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Thomas Lehrs beeindruckender Debütroman.
Ein beeindruckender Debütroman
Die Helden der Ilias erwachen zu neuem Leben. Sie sehen sich verwandelt in Autoren, Verleger und Kritiker - und wieder befinden sie sich in einer Schlacht um Reichtum, Ruhm, Macht und Liebe. Im Mittelpunkt steht der Schriftsteller Zweiwasser, dessen Weg zum Erfolg von seltsamen Todesfällen gesäumt ist und dessen Bücher Eingang finden in eine alles verschlingende "Bibliothek der Gnade". Lehrs Roman ist ein Balanceakt zwischen einem Thriller und dessen Parodie, voller Anspielungen an wissenschaftliche Theorien, Mythen,…mehr

Produktbeschreibung
Thomas Lehrs beeindruckender Debütroman.
Ein beeindruckender Debütroman

Die Helden der Ilias erwachen zu neuem Leben. Sie sehen sich verwandelt in Autoren, Verleger und Kritiker - und wieder befinden sie sich in einer Schlacht um Reichtum, Ruhm, Macht und Liebe. Im Mittelpunkt steht der Schriftsteller Zweiwasser, dessen Weg zum Erfolg von seltsamen Todesfällen gesäumt ist und dessen Bücher Eingang finden in eine alles verschlingende "Bibliothek der Gnade". Lehrs Roman ist ein Balanceakt zwischen einem Thriller und dessen Parodie, voller Anspielungen an wissenschaftliche Theorien, Mythen, Science-Fiktion-Motive und vieles mehr - ein Buch der großen Leidenschaften und der tausend Morde.
Autorenporträt
Thomas Lehr, 1957 in Speyer geboren, lebt in Berlin. Er wurde für sein Werk mehrfach ausgezeichnet. Er veröffentlichte u.a. die Romane 'Nabokovs Katze' (1999), 'Frühling' (2001), '42' (2005, Shortlist Deutscher Buchpreis) und 'September. Fata Morgana' (2010, Shortlist Deutscher Buchpreis).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.11.1995

Schweig oder stirb
Phänomenologie der Dünnhäuter: Thomas Lehrs matte Helden

Manchmal trifft man auf Leute, denen sieht man an der Nasenspitze an, daß sie direkt vom Nebentisch in einen Roman gehoben wurden. Sie sind genau so, wie man sich die Leute von nebendran immer schon vorgestellt hat, und die Vermutung gewinnt in manchen Fällen die Oberhand, daß es sich hierbei sogar um enge Bekannte des Autors und vielleicht sogar um diesen selbst handelt. Die Geschichten mögen, eine gewisse Ironie des Autors vorausgesetzt, dennoch gelingen, und die Leute vom Nebentisch können in der neuen, künstlichen Umgebung durchaus eine gute Figur machen. Sobald aber der Ernst mit dem Dichter durchgeht, sieht es in der guten Stube finster aus.

In diesem Sinne schon beachtenswert ist die feine Ironie, mit der Thomas Lehr in seinem neuen Roman "Die Erhörung" einen Helden mit dem Namen Anton Mühsal auf einen Weg schickt, der als eine wahre Passion angelegt ist. Von Haus aus Historiker und seit Kindesbeinen von einem Schock verfolgt, phantasiert sich ein Schwerblüter um Kopf und Kragen. Er lädt sich auf seine Schultern das Elend dieser Welt, und solcherart zu Boden gedrückt, wird ihm jede Aussicht in seine und der Menschheit Zukunft düster. Bis dann der Liebe holde Hand ihn wieder aufzurichten vermag.

Hier leidet einer selbstredend stellvertretend. Antons Wahn ist eine Psychose, die dem Sinn des Lebens allgemein und im Einzelfall den Spiegel vorhalten soll. Der Held wuchs bei seinen Großeltern auf und der Großvater zur vollen Größe eines Übervaters heran. Er besiegelte schließlich das Schicksal der kindlichen Seele seines Enkels. Antons Opa hatte bei den Internationalen Brigaden gekämpft und die schaurigen Erinnerungen an qualvolle Tage und Erlebnisse in Bildern festgehalten. Der Enkel sah, was für seine Augen nicht bestimmt war, und war darauf für sein Leben gezeichnet. Der Großvater starb, und Anton studierte Geschichte, bezog Quartier in einer echten Berliner Wohngemeinschaft und erschrieb sich den akademischen Grad mit einer in seinen melancholisch trüben, wenn auch wissenden Augen wichtigen Arbeit über die deutsche Novemberrevolution 1918.

Es kam dann, wie es kommen mußte. Es griff die kalte Hand einer von allen guten Geistern verlassenen Welt nach Anton und hielt sein ganzes Dichten und Trachten fest in ihren fünf eisigen Fingern, als da sind Tod, Trauer, Leiden, Elend und Hoffnungslosigkeit. Mit dem zum Slogan verkommenen und in der dicken Luft von tief nachdenklichen Gesprächen liegenden Satz Adornos, es gäbe kein richtiges Leben im falschen, zog in der Folge dieser schweren Last der Held Anton Mühsal einen Schlußstrich unter alles bescheidene und bornierte Leben, das den Millionen von Toten und Opfern nicht ins Gesicht sehen könnte. Das geschah nicht still und leise.

Mit dem Selbstbewußtsein eines Berliner Hiobs begann das zornige Hadern und Zähneklappern. Der dünnhäutige Anton wich nicht vor dem Donnerwort des Unheils zurück, bahnte sich seinen an Zitaten und Anspielungen dornigen Weg durch Visionen apokalyptischer Macht und stand in Zwiesprache mit Engeln, die das Heil zu verkünden verlernt hatten. Dank eines Autors, der Sinn für psychologisch eindeutige Lagen hat, traf, was sich erfüllen mußte, den Leser nicht unvorbereitet. Als Mühsal also endlich restlos vom Boden abhob und im Wahn untertauchte, fand er sich in einer Anstalt wieder, in der ein Psychiater ihm sein Krankheitsbild vor die Nase hielt.

Glücklicherweise hat der ebenso belesene wie geschickte Autor daran gedacht, die Psychose seines Helden an die geschichtsträchtigen Bilder des Opas zu binden. Damit schnappt der Plot zu, der persönliche Wahn hat seinen wahren Grund im Grauen der Vergangenheit, die Psychose ist kein welkes Blümlein, sondern der Lebensbaum aus Urzeiten, die Achse dieser Welt schlechthin. Diese Last hängt an der Geschichte von Anton Mühsal wie ein Klotz am Bein. Was bleibt, sind gelungene Bilder und ein vergebliches Bemühen, aus einer Idee einen Roman zu extrahieren.

Unter streckenweise peinlicher Aufbietung überreifer Lesefrüchte und beklemmend zurechtgerückter Lebenseindrücke wird die Psychose des Berliner Schmerzenmannes an geschichtsphilosophisch wattierten letzten Fragen aufgehängt. Und mit jedem der bitter ernst gemeinten Sätze verlängert sie sich in eine den Gedankenschweren belebende Glückseligkeit, bis sich der Eindruck verfestigt, daß der Autor sich für ein heldisches Ich als Erzähler entschied, weil ihm alle Distanz zu Anton Mühsal abhanden gekommen ist.

Um Abstand zur Heldenverehrung zu gewinnen, so könnte man vermuten, habe sich der Autor der Mühe unterzogen, einen weiteren Roman zu schreiben. "Zweiwasser oder Die Bibliothek der Gnade" ist indessen bereits vor zwei Jahren erschienen und wurde damals auf den Rauriser Literaturtagen als bestes deutschsprachiges Prosadebüt ausgezeichnet. Vom Literaturhaus Hamburg erhielt der Autor den Mara-Cassens-Preis. Das vielgelobte Debüt ist das zweite Buch des Autors, aber das erste, das Thomas Lehr der lesenden Öffentlichkeit ans Herz legte.

Zweiwasser ist ein Schriftsteller, wie er im Buche steht, ein Mensch, der alles auf sein Wort gesetzt hat und den Becher dieses Schicksals bis zur Neige leeren wird. Im heroischen Bewußtsein antikischer Größe nimmt er Haltung vor einem Feind an, der kein Gesicht, sondern nur System hat. So scheitert Zweiwasser an der Ignoranz der Verlage, die von seinem Manuskript nichts wissen wollen, bis eines Tages die Wendung zum Erfolg glückt. Für den tapferen Wortkämpfer aber kommt die hilfreiche Hand zu spät, er hat sich in einem Anfall von Wut um sein Leben gebracht. Tot war der Dichter, und so konnte er nicht mehr sehen, daß sein Wunsch nach Unsterblichkeit in Erfüllung ging, als sein Buch das Licht dieser wortvergessenen Welt erblickte.

Zweiwasser wäre nun nicht der moderne Stadtindianer, als welcher ihn sein Autor angemalt hat, wenn er nicht immer und überall ganz Botschaft wäre. Und so sind alle in dieser Geschichte versammelten Gespräche Zeugnisse einer bleichgesichtigen Zivilisation, der theoretisch beizukommen der Autor keine Gelegenheit ausläßt. Daß daraus kein Essay wurde, sondern ein Roman, läßt sich hier nur mit der auch an den satirischen Möglichkeiten sich entfachenden Fabulierfreude des Autors erklären, der die Leute vom Nebentisch so lange beim Wort nimmt, bis ihm die Lust an der Geschichte vergeht. So müssen gegen Ende des Romans alle rasch ins Gras beißen, die den Mund nicht halten konnten und über sich und die Welt parlierten.

Dem Autor dieser beiden Romane macht das Erzählen offensichtlich Spaß, und er verfolgt es mit dem sportlichen Ehrgeiz dessen, der seine Disziplin gefunden hat. Daß er sich dabei intellektuell herausgefordert fühlt, mag ihn ehren, stellt aber seinen Geschichten ein Bein, bevor sie überhaupt ins Laufen kommen. Wenn sie schließlich doch über allen ausgehobenen Gedankentiefsinn hinweg ans Ende gelangen, haben sie nur einen engen Kreis beschrieben, in dessen Mitte der dem Heldengesang immer noch völlig hingegebene Autor selber steht. EBERHARD RATHGEB

Thomas Lehr: "Die Erhörung". Roman. Aufbau Verlag, Berlin 1995. 463 S., geb., 44,- DM.

"Zweiwasser oder Die Bibliothek der Gnade". Roman. Rütten & Loening, Berlin 1993. 359 S., geb., 36,- DM.

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