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Eine Erkundung der linken Lebenswelten - persönlich, boshaft und sehr unterhaltsam. Mit so viel Witz und scharfer Intelligenz hat sich in Deutschland noch keiner die Linke vorgenommen. Roger Köppel, Die Weltwoche
Linke müssen sich in Deutschland für ihre Ansichten nicht rechtfertigen. Sie haben ihre Meinung flächendeckend durchgesetzt, nicht im Volk, aber in den tonangebenden Kreisen, also da, wo sie vorzugsweise zu Hause sind. Wer links ist, lebt im schönen Gefühl, immer Recht zu haben. In der Politik haben sich die Linken oft geirrt, aber irgendwie macht das nichts, immer werden ihnen…mehr

Produktbeschreibung
Eine Erkundung der linken Lebenswelten - persönlich, boshaft und sehr unterhaltsam. Mit so viel Witz und scharfer Intelligenz hat sich in Deutschland noch keiner die Linke vorgenommen. Roger Köppel, Die Weltwoche
Linke müssen sich in Deutschland für ihre Ansichten nicht rechtfertigen. Sie haben ihre Meinung flächendeckend durchgesetzt, nicht im Volk, aber in den tonangebenden Kreisen, also da, wo sie vorzugsweise zu Hause sind. Wer links ist, lebt im schönen Gefühl, immer Recht zu haben. In der Politik haben sich die Linken oft geirrt, aber irgendwie macht das nichts, immer werden ihnen die besten Motive zugebilligt. Warum eigentlich? Jan Fleischhauer hat einen Großteil seines Lebens unter Linken verbracht – vom Elternhaus über Schule und Universität bis zum Milieu der Journalisten, im der seit zwei Jahrzehnten arbeitet. Jetzt unterzieht er sie einer genauen Betrachtung, mit dem Abstand desjenigen, der irgendwann entdeckte, dass er nicht mehr dazugehört. Das Buch ist Analyse, Polemik und persönlicher Erfahrungsbericht. Ein Streifzug durch das Imperium der Linken.
Autorenporträt
Jan Fleischhauer, geboren 1962 in Hamburg, Studium der Literaturwissenschaft und Philosophie, danach Besuch der Henri-Nannen-Schule von Gruner + Jahr. Seit 1989 Redakteur beim SPIEGEL in wechselnden Funktionen, darunter stellvertretender Leiter des Wirtschaftsressorts und stellvertetender Leiter des Hauptstadtbüros. Von 2001 bis 2005 Wirtschaftskorrespondent in New York. Seit September 2008 Autor des SPIEGEL in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.07.2009

Das linke Gefühl
Eine Abrechnung mit dem angeblichen Zeitgeist
Jan Fleischhauer schildert seinen langen Weg in die konservative Welt, heraus aus einem Elternhaus im linken Hamburger Bürgertum, in dem SPD gewählt wurde und man am Wochenende statt an die Ostsee lieber zur Brokdorf-Demo fuhr. Wie jeder Konvertit kennt auch der 47-jährige Spiegel-Redakteur keine Gnade mit dem Glauben, von dem er sich befreit hat. Die Welt des Ökö-Müsli und der Birkenstock-Latschen prägte, so behauptet Fleischhauer, nicht nur seine Kindheit und Jugend, sondern die gesamte Gesellschaft: „Die Linke hat gesiegt, auf ganzer Linie, sie ist zum Juste Milieu derer geworden, die über unsere Kultur bestimmen.”
Stimmt das? Wenn ja, wie konnte sich dann Helmut Kohl so lange an der Macht halten? Von 60 Jahren Bundesrepublik stellte die SPD nur 20 Jahre den Regierungschef. Von politischer Dominanz kann mithin keine Rede sein, und auch hinter der Behauptung einer kulturellen Vorherrschaft der Linken muss man ein dickes Fragezeichen setzen. Autoren wie Martin Walser und Günter de Bruyn feiern große Erfolge. Links sind beide nicht (mehr). Beim katholischen Weltjugendtag haben Zehntausende Jugendliche dem Papst zugejubelt, der klar zum konservativen Urgestein gezählt werden muss. So bleibt Fleischhauers Argumentation in vielen Punkten schwach. Seine Ausflüge in die Geistesgeschichte führen meist in Sackgassen. Hilflos ist schon sein Versuch zu definieren, was er unter links versteht: „Links ist eine Weltanschauung, auch eine Welterklärung, wie alles mit allem zusammenhängt – aber zunächst ist es vor allem ein Gefühl.”
Der Autor hätte sich auf das beschränken sollen, was er gut kann: die unterhaltsame Kabbelei im Spiegel-Stil. Deshalb entwickelt der Band Stärken, wenn Fleischhauer nicht Zahlen, Daten und Fakten bemüht, sondern Anekdoten aus seiner Jugend erzählt und den Zeitgeist, das linke „Gefühl” eben, beschreibt. In seiner Familie gab es früher keine Orangen, denn die hätten ja von der Franco-Diktatur oder einem Militärregime in Lateinamerika kommen können. Alles hatte „politisch korrekt” zu sein, die jugendliche Freiheit ging darüber verloren. Die Familie fühlte sich trotzdem prima: „Wer links ist, lebt in dem schönen Bewusstsein, im Recht zu sein, ja einfach immer recht zu haben.” Überall sei es darum gegangen, aus einem Überlegenheitsgefühl heraus die Welt zu verbessern. Die Realität sei ausgeblendet worden, zum Beispiel die Probleme bei der Integration von Einwanderern. Sie habe man als das beste Mittel gegen einen neuen gefährlichen deutschen Nationalismus angesehen. „Einwanderungspolitik war (. . .) immer auch aktive Vergangenheitsbewältigung: In einer Art fortdauerndem Exorzismus sollten die Ausländer helfen, den deutschen Dämon in Schach zu halten”, schreibt Fleischhauer.
Damit trifft er einen Punkt. Viele Linke hatten ein Problem mit dem Patriotismus. Die deutsche Teilung sahen sie als Strafe für Auschwitz an, wie Günter Grass noch 1990 meinte – die Last des Völkermords hatten damit die Menschen in der DDR zu tragen, während es sich im Westen prächtig leben ließ. Auch daran erinnert Fleischhauer zu Recht. „Die Betrachtung der DDR als problembehaftetes, aber durchweg sympathisches Experiment führte zu einem Realitätsverzicht, der im Nachhinein waghalsig anmutet.” Deshalb fand die Linke auf den Mauerfall keine Antwort und überließ Helmut Kohl die Bühne. „Alle reden von Deutschland – wir reden vom Wetter”, lautete der Slogan der Grünen bei der Bundestagswahl im Dezember 1990, die von der Wiedervereinigung geprägt war. Mehr kann eine Partei nicht an den Menschen vorbeireden. Deshalb verfehlten die westdeutschen Grünen die Fünf-Prozent-Hürde – und lieferten damit wiederum einen Beweis gegen Fleischhauers These von der „linken Dominanz”.
Die Patriotismus-Aversion der Linken ist längst einem entspannteren Umgang mit der eigenen Nation gewichen. Bei der Fußball-WM haben auch Grüne und Sozialdemokraten die Fahne geschwenkt. Es war die Bundesregierung unter Gerhard Schröder, die vor zehn Jahren den ersten Auslandseinsatz der Bundeswehr befahl. Joschka Fischer kassierte für diesen Kurswechsel einen Farbbeutel.
Das alles lässt der Autor nicht gelten. Sein Buch verharrt in der Vergangenheit, in seiner eigenen Jugend. Damals mag manches seiner Urteile zutreffend gewesen sein, aber inzwischen ist die Linke weniger dogmatisch und offener. Aktuelle linke Bewegungen wie Attac kommen in dem Band nur am Rand vor – ein großes Versäumnis. Fleischhauer schreibt viel über seine Mutter, um das Denken der Jüngeren hat er sich wenig geschert. Entsprechend altbacken schmeckt die Lektüre. HARTMUT KÜHNE
JAN FLEISCHHAUER: Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009. 351 Seiten, 16,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ein bisschen halbherzig bespricht Gustav Seibt dieses Buch des "Spiegel"-Redakteurs Jan Fleischhauer, der darin nacherzählt, wie ihn seine linken Eltern zum Konservativen machten: mit dem Verbot von Coca-Cola, Walt Disney und Zitrusfrüchten. Zwei Einwände macht Rezensent Seibt gegen das Buch geltend: Zum einen sieht er das Problem an Fleischhauers Eltern eher in ihrer unerbittlichen Pedanterie als in ihrer linken Haltung. Zum anderen bezweifelt er, ob Fleischhauer wirklich konservativ ist: er sieht hier eher einen Glauben an die Kraft des Arguments am Werke, wenn Fleischhauer mit einigen Illusionen in Sachen Bildung, Strafvollzug oder Einwanderung. Aufräumt. Eine Bestimmung konservativer Programmatik hat Seibt ebenso wie vermisst wie bei der Berliner Buchvorstellung - trotz einschlägiger politischer und publizistischer Prominenz - eine Ahnung dessen zu bekommen, was ein konservatives Milieu ausmachen könnte. Abschließend lobt er das Buch als "fleißig und informativ".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.06.2009

Ich bin ein Liebhaber von gebratenen Pfifferlingen

Deutschland ist links beherrscht, meint der Journalist Jan Fleischhauer. Was passiert, wenn man sich mit seinem Buch in der Hand auf die Suche nach Linken macht?

Von Tobias Rüther

Der "Spiegel"-Redakteur Jan Fleischhauer hat sich vor kurzem dazu bekannt, konservativ geworden zu sein. "Unter Linken" heißt sein Buch. Diese Linken, zu deren Milieu er sich jahrelang zählte, findet er jetzt missionarisch, selbstgewiss, humorlos und bigott. Fleischhauer nennt sie eine "Herrschaftsformation". Und er nennt auch Namen: Gerade hat er in seinem Blog den Münchner Journalisten Heribert Prantl, leitenden politischen Redakteur bei der "Süddeutschen Zeitung", als "Überzeugungs- und Sentimentallinken" bezeichnet, weil Prantl unverbesserlich festhalte am "Großmythos" um Karl-Heinz Kurras, der Benno Ohnesorg erschoss und damit die Achtundsechziger in Bewegung setzte - obwohl dieser Polizist Kurras neuerdings als Kommunist und Stasi-Mitarbeiter entlarvt ist.

Wie gefällt es aber Fleischhauers alten Freunden und neuen Gegnern, wenn so über sie geschrieben wird? Anruf in der Herrschaftsformation: Sind Sie ein Linker, Heribert Prantl?

"Ich finde es lustig, wenn die Rechten mich zu ihrem Lieblingslinken und die Linken mich zum Ehrenmitglied machen wollen", antwortet Prantl. "Wenn Sie es wirklich so sortieren mögen, dann bin ich halt mal links, mal rechts, mal liberal." Provoziert fühle er sich nicht von Fleischhauer, behauptet Prantl, eher amüsiert, vor allem davon, wie Fleischhauer seine Sozialisation im Elternhaus und die Loslösung aus diesem "Linksbürgertum" (Fleischhauer) stilisiert: "Die Leute tun so, als hätten sie in den siebziger Jahren ihr Stalingrad im Kinderzimmer erlebt", sagt er. Wenn er aber gar nicht links ist, was ist Heribert Prantl dann? "Wenn ich mich selbst verorten müsste, dann bin ich meiner Herkunft nach - ein liberaler Sozialkatholik."

Auch Prantls stellvertretender Chefredakteur bei der "Süddeutschen Zeitung" kann mit der Frage nichts so recht anfangen. "Was ist links?", fragt Kurt Kister zurück. Fleischhauer würde sagen: eine Diskursmacht, die sich für besser hält und die Menschen zum Besseren bekehren will, überall Opfer erkennt und sie verteidigt, die darüber aber vor allem die eigene Machtposition zu stärken versucht. "Ach Gott", antwortet Kister da, "dann muss es sich beim Buch Fleischhauers um das Buch eines Linken handeln, der aber von sich selbst trojanisch sagt, er sei ein Rechter, weil er als Opfer der Linken, seiner Eltern zum Beispiel, über die Linke missionarisch endlich die Wahrheit verbreiten will. Wenn das alles so ist, dann bin ich weder links noch rechts, sondern ein gelegentlicher Liebhaber von gebratenen Pfifferlingen."

Nächster Anruf in der Herrschaftsformation, bei Klaus Staeck, dem Politgrafiker und Präsidenten der Akademie der Künste. Wie findet er die Kursschwankungen? "Ich halte das für ziemlichen Unsinn", sagt Staeck. "Leute, die sich gesellschaftlich und beruflich von einem Seitenwechsel etwas versprechen, haben mich nie interessiert. Zum Opportunismus habe ich jedenfalls keine Begabung. Ich habe eine klare Haltung, die vom jeweiligen Zeitgeist unbeeinflusst bleibt. Umso mehr bin ich überrascht, dass der Rowohlt-Verlag ein so mageres Buch verlegt. Wenn mich jemand als ,Linken' bezeichnet, widerspreche ich nicht - wie manche, die früher gar nicht links genug sein konnten."

Vielleicht ist es einfacher, mit Fleischhauers Buch in der Hand einen richtigen Konservativen zu finden. Bei der Vorstellung des Buchs im Restaurant "Adnan" in Berlin-Charlottenburg waren jedenfalls viele Journalisten vom Springer Verlag anwesend, Wirtschaftsminister zu Guttenberg schaute auch kurz herein. Der Journalist Georg Gafron hat "Unter Linken" im Magazin "Focus" als "messerscharfe Analyse" bejubelt. Die "Bild" meint: "Lesespaß pur!" - "Beifall von der Springer-Presse, wow!", hat daraufhin die "taz" gespottet. In der "Zeit" allerdings befand Alexander Gauland, selbst ein bekennender konservativer Intellektueller: "Was als Tabubruch daherkommt, ist längst intellektueller Mainstream."

Rolf Hochhuth schüttelt über all das nur den Kopf: "Man muss sich doch nicht entschuldigen, wenn man die Partei und seine Meinung wechselt." Hochhuth gehört also offenbar auch nicht zur Herrschaftsformation. Man hätte den Achtundsiebzigjährigen durchaus dort vermuten können, weil er mit seinem Theaterstück "Der Stellvertreter" in den sechziger Jahren eine Diskussion über die Rolle des Papstes im Nationalsozialismus anstieß; weil ihn Bundeskanzler Erhard einen "Pinscher" nannte; weil er in den Siebzigern dazu beitrug, den CDU-Ministerpräsidenten Hans Filbinger zu stürzen; weil er nach der Wiedervereinigung mit "Wessis und Weimar" und "McKinsey kommt" die Praktiken von Treuhand und neoliberalen Unternehmensberatern anprangerte und bis heute die Weltlage in Gedichte fasst. Doch Hochhuth sagt: "Ich war nie links und hatte auch keine speziellen Sympathien für die Linken. Hofmannsthal hat einmal gesagt: Dichter sind altmodische Menschen. Ich glaube, ich war von Natur aus immer sehr konservativ." Hochhuth hat Fleischhauers Buch genau gelesen, Sätze angestrichen, eigene Gedanken notiert. Ihn stört der "maliziöse, durchgehend lächelnde Tonfall" des Autors; er bedauert, dass es ihm am Interesse an der Geschichte mangelt, die Gefahren der Nato-Ost-Erweiterung für das deutsch-russische Verhältnis kämen beispielsweise gar nicht vor. Er sagt: "Fleischhauer bejaht im Grunde mit diesem Buch den Staat rückhaltlos." Rolf Hochhuth dagegen fand schon die alte Bundesrepublik unsympathisch.

Kennt der Dramatiker denn noch einen der Linken, die Fleischhauer im Buchtitel führt? "Das ist eine sehr interessante Frage. Sie müssen nach dem Adressbuch jemanden suchen, der zum Beispiel vorzeitig in eine unzureichende Rente abgeschoben wurde und seine Wohnung nicht mehr halten kann. Die gibt es natürlich, und die finden Sie natürlich auch." Und unter den Intellektuellen, der Nobelpreisträger Günter Grass vielleicht? Da lacht Rolf Hochhuth kurz auf. "Na sicher nicht. Er hat ja niemals, soweit ich weiß, ein kritisches Wort gegen die SPD gesagt. Und wenn man ein wirklicher Linker ist, dann müsste man ja mindestens als Verrat titulieren, dass die SPD nicht mehr links ist."

Das heißt: Sie war es einmal. Früher, unter Willy Brandt. Für den organisierte Albrecht Müller Wahlkämpfe, arbeitete im Vorstand der Partei, heute schreibt er Bücher gegen den Neoliberalismus. "Ich bin Sozialdemokrat", sagt Albrecht Müller, wenn man ihn danach fragt, "aber ich habe mit den führenden Sozialdemokraten von heute, die Hartz IV und mit der Riester-Rente die Privatisierung der Altersvorsorge erfunden haben, nicht mehr viel am Hut. Das liegt an denen, nicht an mir." Die SPD nicht links, Prantl nicht links, Grass nicht links - dabei hatte der vor vier Jahren, als eine neue Regierung gewählt wurde, zur Unterstützung der rotgrünen Koalition aufgerufen. Die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse schloss sich ihm damals an und ärgert sich bis heute darüber, wie sie dafür kritisiert und vor allem: wie sie missverstanden worden sei. Es sei ihr um mehr Respekt vor dem rot-grünen Projekt gegangen. "Ich hätte mich in meinem Leben nicht als Linke bezeichnet", sagt Eva Menasse, "bis zu diesem Rotgrün-Wahlkampf, wo ich mit meiner Unterschrift auf einer Schriftstellerliste dafür gesorgt habe, dass mich bis heute Leute als Linke sehen. Das ist doch alles völlig grotesk. Ich glaube, mein Herz ist genauso viel links wie konservativ." Was Fleischhauer als links etikettiere, den Boykott von Coca-Cola und McDonald's beispielsweise, das hält Eva Menasse für "einen urkonservativen Standpunkt. Das ist doch total bildungsbürgerlich: nicht abzusinken in etwas, das Paul Nolte der Unterschicht zurechnen würde. Da treffen sich doch gebildete Sozialdemokraten mit der gesamten CDU und im Übrigen auch mit den Grünen." Und außerdem: "Die aktuelle Lage ist längst so, dass man mit rechts und links nichts ausrichten kann."

Das Gesicht zu dieser Stimmungslage ist Heiner Geißler, neunundsiebzig Jahre alt, Mitglied in der CDU und bei den Globalisierungsgegnern von "Attac", der es gerade wieder einmal geschafft hat, in einem Interview gleichzeitig Oskar Lafontaine und Angela Merkel zu loben. Selbst die "taz" hat ihre Ansichten über Fleischhauers Buch als "Pro und Contra"-Gespräch über die Frage "Ist konservativ zu sein wieder sexy?" inszeniert.

Auch Fleischhauer selbst kritisiert Konservative, lobt dagegen Franz Müntefering genauso wie Joschka Fischer. Ist das nun ein Beweis dafür, dass sich das Lagerdenken doch in Luft aufgelöst hat? Oder dafür, dass es hier letztlich um Rhetorik geht? Um einen Effekt wie den, der entsteht, wenn Gregor Gysi von der Linkspartei ein Buch des "Bild"-Kolumnisten Hugo Müller-Vogg vorstellt? Oder Michael Naumann von der "Zeit" eine Abrechnung mit den Achtundsechzigern, geschrieben vom "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann? Geht es um die gute Laune bei einem Coup, der eigentlich nur in einem sehr kleinen Kreis von Belang ist, nämlich unter Hauptstadtjournalisten?

Albrecht Müller spekuliert, Fleischhauers Werk "könnte ein Auftragsbuch sein, das rechtzeitig zum Wahltermin erscheint". Andererseits beobachtet er "schon seit einiger Zeit eine Bewegung von links unten nach rechts oben: Sobald jemand etabliert ist, vergisst er, woher er gekommen ist."

Jan Fleischhauer hat im Gespräch gesagt: "Das Lager, dem ich jetzt beigetreten bin, ist ein sehr kleines. Die Debatte bei uns ist in einer Schieflage, weil die konservative Seite ungeheuer schwachbrüstig ist. Und das ist ein Verlust für dieses Land. Es gibt keine nennenswerte intellektuelle, konservative Szene. Nennen Sie mir doch einmal konservative Intellektuelle in Deutschland." Eva Menasse zählt da den Historiker Paul Nolte auf, den Verfassungsrichter Udo Di Fabio, den Schriftsteller Martin Mosebach, der auch von Fleischhauer für das Buch interviewt wurde und ihm dabei allerdings verriet, nicht konservativ, sondern reaktionär zu sein. Heribert Prantl wiederum, der 2005 Di Fabios Buch "Die Kultur der Freiheit" verriss, fällt kein konservativer Intellektueller ein, mit dem er sich auseinandersetzen würde. Er hält Fleischhauer, der sich ja irgendwie schon um diesen Titel beworben hat, für "weniger politisch oder postpolitisch, sondern eher postpubertär". Rolf Hochhuth antwortet mit einer Gegenfrage: "Wo ist heute ein Sebastian Haffner?"

Gefühlsmäßig ist man dort oder dort, hat Jan Fleischhauer gesagt. "Unter Linken" kommt als Ortsbestimmung daher, aber irgendwie will sich keiner geortet fühlen - außer denen, die vorher schon wussten, wo sie standen. "Wenn mein Buch dazu beitragen sollte", sagt Jan Fleischhauer, "dass Leute sagen: Das ist eigentlich eine ganz gute Haltung, locker konservativ zu sein, die könnte ich mir auch zulegen. Umso besser." Fühlt er sich politisch heimatlos? "Ja." Aber das gilt offenbar auch für viele der Leute, die er für seine Gegner hält.

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