont werden, sondern in erster Linie der Entwicklung des Kalten Krieges mit seinem typischen Wellenverlauf entsprechen, ist ein weiteres Resultat, das keineswegs als grundstürzend zu erachten ist. Im Grunde war die prägende Kraft der Supermächtekonfrontation so stark, dass ein spezifisches Ausscheren der britischen "Kriegsbilddebatten" aus den allgemeinen Diskussionen der "strategic community" wohl weithin als Realitätsverlust abgetan worden wäre.

Der Autor veranschlagt allerdings diese diskursgestaltende Potenz des Kalten Krieges recht gering und fokussiert seinen Erklärungsansatz auf die begrenzten Ressourcen des britischen Königreichs bei gleichzeitiger Explosion der Kosten für Rüstung und Sold. Folgerichtig bewertet er die leidenschaftlich geführten Debatten letztlich als einen "Kampf um die Deutungshoheit", um den jeweiligen Teilstreitkräften knappe Budgetmittel zu verschaffen. Gewiss argumentierte die übergroße Mehrheit der Verfasser der untersuchten Aufsätze und Denkschriften jeweils vom Standpunkt der Armee, der Luftwaffe oder der Marine, doch sollten diese Streitigkeiten zwischen den Teilstreitkräften nicht überbewertet werden. Dies zumal, da sich - wie der Autor freimütig in einer Fußnote einräumt - die budgetären Vorgaben der politischen Führung in Whitehall während des Untersuchungszeitraums kaum verändert haben: "Mit Ausnahme der Jahre 1957 bis 1963, in denen die Luftwaffe, und 1966 bis 1969, in denen die Marine knapp vor der Armee bzw. gleichauf mit ihr lag, erhielt die Armee mit 30 bis 40 Prozent stets den größten Anteil des Verteidigungsbudgets."

Wenn allerdings die Zahlen über die Jahre relativ konstant geblieben sind, dann liegt der Schluss nahe, dass die "Kriegsbilddebatten" der Streitkräfte keinen allzu großen Einfluss zum einen auf die Erwägungen der politischen Entscheidungsträger und zum anderen auf den faktischen Verlauf der britischen Außenpolitik genommen haben. Zweifelsohne wissen wir nach der Lektüre der handwerklich soliden Studie viel mehr über die konkurrierenden Kriegsbilder innerhalb der britischen Militärelite, doch bleibt die grundsätzliche Frage: So what?

HARALD BIERMANN

Dierk Walter: Zwischen Dschungelkrieg und Atombombe. Britische Visionen vom Krieg der Zukunft 1945-1971. Hamburger Edition, Hamburg 2009. 538 S., 35,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hm. Wozu diese freilich "grundsolide" Studie über die Gedankenlage und die "konkurrierenden Kriegsbilder" des britischen Offizierskorps eigentlich gut sein soll, muss sich der Rezensent in einer ruhigen Minute noch mal überlegen. Vorerst weist uns Harald Biermann auf den das abstiegsfokussierte Verständnis des British Empire korrigierenden Charakter der Arbeit hin. Bemerkenswert findet Biermann die breite Quellenbasis, auf der Dierk Walter die zahlreichen Kriege des Empires und die daraus folgenden Diskussionen über ein verbindliches "Kriegsbild" analysiert. Im Ergebnis bleibt das Buch für Biermann allerdings enttäuschend absehbar.

© Perlentaucher Medien GmbH