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Die Bergmanns waren eine ganz normale Familie. Bis Sarah, die sechzehnjährige Tochter, eines Abends auf dem Nachhauseweg ermordet wird. Jetzt, ein Jahr später, ist der Gerichtsprozess vorbei, der Täter verurteilt. Doch was geschieht mit denen, die zurückbleiben, die mit ihrem Leben nicht einfach weitermachen können? Vom Atmen unter Wasser erzählt vom Versuch einer Familie, mit ihrer Trauer umzugehen. Als die Mutter am ersten Jahrestag von Sarahs Ermordung einen Suizidversuch unternimmt, bittet der Vater den Sohn um Hilfe. Ausgerechnet Simon, der Zeit seines Lebens im Schatten der jüngeren…mehr

Produktbeschreibung
Die Bergmanns waren eine ganz normale Familie. Bis Sarah, die sechzehnjährige Tochter, eines Abends auf dem Nachhauseweg ermordet wird. Jetzt, ein Jahr später, ist der Gerichtsprozess vorbei, der Täter verurteilt. Doch was geschieht mit denen, die zurückbleiben, die mit ihrem Leben nicht einfach weitermachen können? Vom Atmen unter Wasser erzählt vom Versuch einer Familie, mit ihrer Trauer umzugehen. Als die Mutter am ersten Jahrestag von Sarahs Ermordung einen Suizidversuch unternimmt, bittet der Vater den Sohn um Hilfe. Ausgerechnet Simon, der Zeit seines Lebens im Schatten der jüngeren Schwester stand, soll nun die Balance der Familie wiederherstellen. Und tatsächlich: Es gelingt ihm, seine Mutter in ihrem Kokon aus Trauer und Wut zu erreichen - doch dabei gerät er an seine Grenzen und droht sich selbst zu verlieren.
Der gleichnamige Film wurde mit dem Prädikat " besonders wertvoll" ausgezeichnet.
Autorenporträt
Dickreiter, Lisa-Marie
Lisa-Marie Dickreiter, 1978 in Furth im Wald geboren, studierte an der Filmakademie in Ludwigsburg Drehbuch. Für ihr literarisches Schaffen erhielt sie diverse Stipendien und Preise. Ihr gleichnamiges Drehbuch »Vom Atmen unter Wasser« wurde 2008 mit Andrea Sawatzki, Adrian Topol und Thorsten Merten verfilmt. Lisa-Marie Dickreiter lebt in Berlin.
Rezensionen
"Lisa-Marie Dickreiter berührt das Tabuthema Trauer mit präziser Beobachtungsgabe." -- Andrea Sawatzki

"Ein packendes Familiendrama über Traumata nach einem Mord." -- Die Welt

"Lisa-Marie Dickreiter (Buch) und Winfried Oelsner (Regie) zeigen, wie vulkanisch Trauerarbeit nach Schicksalsschlägen sein kann." -- Der Spiegel

"Eine tief berührende Geschichte über Verlust und Liebe. Schmerzhaft und wunderschön." -- Sibylle Knauss

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2012

Die schönen Hände

Sie sammelt Tassen und lebt im Wendland. Sie schreibt über das Böse in der Welt. Sie fragt nicht, woher es kommt, sondern seziert, was es tut. Über die Präzision der Lisa-Marie Dickreiter

Über Lisa-Marie Dickreiter weiß man so viel wie über den Mörder in ihrem Debütroman: wenig bis nichts. Das heißt, man weiß schon, dass sie 1978 in der bayerischen Provinz geboren wurde, im Schwarzwald aufwuchs und an der Filmakademie Ludwigsburg Drehbuch studierte; aber was heißt das schon? "Herkunft, Lebenslauf - Unsinn! Aus Jüterbog oder Königsberg stammen die meisten, und in irgendeinem Schwarzwald endet man seit je" (Gottfried Benn).

Nähern wir uns ihr über die niedersächsische Provinz, das Flachland, Wendland, um genau zu sein. Die in Lüchow erscheinende "Elbe-Jeetzel-Zeitung" brachte im Sommer einen der wenigen Berichte, die über Lisa-Marie Dickreiter überhaupt in Umlauf sind, und zwar aus dem einfachen Grund, weil sie sich dort in der Nähe, im Dorf Schreyahn, ein Vierteljahr lang aufhielt, um an ihrem zweiten Roman zu arbeiten. Der Reporter wusste unter anderem zu berichten, dass ihr ein Einheimischer schon eine Tasse für ihre Tassensammlung geschenkt habe: "Einfach so, das fand ich nett."

Da sonst offenbar nicht viel passiert ist in diesem Mini-Worpswede, wird sie ihr durchschnittliches Schreibpensum von einer halben Seite bis höchstens zwei pro Tag wohl geschafft haben. Schön wär's. Denn Lisa-Marie Dickreiter mag unbekannt sein, aber sie ist eine der bemerkenswertesten, formstrengsten und wahrscheinlich auch -bewusstesten jüngeren Prosaautorinnen, absolut keine Vielschreiberin, sondern eine, die ihren Stoff sprachlich immer wieder und so weit entschlackt, bis nur noch das Skelett übrigbleibt, also etwas, das einem Angst einjagen kann.

Das tut ihr vor zwei Jahren bei Bloomsbury Berlin erschienenes Romandebüt, und zwar nicht, weil es eine Kriminal- und sogar eine Mordgeschichte wäre - das ist es zwar auch -, sondern weil es von dem handelt, was daraus folgt. "Vom Atmen unter Wasser" ist ein Stück Trauerarbeit, wie man es in dieser Form in der Belletristik und auch im Sachbuch selten findet. Es erzählt mit einer klinischen Präzision, in einem den Fall gleichsam kondensierenden Stil, der sich keine Beobachtung, keinen Gedanken, keinen Satz, ja, kein Wort zu viel erlaubt.

Was bleibt, ist von so ungeheurer seelischer Wucht, dass einem die Luft wegbleibt; fast könnte man meinen, der Titel nehme die vermutlich ja beabsichtigte Wirkung vorweg: Lesend schnappt man unter der Oberfläche der äußeren, mit äußerster Knappheit geschilderten Geschehnisse nach Luft. Aber das ist eine Bemerkung, die die Erzählerin Lisa-Marie Dickreiter wahrscheinlich als zu kitschig aussortieren würde.

Die sechzehnjährige Sarah wurde vergewaltigt und erwürgt. Das ist ungeheuerlich. Ungeheuerlich ist aber auch, dass der Leser bis zuletzt nicht erfährt, von wem und warum. Die Mutter erinnert sich nur daran, dass der Mörder schöne Hände hatte, auf die sie sich während der Gerichtsverhandlung konzentrierte, um den Schmerz auszuhalten. Allein dieses Detail deutet auf die Verfahrenstechnik einer Autorin, die ihre Zeit nicht mit Ausschmückungen und Deutungen verplempert, sondern wie ein guter Horrorregisseur verfährt und das Böse einfach in die Welt setzt, ohne zu fragen, woher es kommt und warum es so böse wurde. Morde, so die schlimme Erkenntnis, passieren nun mal, oft aus Zufall. Bei Sarah war es Zufall, dass sie die Party ungewöhnlich früh verließ und so ihrem Mörder über den Weg lief.

Ein Jahr danach setzt die Romanhandlung ein - mit einem Satz wie einem Paukenschlag, der den Verlust auf so ironische wie grauenhafte Weise vorwegnimmt: "Mit sieben Jahren beschloss ich, meine kleine Schwester für immer loszuwerden." Simon nimmt Sarah an die Hand und setzt sie in einen Bus, in der Hoffnung, dass der sie auf Nimmerwiedersehen irgendwohin befördert. Leider ist Sarah schon alt genug, sich die Familienadresse zu merken. Die Ohrfeige, die Simon daraufhin von der Mutter bekommt, brennt lange nach.

Dann gibt es einen Schnitt ("Dreizehn Jahre später"); Sarah ist seit einem Jahr tot. Simon verfolgt aus der aushäusigen Distanz des Studenten, wie sein Vater Jo, ein überforderter Sozialarbeiter, vergebens die Mutter Anne, die sich ihrer Trauer so hilf- wie rücksichtslos hingibt, in die Spur des Weiterlebens zu bringen versucht. Simon kommt der Bitte des Vaters, wieder zu Hause einzuziehen, um die Mutter in Schach zu halten, in der Haltung dessen nach, dem man ohnehin noch etwas schuldet: In feiner Leitmotivik erfährt man, dass er damals bei der Todesanzeige "vergessen" wurde - einfach so, wie seine Schwester auch einfach so ermordet wurde? Er wurde nicht einfach vergessen; dieses Versäumnis ist nur das sichtbarste Indiz für die Vorzugsbehandlung gegenüber der Schwester, die sich nach deren Tod natürlich auf eine traurig-ironische Weise fortsetzt.

In perspektivischer, zeitlich verschachtelter Erzählung wird mitleidlos vorgeführt, wie eine im Freiburger linksliberalen Milieu eigentlich ganz gut situierte Familie zerbricht, ohne einen einzigen Kommentar, ohne "Psychologie". Lisa-Marie Dickreiter vertraut ganz auf die Kraft der präzisen, oft so verletzenden Dialoge und auf die sich gleichfalls mit dem Nötigsten begnügenden Regieanweisungen.

Ein ausgesprochen filmischer Stil ist das, und man merkt es diesem wirklich ganz außerordentlichen Roman ein wenig an, dass er das Buch zum Film ist: Er ist aus einem Drehbuch entstanden und, unter der Regie von Winfried Oelsner und mit Andrea Sawatzki (die ja geübt ist im Darstellen von Persönlichkeitsstörungen) 2007 verfilmt worden. Die Rücksicht, die ein Drehbuchautor auf erzählerische Ökonomie in der Regel zu nehmen hat, hat der Sache keineswegs geschadet, genauso wenig wie die einjährige Recherche, innerhalb derer die Autorin etliche Gespräche mit Eltern geführt hat, deren Kind wirklich ermordet wurde.

Fünf Jahre lang hat sie an dem Text schließlich herumgemeißelt, und gerade aus dem, was dabei ausgemerzt oder einfach weggelassen wurde, spricht die Sach- und Menschenkenntnis dieser Autorin, über die wir wirklich nicht mehr wissen, als dass sie Tassen sammelt. Solange sie nur an ihrem zweiten Roman arbeitet, wie die "Elbe-Jeetzel-Zeitung" in Erfahrung gebracht haben will, soll uns diese Information genügen. Sie kann sich auch ruhig Zeit dafür lassen, in aller Stille und Kargheit am Text herumfeilen. Und wenn es wieder fünf Jahre dauern sollte - wir halten so lange die Luft an.

Der Film wurde übrigens mit dem Prädikat "besonders wertvoll" versehen. So etwas sollte man für Romane auch einführen.

EDO REENTS

Lisa-Marie Dickreiter: "Vom Atmen unter Wasser". Roman. Bloomsbury Berlin 2010, 272 Seiten, als Taschenbuch für 9,95 Euro

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