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Ein frühes Standardwerk über die Judenvernichtung, das in viele Sprachen übersetzt wurde, aber erst 70 Jahre danach auch auf Deutsch erscheint. Aus dieser ersten auf Dokumenten basierten Studie geht hervor, dass es sich bei der Judenvernichtung um einen beispiellosen Vorgang handelt oder, wie es Hannah Arendt ausdrückte, um »die schrecklichste Erfahrung unserer Generation«.

Produktbeschreibung
Ein frühes Standardwerk über die Judenvernichtung, das in viele Sprachen übersetzt wurde, aber erst 70 Jahre danach auch auf Deutsch erscheint. Aus dieser ersten auf Dokumenten basierten Studie geht hervor, dass es sich bei der Judenvernichtung um einen beispiellosen Vorgang handelt oder, wie es Hannah Arendt ausdrückte, um »die schrecklichste Erfahrung unserer Generation«.
Autorenporträt
Léon Poliakov, (1910 - 1997) war französischer Historiker. Schwerpunkte seiner Arbeiten waren Rassismus, Antisemitismus, ju¿dische Geschichte und der Holocaust. Er war Forschungsleiter am Centre national de la recherche scientifique in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.10.2021

Ausgrenzung im Wettbewerb
Nach siebzig Jahren: Léon Poliakovs Buch über die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden auf Deutsch

In einer Zeit, in der um eine neue Perspektivierung des Holocaust gestritten wird, ist es gut, daran erinnert zu werden, wie viele Jahrzehnte es brauchte, bis der nationalsozialistische Völkermord an den europäischen Juden überhaupt als singuläres Ereignis und als zentrales Ereignis der deutschen und europäischen Geschichte im zwanzigsten Jahrhundert erkannt wurde. Zunächst galt er, der etwa in Nürnberg nicht als ein einzelner Anklagepunkt aufgeführt worden war, als eines von vielen Kriegsverbrechen und als eine unter anderen Mordaktionen an Minderheiten innerhalb der NS-Vernichtungspolitik.

Dem französischen Historiker Léon Poliakov (1910 bis 1997) kommt das Verdienst zu, nur sechs Jahre nach dem Ende des "Dritten Reiches" erstmals eine ganz Europa und das gesamte Verfolgungsgeschehen umfassende Darstellung vorgelegt zu haben, in deren Mittelpunkt allein die Entrechtung und Ermordung der europäischen Juden stand. Erst jetzt erscheint eine deutsche Übersetzung dieses Buchs, das im Original unter dem Titel "Bréviaire de la haine. Le IIIe Reich et les Juifs" 1951 in Paris erschien und wenige Jahre darauf als "Harvest of Hate" auch in englischer Sprache veröffentlicht wurde. Es folgten Übersetzungen ins Italienische und Spanische.

Dass Poliakovs Pionierwerk nun auch auf Deutsch vorliegt, ist vor allem dem Historiker Ahlrich Meyer zu verdanken. Er nahm vor zwei Jahren die Übertragung des französischen Originals ins Deutsche selbst in die Hand, und gerade angesichts der vielen deutschen Originalquellen, die recherchiert werden mussten, um Rückübersetzungen aus dem Französischen zu vermeiden, ist es beeindruckend, in wie kurzer Zeit er diese Arbeit bewältigte.

Diese Schnelligkeit geht jedoch nicht zulasten der Qualität und Genauigkeit, mit der Meyer Poliakovs unverstellten Ton trifft, in dem man Anfang der Fünfzigerjahre über die Ermordung der Juden sprach. Er wurde weitgehend so belassen, auch wenn manche, vor allem religiös konnotierte Formulierungen uns heute anachronistisch erscheinen. Wo notwendig, werden in den Fußnoten inhaltliche Korrekturen vorgenommen und neue Forschungsergebnisse eingearbeitet. Insgesamt aber überrascht, wie aktuell Poliakovs Werk ist und wie viele der späteren Debatten er vorweggenommen hat.

Dazu gehört, dass selbst die Termini "Holocaust" und "Genozid" bereits im Original auftauchten, lange bevor sie sich in den einschlägigen Diskursen etablierten. Poliakov ging schon vor sieben Jahrzehnten nicht davon aus, dass es von Anfang an einen fixen Ablauf zur Ermordung der europäischen Juden gab. Er antizipierte die viel später von Hans Mommsen formulierte These von der "kumulativen Radikalisierung", als er schrieb: "Es wäre sicher ein Irrtum anzunehmen, den Prophezeiungen Hitlers hätten ein genauer Plan und im voraus gefaßte Entschlüsse zugrunde gelegen."

Vielmehr gewannen die Ereignisse eine Eigendynamik, sodass es keiner expliziten Anordnungen von oben mehr bedurfte, denn: "Zwischen den staatlichen Maßnahmen (wie den Nürnberger Gesetzen) und den Initiativen lokaler Machthaber oder auch einzelner Privatleute fand ein regelrechter Wettbewerb statt." Die Ideen zur sozialen Ausgrenzung der von den Nationalsozialisten als Juden definierten Menschen kannten keine Grenzen mehr und überboten sich gegenseitig. Im November 1938 schlug Joseph Goebbels laut einem Konferenzprotokoll vor, dass "den Juden verboten wird, deutsche Theater, Kinotheater und Zirkusse zu besuchen", und Reinhard Heydrich plädierte zeitgleich dafür, "daß der Jude nicht Eigentümer von Kraftwagen sein darf, daß er aber auch nicht fahren darf, weil er damit deutsches Leben gefährden kann".

Wie ein Jahrzehnt später Raul Hilberg in seinem Standardwerk "The Destruction of the European Jews" stützte sich auch Poliakov vor allem auf solche Täterdokumente, insbesondere auf die Akten aus den Nürnberger Verfahren. Beide betonen die Prozesshaftigkeit des Geschehens und seine ökonomischen Aspekte, viel stärker als Hilberg aber hebt Poliakov die Rolle des Antisemitismus, des christlich grundierten und rassistisch motivierten Judenhasses als Antrieb des Verfolgungs- und Vernichtungsprozesses hervor.

Zu einer Zeit, als deutsche Historiker die Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen vor allem bei Hitler und seiner Führungsclique suchten und die Massaker im Osten als das Werk einiger weniger Psychopathen beschreiben wollten, hielt Poliakov lapidar fest, es "handelte sich nicht um mordgierige Sadisten", die "Nazis" seien "auch nur Menschen" gewesen. Die Verfolgung und Ermordung der Juden waren aus seiner Sicht ein Ereignis, das die gesamte deutsche Gesellschaft betraf. "Deutsche Unternehmer und fleißige deutsche Techniker" waren daran beteiligt, und erst ein "stillschweigendes Einverständnis der deutschen Bevölkerung und der Wehrmacht" habe ihn ermöglicht. Mit der Tätergesellschaft geht Poliakov deshalb hart ins Gericht: "Alles vollzog sich inmitten einer weitestgehenden Gleichgültigkeit. [. . .] Die kollektive Zurichtung der Deutschen war bereits ausreichend vorangeschritten." Der Bruch mit der Vergangenheit sei nach 1945 ausgeblieben, denn selbst die Nachkriegsgeneration zeichne sich vor allem durch Konformismus aus, nunmehr "ein Konformismus mit demokratischer Fassade".

Ob es um das "hartnäckige Schweigen des Vatikans", den Zusammenhang von Euthanasie und Holocaust, den Antisemitismus in Polen, den jüdischen Widerstand oder um die tragische und umstrittene Rolle der Judenräte im Prozess der Vernichtung geht - dieses Buch war seiner Zeit voraus. Es als "historisches Meisterwerk" zu bezeichnen, wie es der Übersetzer Ahlrich Meyer in seinem Nachwort tut, ist nicht zu hoch gegriffen. RENÉ SCHLOTT

Léon Poliakov: "Vom Hass zum Genozid". Das Dritte Reich und die Juden.

Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Ahlrich Meyer. Edition Tiamat, Berlin 2021. 600 S., geb., 34,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Für den hier rezensierenden Historiker Jan Gerber gelingt Leon Poliakov in seinem Buch von 1951 das Kunststück, mittels Täterdokumenten die Erinnerung an die Opfer wachzuhalten. Mit seinem Versuch zu ergründen, warum die Deutschen die Juden ermordeten, setzte der Autor Maßstäbe, auch wenn es keine Antwort auf die Frage geben kann, so Gerber. Stattdessen rekonstruiert Poliakov das Wie des Holocaust, von den Abläufen über die Befehlsketten bis zu Kompetenzstreitigkeiten, und fragt erstmals nach den Verbindungen zwischen Holocaust und Euthanasie, erklärt Gerber. Dass er bei all dem nie die Täterperspektive einnimmt, findet der Rezensent besonders bemerkenswert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.12.2021

Nikolaus Heidelbach
Illustrator und Autor
1996 antwortete Léon Poliakov auf die Frage, wie er Historiker des Antisemitismus geworden sei: „Ich wollte wissen, warum man mich töten wollte.“ Sein erstes Werk zum Thema erschien 1951 in Frankreich und schildert in über weite Strecken unglaublicher Gefasstheit die erste umfassende Geschichte des Genozids an den europäischen Juden 1933 bis 1945. Jede Einordnung dieses Buchs, das jetzt nach 70 Jahren unter dem Titel „Vom Hass zum Genozid. Das Dritte Reich und die Juden“ auf Deutsch erschienen ist, in Kategorien wie „Buch des Jahres“, jede Bewertung als etwa „herausragend“, „glänzend geschrieben“ oder ähnliches erscheint unangemessen (Edition Tiamat, Berlin 2021, 599 Seiten, 34 Euro). Wer sich auf dieses Buch einlässt – und jeder und jede Deutsche sollte sich darauf einlassen – steigt Seite für Seite tiefer in eine beispiellose menschengemachte Hölle. Mit jedem Kapitel wächst das Grauen und mündet in eine anhaltende Verstörung darüber, dass es möglich war und ist, danach weiterzuleben. Wie tief der Abgrund ist, der sich hier auftut, kann man vielleicht an folgendem Zitat ermessen, mit dem der Autor sein siebtes Kapitel beginnt: „Wir haben versucht, die Entwicklung der Idee eines systematischen, vollständigen Genozids mit einer Genauigkeit zu rekonstruieren, die manchem Leser ermüdend ( Hervorhebung von mir, N.H.) vorgekommen sein mag.“ Wir leben in Zeiten, in denen die Vermutung sich aufdrängt, dass manche Leser diese Entschuldigung annehmen werden.
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