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Zeitgeistjournalismus, wie er sich in Deutschland besonders in der »Tempo« zeigte, stellte in den 1980er Jahren einen wichtigen Kontext von Popliteratur dar. Er verstärkte und prägte die Lifestyle-Richtungen der Zeit, ihre Wertmaßstäbe sowie Darstellungsweisen und lieferte die ästhetischen Grundlagen für das Entstehen einer Oberflächenästhetik in der Literatur. Der bunte, leicht zu konsumierende, modische Prätext rückt die Unliebsamkeit der Popliteratur innerhalb der deutschsprachigen Literaturgeschichte erstmals in den Vordergrund.Kristin Steenbock schlägt einen neuen, kritischen und…mehr

Produktbeschreibung
Zeitgeistjournalismus, wie er sich in Deutschland besonders in der »Tempo« zeigte, stellte in den 1980er Jahren einen wichtigen Kontext von Popliteratur dar. Er verstärkte und prägte die Lifestyle-Richtungen der Zeit, ihre Wertmaßstäbe sowie Darstellungsweisen und lieferte die ästhetischen Grundlagen für das Entstehen einer Oberflächenästhetik in der Literatur. Der bunte, leicht zu konsumierende, modische Prätext rückt die Unliebsamkeit der Popliteratur innerhalb der deutschsprachigen Literaturgeschichte erstmals in den Vordergrund.Kristin Steenbock schlägt einen neuen, kritischen und informierten Perspektivwechsel auf deutschsprachige Popliteratur vor und beleuchtet Themen wie Gender Bias, Postheroismus und den westdeutschen Blick über die wiedervereinigte Nation hinweg.
Autorenporträt
Steenbock, KristinKristin Steenbock (Dr. phil.), geb. 1986, forschte und lehrte als Stipendiatin am Fachbereich Sprache, Literatur und Medien der Universität Hamburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.07.2020

Der Zeitgeist trägt Barbourjacke
Geblieben sind die Spuren: Kristin Steenbock zeichnet die Geschichte des Magazins "Tempo" nach

Zehn Jahre lang gab es in Deutschland eine Zeitschrift namens "Tempo", die so prägend für den Journalismus hierzulande werden sollte wie keine Veröffentlichung seither. Sie bewegte sich mit auffälligem Layout und sehr eigenem, oft radikal subjektivem Stil irgendwo zwischen dem amerikanischen Vorbild des "New Journalism", Popmusikjournalismus und Boulevard und prägte eine ganze Generation an Schreibern. Nicht nur Journalisten, sondern auch literarische Autoren, zum Beispiel den einstigen Volontär Christian Kracht, der seinen Debütroman "Faserland" an einem Redaktionsrechner verfasste. Das müsste die Germanistik ja eigentlich im Blick haben, denkt man.

Hat sie aber nicht so richtig, und so hat Kristin Steenbock in ihrer Dissertation alle Hände voll zu tun, überhaupt einmal grob die Spannungsfelder abzustecken. "Zeitgeistjournalismus" ist die Publikation übertitelt, und darunter: "Zur Vorgeschichte deutschsprachiger Popliteratur: Das Magazin ,Tempo'". Die Zeitschrift, die 1986 erstmals erschien, hatte zwar vage Vorläufer, aber setzte sich dennoch mit ihrem Anspruch an Stil und Unterhaltung einerseits und ihrem Vorbeischrammen an allen etablierten Vorstellungen von journalistischer Qualität andererseits zwischen sämtliche Stühle.

Da wäre zum einen der Pop und das Schreiben über Pop, was beides einmal subversiv war. Diese Haltung kommt jedoch im Laufe der achtziger Jahre abhanden, und "Tempo" schafft es, sich genau durch diese fehlende Subversion Feinde links und rechts, oben und unten zu machen. "Der Zeitgeist hat gestylte Narzissgestalt angenommen", begrüßte ein wenig begeisterter Autor dieser Zeitung die "Tempo"-Neugründung. Diedrich Diederichsen war deutlicher und attestierte "Tempo" eine "vollkommen grenzenlose Widerwärtigkeit", während der "Tempo"-Chefredakteur Markus Peichl Diederichsen wiederum "im Führerbunker der Subkultur" verortete.

Schließlich machte "Tempo" Identifikationsangebote für eine "postheroische" Generation, die nach den prägenden Achtundsechzigern in ein klaffendes Bedeutungsvakuum vorstieß, nicht so recht wusste, wogegen und wofür sie sein sollte, und es zur Abwechslung einmal mit völligem Unpolitischsein versuchte. Diese angebliche Generation, an die sich "Tempo" richtete, war allerdings eher nur ein Teil einer Generation, nämlich eindeutig westdeutsch, männlich, heterosexuell, etwa zwischen zwanzig und vierzig Jahre alt und von höherem Bildungs- und Einkommensniveau. Ungefähr so wie die meisten Redakteure. Dieses Konzept eines zeitgeistigen Generationenbegriffs ist, würde man heute sagen, eher schlecht gealtert.

Was aber findet man nun vor in diesem Magazin? Vor allem das Verhältnis zum Thema Konsum ist ein äußerst ambivalentes. Einerseits bietet das Heft viel Platz für bunte Anzeigen - Werbung wird in den achtziger Jahren vorübergehend als Kulturprodukt anerkannt, Werber sind kreative Vorbilder -, und es wird fröhlich affirmierend drumherum geschrieben, andererseits verachtet man Feindbilder wie den "Luxuszombie" oder den vielgeschmähten "Yuppie", den kalten, haltlos konsumierenden Karrieremenschen. Das Kuratieren ausgewählter Luxusgüter findet sich später in den Texten der Popliteraten wieder, in denen intensiv verhandelt wird, was nun geht oder gerade noch oder schon wieder.

Man denke etwa an die ewige Barbourjacke in der deutschen Popliteratur der neunziger Jahre, an den Gesprächsband "Tristesse Royale", für den sich fünf Autoren im Hotel Adlon trafen, oder an Christian Kracht und Benjamin von Stuckrad-Barre als Werbemodels im "Peek & Cloppenburg"-Blättchen. Wie stark ironisch gebrochen diese Affirmation genau ist, lässt sich kaum bestimmen.

Deutlich weniger kompliziert ist die Haltung von "Tempo" zu Frauen. Die haben idealerweise nichts an oder sind unkomplizierte nette "Mädchen". Diese Haltung wird vermittelt durch Rankings wie der "97 nettesten Mädchen Deutschlands", samt Überlegungen, wie man - also: Mann - sie vielleicht "kriegen" kann. Oder einen Test für Leserinnen, in dem vor allem eine unfeministische, kompromisslos sexpositive Haltung mit Punkten belohnt wird; aber Kinder soll man - also: Frau - bei aller Liebe zu knappen Dessous dann doch unbedingt auch bekommen wollen. Liebe zur Freiheit schon, aber allzu eigensinnig sollten Frauen doch lieber nicht sein, sonst werden sie unattraktiv für Männer. Auch das ist ein Abgrund, in den es sich noch ausführlicher zu schauen lohnte.

Irgendwann war dann die große Party vorbei. Sie war, glaubt man einem in "Dummy" erschienenen Rückblick der ehemaligen Redakteurin Bettina Röhl, schon bald weniger glamourös als vielmehr von einer gewissen Selbstausbeutung getrieben worden. Es kam im Jahr 2006 zu einem sehr kurzen Revival in Form eines Gedenkheftes, in dem alle noch einmal schreiben durften, und auch jene, die eigentlich dazugehört hätten, aber vielleicht seinerzeit zu jung gewesen waren. "Ein einziger großer Männerfreundeskreis", schrieb Reinhard Mohr dazu im "Spiegel".

Geblieben sind aber die Spuren - in den Büchern von Christian Kracht, von Sibylle Berg, von Rainald Goetz, von Eckhart Nickel. Vor allem bei Kracht lassen sich die Spuren gut verfolgen. In Steenbocks Buch werden zwei Literaturrezensionen Krachts genauer betrachtet, in denen der Autor den Gegenstand sowie den Autor ziemlich links liegen lässt und zum Beispiel die Besprechung des Romans "Kopfjäger" vor allem an den braunen Schnürschuhen von Uwe Timm aufhängt - sowie natürlich an sich selbst.

Man möchte hoffen, dass diese Arbeit noch viele weitere anstößt, denn der Einfluss der "Tempo"-Clique auf die Gegenwartsliteratur ist beträchtlich. "Zeitgeistjournalismus" ist kein populäres Sachbuch, aber Steenbock verzichtet auf Begriffsgeflexe, so dass sich die Sache trotz ihres akademischen Ursprungs gut liest. Sie breitet ruhig ihre Fülle an Befunden aus, und diese lohnen die Sichtung allemal.

ANDREA DIENER

Kristin Steenbock: "Zeitgeistjournalismus". Zur Vorgeschichte deutschsprachiger

Popliteratur: Das Magazin "Tempo".

Transcript Verlag, Bielefeld 2020. 238 S., br., 40,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Andrea Diener findet Kristin Steenbocks Dissertation über den Popjournalismus a la "Tempo" und seinen Einfluss auf die Literatur lesenswert. Dass dieses Thema bisher eher spärlich behandelt wurde, findet Diener erstaunlich. Steenbocks akademische Herangehensweise schreckt sie nicht, da der Band sich gut liest, und die Autorin Befunde "ruhig" ausbreitet. Was Diener aus dem Buch erfährt? Sie lernt die Spannungen zwischen Subkultur und Pop kennen, das Verhältnis der Tempo-Macher zum Konsum, zu Frauen und was Christian Kracht einst unter Literaturkritik verstand: den prüfenden Blick auf das Schuhwerk des Autors.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Kein populäres Sachbuch, aber Steenbock verzichtet auf Begriffsgeflexe [...]. Sie breitet ruhig ihre Fülle an Befunden aus, und diese lohnen die Sichtung allemal.« Andrea Diener, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.07.2020 »Informative und gut recherchierte Studie.« Simon Sahner, www.54books.de, 10.06.2020 Besprochen in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde, 29.09.2022, Burkhart Lauterbach