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Produktdetails
  • Verlag: Ammann
  • Originaltitel: Greetings from Earth
  • Seitenzahl: 257
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 380g
  • ISBN-13: 9783250103295
  • ISBN-10: 3250103292
  • Artikelnr.: 09543354
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001

Papagei im Feuerofen
Scott Bradfield weiß, was schief läuft / Von Martin Halter

Das Leben ist kein Zuckerschlecken" krächzt Sid, und als Papagei, der aus seinem goldenen Käfig in die freie Wildbahn der sozialdarwinistischen Konkurrenz floh, weiß er, wovon er spricht. Jetzt sitzt Sid einsam und schwermütig im Geäst und predigt "quietschvergnügten Piepmätzen" und seinsvergessenen Enten die Ästhetik des Widerstands. Das dumme Federvieh aber läßt sich lieber vom Carpe-Diem-Schnurren eines "pantheistischen Kater" einlullen: Wozu hoffen und kämpfen, wenn der Tod Erlösung bringt? "Sind wir nicht alle Teile derselben Nahrungskette?" Enten, schmeichelt die Katze dem klugen Papagei, "sind einfach zu blöd, um sich um Dinge wie Moral oder Gerechtigkeit Gedanken zu machen. Den Traum vom Himmel werden sie nach diesem Leben träumen und nicht zu Lebzeiten. Wäre das auch nicht für dich das beste, Freund? Mach's dir doch nicht so schwer; schwimm einfach mit dem Strom. Jeder von uns muß leiden, für keinen von uns werden unsere Träume wahr. Aber das muß ja nicht unbedingt schlimm oder böse oder tragisch oder traurig sein. Gib einfach auf. Hör auf, dich zu wehren, versuch es gar nicht erst. Komm einfach herunter von dem Baum, Freund, und ich werde für dich sorgen."

Am Ende erliegt der kluge Vogel fast den Einflüsterungen der Raubkatze. Nur ihre Siegesgewißheit und sein Trotz retten ihn vor Maul und Klauen der Resignation. Vielleicht erfüllen sich unsere Hoffnungen nie. Vielleicht ist die Welt ja wirklich ein Feuerofen. Aber darf man darum seine Träume wegwerfen? "Jeden Morgen aus dem Bett zu kommen und seine Sache so gut zu machen, wie man kann, und am Abend nicht zu hart mit sich sein": Mehr kann und darf man vom Leben nicht erwarten. "Der Papagei und die Katze" ist eine beinahe klassische Tierfabel, und ihre Moral ist so schlicht wie heroisch.

Scott Bradfield erwartet vom Leben mehr als Sid, aber er teilt seine unheilbare Melancholie. Amerika, zumal seine Heimat Kalifornien, ist ein Feuerofen, in dem die besten Absichten und Sehnsüchte zu Asche verbrennen. Die Menschen lassen sich mit billigen Illusionen und Junk Food abspeisen; sie erdulden - und befördern - Umwelt- und Familienkatastrophen, Ausbeutung und Aids, Kinder- und Tierquälerei. Korrupte Politiker halten Maulaffen feil, bigotte Reverends das Opium des Volkes, und das Fernsehen verkauft Seifenopern und Werbespots mit Sirenengesängen wie "unzweifelhaft der Beste".

Bradfield, ein bekennender Anhänger der Frankfurter Schule, ist aus dem Goldenen Käfig kulturindustrieller Zerstreuung nach Europa geflohen. Derzeit lehrt er als Gastdozent an der Berliner Freien Universität, wie man dem Verblendungszusammenhang mit engagierter Literatur zu Leibe rückt. In "Die Geschichte der leuchtenden Bewegung" (1989), seinem ersten und besten Roman, schickte er altkluge Kinder auf eine lange Reise durch die Nacht und ließ sie bizarre Schlüsse aus ihrer Marx- und Hegel-Lektüre ziehen. In "Was läuft schief mit Amerika" (1994), seinem schwächsten, erzählte eine alte Frau von ihrem verpfuschten Leben an der Seite eines Waffennarren und Kommunistenfressers. In "Planet der Tiere" (1997), Bradfields "Animal Farm", probten Raben, Gorillas und Pinguine den Aufstand gegen eine Konsum- und Mediengesellschaft, die noch den Widerstand vermarktet.

Auch in "Unzweifelhaft der Beste", einer Sammlung von Erzählungen aus den achtziger und frühen neunziger Jahren, sind es Kinder und Tiere, frustrierte Ehefrauen und spintisierende Außenseiter, die am Traum von einem richtigen Leben im falschen festhalten - auch auf die Gefahr hin, in Sektierertum, autistische Sprachlosigkeit oder schizophrene Verschwörungstheorien abzudriften. Einsamer Wahnsinn ist immer noch besser als die Ergebung in die kollektive Sinnlosigkeit: Der nachts in seinen Träumen mit dem Wolf tanzt, ist tagsüber gegen die Versuchung gefeit, mit den Wölfen zu heulen und friedliche Schafe zu reißen. "Der Traum vom Wolf" bringt Larry um Seelenfrieden, Familie und Job. Am Ende kehrt er ernüchtert zurück in eine trostlose Angestelltenexistenz, wo der Mensch dem Menschen ein Wolf ist.

Doch seine Frau läßt sich von seinen Werwolfsphantasien anstecken: Was für ihn bloß Realitätsflucht war, eine kafkaeske Parabel, ist für sie der Weg zu Emanzipation und Selbstverwirklichung. Träume sind für Bradfield fragile, subjektive Gegenwelten, die sich weder teilen noch mitteilen, weder synchronisieren noch vergesellschaften lassen. Die Pointe dabei ist: Weil der Wahn gesellschaftlich motiviert ist, schießt er auch über das individuelle Leiden hinaus. Noch dort, wo er bereits therapiert oder abgestorben schien, frißt er sich unterirdisch und heimlich weiter in die Normalität der Spießer hinein. In "Der Andere" kommt ein von grundlosen Eifersuchtsphantasien verfolgter Ehemann erst zur Ruhe, als er sich, vollends schizophren, "nicht mehr verrückt machen zu lassen" beschließt: Indem er in die Haut des anderen schlüpft und sich selber fremd wird, kommt er zu sich. Nicht "ich" ist ein anderer: Der andere bin ich, und "wenn man sich nicht gar zu sehr anstrengte, die Dinge zu verstehen, dann kümmerten die Dinge sich schon um sich selber".

Wie dem philosophischen Papagei gereicht auch dem "existenziell humanistischen" Hund Dazzle sein aufgeklärtes Bewußtsein zum Fluch. "Es ist nicht gut, wenn man zu scharf sieht", seufzt der moralische Straßenköter, der unter dem Elend in der Dritten Welt wie ein Hund leidet. Kritische Vernunft und ein starkes Gerechtigkeitsempfinden machen Mensch und Tier unermeßlich traurig, Dummheit und Blindheit glücklich. Manchmal freilich ahnen die hellen Köpfe weniger von den Nacht- und Schattenseiten des Lebens als die Armen im Geiste. In "Grüße von der Erde" deutet ein Grübler unter dem Einfluß von Kant und kalifornischer Esoterik seine Basteleien im Partykeller zu idealistischen Geist-Körper-Problemen um. Doch nur seine mit Trivialliteratur sozialisierte Frau macht pragmatische Nägel mit spirituellen Köpfen: Helen schickt ihren Astralleib auf die Reise nach Hollywood und läßt ihre körperliche Hülle zwischen Küche und Fernseher zurück.

Bradfield läßt den Leser im ungewissen, wo der gewöhnliche Eskapismus endet und die psychotische Bewußtseinsspaltung anfängt. Zuletzt ist die Schizophrenie so gut wie der gesunde Menschenverstand eine "Frage der Chemie" und unheilbar. Jeder Mensch bleibt eine Monade, eingesperrt in seine Träume und fixen Ideen, und wer sie ihm nehmen wollte, täte weder ihm noch der Welt einen Gefallen. "Näher bei Dir", sprachlich zweifellos die gewagteste Erzählung, handelt von einem taubstummen Mädchen, das nach dem Tod seiner Großmutter langsam aus seiner "harten wortlosen Nacht" auftaucht, um seine unverständlichen Gott- und Alleswörter gegen eine "Sprache der Gefallenen" einzutauschen. Nicht immer glückt die Darstellung psychischer Ent- und Verrückungsstrategien so brillant wie hier. Der frühe Bradfield neigt gelegentlich zu plakativen Verkürzungen und moralisierenden Behauptungen.

Die Titelerzählung "Unzweifelhaft der Beste" etwa ist kaum mehr als Sozialkitsch: Eine kalifornische Mademoiselle Bovary läßt sich von Hollywood-Melodramen, Werbeslogans und Heftchenromanen in eine Scheinwelt entführen, derweil sie im wirklichen Leben wie ein dummes Gänschen gerupft wird. Bradfields Abrechnung mit der Traumindustrie fällt gelegentlich sentimental und eindimensional aus. Aber wo er die Hirngespinste und Halluzinationen seiner unglücklichen Helden fast absichtslos aus Träumen und realen Traumata hervorwachsen läßt und lakonisch in der Schwebe hält, ist er ein Schriftsteller, von dem die Berliner Studenten mehr als nur Creative Writing lernen können.

Scott Bradfield: "Unzweifelhaft der Beste". Erzählungen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Manfred Allié. Ammann Verlag, Zürich 2001. 260 S., geb., 39,90 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Insgesamt 11 Erzählungen finden sich in diesem Band von Scott Bradfield, und die wurden vom Autor selbst aus einem umfangreicheren Original von 1993 ausgewählt. Im Großen und Ganzen gefallen die Geschichten dem Rezensenten Eberhard Falcke auch, wenngleich er auch findet, dass sie bisweilen zu sehr ins Wunderliche abkippen und "zu wenig von sozialer und sonstiger Signifikanz" übrigbleibt. Aber ein Problem bleibt für ihn: auch wenn Bradfield gute Geschichten zu erzählen hat ("der flackernde Irrwitz besitzt in den Erzählungen genau die richtige Dichte"), wirken sie "fast schon ein wenig antiquiert", weil sich für ihn der Schockeffekt der modernen Abgründe der amerikanischen Gesellschaft schon abgenutzt hat.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Short Stories von bunten Seifenblasenträumen und deren Scheitern an der Wirklichkeit des täglichen Lebens. Scott Bradfield ist eine originäre Stimme, die wichtigste vielleicht, die seit Jahren aus den USA zu uns gekommen ist." (Jochen Schimmang, Die Woche)