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Tanger 1995. Tanger verlassen - das ist die Obsession in den Köpfen einer ganzen Generation. Bei schönem Wetter sieht man die spanische Küste in nur 14 km Entfernung. Sie sitzen in den Cafés, trinken Tee, rauchen Haschisch und träumen sich hinüber. Unter ihnen Azel, arbeitslos nach einem Jurastudium, ohne jede Aussicht auf einen Job. Sein Cousin Noureddine ist gerade mit zwanzig anderen ertrunken bei dem Versuch, in die "Festung Europa" hinüberzukommen. Seine schöne kleine Nachbarin Malikka stirbt vor der Erfüllung des Traums an Lungenentzündung. Er selbst glaubt jetzt einen sicheren Weg…mehr

Produktbeschreibung
Tanger 1995. Tanger verlassen - das ist die Obsession in den Köpfen einer ganzen Generation. Bei schönem Wetter sieht man die spanische Küste in nur 14 km Entfernung. Sie sitzen in den Cafés, trinken Tee, rauchen Haschisch und träumen sich hinüber. Unter ihnen Azel, arbeitslos nach einem Jurastudium, ohne jede Aussicht auf einen Job. Sein Cousin Noureddine ist gerade mit zwanzig anderen ertrunken bei dem Versuch, in die "Festung Europa" hinüberzukommen. Seine schöne kleine Nachbarin Malikka stirbt vor der Erfüllung des Traums an Lungenentzündung. Er selbst glaubt jetzt einen sicheren Weg gefunden zu haben: Der spanische Galerist Miguel hat sich in ihn verliebt und verschafft ihm und seiner Schwester Kenza Visa für Spanien. Azel geht nach Barcelona. Aber die Hölle aus Armut, Korruption und Demütigung, die er in Marokko hinter sich lässt, ist nur das Spiegelbild der anderen Hölle, die ihn erwartet: die Einsamkeit, Prostitution und der Verlust seiner Würde in der Emigration.
Der große Erzähler Ben Jelloun gibt dem massenhaften Exodus aus Nordafrika mit diesem Roman ein figuren- und facettenreiches Gesicht.
Autorenporträt
Tahar Ben Jelloun, geb. 1944 in Marokko, lebt in Paris. Er gilt als bedeutendster Vertreter der französischsprachigen Literatur des Maghreb. 2011 wurde Tahar Ben Jelloun mit dem Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.04.2007

Nur 14 Kilometer bis Europa
Jenseits von Nordafrika: Tahar Ben Jellouns Roman „Verlassen”
Fixe Ideen gehören dem Einzelnen, sie sind das Markenzeichen des Exzentrikers. Was aber, wenn alle dieselbe fixe Idee beschäftigt, und das einfach deshalb, weil sie Augen im Kopf haben? Nur vierzehn Kilometer trennen Tanger vom europäischen Festland. Bei günstigem Wetter sehen die jungen Männer, die träge in einem Café sitzen, Tee trinken und Haschisch rauchen, seine Lichter. Jeder von ihnen ist erfüllt von der Sehnsucht, hinüberzugelangen und bereit, einen hohen Preis dafür zu bezahlen. Azel, ein gutaussehender junger Mann mit abgeschlossenem Jurastudium, aber ohne Hoffnung auf Arbeit, erlebt diese Hoffnungslosigkeit so stark, dass er seine sexuelle Identität aufs Spiel setzt und sich von Miguel, einem reichen, kultivierten Galeristen aus Barcelona als Geliebter aushalten lässt.
Im Gegenzug verschafft der ihm eine spanische Arbeitserlaubnis. In Barcelona lebt Azel tagsüber müßig, bekommt von seinem Herrn so viel Geld zugesteckt, wie er braucht, nachts leistet er Liebesdienste. Je länger dieses Leben andauert, desto verzweifelter die Lage Azels. Mit seiner marokkanischen Freundin Siham, die in Marbella ein behindertes Kind pflegt, schläft er, um sich seiner Männlichkeit zu versichern, doch am Ende ist seine Sexualität genauso zerstört wie seine Loyalität gegenüber Miguel. Azel bestiehlt ihn und wird dafür von ihm verstoßen. Auch Azels Schwester Kenza, die sich mit Miguel hat verheiraten lassen, um legal in Spanien zu leben, kann ihn nicht mehr retten.
Das ist nur ein Bruchteil der Handlung von Tahar Ben Jellouns Roman „Verlassen”, einer Handlung, die weniger auf ein Ziel zusteuert als sich in die Breite aufzufächern und ein Beziehungsgeflecht zu entfalten, das Menschen verschiedener Kulturen, Klassen und Ideologien umfasst. Tahar Ben Jelloun, der 1944 in Fès geboren wurde und seit seinem Roman „Die Nacht der Unschuld” als bedeutendster Vertreter der französischsprachigen Literatur des Maghreb gilt, pflegt in „Verlassen” die Ironie als Grundprinzip des Romans. Bereits auf den ersten Seiten führt er Figuren mit gegensätzlichen Standpunkten ein und fährt auf diese Weise fort. Noch auf den letzen Seiten tauchen neue Figuren auf, deren Meinungen sich in denen der anderen spiegeln und die Komplexität der verhandelten Probleme multiplizieren.
Der irre, alte Moha
Selbst einzelne Figuren sind gebrochen. Bei dem alternden Miguel liegen menschliche Größe und Feigheit, Überzeugung und Opportunismus eng beieinander; er erregt Abscheu und Mitleid. Er ist die stärkste von Ben Jellouns starken Figuren. Der Erzähler weiß alles über ihre Ängste und Träume und teilt sie dem Leser ohne Umschweife mit. Was anfangs billig wirken mag, erweist sich schließlich als vorteilhaftes Verfahren, da es dem Leser eine Vielzahl von Charakteren nahe bringt, deren Innenleben auf engem Raum plastisch werden zu lassen ansonsten kaum möglich gewesen wäre. Der Kameruner Flaubert gehört ebenso zum Panorama wie islamistische Anwerber, der vor einem Gläubiger geflohene Türke Nazim genauso wie der kriminelle Illegale Abbas und El Hadj, der in marokkanischen Königskreisen und mit Frauen wie Siham verkehrt, die einem inoffiziellen Prostituiertenring angehört. Ben Jellouns Fähigkeit zur Verdichtung einer Welt ist so beeindruckend, wie es leicht fällt, sich diese Welt in Balzacscher oder Zolascher Manier auf vielen Hunderten von Seiten geschildert vorzustellen.
So gibt „Verlassen” einen vielleicht nicht repräsentativen, aber erhellenden Einblick in die marokkanische Migrationsproblematik, und ist darüber hinaus ein formal ambitionierter, literarisch überzeugender Roman. Ben Jelloun lässt es sich nicht nehmen, Figuren in den Roman zu schmuggeln, die es so gut wie nur in der Literatur gibt. Azels junge Nachbarin Malika arbeitet in der Krabbenfabrik und stirbt an einer Lungenentzündung, bevor sie ihren wortreich beschworenen Traum wahr machen kann. Nicht nur der Vielstimmigkeit wegen flicht der Dichter und Romancier ihre Stimme ein, sondern auch als poetisches Gegengewicht zum prosaisch gehaltenen Rest, ähnlich wie die Stimme des irren, alten Moha, einer Seherfigur, die den politischen Rahmen von „Verlassen” ins Allegorische, ja Metaphysische transzendiert.
KAI WIEGANDT
TAHAR BEN JELLOUN: Verlassen. Roman. Aus dem Französischen von Christiane Kayser. Berlin Verlag, Berlin 2006. 265 Seiten, 19,90 Euro.
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"Wie mit dem Roman "Das Schweigen des Lichts" erweist sich Ben Jelloun erneut als Autor, der Aktualität schnell in Literatur umzumünzen versteht. (...) Anonyme Bedrohung, gesichtslose Opfer, erbärmliche Elendsflüchtlinge: wer sind die Migranten, die Europa verändern werden? Tahar Ben Jelloun gibt ihnen Namen, Gesichter und Stimmen. (...) Tahar Ben Jellouns Roman erhebt das, was sich an der Südgrenze Europas abspielt, zur allegorischen Allgemeinbedeutung." - FAZ vom 12.5.2006

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Dass man auf dem "rüden Schlachtfeld" der Globalisierung, der Migrations- und Integrationsdebatten als Schriftsteller noch etwas ausrichten kann, hätte Rezensent Walter van Rossum kaum noch geglaubt, bis er zum aktuellen Roman von Tahar Ben Jelloun gegriffen hat. Der Rezensent ist offenkundig erleichtert, dass endlich jemand die "großen Dramen" der Migration erzählt, anstatt sich in die üblichen Auseinandersetzungen um religiöse und kulturelle Differenzen zu stürzen, wie es Schriftsteller wie Hans Magnus Enzensberger oder der Historiker Hans-Ulrich Wehler tun. Solchen "Pressesprecher der Freien Welt", die den Blick vor der Realität verschließen, kann er nichts abgewinnen. Tahar Ben Jellouns Buch dagegen umso mehr. Denn obwohl man vom einem Roman im Allgemeinen keine Antworten auf die Fragen der Politik erwarte, werde der Leser nach diesem Werk gegen die "irren Debatten" über Migration und Integration geimpft sein.

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