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Zwischen Circe und Powerfrau
Die Reihe ihrer Liebhaber liest sich wie ein "Who is who" der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Wer war die Frau, die mit Gustav Mahler, mit Walter Gropius und Franz Werfel verheiratet war, die eine wilde Liebesaffäre mit Oskar Kokoschka hatte und der Gerhart Hauptmann zu Füßen lag? Oliver Hilmes zeichnet in seiner umfassenden Biografie das facettenreiche Bild einer Frau, die hysterisch, antisemitisch, herrschsüchtig war - aber auch inspirierend, klug und leidenschaftlich.
Die erste ungeschönte Biografie der Alma Mahler-Werfel Alma Maria Schindler,
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Produktbeschreibung
Zwischen Circe und Powerfrau

Die Reihe ihrer Liebhaber liest sich wie ein "Who is who" der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Wer war die Frau, die mit Gustav Mahler, mit Walter Gropius und Franz Werfel verheiratet war, die eine wilde Liebesaffäre mit Oskar Kokoschka hatte und der Gerhart Hauptmann zu Füßen lag? Oliver Hilmes zeichnet in seiner umfassenden Biografie das facettenreiche Bild einer Frau, die hysterisch, antisemitisch, herrschsüchtig war - aber auch inspirierend, klug und leidenschaftlich.

Die erste ungeschönte Biografie der Alma Mahler-Werfel Alma Maria Schindler, verwitwete Mahler, geschiedene Gropius, verwitwete Werfel (1879-1964) war zweifelsohne eine außergewöhnliche Frau, zugleich eine äußerst umstrittene. Noch heute scheiden sich die Geister an ihr. Für die einen ist sie Muse der vier Künste, für die anderen schlichtweg eine herrsch- und sexsüchtige Frau, die ihre prominenten Ehemänner nur benutzte.
Dies ist die erste Biografie über Alma Mahler-Werfel jenseits der Retuschen ihrer Selbststilisierung und der Mythisierung durch andere. Der Historiker Oliver Hilmes hat Quellen erschlossen, die einen ganz neuen Blick auf Alma Mahler-Werfel erlauben: Am aufsehenerregendsten ist dabei der Fund ihres lange verschollen geglaubten Nachlasses - Tausende Briefe, Postkarten, Fotos und ihre Tagebücher bis zu Franz Werfels Tod 1945. Die Tagebücher erzählen nicht nur von einer streitbaren und umstrittenen Frau, sondern auch Details aus dem Leben ihrer Zeitgenossen, Ehemänner und Geliebten. Von Alban Berg bis Carl Zuckmayer ist das gesamte gesellschaftliche, künstlerische und politische Establishment Österreichs und Deutschlands vertreten. Deutlich werden aber auch ihr bislang weit unterschätzter Antisemitismus, der bereits seit der Jahrhundertwende ihr Menschenbild prägte, die politische Radikalisierung der »Circe von Wien« in den dreißiger Jahren, zugleich ihr Geschick, hinter den Kulissen ihre kulturpolitischen Vorstellungen durchzusetzen. So entsteht das Porträt einer Persönlichkeit voller Widersprüche, eines äußerst ambivalenten Charakters - einer Witwe im Wahn.

Ausstattung: mit Abbildungen
Autorenporträt
Oliver Hilmes, 1971 geboren, wurde in Zeitgeschichte promoviert und arbeitet als Kurator für die Stiftung Berliner Philharmoniker. Seine Bücher über widersprüchliche und faszinierende Frauen ¿Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel¿ (2004) und ¿Herrin des Hügels. Das Leben der Cosima Wagner¿ (2007) wurden zu großen Verkaufserfolgen. 2011 folgte ¿Liszt. Biographie eines Superstars¿, danach ¿Ludwig II. Der unzeitgemäße König¿ (2013) sowie ¿Berlin 1936. Sechzehn Tage im August¿ (2016), das in viele Sprachen übersetzt und zum gefeierten Bestseller wurde. Zuletzt erschien ¿Das Verschwinden des Dr. Mühe. Eine Kriminalgeschichte aus dem Berlin der 30er Jahre¿ (2019).
Rezensionen
"An Quellenreichtum ist das Buch kaum mehr zu überbieten." FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2005

Das Werk, c'est moi!
Verzicht als Spiel: Oliver Hilmes erklärt Alma Mahler-Werfel

Alma Mahler-Werfel wandte sich 1954 gegen die Gründung einer Mahler-Gesellschaft in Wien, da sie, 1947 erstmals nach dem amerikanischen Exil zu Besuch in Wien, vergeblich und mit wenig stichhaltigen Gründen versucht hatte, ihr schon einmal verkauftes Bild des Malers Edvard Munch zurückzubekommen. Man solle "sich überlegen, in welcher Weise der österreichische Staat und die Wiener Philharmoniker sich gegen Mahlers Werk und insbesondere gegen mich benommen haben". Die Syntax verrät den Charakter. Es ging weder um Österreich noch um das Orchester, das, auch um sich noch aus Mahlers Zeiten zu rehabilitieren, zur Mahler-Gesellschaft aufrief. Sondern es ging der Witwe um die in jenem Bilderstreit verletzte Eitelkeit, die sich, wie auch immer, Luft verschaffen wollte, selbst auf Kosten der stilistischen Genauigkeit. Die Wendung "gegen Mahlers Werk und insbesondere gegen mich" ist aus zwei Gedanken gebildet, die sich ausschließen: daß sie sich als Mahlers Werk, und zwar als dessen Zuspitzung, begreife, aber auch, daß überhaupt Mahler ihr Werk sei, so daß der Angriff in erster Linie auf die Schöpferin zielen müsse. Doch solange von ihr allein, der "grande veuve" (Thomas Mann), und ihren Interessen die Rede war, schien alles denkbar.

Geld und Gedanke vertragen sich gut, solange die Formulierung das Interesse verbirgt. Davon ist Mahler-Werfels fast lebenslang geführtes Tagebuch geprägt, trotz der Rückhaltlosigkeit, die oft staunen macht. Denn gerade indem sie ihre augenblicklichen Regungen zu Papier brachte, schonte sie sich. Das scheint paradox, doch im Augenblick verzichtete sie darauf, sich zu konstruieren, wie sie insgesamt war. Der Moment einer Übereinstimmung mit sich selbst leitete auch den Umgang mit der Öffentlichkeit, der sie ihr Tagebuch übergab.

Auszutauschen war nur der Adressat: Statt an sich selbst richtete sie sich nun an andere, und da dieses Ich stets schon sich alle Vorurteile seiner Zeit zunutze machte, konnten die späteren Fälschungen des journal intime nichts Neues sein: Es erschien 1960 unter dem Titel "Mein Leben" und wurde zum Bestseller. Die krasse panerotische Innenansicht verlor sich gern in Andeutungen, und vor allem fehlte nun die Hauptkonstante, Alma Mahler-Werfels Antisemitismus, der schon im Exil die Freunde irritierte und nach dem Krieg gänzlich unmöglich war. Ein Antisemitismus der Konvention nach, der ihr zur zweiten Natur geworden war. Sie schrieb ihrem Ghostwriter Willy Haas, der das Original zu glätten hatte: "Lasse bitte die ganze Judenfrage in der Versenkung verschwinden."

Die "Judenfrage" ist nun wiederaufgetaucht. Zwar konnte Oliver Hilmes das Tagebuch selbst nicht nutzen, es gilt als verschollen, doch fand er bei seinen intensiven Recherchen ein 380 Seiten umfassendes Typoskript: die Transkription von Mahler-Werfels fliegenden Zetteln von 1902 bis 1944. Damit und mit den fünftausend Briefen an Alma, die Hilmes in der Van-Pelt-Library in Philadelphia erstmals gründlich las, zeichnet er im Detail ihr Leben nach.

An Quellenreichtum ist das Buch kaum mehr zu überbieten - es verlangt nun danach, die Werke der großen Künstler, die mit ihr gelebt haben, auf Mahler-Werfels Kraft und Ausstrahlung zu beziehen, vor allem aber, das System dieses Lebens zu konstruieren. Dem werden sich die zurückhaltenden Deutungen von Hilmes nicht in den Weg stellen, der die historische "Hysterie"-Theorie der Moderne als zeitlos nimmt und auf sie anwendet, gleichzeitig auch auf gängige Vokabeln wie "Eifersucht" und "schlechtes Gewissen" zurückgreift oder einfach diagnostiziert: "Auf Dauer konnte diese Beziehung nicht funktionieren."

Ein solche Konstruktion muß erklären können, was schon die Zeitgenossen fasziniert hat: Warum suchte Alma Mahler-Werfel stets die Künstler unter den Männern: Alexander von Zemlinsky, Gustav Mahler, Oskar Kokoschka, Walter Gropius und Franz Werfel? Eine ganze, zeitlich abgesetzte Struktur zeigt sich in diesen allesamt gesellschaftlich hochgestellten Namen: von den Musikern, die noch dem 19. Jahrhundert angehörten, über die modernen bildenden Künstler zum expressionistischen Schriftsteller. Woher ihr scharfer Sinn für die Besten? Vielleicht von der Absenz sexueller Vorurteile? Zweierlei Freiheiten konvergierten gewiß, die beide gesellschaftlich vermittelt waren: die Hingabe an den freien Künstler und - durch dessen Vermögen - eine seltene Beweglichkeit.

Man möchte weiter fragen: Welche Ästhetik sieht vor, ein Leben unter die Gesetze der Kunst zu stellen und den Dichtern, Malern und Musikern diese Kunst abzusprechen, und zwar so, daß sie sich ihr unterwerfen? Den unbeholfenen Hans Pfitzner bescheidet sie: "Das sind die Künstler. Wenn's ans Leben geht - werden sie Dilettanten." Daß sie die bewunderte, über denen zu stehen sie sich wähnte, gehörte zur Situation Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Und warum wählte sie, die sich als "arische Muse" verstand, meist jüdische Intellektuelle, warum folgte sie schließlich Werfel ins Exil, den sie dort dann ständig erniedrigte: "Der Werfel, der kann doch kein Deutsch, kein Jude kann doch Deutsch?" Dabei hatte Alma ihn da schon vom Bohemien zum Erfolgsautor gemacht.

Daß allein in der Kunst das Leben zum Sinn zu gestalten sei, lag der Ästhetik der Moderne zugrunde - dabei dachte man zuerst an ein Leben, das sich im Kampf der Geschlechter erschöpfte. Als Kokoschka Alma zwei Jahre kannte, zeichnete er 1914 einen Zyklus zu Bachs Kantate "O Ewigkeit, du Donnerwort". Ein Bild aus diesem Zyklus trägt den Titel "Der Mann erhebt seinen Kopf aus dem Grabe, auf dem das Weib sitzt" und zeigt die Form jenes Streits, einen Kerngedanken der Zeit: Die Frau mit ihrer Sexualität werde vom Mann geschaffen, der seinem Geschöpf Macht über sich verleihe, indem er sich ihm hingebe. Doch der Künstler müsse durch die Ekstase hindurch, um im entgegengesetzten Pol sein Werk zu schaffen. Allein in der Askese, in einer Art Tod, in der Überwindung der Frau könne der Mann produktiv sein.

Diesen Gedanken benutzte Alma Mahler-Werfel; mit dessen Hilfe trug sie die damalige Kunst in ihr Leben: Sie hakte dort ein, wo der Mann die Frau zu schaffen glaubte - sie ließ sich "schaffen" und gewann so die Oberhand. Indem sie nur so tat, als sei sie das "Leben", machte sie sich zur Herrin des Spiels, zu dem der Agon nun notwendigerweise wurde. Weil sie so nur angeblich geschaffen wurde, konnte sie die Männer leichter wechseln, die stets auch über sie hinausgelangen wollten. In präzisem Abscheu sprach Elias Canetti, verliebt in ihre und Mahlers Tochter Anna, von Trophäen, die sie sammle.

Kokoschka versprach sie, "daß ich zurückkomme und ihn sofort heiraten werde, wenn er ein Meisterwerk geschaffen habe". Indem sie so im System ihre Pflicht tat (Hilmes spricht von "Hinhalten"), kehrte sie die Verhältnisse um. Die so gewonnene Freiheit ließ sie zur selben Zeit an Gropius schreiben: "Ich werde vielleicht heiraten - Oskar Kokoschka, ein unseren Seelen vertrauter, mit Dir aber bleibe ich durch alle Ewigkeit verbunden - Schreibe mir, ob Du lebst und ob dieses Leben des Lebens wert ist." Der Seelenverwandtschaft in der Kunst stellte sie das Leben entgegen, beides in Nietzsches Tradition, doch ob Kokoschka oder Gropius, ist hier nicht entscheidend, sie waren austauschbar, je nach der Lebenslaune von Alma Mahler-Werfel. "Sie ist grandios. Unberechenbar", schrieb Zuckmayer viel später.

Auf diese Weise gestaltete sie sich - nach dem Vorbild der Tragödien der Zeit, etwa im Schluß von Hofmannsthals "Elektra" - zur fleischlichen Heroine, zum Medium dessen, was um sie lebte. Je nachdem, sprach sie verschieden; auf die Widersprüche kam es nicht an. Die Norm, sich mit dem Publikum zu verbünden, gehörte zum ambivalenten Erbe der Moderne. Daß Alma Mahler-Werfel - wie der Fall des Munch-Bildes zeigte - ihre materialen Interessen in ein ästhetisches Projekt unverhohlen einfließen ließ, hinterläßt bis heute einen schalen Geschmack. Doch gerade das ließ sie zu einem modernen Prototyp werden, der, ästhetisch gesinnt, in der Welt Staaten, Kreise - oder eben eine "Gesellschaft" - bildet, zu deren Mittelpunkt sie sich machte.

Nur eine Konstante in diesem schillernden Leben gab es, der sie auch den Streit zwischen Mann und Frau unterordnete: den Gegensatz von Christen und Juden und die Verachtung der Juden, die - zeittypisch - den Rationalismus meinte. Aus einem zunächst privaten Instrument wurde später eines für die Politik: Ihre Begeisterung für Hitler und die Nationalsozialisten geht einher mit der Konvention ihrer gespielten Freiheit und gehört zu den schwarzen Seiten, die Hilmes dokumentiert. Selbst ihre Töchter bewertete sie danach, ob sie "Mischlinge" sind oder rein wie Manon, die gemeinsame Tochter mit Gropius.

Im Geschlechterkampf wurde die Erniedrigung der jüdischen Männer zum Mittel ihres Spiels. Hilmes hat auch einen bislang völlig unbekannten autobiographischen Roman von ihr mit dem Titel "Zwischen zwei Kriegen" ausgegraben; darin schreibt sie: "Er kniete hin und küßte ihren nackten Leib, und sie waren eine Einheit, und nichts konnte sie trennen. Er stammelte: ,Du hast mich hell gemacht, wenn ich etwas werde, du hast mir vom düsteren Judentum mich entfernen helfen ... dir verdank ich meine Loslösung und Flugbereitschaft, deine lichte blaue Seele hat es mir gegeben ... allein hätte ich es nicht vermocht.'"

Suche der Jude seine sexuelle Erlösung durch die Christin, weil sie die Vernunft besitze, die ihm fehle, so liege indes das Jüdische in der Verbindung von Geist und Sexualität. Mahler-Werfel band die zeitgenössische Phantasmagorie sakraler Geilheit an die Rasse, doch die Christin, so liest man in ihrem Roman weiterhin, könne den Juden nicht erlösen, da sie ihm längst voraus sei - hin zum "Leben" christlicher Nächstenliebe. Eine neue Art von Mätresse: Schob sie sich früher mit dem Geschlecht in die Welt der Kunst und schuf sich ihre Exterritorialität, so griff sie nun zu dem Als-ob, das ihr gleichfalls von früher her vertraut war: zu dem spielerischen Verzicht auf das "Leben". Plötzlich steht sie nun in der religiösen Tradition und hat keinen Leib mehr.

Erst den verfolgten Juden, da er dann ihr Bedauern zu spüren bekommt, dürfe sie erlösen. Im Exil oder auch früher schon: Ihr Antisemitismus schlief, solange sie mit Mahler, den sie bemitleidete, zusammen war. Dann waren es - in ihrem hämischen Stil - "kleine Juden wie der Mahler".

CHRISTOPH KÖNIG.

Oliver Hilmes: "Witwe im Wahn". Das Leben der Alma Mahler-Werfel. Siedler Verlag, München 2004. 477 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2004

Lebensspenderin, liderlich
Was hatte sie nur? Oliver Hilmes leuchtet mit viel Spürsinn und wenig Galanterie das Leben der Alma Mahler-Werfel aus - mehr kann und will man über sie nicht wissen
Man muss mindestens zwei Klassiker zusammenspannen, um Alma Mahler-Werfel gerecht zu werden: „Bewundert viel und viel gescholten . . . schwankt ihr Charakterbild in der Geschichte.” Es müssen schon Goethes Helena und Schillers Wallenstein herhalten, um „Alma” zu charakterisieren. Für die einen war sie das „innigst geliebte Mädchen”, so Gustav Mahler, ihr erster Ehemann, „schön und verführerisch wie keine andere Frau”, so Oskar Kokoschka, eine ihrer intensivsten Affären; für Franz Werfel war sie „Lebensspenderin und Hüterin des Feuers”. Andere sahen sie anders: als „Monstrum” (Theodor W. Adorno), „aufgequollene Walküre” (Claire Goll), „liederliches Weib” (Richard Strauss) oder schlicht „eine Kloake” (Marietta Torberg).
Fünf Biographien gibt es bereits, nun kommt durch Oliver Hilmes eine sechste hinzu. Sie übertrifft ihre Vorläufer in der Qualität der Recherche, im Spürsinn für bisher missachtete Quellen mehr als deutlich. Hilmes hat den gemeinsamen Nachlass von Alma Mahler und Franz Werfel in Philadelphia sehr viel intensiver und auch findiger genutzt, als es bisher üblich war; so hat er eine Teilabschrift von Tagebüchern zwischen 1902 und 1944 ausgewertet - bisher sind nur die Tagebücher bis zur Heirat mit Mahler publiziert -, außerdem ein Manuskript, das eine Art Zwischenstufe zwischen den Tagebüchern und den beiden autobiographischen Büchern Almas darstellt. Schließlich standen ihm auch die unveröffentlichten Briefe zwischen Alma und Kokoschka zur Verfügung.
Aus all dem ist die in Fakten und Zitaten ausführlichste und sicherlich definitive Biographie dieser seltsamen Frau entstanden. Das Bild der jungen Alma und der Frau Gustav Mahlers verändert sich durch Hilmes’ Darstellung nicht, während dem Bild der Mahler-Witwe zahlreiche neue Facetten hinzugefügt werden. Das prekäre Dreieck Alma-Kokoschka-Gropius beispielsweise ist noch nie so präzise konturiert worden wie hier. Rasch wird deutlich, dass der Biograph in seiner Beurteilung des Charakters und des Verhaltens seiner Hauptfigur eher zu den Scheltenden als zu den Bewundernden zu rechnen ist.
Zu Galanterien neigt Hilmes nicht, so wenn er behauptet, Alma sei zwar eine hübsche Wienerin, aber beileibe keine Schönheit gewesen. Sein eigenes Umschlagbild sagt etwas anderes. Das mag nicht mehr das Schönheitsideal der Generation des Autors sein, aber wenn selbst Bruno Walter, Alma keineswegs blind ergeben, sie für das schönste Mädchen Wiens hielt, heißt das etwas, denn hier sprach ein Kenner.
Problematisch ist die psychopathologische Grundthese des Buches, die sich schon im einprägsam alliterierenden Titel ausdrückt: „Witwe im Wahn”. Nach Hilmes’ Ansicht handelt es sich bei Alma um eine Frau, die frühzeitig Symptome einer Hysterikerin zeigte; diese hätten sich zu einem wahnhaften Verhaltenssyndrom entwickelt, in dem vor allem ihr Antisemitismus seinen festen Platz bekommen habe. Das entsprechende Kapitel zur Untermauerung dieser These ist in seiner vagen Berufung auf disparate Fachliteratur und den Parallelen zwischen Verhaltensweisen Almas und den klinischen Befunden der Hysterie allzu pauschal geraten; dass „Hysterie” in Psychologie und Psychiatrie in dieser Allgemeinheit nahezu obsolet geworden ist, während er in den Kulturwissenschaften als Beschreibung bestimmter Frauenbilder Konjunktur hat, wird nicht deutlich. Almas Verhaltensweisen und Einstellungen, die vielen Menschen unangenehm, ja widerwärtig waren, sind noch kein Indiz für die Hysterie-Diagnose.
Hilmes’ Darstellung ist überall dort eindrucksvoll und überzeugend, wo er sein überreiches Material mit vielen Entdeckungen präsentieren kann. So ist ihm gelungen, woran andere scheiterten, das Schicksal der Halbschwester Gretel zu klären, deren Spur sich um 1912 in psychiatrischen Anstalten endgültig zu verlieren schien. Auch viele andere Details oft unappetitlicher Art waren bisher nicht bekannt, und das, was der Biograph aufdeckt, ist nicht geeignet, das Bild Almas freundlich zu garnieren. Ihre Faszination durch Hitler, den sie auch einmal aus der Nähe sah, erinnert fatal an Winifred Wagners Begeisterung.
Das heikelste Kapitel ist sicher Almas Antisemitismus, den Hilmes als das gefährliche Zentrum ihres Wahnsystems ausmacht. Die widerlichen Züge ihrer Ressentiments sind überhaupt nicht zu bestreiten, und wie bei jedem Vorurteilssyndrom wird das im Alter deutlich schlimmer. Aber zu einem konsequenten Antisemitismus fehlte ihr wie in anderen Belangen auch hier die Stetigkeit und Beharrlichkeit, genau das Systematische, das einen wahnhaften Antisemitismus ausmachen würde. Eine radikale Antisemitin, die zweimal Männer jüdischer Herkunft heiratet? Das wäre dann wirklich nur mit geistiger Erkrankung zu erklären. Die bedrückenden Zitate bleiben, aber die mehr als komplizierte Konstellation müsste differenzierter behandelt werden.
Nicht recht ausgewogen ist auch die Gewichtung zwischen dem in allen Farben schillernden Mosaik, aus dem sich Almas Charakterbild zusammensetzt, einerseits und andererseits der Blässe, in der die entscheidenden Männer ihres Lebens verbleiben. Die Konzentration des Biographen auf seine Zentralsonne ist so stark, dass man nur einen Reigen unseliger Geister erblickt, der diese umschwirrt und sich nicht so recht zu individuellen Porträts zusammenfügen will. Hilmes ist gegenüber den bedenkenlosen Selbststilisierungen und Geschichtsfälschungen Almas mehr als skeptisch und widerlegt das meiste durch die Kraft seiner Dokumente, von denen die ungeschöntesten aber eben auch von Alma stammen.
Das Porträt dieser Frau ist desillusionierend, schonungslos. Das ist wohltuend und nötig gegenüber einer feministisch illuminierten Alma-Bewunderung, wie sie etwa durch die oberflächliche Biographie Françoise Girouds weite Verbreitung fand. Seine faktengesättigte Darstellung wird als solche nicht mehr zu übertreffen sein. Aber ihr fehlen dann doch entscheidende Argumente zur Beantwortung der Frage, was Klimt, Zemlinsky, Mahler, Gropius, Kokoschka und Werfel eigentlich an dieser Hysterikerin, Antisemitin und Faschistin angezogen hat. Wenn Almas Lebensleistung vor allem in der Komposition ihrer eigenen Legende bestand, wie der Biograph resümiert, dann ist das zu wenig, um dieses Phänomen zu erklären. Da muss mehr gewesen sein, und man muss ergänzend zu der älteren Alma-Biographie der amerikanischen Journalistin Karen Monson greifen, um tiefere Einblicke in die Psyche Almas und die sie umgebenden kulturellen Milieus zu bekommen.
Oliver Hilmes ist hoch anzurechnen, dass er das Leben dieser ungewöhnlichen Dame offen gelegt hat. „Eine Frau kann in vielen Kirchen beten” so Almas Resümee ihrer nicht nur erotischen Eskapaden. Oliver Hilmes hat alle Kirchentüren geöffnet, alle Schleier weggezogen, hat alles ausgeleuchtet, was überhaupt dem Licht zugänglich war, das ist die große Leistung seines Buches. Mehr als bei ihm werden wir über Alma nicht erfahren können, aber jetzt wohl auch nicht mehr erfahren wollen.
Oliver Hilmes
Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel
Siedler Verlag, München 2004. 477 Seiten, 24 Euro.
Alma Mahler-Werfel (1879-1964) Agentur: Bernhard Megele
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"Wie schön sie war, wie verführerisch hinter ihrem Traumschleier! Ich war verzaubert von ihr!"
Oskar Kokoschka

"Sie war eine große Dame und gleichzeitig eine Kloake."
Marietta Torberg über Alma Mahler-Werfel

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Katharina Rutschky lobt eine verdienstvolle Leistung: Oliver Hilmes hat in seiner Biografie von Alma Mahler-Werfel alles genau so gemacht, "wie es sich für einen Biografen gehört". So sei das Buch "sorgfältig" recherchiert, der Nachlass berücksichtigt, die Schilderung frei von "Beschönigungen" und "Besserwisserei", der Tonfall des Buchs angenehm "präzise und aufgeklärt, undogmatisch und intelligent". Damit sind auch, wie Rezensentin Rutschky erleichtert bemerkt, die 1960 erschienen und vom Ghostwriter Willy Haas aufgepeppten Erinnerungen Alma Mahler-Werfels als Hauptquelle abgelöst. Denn diese seien laut Rutschky voller "Klatsch und Tratsch" gewesen und dank pikanter Details aus dem "wilden Liebesleben" Mahler-Werfels - verheiratet mit Gropius, Mahler und Werfel, ferner Geliebte von Kokoschka und Alexander Zemlinsky - ein "Fressen fürs Publikum". Mit Hilmers "verbindlicher" Biografie sei aber nun ein objektiveres Bild möglich. Besonders hat Rutschky dabei der Aspekt von Mahler-Werfels hysterischem Aufmerksamkeitsbedürfnis interessiert: Daraus werde erklärbar, warum Mahler-Werfel eine "miserable Mutter" war oder auch warum sie sich antisemitischen Ausfällen erging. Ebenso ihr ausschweifendes Sexualleben, häufig als "Widerstand" gegen eine "überholte" Moral gesehen, werde hier als Inszenierung "mit ihr selbst im Mittelpunkt" deutlich. Für Rezensentin Rutschky ist klar: Zum Thema Alma Mahler-Werfel ist man mit dieser Biografie "gut beraten".

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"Hilmes hat als Erster Alma Mahlers gesamten Nachlass, insbesondere ihre Tagebücher, ausgewertet und auf Grund dieses Materials ein schillerndes, präzises, unterhaltsames Porträt geschrieben." Tages-Anzeiger